Schleswig-Holsteinisches VG, Urteil vom 26.04.2017 - 2 A 161/15
Fundstelle
openJur 2020, 7867
  • Rkr:
Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 29.01.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.08.2015 wird aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, über den Bauantrag der Klägerin vom 18.07.2014 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die (negative) Feststellung, dass sie für einen Umbau ihres Marktes aus bauplanerischen Gründen keiner Baugenehmigung bedarf, hilfsweise die Verpflichtung zur Neubescheidung ihres Bauantrags.

Sie ist Eigentümerin des mit einem R...-Einkaufsmarkt mit rund 3.000 qm Verkaufsfläche bebauten Grundstücks A-Straße 8/8a in N... , Flurstücke ..., ... und ... der Flur ..., Gemarkung N.... Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 27 "Gewerbegebiet A-Straße" der Beklagten von 1976. Die Wirksamkeit des Bebauungsplans ist streitig.

Für das Grundstück der Klägerin existiert eine Baugenehmigung vom 02.11.1988 für ein Versorgungscenter mit den Sortimenten Lebensmittel, Feinkost, Frischfleisch / Restaurant / Nonfood (Kaufhaus-Sortiment) / Blumen (Shop) / Tabakwaren, Zeitschriften (Shop) / Foto sowie eine Nachtragsgenehmigung vom 20.03.1989 für einen Lebensmittel-Einzelhandel mit Waren aller Art, Milch- und Milcherzeugnissen in verkaufsfertigen Packungen, Non-Food-Artikel sowie Frischfleischabteilung. Der R...-Markt der Klägerin ging am 06.07.1989 in Betrieb. Für einen veränderten Grundriss wurde am 07.08.1989 noch eine Nachtragsbaugenehmigung erteilt.

Am 18.07.2014 stellte die Klägerin einen Bauantrag für den Umbau des R...-Markts. In der Erläuterung gab sie an, der Markt mit einer Gesamtgröße von 4.001,61 qm solle um eine Ladenfläche von ca. 792 qm verkleinert werden. Die Teilung erfolge nach dem Prinzip "Shop in Shop". Die Teilfläche nehme einen Drogeriemarkt auf, damit liege keine Nutzungsänderung vor. Das Sortiment sei bereits in dem R...-Markt gegeben. Die Ladentrennung erfolge aus optischen und Sicherheits-Gründen. Die Ladenflächen verblieben in einem Brandabschnitt. Die vorhandene Sprinkleranlage werde nicht getrennt. Das Brandschutzkonzept führe dazu aus. Der Drogeriemarkt sei in sich autark und erhalte einen eigenen Eingang, welcher gestalterisch dem Ladenquerschnitt und der Funktion zugeordnet sei. Die technische Ausrüstung werde getrennt. In der Betriebsbeschreibung ist als Art des Betriebes "Drogeriemarkt - Verkauf von Drogerieartikeln" angegeben. Aus der Ansichtszeichnung zum Bauantrag geht hervor, dass ein "dm"-Markt geplant ist.

Nach erfolgter Anhörung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29.01.2015 die Erteilung einer Baugenehmigung ab. Dem Vorhaben stünden öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen. Das Grundstück liege nicht im Geltungsbereich eines rechtskräftigen Bebauungsplanes, da der Bebauungsplan Nr. 27 aufgrund eines Verfahrensfehlers nicht anwendbar sei. Die Zulässigkeit des Vorhabens richte sich deshalb nach § 34 BauGB. Es sei zwar einfügsam nach § 34 Abs. 1 oder 2 BauGB, von ihm seien aber schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde zu erwarten. Nach ihrem Einzelhandelskonzept gehörten Drogeriewaren zu den nahversorgungsrelevanten Sortimenten, die nur im zentralen Versorgungsbereich angesiedelt werden könnten. Der Standort der Klägerin in der A-Straße erfülle nicht die Kriterien eines zentralen Versorgungsbereiches. Entgegen der Auffassung der Klägerin liege auch eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung vor, da ein Teil der Nutzfläche des R...-Marktes innerhalb des Gebäudes abgetrennt und einem neuen Drogerie-Markt mit separatem Zugang zugeordnet werden solle.

Die Klägerin legte am 26.02.2015 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31.08.2015 als unbegründet zurückwies.

Am 07.10.2015 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, die bisher genehmigte Nutzung als R...-Markt umfasse auch die Nutzung als Drogeriemarkt, die beantragte Änderung habe deshalb keine bauplanungsrechtliche Relevanz und ziehe keinen einzelhandelsbezogenen Prüfaufwand nach sich. Der R...-Markt verfüge bereits jetzt über ein umfangreiches Drogeriesortiment, durch die zeitgemäße Shop-in-Shop-Lösung erhöhe sich die Anzahl der Drogerieartikel nicht. Die dem Markt bisher zugewiesene Funktion erfahre insoweit keine rechtserhebliche Änderung, die Variationsbreite der bisherigen Nutzung werde nicht geändert, so dass nicht von einer Nutzungsänderung iSv § 29 Abs. 1 BauGB gesprochen werden könne. Wegen der Genehmigungsfreiheit bedürfe es keiner Beurteilung der planungsrechtlichen Zulässigkeit und etwaiger schädlicher Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde iSd § 34 Abs. 3 BauGB.

Hilfsweise habe die Klägerin einen Anspruch auf die beantragte Baugenehmigung, weil das Vorhaben den Festsetzungen des rechtskräftigen Bebauungsplans Nr. 27 entspreche. Der Bebauungsplan leide nicht an einem Ausfertigungsmangel. Die nach § 4 Abs. 2 GO erforderliche Ausfertigung der Satzung durch den Bürgermeister sei durch Auslegung unter Beachtung der Authentizität des Textes und der Legalität des Verfahrens zu ermitteln. Hier habe der Bürgermeister den Vermerk über den Verfahrensabschnitt nach dem Satzungsbeschluss nach § 10 BBauG - die Genehmigung nach § 11 BBauG - unterzeichnet. Eine Auslegung ergebe, dass alle bisherigen Verfahrensabschnitte - und somit auch der Satzungsbeschluss - mit dem Willen des Rechtssetzungsberechtigten übereinstimmten, zum anderen alle Voraussetzungen für die Bekanntmachung vorlägen. Damit leide der Bebauungsplan Nr. 27 nicht an einem Ausfertigungsmangel.

Hilfsweise wäre ein etwaiger Ausfertigungsmangel nach § 4 Abs. 3 GO unbeachtlich. Zwar würden Verstöße gegen bundesrechtliche Anforderungen nicht von § 4 Abs. 3 GO erfasst, allerdings bestehe vorliegend zumindest auch ein Verstoß gegen das landesrechtlich in § 4 Abs. 2 GO enthaltene Ausfertigungserfordernis, so dass das Fehlen der Ausfertigung nach § 4 Abs. 3 GO geheilt werde.

Das geplante Bauvorhaben entspreche den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 27. Nach dem hier anwendbaren § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1968 seien in dem Gewerbegebiet Gewerbebetriebe aller Art mit Ausnahme von Einkaufszentren und Verbrauchermärkten iSd § 11 Abs. 3 BauNVO zulässig. Nach § 11 Abs. 3 BauNVO 1968 seien Einkaufszentren und Verbrauchermärkte, die außerhalb von Kerngebieten errichtet werden sollen und die nach Lage, Umfang und Zweckbestimmung vorwiegend der übergemeindlichen Versorgung dienen sollen, als Sondergebiete darzustellen und festzusetzen. Der Einzugsbereich des R...-Marktes stamme aber zu über 50 % aus dem Bereich der Beklagten. Dies habe sogar die Umfrage für das Einzelhandelskonzept der Beklagten ergeben.

Für den Fall der Unanwendbarkeit des Bebauungsplans seien von dem im Übrigen einfügsamen Vorhaben keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde iSd § 34 Abs. 3 BauGB zu erwarten. Ein bloßer Verweis auf das Einzelhandelskonzept reiche zur Begründung der schädlichen Auswirkungen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht aus. Zudem habe die Beklagte die Schädlichkeit für ihr Nahversorgungskonzept gar nicht hinreichend dargetan. Zudem sei die Schädlichkeitsschwelle nicht überschritten. Schädliche Auswirkungen gingen von einem Vorhaben dann aus, wenn die städtebauliche Funktion des Versorgungsbereiches beeinträchtigt werde. Die Störung der Funktionsfähigkeit müsse dabei, um als schädlich qualifiziert werden zu können, von beachtlichem Gewicht sein. Dem Gesetzgeber sei es bei § 34 Abs. 3 BauGB maßgeblich darauf angekommen, bei Zulassungsentscheidungen nach § 34 BauGB über die nähere Umgebung hinausgehende Fernwirkungen, namentlich iSv § 11 Abs. 3 BauNVO zu berücksichtigen. Eine solche Beeinträchtigung der städtebaulichen Funktion des Versorgungsbereichs sei hier nicht ersichtlich. Zwar wäre nach dem Einzelhandelskonzept ein Drogeriemarkt mit einem hohen Bekanntheitsgrad in innerstädtischer Lage vorteilhaft, zumal in der Innenstadt momentan wenig Frequenzbringer lokalisiert seien. Es sei aber wegen der geographischen Lage nicht zu erwarten, dass das Vorhaben der Klägerin zu einer erheblichen Kaufkraftabschöpfung bzw. Umsatzumlenkung aus der Innenstadt führen werde. Das Vorhaben und der Drogeriemarkt Rossmann lägen 1,9 km voneinander entfernt. Deshalb könne die Nahversorgungsfunktion des Rossmann-Markts nicht beeinträchtigt werden. Als einziger Drogeriemarkt in der Innenstadt werde er seine Magnetwirkung weiter behalten.

Zudem diene das Einzelhandelskonzept lediglich dazu, künftige Ansiedlungs-/Erweiterungsvorhaben zu steuern. Bestehende Betriebe seien mit ihren Nutzungen im Einzelhandelskonzept berücksichtigt und genössen insoweit Bestandsschutz. Da die vorhandene Drogerieabteilung des R...-Marktes nur räumlich umgestaltet werde, sei der Umbau kein Ansiedlungs- oder Erweiterungsvorhaben im genannten Sinne. Mit ihrem Shop-in-Shop Konzept sollten sämtliche Sortimente, die in dem zukünftigen Drogerieshop geführt werden, nicht auch zusätzlich im verbleibenden R...-Markt vorgehalten werden. Ausnahme seien allein die Bereiche Putzmittel, Waschmittel und Duschpflege mit 25 bis max. 30 qm im R...-Markt.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass der Umbau eines R...-Marktes auf dem Grundstück A-Straße 8/8a in N... (Flurstücke ..., ... und ... der Flur ... Gemarkung N...) aus bauplanungsrechtlichen Gründen keine Genehmigungspflicht begründet.

hilfsweise,den Bescheid der Beklagten vom 29.01.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.08.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Bauantrag der Klägerin vom 18.07.2014 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Hauptantrag sei unbegründet, da der Umbau des Marktes aus bauplanungsrechtlichen Gründen genehmigungspflichtig sei. Eine Nutzungsänderung i.S.v. § 62 Abs. 1 LBO liege bereits dann vor, wenn nur die Möglichkeit bestehe, dass das geänderte Vorhaben bauplanungs- oder bauordnungsrechtlich anders zu beurteilen sei als vorher. Das sei hier der Fall, da das Vorhaben nicht mehr in die Variationsbreite des ursprünglichen Vorhabens der Klägerin falle. Es liege eine Funktionsänderung und nicht nur eine Nutzungsintensivierung vor. Ein Teil der Nutzfläche würde vollständig abgetrennt und einem eigenständigen Drogeriemarkt mit neuem separatem Zugang zugeordnet. Der Drogeriemarkt wäre damit in sich autark und nicht mehr Teil des R...-Marktes, er erhalte eine eigenständige (Werbe-) Funktion. Ein Drogeriemarkt führe zu einer anderen bauplanungsrechtlichen Einordnung als eine bloße Drogerieabteilung innerhalb des R...-Markts, auch vor dem Hintergrund von § 34 Abs. 3 BauGB. Drogeriewaren seien nahversorgungsrelevant. Betriebe mit derartigen Kernsortimenten seien nach dem Einzelhandelskonzept nur im zentralen Versorgungsbereich anzusiedeln.

Der Bebauungsplan Nr. 27 sei wegen eines Ausfertigungsmangels nicht anwendbar. Der Bürgermeister habe weder einen Ausfertigungs- noch einen Satzungsvermerk unterzeichnet. Dieser Mangel werde auch nicht durch die Unterschrift auf dem Genehmigungsvermerk geheilt. Hier mangele es sowohl an der unmittelbaren Bezeugung der Übereinstimmung des Inhalts der Normurkunde mit dem Willen des Rechtssetzungsberechtigten als auch an der Einhaltung des für die Normgebung gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens. Die fehlende Ausfertigung sei auch nicht nach § 4 Abs. 3 GO unbeachtlich. Die Vorschrift sei bei völlig fehlender Ausfertigung nicht anwendbar, sondern nur bei Bebauungsplänen, die unter Verletzung von Formvorschriften über die Ausfertigung und Bekanntmachung zustande gekommen seien. Verstöße gegen bundesverfassungsrechtliche Mindeststandards - wie das "Ob" der Ausfertigung - könnten nicht nach Landesrecht unbeachtlich sein.

Das Vorhaben sei nach § 34 Abs. 3 BauGB unzulässig, weil schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde zu erwarten seien. Die Schädlichkeitsschwelle sei überschritten. Gerade der mit 792 qm relativ große Drogeriemarkt dm werde eine Konkurrenz für den einzigen im Zentrum vorhandenen Drogisten Rossmann bedeuten und dessen Umsatz erheblich schwächen. Dies rechtfertige die Prognose, dass dies die Kundenfrequenz im zentralen Versorgungsbereich der Beklagten nicht unwesentlich verringern werde. Das Einzelhandelskonzept der Beklagten enthalte alle erforderlichen Aspekte einer Prüfung des Einzelfalls, da es explizit für die Errichtung eines Drogeriemarktes an dem geplanten Standort anhand des Sortiment- und Standortkonzepts die schädlichen Auswirkungen iSd § 34 Abs. 3 BauGB feststelle. An dem Standort A-Straße solle danach zukünftig die Ansiedlung von Betrieben mit nicht zentrenrelevanten Kernsortimenten konzentriert werden, um so eine Bündelung von Einzelhandel zu erreichen. Die Ansiedlung von Betrieben mit nahversorgungs- und zentrenrelevantem Kernsortiment (großflächig und nicht großflächig) sei hingegen auszuschließen.

Die geplante Nutzungsänderung genieße auch keinen Bestandsschutz. Die erstmalige Errichtung eines Drogeriemarkts sei ein zukünftiges Ansiedlungs-/Erweiterungsvorhaben im Sinne des Einzelhandelskonzepts. Eine bloße Umgestaltung des R...-Markts wäre möglicherweise durch die vorhandene Baugenehmigung gedeckt und könnte unter den Bestandsschutz fallen. Die Klägerin habe aber die erstmalige Neuansiedlung eines autarken Drogeriemarktes beantragt, die vom Bestandsschutz nicht gedeckt sei, sondern Fragen der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit aufwerfe.

Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung beantragt, Beweis zu erheben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über folgende Tatsachen:

1. die Innenstadt von N... ist in ihrer Funktion als zentraler Versorgungsbereich bereits jetzt vorgeschädigt; dies zeigt sich an vielfachen Leerständen und geringen Einzelhandelsflächen im Verhältnis zur Umgebung.

2. die Zulassung des streitgegenständlichen Vorhabens würde die bereits angegriffene zentrale Versorgungsfunktion der Innenstadt durch deutliche Kaufkraftverluste und Verödungseffekte in städtebaulich untragbarer Weise schädigen.

Die Kammer hat diesen Beweisantrag abgelehnt und die Ablehnung in der mündlichen Verhandlung mündlich begründet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, das Einzelhandelskonzept für die Stadt N... und Nahbereich vom September 2013 sowie die Auswirkungsanalyse zur geplanten Erweiterung von famila und Aldi im R-Weg in N... vom August 2014 Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hat nur mit ihrem Hilfsantrag Erfolg.

Der Hauptantrag ist bereits unzulässig. Der Klägerin fehlt für die begehrte Feststellung, dass sie für den Umbau ihres R...-Marktes in der A-Straße in N... aus bauplanungsrechtlichen Gründen keiner Baugenehmigung bedarf, das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.

Der beantragte Umbau des Lebensmittelmarktes R... durch Verkleinerung um eine Ladenfläche von ca. 792 qm unter Einbau eines dm-Drogeriemarkts mit einer Verkaufsfläche von 644,28 qm ist baugenehmigungspflichtig. Nach § 62 Abs. 1 LBO bedürfen u.a. die Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und Beseitigung baulicher Anlagen der Baugenehmigung, soweit in den §§ 63, 68, 76 und 77 LBO nichts anderes bestimmt ist.

Bei dem von der Klägerin zur Genehmigung gestellten Umbau handelt es sich um ein Vorhaben im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB, das eine Änderung und Nutzungsänderung zum Inhalt hat, für die die §§ 30 bis 37 BauGB gelten. Durch den geplanten Umbau wird in den vorhandenen Baubestand eingegriffen, der verändert wird und in einem verkleinerten R...-Markt sowie einen autarken Drogeriemarkt mündet. Dies wirft zunächst eine Reihe von bauordnungsrechtlich zu prüfenden Fragen auf, so durch die Trennwand sowie den neuen Eingang evtl. statischer Art, Fragen des Brandschutzes, der Entwässerung, der Trennung der technischen Ausrüstung und weiteres.

Mit einer Bauvoranfrage hätte die Klägerin den Prüfungsumfang auf Bauplanungsrecht iSd § 29 Abs. 1 BauGB beschränken können. Streitgegenstand dieses Verfahrens ist aber eine Baugenehmigung bzw. die Feststellung, dass keine Baugenehmigung erforderlich sei. Im Baugenehmigungsverfahren nach § 73 Abs. 1 LBO werden alle öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Bauordnungs- und Bauplanungsrechts geprüft. Zudem weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass auch Bauplanungsrecht berührt ist. Ein autarker dm-Drogeriemarkt hat eine eigenständige Werbefunktion und ist deshalb mehr als nur eine Drogerieabteilung des R...-Markts. Durch den alleinigen Verkauf von Drogerieartikeln in der neu zu errichtenden Einheit wird der Bereich der bisherigen Zweckbestimmung des R...-Marktes verlassen, auch wenn für diesen Markt ein Nonfood-Sortiment genehmigt wurde. Denn ein dm-Drogeriemarkt dient - anders als ein R...-Markt - nicht überwiegend dem Handel mit Lebensmitteln.

Die Klage ist mit dem Hilfsantrag zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Obwohl es sich bei der Erteilung einer Baugenehmigung um eine gebundene Entscheidung handelt, ist der Bescheidungsantrag nach den Grundsätzen über das sog. "stecken gebliebene" Genehmigungsverfahren zulässig. Ein stecken gebliebenes Genehmigungsverfahren liegt vor, wenn die Bauaufsichtsbehörde die Genehmigung des Vorhabens, ohne seine Vereinbarkeit mit baurechtlichen oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften umfassend zu prüfen, wegen eines bestimmten Rechtsverstoßes - etwa mangelnder Konformität mit Bauplanungsrecht - ablehnt. In der Situation eines stecken gebliebenen Genehmigungsverfahrens entfällt die Verpflichtung des Gerichts zur Herbeiführung der Spruchreife, wenn ansonsten im Verwaltungsverfahren noch nicht behandelte komplexe Fragen - etwa des Bauordnungsrechts oder der Erschließung - erstmals im gerichtlichen Verfahren erschöpfend geprüft werden müssten. In diesem Falle kann es ein Bescheidungsurteil im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO erlassen, wenn der herangezogene Versagungsgrund die Ablehnung des Antrags nicht trägt und die Genehmigung nach dem bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisstand nicht schon aus anderen Gründen zu versagen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.11.1997 - 4 B 179.97 -, Urt. v. 14.04.1989 - 4 C 52.87 -; OVG NRW, Urt. v. 03.02.2011 - 2 A 1416/09 -, v. 19.11.2010 - 2 A 63/08 -, v. 15.06.2012 - 2 A 2630/10 -; OVG Rh.-Pf., Urt. v. 11.05.2005 - 8 A 10281/05 - sämtl. zitiert nach juris).

Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte über ihren Antrag vom 18.07.2014 auf Erteilung einer Baugenehmigung für den Umbau des R...-Markts auf dem Grundstück A-Straße 8/8a in N... (Flurstücke ..., ... und ... der Flur ... Gemarkung N...) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entscheidet (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO). Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 29.01.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.08.2015 ist entsprechend aufzuheben.

Das zur Genehmigung gestellte Bauvorhaben der Klägerin ist vorbehaltlich der weiteren Prüfung der bauordnungsrechtlichen Voraussetzungen genehmigungsfähig. Das Vorhaben ist insbesondere mit den Vorgaben des § 34 BauGB vereinbar.

Die Zulässigkeit richtet sich nach § 34 BauGB, weil der Bebauungsplan Nr. 27 "Gewerbegebiet A-Straße" der Stadt N... wegen eines Ausfertigungsmangels nicht anwendbar ist.

Nach § 4 Abs. 2 GO werden Satzungen vom Bürgermeister ausgefertigt. An einer solchen Ausfertigung fehlt es hier. Der Bürgermeister der Stadt N... hat folgende Verfahrensvermerke unterschrieben: Aufstellungsbeschluss (1), Bekanntmachung der öffentlichen Auslegung (2), Billigung der Begründung zum Bebauungsplan (3), Bestätigung der Genehmigung und Bestätigung der Auflagenerfüllung (4) sowie Inkrafttreten des Bebauungsplans (5). Schritte 1 bis 3 liegen vor der Beschlussfassung der Stadtverordnetenversammlung. Die Unterschrift unter Schritt 4 soll ersichtlich nur die Genehmigung durch den Innenminister bezeugen und kann nicht so ausgelegt werden, als solle damit gleichzeitig auch die Übereinstimmung des Planes mit dem Beschluss der Stadtvertretung und die Einhaltung des Verfahrens dokumentiert werden. Für eine darüber hinausgehende Auslegung gibt es keine Anhaltspunkte. Damit fehlt auf der Planurkunde aber jede Aussage darüber, dass der Bebauungsplan mit diesem Inhalt von der Stadtvertretung beschlossen wurde und ordnungsgemäß zustande gekommen ist.

Das Rechtsstaatsgebot aus Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG verlangt die Identität der anzuwendenden Norm und ihres Inhalts mit dem vom Normgeber Beschlossenen (sog. "Identitätsfunktion", "Beurkundungs- und Gewährleistungsfunktion"), nicht jedoch die Bestätigung der Legalität des Normsetzungsverfahrens ("Legalitätsfunktion"). Aus der Beurkundungs- und Gewährleistungsfunktion folgt, dass geprüft werden muss, ob die zu verkündende Fassung der Rechtsnorm mit der vom Normgeber beschlossenen Fassung der Norm übereinstimmt; es muss erkennbar sein, dass der Normgeber die ihm obliegende Prüfung vorgenommen hat. Die Identität des Normtextes mit dem vom Normgeber Beschlossenen wird dabei durch seine Ausfertigung bestätigt. Folglich genügt etwa das bloße Herstellen einer gedruckten Fassung einer Rechtsnorm als Ausfertigung nicht (BVerwG, Beschl. v. 04.09.2014 - 4 B 29/14 - juris).

Die fehlende Ausfertigung führt aufgrund des Verstoßes gegen das bundesverfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzip zur Unwirksamkeit des Planes (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 08.05.1996 - 1 L 158/95 - juris).

Der Verstoß ist auch nicht unbeachtlich. Ist eine Bebauungsplansatzung unter Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften über die Ausfertigung und Bekanntmachung oder von Verfahrens- und Formvorschriften dieses Gesetzes zustande gekommen, so ist nach § 4 Abs. 3, Abs. 4 GO die Verletzung bei Bebauungsplänen von vor dem 1.4.1996 unbeachtlich, wenn sie nicht schriftlich bis zum 30.9.1997 gegenüber der Gemeinde unter Bezeichnung der verletzten Vorschrift und der Tatsache, die die Verletzung ergibt, geltend gemacht worden ist. Vorliegend fehlt eine Ausfertigung jedoch völlig, es geht nicht "nur" um die Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften über die Ausfertigung. Eine Unbeachtlichkeit nach § 4 Abs. 3 GO kommt deshalb entgegen der Auffassung der Klägerin nicht in Betracht. Auch das OVG Schleswig (Urt. v. 08.05.1996 a.a.O.) hat ausgeführt, dass § 4 Abs. 3 GO in Fällen der völlig fehlenden Ausfertigung nicht anwendbar sein dürfte, da sie nur für Fälle gilt, in denen ein Bebauungsplan unter Verletzung von Formvorschriften über die Ausfertigung und Bekanntmachung zustande gekommen ist. Für diese Auslegung spricht auch der Erlass des Innenministers vom 15.03.1996 zur "Unbeachtlichkeit der Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften bei der Ausfertigung und Bekanntmachung von Bebauungsplan-Satzungen", in dem als Anwendungsfälle Fehler hinsichtlich der Datumsangabe oder hinsichtlich der Unterschrift durch das zuständige Organ genannt sind. Es ist nach Auffassung der Kammer nicht möglich, Verstöße gegen bundesverfassungsrechtliche Mindeststandards - dazu gehört nach den obigen Ausführungen das "Ob" der Ausfertigung - nach Landesrecht für unbeachtlich zu erklären.

Das Vorhaben fügt sich nach der Art der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung ein. Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 BauGB liegen hier unstreitig vor, die nähere Umgebung des klägerischen Grundstücks entspricht dem mit Bebauungsplan Nr. 27 festgesetzten Gewerbegebiet. Auch die übrigen Einfügenskriterien des § 34 Abs. 1 BauGB sind zwanglos erfüllt.

Von dem Vorhaben sind zur Überzeugung der Kammer auch keine schädlichen Auswirkungen im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB auf zentrale Versorgungsbereiche der Gemeinde zu erwarten.

Entgegen der Auffassung der Beklagten reicht zur Begründung von schädlichen Auswirkungen ein Verweis auf das Einzelhandelskonzept für die Stadt N... und Umland vom September 2013 nicht aus. Diesem Konzept kommt weder bei der Abgrenzung des zentralen Versorgungsbereichs noch bei der Frage, ob die Schädlichkeitsschwelle überschritten ist, bindende Rechtswirkung zu (vgl. zur räumlichen Abgrenzung BVerwG Beschl. v. 12.02.2009 - 4 B 5/09 - juris). Nach dem Einzelhandelskonzept soll an dem Standort A-Straße zukünftig die Ansiedlung von Betrieben mit nicht zentrenrelevanten Kernsortimenten konzentriert werden, um so eine Bündelung von Einzelhandel zu erreichen. Die Ansiedlung von Betrieben mit nahversorgungs- und zentrenrelevanten Kernsortiment (großflächig und nicht großflächig) sei hingegen auszuschließen. Die Ansiedlung eines Drogeriemarktes als Frequenzbringer in innerstädtischer Lage wird empfohlen, nicht hingegen außerhalb der Innenstadt. Diese Zielvorgaben richten sich allein an die Stadt N... als Trägerin der Bauleitplanung und können grundsätzlich nicht als Maßstab für die Beurteilung herangezogen werden, ob im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB von einem Vorhaben schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde zu erwarten sind.

Zentrale Versorgungsbereiche iSd Bestimmung sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts räumlich abgrenzbare Bereiche einer Gemeinde, denen aufgrund vorhandener Einzelhandelsnutzungen - häufig ergänzt durch diverse Dienstleistungen und gastronomische Angebote - eine Versorgungsfunktion über den unmittelbaren Nahbereich hinaus zukommt. Bei der Beurteilung, ob ein Versorgungsbereich einen zentralen Versorgungsbereich iSd Vorschrift bildet, bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung der städtebaulich relevanten Gegebenheiten. Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.12.2009 (- 4 C 2/08 - juris) können auch Grund- und Nahversorgungszentren zentrale Versorgungsbereiche in diesem Sinne sein. Ziel des § 34 Abs. 3 BauGB ist die Erhaltung gewachsener städtebaulicher Strukturen und die Entwicklung integrierter Lagen auch im Interesse der verbrauchernahen Versorgung. Entscheidend ist, dass der Versorgungsbereich nach Lage, Art und Zweckbestimmung eine für die Versorgung der Bevölkerung in einem bestimmten Einzugsbereich zentrale Funktion hat. Dabei kann Zentralität durchaus kleinteilig sein. Ein zentraler Versorgungsbereich kann schon angenommen werden, wenn der Versorgungsbereich einen gewissen, über seine eigenen Grenzen hinausgehenden räumlichen Einzugsbereich mit städtebaulichem Gewicht hat und damit über den unmittelbaren Nahbereich hinaus wirkt.

Vorliegend hat die Stadt N... allein ihre Innenstadt - parzellenscharf - als zentralen Versorgungsbereich und damit als schutzwürdigen Bereich eingestuft (vgl. Einzelhandelskonzept S. 48 ff.) und die Standorte von famila/Aldi am R-Weg sowie die Fachmarktlage in der A-Straße/E-Straße als nicht integrierte Standortlagen für großflächigen, nicht zentrenrelevanten Einzelhandel ausgewiesen. Gegen diese Einstufung haben die Beteiligten keine Bedenken erhoben. Solche ergeben sich für die Kammer nach den Ausführungen des Einzelhandelskonzepts sowie aufgrund vorhandener Ortskenntnisse auch nicht.

Vorhaben iSd § 34 Abs. 3 BauGB können alle Arten von Einzelhandelsbetrieben sein. Es kommt dabei nicht darauf an, ob sie bereits großflächig iSd § 11 Abs. 3 BauNVO sind. Zugrunde zu legen ist das beantragte Vorhaben, d.h. das Vorhaben iSd § 29 BauGB. Im Falle der Erweiterung eines vorhandenen Einzelhandelsbetriebes ist die Zulässigkeit des Gesamtvorhabens zu prüfen (OVG Münster, Urt. v. 06.11.2008 - 10 A 1417/07 - juris). Die städtebauliche Situation wird nämlich auch durch den Betrieb, dessen Erweiterung beantragt wird, in seinem bisherigen Bestand geprägt. Der vorhandene Betrieb kann - ggf. im Zusammenwirken mit weiteren Einzelhandelsbetrieben an einem nicht integrierten Standort - bereits gegenwärtig die Funktionsfähigkeit eines zentralen Versorgungsbereichs gefährden. In einem solchen Fall können selbst Erweiterungen eines Betriebes, die lediglich das vorhandene Sortiment auf größerer Fläche präsentieren sollen, zu schädlichen Auswirkungen führen. Der Markt kann sich aber auch auf die vorhandene Situation in der Weise eingestellt haben, dass sich eine geringfügige Verkaufsflächenerweiterung nicht auf die bestehende Umsatzverteilung auswirkt.

Schädliche Auswirkungen sind zu erwarten, wenn die Funktionsfähigkeit des betroffenen zentralen Versorgungsbereichs in beachtlichem Ausmaß beeinträchtigt und damit gestört wird. Eine solche Funktionseinschränkung liegt vor, wenn der Versorgungsbereich seinen Versorgungsauftrag generell oder hinsichtlich einzelner Branchen nicht mehr in substantieller Weise wahrnehmen kann. Daraus ergibt sich weiter, dass Auswirkungen auf Versorgungsbereiche nicht erst dann schädlich sind, wenn sie die Schwelle der Unzumutbarkeit überschreiten, also der Verlust der städtebaulichen Funktion als zentraler Versorgungsbereich zu erwarten ist (BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 - 4 C 1/08 - juris). Schutzzweck des § 34 Abs. 3 BauGB ist die Vermeidung städtebaulich nachteiliger Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche. Es soll eine bestimmte städtebauliche Struktur erhalten werden, die sich durch Zentralität auszeichnet und eine diffuse Verteilung von Einrichtungen in die Fläche vermeidet. Die Unzulässigkeit von Betrieben kann nach dem Schutzzweck des § 34 Abs. 3 BauGB auch dazu beitragen, dass sich durch den dadurch bewirkten Schutz ein ggf. auch schon beeinträchtigter Versorgungsbereich positiv entwickelt und aufgewertet wird (vgl. Ernst-Zinkahn-Bielenberg, BauGB, Kommentar, § 34 Rn. 85b und 86c). Eine Schädigung kann unter Umständen bereits im Falle einer Schwächung des Versorgungsbereiches vorliegen, wenn das Vorhaben auf eine "eher bereits eingeschränkte Versorgungssituation" trifft (BVerwG, Beschl. v. 11.06.2010 - 4 B 75/09 - juris). Nicht zu verlangen ist, dass die schädlichen Auswirkungen schon unmittelbar mit oder nach der Errichtung des zur Genehmigung anstehenden Vorhabens eintreten (Ernst-Zinkahn-Bielenberg, BauGB, Kommentar, § 34 Rnr. 86k).

Schädliche Auswirkungen können sich auch daraus ergeben, dass das geplante Vorhaben zusammen mit bereits vorhandenen Betrieben eine Beeinträchtigung des geschützten Versorgungsbereichs bewirkt, denn ein gerade noch unbedenkliches Nebeneinander eines Einzelhandelsbetriebes an einem nicht integrierten Standort in räumlicher Nähe zum Versorgungsbereich kann durch das Hinzutreten eines weiteren Vorhabens in eine städtebaulich beachtliche Schädigung der Funktionsfähigkeit des Versorgungsbereiches umschlagen. Insofern geht auch ein Einwand fehl, das Versorgungszentrum habe sich doch auf die bestehenden Einzelhandelsbetriebe eingestellt, so dass durch das streitige Vorhaben keine schädlichen Auswirkungen zu erwarten seien (BVerwG, Urteil vom 17.12.2009 - 4 C 2/08 - juris). Eine etwaige Vorschädigung des zentralen Versorgungsbereiches ist bei der Beurteilung der Auswirkungen eines Vorhabens also zu berücksichtigen. Diese Grundsätze gelten nach Auffassung der Kammer erst recht, wenn vorhandene, außerhalb von zentralen Versorgungsbereichen gelegene Einzelhandelsbetriebe diese schon schädigen (Urt. v. 06.12.2014 - 2 A 146/13 -, bestätigt durch OVG Schleswig mit Urt. v. 29.06.2016 - 1 LB 7/14 - juris, und BVerwG, Beschl. v. 12.01.2017 - 4 B 43/16 - juris). Eine solche Vorschädigung kann insbesondere auf bereits vorhandene großflächige Einzelhandelsbetriebe im Einzugsbereich des zentralen Versorgungsbereichs zurückzuführen sein (BVerwG, Beschl. v. 17.02.2009 - 4 B 4/09 - juris).

Ob schädliche Auswirkungen zu erwarten sind, ist im Rahmen einer anzustellenden Prognose festzustellen. Die Bauaufsichtsbehörde und das Verwaltungsgericht müssen dies im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht aufklären, so dass es im Regelfall auf Fragen der Darlegungs- und Beweislast bei dieser Prognoseentscheidung nicht ankommen wird (OVG Münster, Urt. v. 13.06.2007 - 10 A 2439/06 - juris). Eine nur unter bestimmten Voraussetzungen widerlegbare Regel, dass bei Überschreiten einer bestimmten Verkaufs- und Geschossfläche schädliche Auswirkungen zu erwarten sind, stellt § 34 Abs. 3 BauGB - anders als § 11 Abs. 3 BauNVO - nicht auf. Im Rahmen der Prognose des § 34 Abs. 3 BauGB sind alle Umstände des jeweiligen Einzelfalles in den Blick zu nehmen. Zu berücksichtigen sind bei großflächigen Einzelhandelsbetrieben insbesondere die Verkaufsfläche des Vorhabens im Verhältnis zu den im Versorgungsbereich vorhandenen Verkaufsflächen derselben Branche, die voraussichtliche Umsatzverteilung, die Entfernung zwischen dem Vorhaben und dem betroffenen zentralen Versorgungsbereich, eine etwaige "Vorschädigung" des Versorgungsbereichs oder die Gefährdung eines "Magnetbetriebs", der maßgebliche Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des zentralen Versorgungsbereichs hat, das Vorhandensein branchengleicher Einzelhandelsangebote an nicht integrierten Standorten im Einzugsbereich des Versorgungsbereichs und die Kundenattraktivität des geplanten Vorhabens durch standortbedingte Synergie-Effekte (std. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 12.01.2012 - 4 C 39/11 - juris).

Bei der Entscheidung, ob von einem Vorhaben schädliche Auswirkungen zu erwarten sind, sind diejenigen Auswirkungen zugrunde zu legen, die typischer Weise von einem Betrieb der Art, wie er zur Genehmigung gestellt wird, an der betreffenden Stelle zu erwarten sind. Der Prognose muss eine hinreichend gesicherte Tatsachenbasis zugrunde liegen. Als geeignete Methode kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Verkaufsflächenvergleich zwischen der Verkaufsfläche des Vorhabens und der Verkaufsfläche des betroffenen Versorgungsbereichs in Betracht, jedenfalls in einer Gesamtschau mit den maßgebenden o.g. städtebaulichen Faktoren, wobei der bloße Verkaufsflächenvergleich allein nicht überbewertet werden soll. Einem derartigen Vergleich kann auch nicht entgegengehalten werden, ökonomische Effekte spielten sich nach dem Grundsatz der systemgleichen Konkurrenz nur zwischen den Betrieben an den nicht integrierten Standorten ab (BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 a.a.O.). Nicht zwingend erforderlich ist daher, dass ein Verkaufsflächenvergleich zwischen dem Vorhaben einerseits und der Gesamtverkaufsfläche aller im Einzugsbereich des Vorhabens gelegenen Einzelhandelsbetriebe vorgenommen wird (OVG Münster, Urt. v. 01.02.2010 - 7 A 1635/07 - juris). Die Aussagekraft eines Verkaufsflächenvergleichs lässt bei zunehmender Entfernung zwischen dem Vorhaben und dem betroffenen Zentrum und bei weniger eindeutigen Relationen in Bezug auf die geplanten und die bereits vorhandenen Verkaufsflächen nach. In derartigen Konstellationen wird regelmäßig ein Rückgriff auf ein ergänzendes Marktgutachten zur Ermittlung von Kaufkraftabflüssen notwendig sein. Letztlich ist es Aufgabe des Tatsachengerichts, die Methode zu bestimmen, anhand derer mögliche schädliche Auswirkungen prognostiziert werden. So wie sich beim Verkaufsflächenvergleich keine festen Prozentsätze angeben lassen, bei deren Unterschreiten stets von unschädlichen Auswirkungen auszugehen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.10.2007 a.a.O.), erscheint auch für die Umsatzumverteilung fraglich, ob sich ein fester Prozentsatz nennen lässt (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 - 4 C 1/08 -; ablehnend OVG Münster, Urt. v. 13.06.2007 - 10 A 2439/06 - und Urt. v. 11.12.2006 - 7 A 964/05 -). Einige Obergerichte gehen allerdings bei nicht vorgeschädigten Versorgungsbereichen von einer Erheblichkeitsschwelle von 10% aus. Das OVG Münster (Urt. v. 01.02.2010 a.a.O.) hat im Falle einer Vorschädigung eine festgestellte Umsatzumverteilung von 7,9% bis 8,8% beim periodischen Bedarf und von 4,5% bezogen auf alle Einzelhandelsbranchen als ausreichend für die Feststellung schädlicher Auswirkungen angesehen.

Bei Anlegung dieser Maßstäbe lassen sich vorliegend nach Überzeugung der Kammer im Rahmen einer Gesamtschau aller bekannten städtebaulichen Faktoren auf der Basis eines Verkaufsflächenvergleichs und der Würdigung des von der Beklagten in Auftrag gegebenen Einzelhandelskonzepts für die Stadt N... und Nahbereich vom September 2013 sowie der Auswirkungsanalyse zur geplante Erweiterung von famila und Aldi in N... - R-Weg - vom August 2014 keine schädlichen Auswirkungen des streitgegenständlichen Vorhabens bezogen auf den zentralen Versorgungsbereich Innenstadt feststellen.

Die Kammer ist ohne Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass der zentrale Versorgungsbereich Innenstadt der Stadt N... nicht vorgeschädigt ist. Dies ergibt sich aus folgendem: In der Innenstadt waren zwar zum Zeitpunkt der Erstellung des Einzelhandelskonzepts (2012/2013) 92 Betriebe mit 12.670 m² und damit nur 24 % der gesamten N...er Verkaufsfläche angesiedelt. Dies begründet entgegen der Auffassung der Beklagten aber keine Vorschädigung, sondern ist dem Umstand geschuldet, dass die Stadt bedingt u.a. durch den Tourismus im bundesweiten Vergleich mit ca. 11,4 Betrieben je 1.000 Einwohner einen überdurchschnittlichen Betriebsbesatz und mit 3.370 m² Verkaufsfläche je 1.000 Einwohner eine sehr hohe Verkaufsflächendichte hat. Zu berücksichtigen ist weiter, dass in der Altstadt auch nur ca. 930 Einwohner leben. So konstatiert das Einzelhandelskonzept auch, dass der innerstädtische Flächenanteil im Vergleich zu ähnlich gelagerten Einzelhandelsstandorten eher gering ausfällt. Dies hänge u.a. mit dem geringen Besatz an Magnetbetrieben bei einem gleichzeitig hohen Flächenbestand an dezentralen Lagen zusammen. Bei Nahrungs- und Genussmitteln hat sich der 2012/2013 sehr geringe Flächenanteil von ca. 3 % in der Innenstadt zudem mittlerweile dadurch erhöht, dass im ehemaligen Leerstand "Ihr-Platz" in exponierter Lage am Marktplatz ein Nahkauf Lebensmittelhändler mit einer Verkaufsfläche von 526,8 m² eingezogen ist. Der frequenzstarke Betriebstyp Drogeriemarkt ist mit Rossmann (655 m² Verkaufsfläche) schwach vertreten, der Sortimentsbereich Gesundheit/Körperpflege wird durch drei Spezialanbieter (Parfümerien und Kosmetik), fünf Apotheken und zwei Sanitätshäuser ergänzt. Das Einzelhandelskonzept stellt in diesem Bereich mit insgesamt 1.160 m² Verkaufsfläche eine gute Grundversorgung fest, wenngleich (andere) Drogeriemärkte mit einem hohen Bekanntheitsgrad fehlen.

Auch der Einzelhandelsflächen-Leerstand in der Innenstadt ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht in einem Umfang gegeben, der eine Vorschädigung begründen könnte. Zum Zeitpunkt der Bestandsaufnahme für das Einzelhandelskonzept standen 12 Ladenlokale leer, welche mit Ausnahme der ehemaligen Ihr-Platz Immobilie (wieder belegt mit Nahkauf Lebensmittelmarkt s.o.) überwiegend kleinteilig strukturiert sind. Nach Information der Beklagten gibt es in der Innenstadt bis heute keine relevanten Veränderungen. Einige kleine Leerstände sind inzwischen wieder genutzt, dafür sind an anderer Stelle kleine Leerstände neu entstanden. Insgesamt dürften die Leerstände (abgesehen vom jetzigen Nahkauf) etwa den gleichen Umfang haben wie z.Zt. der Erstellung des Einzelhandelskonzepts. Das zeigt, dass in diesem Bereich Leerstände im Rahmen der normalen Fluktuation vorhanden sind, die aber kein besorgniserregendes Maß erreicht haben. Das Einzelhandelskonzept weist auch darauf hin, dass zahlreiche Bestandsobjekte in der Innenstadt vorhanden sind, die für einzelhandelsbezogene Nutzungen aufgrund von Flächenzuschnitt, Größe und Lage kaum mehr genutzt werden können. Dies begründet jedoch keine Vorschädigung. Vielmehr sind die Grundeigentümer gefordert, Modernisierungs- und Aufwertungsmaßnahmen vorzunehmen, um die Innenstadt attraktiv zu halten.

Ein Verkaufsflächenvergleich bezogen auf das Drogeriesortiment lässt keine Funktionsstörungen durch das umstrittene Vorhaben erwarten, die die Schädlichkeitsschwelle überschreiten. Bei dem Vergleich darf nicht lediglich auf die Verkaufsfläche des dm-Markts im Verhältnis zu Rossmann als "Magnetbetrieb" abgestellt werden, es sind vielmehr sämtliche Betriebe in dem zentralen Versorgungsbereich mit der Gesamt-Verkaufsfläche des relevanten Sortiments einzustellen (BVerwG, Beschl. v. 12.01.2012 - 4 B 39/11 - juris). In der Rechtsprechung ist eine gewisse Indizwirkung des Verkaufsflächenvergleichs als Hilfsmittel zur Quantifizierung eines erwarteten Kaufkraftabflusses ab einem Verhältnis von 50 bzw. 75 % zusammen mit anderen schädigenden Faktoren angenommen worden (75 % OVG NRW Urt. v. 11.12.2006 - 7 A 964/05 - juris; folgend BVerwG Urt. v. 11.10.2007 - 4 C 7/07, juris; 50 % OVG NRW Urt. v. 19.06.2008 - 7 A 1392/07 - juris; folgend BVerwG Urt. v. 17.12.2009 - 4 C 2/08 - juris).

Das Vorhaben dm-Markt mit 644 qm erweitert die Verkaufsfläche im Verhältnis zu den in der Innenstadt im Jahr 2013 vorhandenen elf Einzelhändlern mit Drogerie-/Gesundheitssortiment incl. Rossmann mit insgesamt 1.160 qm um 55 %. In den Vergleich einzubeziehen ist darüber hinaus die im Einzelhandelskonzept noch nicht berücksichtigte anteilige Fläche für Drogeriesortiment des Nahkauf-Markts, so dass im Ergebnis von einem Verhältnis von max. 50 % auszugehen ist. Diese Berechnung berücksichtigt allerdings nicht den Umstand, dass laut Einzelhandelskonzept durch die Insolvenz von Schlecker und den dadurch bedingten Wegfall des Ihr-Platz-Marktes in der Innenstadt auch Supermärkte und Lebensmitteldiscounter profitiert haben, die ihr Drogeriesortiment ausgeweitet und ihren Umsatzanteil ausgebaut haben. Es gibt im Gebiet der Stadt N... also darüber hinaus - außerhalb des zentralen Versorgungsbereichs - erhebliche Drogerie-Verkaufsflächen von R..., Famila, Aldi, Lidl, Netto und Penny, die den Verkaufsflächenvergleich relativieren.

Bei der Entfernung des beantragten Vorhabens von 1,9 km zum Rossmann in der Innenstadt und damit mindestens 20 Minuten zu Fuß ist der Standort in der A-Straße für Laufkundschaft aus der Innenstadt zu weit entfernt. Es ist deshalb nicht davon auszugehen, dass Rossmann in der Innenstadt seine Magnetwirkung durch den streitgegenständlichen dm-Markt verliert.

Die Kammer schätzt nach Auswertung der Auswirkungsanalyse für die geplante Erweiterung von famila und Aldi im R-Weg, dass die voraussichtliche Umsatzumverteilung von Rossmann, der Apotheken, Sanitätshäuser und Parfümerien in der Innenstadt durch einen dm-Markt bei R... in der A-Straße bei unter 10 % und damit unterhalb der für schädliche Auswirkungen im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB angenommenen Schwelle liegt (s.o., vgl. auch OVG Münster, Urt. v. 30.09.2009 - 10 A 1676/08 - juris). Für den geplanten Drogeriemarkt im R-Weg hat die Auswirkungsanalyse eine Umsatzumverteilung im Verhältnis zur Innenstadt von 13 bis 14 % prognostiziert. Dabei lag dieser geplante Drogeriemarkt mit 800 m² Verkaufsfläche 1,5 km Fußweg von Rossmann in der Innenstadt entfernt. Das beantragte Vorhaben ist zum einen mit 644 m² kleiner und zum anderen mit 1,9 km Fußweg weiter entfernt, so dass denklogisch auf eine geringere Umsatzumverteilung rückgeschlossen werden kann.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Kundschaft des R... Markts in der A-Straße nach dem Einzelhandelskonzept zur Hälfte aus N... selbst kommt, "Wechselkunden" zu dm damit auch zur Hälfte aus dem Umlandgemeinden und aus Touristen bestehen. Zudem wird - unabhängig von der Aussage der Klägerin, sie werde das Drogeriesortiment zu Gunsten des dm-Markts deutlich einschränken - vor allem die Klägerin selbst Kunden an den direkt nebenan befindlichen dm-Markt verlieren.

Die Kammer hält es für unwahrscheinlich, dass Rossmann in der Innenstadt als einer von wenigen "Magnetbetrieben" (neben dem Nahkauf-Lebensmittelmarkt) durch den dm-Markt in der A-Straße in seinem Bestand gefährdet wird; so hat es die Auswirkungsanalyse für einen Drogeriemarkt im R-Weg auch gesehen. Immerhin existierten vor der Insolvenz von Schlecker auch parallel zwei Drogeriediscounter - Kloppenburg und Ihr-Platz - in der Innenstadt.

Es mag sein, dass im Falle der Realisierung des klägerischen Vorhabens der Wunsch der Stadt N... , in der Innenstadt einen weiteren Drogeriemarkt anzusiedeln, erschwert wird, jedoch wäre es Sache der Stadt N... gewesen, ihre städtebaulichen Vorstellungen durch die Aufstellung eines Bebauungsplanes - auch für die A-Straße - umzusetzen. Der Regelungsgehalt des § 34 Abs. 3 BauGB ist hingegen darauf beschränkt, negative Auswirkungen auf bestehende zentrale Versorgungsbereiche zu verhindern. Auch das Einzelhandelskonzept der Stadt N... spricht dafür, dass der Magnetbetrieb Rossmann durch die Verwirklichung des klägerischen Vorhabens nicht gefährdet wird, weil die Stadt ja selbst in dieser Innenstadt einen weiteren größeren Drogeriemarkt ansiedeln möchte und dies für unbedenklich hält.

Aus Sicht der Kammer lässt sich daher aufgrund der für das Einzelhandelskonzept und der Auswirkungsanalyse R-Weg vorgenommenen Erhebungen, eines Verkaufsflächenvergleichs und der Würdigung der weiteren, bekannten städtebaulichen Faktoren feststellen, dass die Innenstadt der Stadt N... als einziger zentraler Versorgungsbereich nicht vorgeschädigt ist und durch die Zulassung des beantragten Vorhabens auch nicht geschädigt wird, so dass keine Notwendigkeit zur Durchführung der beantragten Beweisaufnahme besteht.

Nach alledem ist der Klage mit der sich aus § 155 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge teilweise stattzugeben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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