SG Lübeck, Urteil vom 18.08.2016 - S 50 AL 219/15
Fundstelle
openJur 2020, 7213
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beklagte trägt ¼ der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über das Ruhen des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg) in der Zeit vom 13.08.2015 bis zum 03.09.2015 wegen der Berücksichtigung eines Guthabens, das auf einem dänischen Urlaubskonto angespart worden war.

Der am 31.11.1962 geborene Kläger war vom März 2010 bis zum 12.08.2015 in Dänemark als Schlosser beschäftigt. Er hatte zuletzt noch einen Urlaubsanspruch für 16 Ferientage. Diese Ferientage sind nach Angaben des Klägers bislang nicht ausgezahlt worden.

Am 27.07.2015 stellte der Kläger bei der Agentur für Arbeit Kiel einen Antrag auf Gewährung von Alg ab 13.08.2015. Mit Bescheid vom 02.10.2015 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg ab 13.08.2015 unter Zugrundelegung der Lohnsteuerklasse V in Höhe von 39,00 € täglich (Leistungssatz). Sie teilte mit, dass in der Zeit vom 13.08.2015 bis zum 28.09.2015 keine Leistungen gezahlt würden, da eine Urlaubsabgeltung gemäß § 157 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) berücksichtigt würde. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch. Mit dem Widerspruch wandte er sich gegen die Berücksichtigung einer Urlaubsabgeltung sowie die Zuordnung zur Lohnsteuerklasse V.

Mit Bescheid vom 27.10.2015 bewilligte die Beklagte dem Kläger unter Änderung des Bescheides vom 02.10.2015 ab 13.08.2015 Alg in Höhe von 53,76 € täglich (Leistungssatz) mit einem Zahlungsbeginn am 03.12.2016 und unter Zugrundelegung der Lohnsteuerklasse III. Sie teilte mit, dass eine Urlaubsabgeltung vom 13.08.2015 bis zum 03.09.2015 berücksichtigt worden sei.

Mit Bescheid vom 03.11.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, soweit ihm nicht bereits mit dem Bescheid vom 27.10.2015 abgeholfen worden war. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Der Anspruch des Klägers auf Alg würde gemäß  § 157 Abs. 2 SGB III in der Zeit vom 13.08.2015 bis zum 03.09.2015 ruhen. Für diesen Zeitraum habe der Kläger einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung. Das von der dänischen Ferienkasse gezahlte Feriengeld sei funktional und strukturell mit der deutschen Urlaubsabgeltung vergleichbar und führe daher ebenfalls zum Ruhen des Anspruchs auf Alg nach § 143 SGB III a. F. bzw. nunmehr nach § 157 SGB III. Die in der korrigierten Bescheinigung PDU 1 bescheinigten 15,50 Tage seien auf 16 Tage aufzurunden. Unter Berücksichtigung einer Arbeitswoche von montags bis freitags hätte der Urlaub bis zum 03.09.2015 gedauert, wenn er im Anschluss an das Arbeitsverhältnis genommen worden wäre.

Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger mit dem am 20.11.2015 beim Sozialgericht Lübeck eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten Klage erhoben. Mit der Klage hat er sich gegen die Berücksichtigung einer Urlaubsabgeltung gewandt. Außerdem hat er begehrt, dass bei der Berechnung der Höhe des Alg das letzte Einkommen in dem Zeitraum vom 20.08.2014 bis zum 12.08.2015 in Höhe von 358.92 8,38 DKK zu Grunde gelegt wird. Mit Bescheid vom 30.11.2015 hat die Beklagte eine Neuberechnung der Höhe des Alg unter Berücksichtigung des Entgelts von 358.928,38 DKK vorgenommen.

Der Kläger hat den Rechtsstreit bezüglich der Berücksichtigung dieses Entgelts für erledigt erklärt und sein Begehren bezüglich der Anrechnung einer Urlaubsabgeltung weiterverfolgt. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, eine Urlaubsabgeltung anzurechnen. Zwar habe der Kläger einen Anspruch auf Auszahlung eines Guthabens bei dem dänischen Urlaubskonto erworben. Dieses Guthaben könnte er sich auch auszahlen lassen. Vorliegend habe der Kläger sich das Feriengeld jedoch noch nicht in Anspruch genommen. Eine Berücksichtigung von nicht abgegoltenen Ferientagen sei nicht möglich. Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 19.06.2015 - L3 AL 55/12 - und das Urteil vom Bundessozialgericht vom 17.03.2016 - B 11 AL 4/15 R - seien nicht auf den Fall des Klägers anwendbar, da in dem dort entschiedenen Fall das Feriengeld ausgezahlt worden sei. Nach dänischen Arbeitsrecht zahle der Arbeitgeber nicht für Urlaubstage Entgeltfortzahlung. Der Arbeitnehmer spare vielmehr selbst die Entgeltfortzahlung an, indem vom Bruttolohn 12,5 % einbehalten, versteuert und an die dänische Urlaubskasse gezahlt werde. Der Arbeitnehmer spare sich mithin mit eigenen Leistungen ein Sparkonto an. Die Einsparung durch den Arbeitnehmer erfolge dabei im laufenden Jahr, wobei dann aber das vom Arbeitnehmer selbstersparte Urlaubsgeld erst während seines Urlaubs ab Mai des Folgejahres in Anspruch genommen werden könne. Bei Verlust des Arbeitsplatzes und Rückkehr nach Deutschland könne ein verfrühter Auszahlungsanspruch geltend gemacht werden. Die Rechtsauffassung der Beklagten hätte zur Folge, dass der Kläger sich sein angespartes Urlaubsgeld für die Zeit ab Mai 2016 auszahlen lassen müsse. Er hätte dann bei einer wieder Beschäftigung in Dänemark keine Möglichkeit, Urlaub zu nehmen, da ihm das hierfür erforderliche Urlaubsgeld nicht mehr zur Verfügung stünde. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Klägers wird auf den Inhalt der Schriftsätze seines Prozessbevollmächtigten Bezug genommen. - Zur Stützung seines Vorbringens hat der Kläger eine Reihe von Unterlagen zur Gerichtsakte gereicht.

Der Kläger beantragt,

die Bescheide vom 2.10.2015 und vom 27.10.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3.11.2015 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger auch für die Zeit vom 13.08.2015 bis zum 3.09.2015 Arbeitslosengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Die Frage, ob der Kläger die Urlaubsabgeltung bereits geltend gemacht habe, sei nicht entscheidungserheblich. Nach § 157 Abs. 2 Satz 1 SGB III trete das Ruhen des Anspruchs auf Alg bereits dann ein, wenn eine Urlaubsabgeltung beansprucht werden könnte. Aus dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift ergebe sich, dass der Erwerb eines Anspruches ausreichen würde. Das Bundessozialgericht habe keine grundsätzlichen Zweifel dahingehend geäußert, dass der dortige Sachverhalt aus europarechtlichen Gründen anders zu beurteilen gewesen wäre, wenn der Kläger lediglich einen Rechtsanspruch gehabt hätte.

Die Kammer hat die Beteiligten in dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.02.2016 angehört. Wegen der Ausführung der Beteiligten wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Neben der Gerichtsakte haben der Kammer die den streitbefangenen Vorgang betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten (1 Band) vorgelegen. Diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig (§§ 54 Abs. 1, Abs. 2, 87, 90 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Sie ist jedoch nicht begründet.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten halten in der Fassung, die sie durch den Bescheid vom 30.11.2015 erhalten haben, der rechtlichen Nachprüfung stand. Die Beklagte war berechtigt, das Ruhen des Alg des Klägers für die Zeit vom 13.08.2015 bis zum 03.09.2015 festzustellen. Der Zahlungsanspruch auf Alg ruht in dem streitigen Zeitraum wegen der Berücksichtigung eines Guthabens des Klägers in der dänischen Urlaubskasse.

Die Voraussetzungen von § 157 Abs. 2 Satz 1 SGB III in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2011 (BGBl. S. 2854) liegen vor. Nach dieser Vorschrift ruht der Anspruch auf Alg für die Zeit des abgegoltenen Urlaubs, wenn die oder der Arbeitslose wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Urlaubsabgeltung erhalten oder zu beanspruchen hat. Der Ruhenszeitraum beginnt mit dem Ende des die Urlaubsabgeltung begründenden Arbeitsverhältnisses (§ 157 Abs. 2 Satz 2 SGB III).

Der Kläger hatte für den streitbefangenen Zeitraum eine Urlaubsabgeltung zu beanspruchen. Er hatte einen Anspruch auf eine Leistung nach dänischem Arbeitsrecht, da er sich wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das angesparte Urlaubsgeld auszahlen lassen könnte.

Dem Kläger stand nach dänischem Arbeitsrecht Anspruch auf Urlaub zu, bei dessen Inanspruchnahme er für dessen Dauer das angesparte Urlaubsgeld ausgezahlt erhalten hätte. Die Auszahlung des auf dem "feriepenge" angesparten Entgelts zum Ausgleich des während der Beschäftigung in Dänemark nicht genommenen Erholungsurlaubs ist funktional einer Urlaubsabgeltung nach deutschem Recht gleichwertig und deshalb einer Urlaubsabgeltung gleichzustellen (Bundessozialgericht vom 17.03.2016 - B 11 AL 4/15 R - juris).

Diese Gleichstellung ergibt sich aus Art. 5 EGV 883/2004. Diese Vorschrift regelt für im EU-Ausland zurückgelegte Sachverhalte in Bezug auf das nationale Recht eine "Tatbestandsgleichstellung" (BSG. a. a. O.). Danach gilt für die "Gleichstellung von Leistungen, Einkünften, Sachverhalten oder Ereignissen" ... Folgendes:

"a) Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Bezug von Leistungen der sozialen Sicherheit oder sonstiger Einkünfte bestimmte Rechtswirkungen, so sind die entsprechenden Rechtsvorschriften auch bei Bezug von nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gewährten gleichartigen Leistungen oder bei Bezug von in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünften anwendbar.

b) Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen, so berücksichtigt dieser Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen entsprechenden Sachverhalte oder Ereignisse, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären."

Die Voraussetzungen für eine Gleichstellung sich entsprechender Leistungen oder Sachverhalte nach Art 5 EGV 883/2004 sind gegeben, wenn die ausländische Leistung in ihrem Kerngehalt den gemeinsamen und typischen Merkmalen der inländischen Leistung entspricht, d.h. nach Motivation und Funktion gleichwertig ist (BSG a. a. O.; Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - juris - jeweils m. w. N.). Da eine völlige Identität von ausländischen Regelungen, hier also der Urlaubsgewährung und -abgeltung in Dänemark im Vergleich zu derjenigen im Bundesgebiet, kaum denkbar ist, muss sich die Beurteilung notwendigerweise auf wesentliche Merkmale beider Arten von Leistungen beschränken, während andere Regelungsaspekte für den Vergleich unwesentlich sind (Bundessozialgericht vom 17.03.2016 - B 11 AL 4/15 R - juris). .

Die Beurteilung der funktionalen Gleichwertigkeit von Leistungen oder Einkünften hat sich an Sinn und Zweck der anzuwendenden Rechtsvorschrift - hier also des § 157 Abs. 2 SGB III auszurichten. Der Sinn und Zweck der Vorschrift besteht - wie bereits bei     § 143 Abs. 2 SGB III a. F. - darin, dazu beizutragen, dass Doppelleistungen aus dem Arbeitsverhältnis einerseits und der Arbeitslosenversicherung andererseits vermieden werden (BSG a. a. O.; Hauck/Noftz, SGB III, K § 157 RdNr. 4).

Nach § 7 Abs. 4 BUrlG ist der Urlaub, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann, abzugelten. Dies setzt das wirksame Bestehen eines Urlaubsanspruchs bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses sowie die Erfüllbarkeit des Abgeltungsanspruchs in dem Sinne voraus, dass der Arbeitnehmer bei hypothetischer Weiterführung des Arbeitsverhältnisses den Urlaub tatsächlich hätte nehmen können. Hätte der Arbeitnehmer den Urlaub während des Arbeitsverhältnisses genommen, hätte er nach deutschem Recht Entgeltfortzahlung im Sinne eines Urlaubsentgelts (§ 11 BUrlG) erhalten (BSG a. a.O.)

In Dänemark gibt es demgegenüber keine Lohnfortzahlung während des Urlaubs. Stattdessen zahlen die Arbeitgeber zu jeder Entgeltzahlung weitere 12,5 v. H. an Arbeitsentgelt an eine Urlaubskasse. Die Zahlung wird entweder auf ein Konto bei der ATP (Behörde für dänisches Zusatzrentensystem), einem Konto bei einem Arbeitgeberverband angespart oder der Arbeitgeber bildet selbst Rückstellungen. Im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann das "feriepenge" aufgrund einer gesetzlichen Regelung (§ 30 dänisches Urlaubsgesetz; "ferieloven") ausgezahlt werden, wenn der Arbeitnehmer nicht in Dänemark wohnt und nicht mehr in Dänemark arbeitet (BSG a. a. O.).

Sowohl nach dänischem Recht als auch nach dem BUrlG erwerben frühere Arbeitnehmer einen Geldanspruch, mit dem die bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch bestehenden Urlaubsansprüche in Geld abgegolten werden (so zu deutschem Recht jetzt auch BAG Urteil vom 22.9.2015 - 9 AZR 170/14 - NZA 2016, 37, für BAGE vorgesehen, unter Aufgabe der früheren Surrogatstheorie). Es handelt es sich in beiden Fällen um von den Arbeitnehmern erarbeitete Ansprüche, die zunächst auf Freistellung von der Arbeit während der Zeit des Erholungsurlaubs gerichtet sind und die sich bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Anspruch auf eine Geldleistung verwandeln, der den Arbeitnehmern selbst zusteht. Die Interessenlage ist in beiden Rechtsordnungen übereinstimmend so gestaltet, dass die Arbeitnehmer entweder am Ende des Arbeitsverhältnisses für den entsprechenden Zeitraum Anspruch auf Zahlung von Entgelt für die Dauer des Erholungsurlaubs haben oder sich diesen Anspruch nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses abgelten lassen (BSG a. a. O.).

Dem Ruhen des Anspruchs auf Alg steht vorliegend nicht entgegen, dass das Guthaben des Klägers bei der dänischen Urlaubskasse bislang nicht ausgezahlt worden ist. Nach dem Wortlaut von § 157 Abs. 2 SGB III reicht es aus, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung erworben hat. Diese Voraussetzung ist erfüllt. Der Kläger hat einen Anspruch auf Feriengeld angespart. Dieses Guthaben könnte er sich nach seinen Angaben auch noch auszahlen lassen.

Diesem Ergebnis steht auch nicht § 157 Abs. 3 Satz 1 SGB III entgegen. Nach dieser Vorschrift wird das Alg auch für die Zeit geleistet, in der der Anspruch auf Alg ruht, soweit die oder der Arbeitslose die in den Abs. 1 und 2 genannten Leistungen (Arbeitsentgelt im Sinne des § 115 des Zehnten Buches) tatsächlich nicht erhält. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Bei dem hier streitbefangenen Feriengeld handelt es sich nicht um einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt im Sinne von § 115 SGB X. Ansprüche in diesem Sinne sind gegen den Arbeitgeber gerichtet. Vorliegend ist dagegen ein Anspruch gegen die dänische Urlaubskasse streitbefangen.

Nach allem kann die Klage keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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