LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18.10.2016 - 1 Sa 32/16
Fundstelle
openJur 2020, 7026
  • Rkr:

1. Die fristlose Verdachtskündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen Spesenbetrugs setzt einen auf objektive Tatsachen gestützten dringenden Tatverdacht voraus. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Verdacht zutrifft.

2. Zur Darlegung der Verdachtsmomente ist nach den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast der Arbeitgeber verpflichtet. Insoweit trifft aber den Arbeitnehmer eine sekundäre Darlegungslast, wenn der Arbeitgeber außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs steht und der Arbeitnehmer aufgrund seiner Sachnähe die wesentlichen Tatsachen kennt.

3. Diese sekundäre Darlegungslast schließt aber ein Bestreiten mit Nichtwissen durch den Arbeitnehmer nicht aus. Eine Partei kann unter bestimmten Voraussetzungen auch Vorgänge ihrer eigenen Wahrnehmung mit Nichtwissen im Sinne von "nicht mehr erinnern" bestreiten. Dies gilt dann, wenn sie sich nach der Lebenserfahrung glaubhaft an einen lange zurück liegenden Alltagsvorgang nicht mehr erinnern kann.

4. Es ist glaubhaft, wenn ein Außendienstmitarbeiter, der hinsichtlich seiner konkreten Arbeitszeiten keinen Weisungen unterliegt und arbeitstäglich zu unterschiedlichen Zeiten seine Arbeit antritt, seine Pausen nimmt und seine Arbeit beendet, ohne dass dies irgendwo erfasst wird, sich nach Ablauf eines Monats nicht mehr daran erinnern kann, wann er an einem bestimmten Tag eine Pause gemacht hat und welche Arbeiten er nach dieser Pause ausgeführt hat.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 03.12.2015 - 3 Ca 1142 e/15 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer Verdachtskündigung.

Die Beklagte betreibt ein Pharmaunternehmen mit ca. 600 Mitarbeitern. Bei ihr gilt seit dem 01.12.2011 eine Reise- und Spesenrichtlinie, die unter der Überschrift "Verpflegungsmehraufwendungen" auszugsweise festlegt:

"Die Verpflegungsmehraufwendungen sollen die Mehrkosten decken, die durch einen Aufenthalt fern der eigenen Wohnung entstehen. P.l B. erstattet die Höchstsätze laut Lohnsteuerrichtlinien.

...

Für eintägige auswärtige Tätigkeiten ohne Übernachtung kann ab einer Abwesenheit von mehr als 8 Stunden von der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte eine Pauschale von 12 Euro berücksichtigt werden."

Die 1959 geborene, ledige und kinderlose Klägerin ist seit dem 01.04.1996 als Außendienstmitarbeiterin (Vollklinikerin im ethischen Außendienst) auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags (Blatt 4 bis 12 d. A.) bei der Beklagten beschäftigt. Sie ist schwerbehindert. Ihre Aufgabe besteht darin, Ärzte aufzusuchen und Veranstaltungen durchzuführen, um die Produkte der Beklagten vorzustellen. Die Beklagte erwartet insoweit von der Klägerin den Besuch von acht Ärzten pro Tag und für das erste Halbjahr 2015 die Durchführung von insgesamt 12 Veranstaltungen. Die Klägerin reicht bei der Beklagten Spesenabrechnungen ein, in denen sie Beginn und Ende ihrer Abwesenheit sowie ihre Pausenzeiten einträgt. Die Spesenabrechnungen werden im Computer erstellt. Das von der Beklagten vorgesehene Formular sieht dabei für die Eintragung der Pausenzeiten nur eine Möglichkeit vor. Ergibt sich eine Abwesenheitszeit von mehr als acht Stunden von zu Hause, erhält die Klägerin auf ihren Antrag für diesen Tag 12,00 EUR als Spesen ausgezahlt.

Vom 11.01.2012 bis zum 05.11.2014 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt, ab 01.10.2014 erfolgte eine Wiedereingliederung bei der Beklagten. Der Klägerin wurde im Anschluss an ihre Genesung ein neues Betreuungsgebiet zugewiesen bezüglich dessen Zuschnitts auf die Anlage K 10 (Blatt 157 d. A.) verwiesen wird.

Mit Schreiben vom 25.11.2014 (Anlage K 5, Blatt 152 d. A.) erteilte die Beklagte der Klägerin eine Ermahnung, weil sie Angaben zu einem Arztbesuch fehlerhaft in das EDV-System eingepflegt hatte. Mit zwei Schreiben vom 30.04.2015 (Anlagen B 1 und B 2, Blatt 59 f d. A.) erhielt die Klägerin zwei Abmahnungen, zum einen weil sie den Besuchsschnitt von durchschnittlich acht Ärzten pro Tag nicht eingehalten hatte, zum anderen, weil sie ihrer Dokumentationspflicht in das EDV-System im Hinblick auf die Zielkundeneingabe nicht nachgekommen war.

Am 29.06.2015 wurde die Klägerin an den Sitz der Beklagten zu einem Gespräch geladen. Ihr wurde eine weitere Abmahnung (Anlage B 3, Blatt 62 d. A.) überreicht, da sie im ersten Halbjahr 2015 nicht die geforderten 12, sondern nur eine Veranstaltung durchgeführt habe. Im Verlauf des Gesprächs wurde die Klägerin aufgefordert, einen ihrer letzten Arbeitstage zu rekonstruieren, nämlich den 26.06.2015. In ihrer Spesenabrechnung hatte die Klägerin angegeben, an diesem Tag bis 19:00 Uhr von zuhause abwesend gewesen zu sein. Die Klägerin teilte nunmehr mit, wegen eines Problems mit der Datenübermittlung habe sie nachmittags einen Bekannten aufgesucht, damit dieser ihr helfe. Sie habe dann bei diesem Bekannten übernachtet und in der Spesenabrechnung eine "fiktive Heimfahrt" zugrunde gelegt.

Aufgrund dieser Angaben überprüfte die Beklagte die Spesenabrechnungen der Klägerin seit April 2015 und stellte dabei Folgendes fest:

Datum

BeginnAbwesenheit

EndeAbwesenheit

Pause von...bis

Pauschaleabgerechnet

21.04.15

09:15 Uhr

20:10 Uhr

17:00 - 19:10 Uhr

Ja

28.04.15

09:15 Uhr

20:35 Uhr

17:00 - 19:45 Uhr

Ja

18.05.15

09:10 Uhr

21:10 Uhr

17:30 - 19:30 Uhr

Ja

09.06.15

09:00 Uhr

20:50 Uhr

16:30 - 19:00 Uhr

Ja

16.06.15

09:10 Uhr

19:50 Uhr

17:00 - 19:00 Uhr

Ja

17.06.15

09:20 Uhr

20:00 Uhr

17:00 - 19:00 Uhr

Ja

26.06.15

09:20 Uhr

19:00 Uhr

17:00 - 18:35 Uhr

Ja

Für jeden der Tage in der Aufstellung erhielt die Klägerin Tagesspesen in Höhe von 12,00 EUR. Aufgrund der Angaben zu den Pausenzeiten entstand seitens der Beklagten der Verdacht des Spesenbetrugs durch die Klägerin. Am 14.07.2015 fand mit der Klägerin ein Gespräch wegen dieses Verdachts statt.

Mit Schreiben vom 21.07.2015 (Anlage B 11, Blatt 224 bis 226 d. A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten fristlosen Kündigung, mit Schreiben vom 19.08.2015 (Anlage 12, Blatt 227 bis 229 d. A.) zur beabsichtigen ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses an. Mit Bescheid vom 29.07.2015 stimmte das Integrationsamt der außerordentlichen und mit Bescheid vom 13.08.2015 der ordentlichen Kündigung zu (Anlagen B 5 und B 6, Blatt 71 bis 76 und 77 bis 84 d. A.).

Mit Schreiben vom 30.07.2015 (Blatt 13 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, mit Schreiben vom 26.08.2015, das am 28.08.2015 zuging, fristgemäß zum 31.03.2016. Beide Schreiben sind von Herrn K. und Frau E. unterzeichnet. Herr K. ist Gesamtprokurist der Beklagten. Mit Schreiben vom 03. und 31.08.2015 wies die Klägerin die Kündigungen unter Hinweis auf die fehlende Vorlage einer Vollmacht zurück.

Gegen beide Kündigungen hat die Klägerin fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben.

Erstinstanzlich hat sie - soweit für das Berufungsverfahren von Interesse - im Wesentlichen behauptet:

Sie habe sich nach Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit mit der Anwendung der ihr unbekannten Programme zur Kundenverwaltung sehr schwer getan. Eine ordnungsgemäße Einarbeitung in diese Programme habe nicht stattgefunden. Von diesem Problem habe die Beklagte auch gewusst, wie der von ihr vorgelegte E-Mail-Verkehr belege. Durch den Umgang der Beklagten mit ihr sei sie stark verunsichert gewesen und habe keine Fehler machen wollen, um nicht erneut abgemahnt zu werden. Sie habe stets genau aufgeschrieben, wann sie das Haus verlassen habe, wann sie zurückgekehrt sei und habe Zeiten privater Verrichtungen stets als Pausenzeiten deklariert, auch wenn sie etwa einen Arztbesuch in eigener Sache vorgenommen oder sich einer krankengymnastischen Behandlung unterzogen habe. Am 26.06.2015 habe sie versucht, ihre Spesenabrechnung zu erläutern. Sie habe nicht gewusst, wie sie die Übernachtung bei ihrem Bekannten in der Spesenabrechnung habe ausweisen sollen und deswegen eine "hypothetische Heimfahrt" angesetzt. Die im Verfahren vorgelegte Spesenrichtlinie sei ihr nicht bekannt gewesen. Nach den in ihren Abrechnungen angegebenen Pausen habe sie ihre Arbeit wieder aufgenommen, etwa Einkäufe für die Arbeit erledigt, getankt, Telefonate während der Fahrt geführt oder Unterlagen oder andere Dinge in Arztpraxen abgegeben. Dies habe sie aber in der von der Beklagten vorgegebenen Liste nicht eintragen können. Sie habe an allen ihr vorgehaltenen Tagen länger als acht Stunden gearbeitet, sodass der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

Im Gespräch am 14.07.2015 habe sie darum gebeten, dass ihr schriftlich mitgeteilt werde, was ihr vorgeworfen werde. Sie habe nicht erklärt, dass sie sich nicht äußern wolle.

Auch aus den von ihr vorgelegten E-Mails ergebe sich, dass sie oft noch spät am Abend oder in der Nacht gearbeitet habe. Sie habe auch für Tage keine Spesen geltend gemacht, obwohl ein entsprechender Anspruch bestanden hätte, etwa für den 14.04. oder 23.04 2015. Auch habe der Betriebsrat im Rahmen der Anhörung auf eine fehlende Spesenregelung hingewiesen. Die Kündigung sei auch mangels Beifügung einer Vollmacht der Unterzeichner unwirksam. Die letzte ihr bekannte Personalleiterin der Beklagten sei Frau J. gewesen. Ihr sei nicht bekannt, dass Herrn K. diese Funktion übertragen worden sei.

Die Klägerin hat, soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigungserklärung vom 30.07.2015 nicht beendet wird,

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die weitere Kündigungserklärung vom 26.08.2015 beendet wird,

3. ...

4. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen als Pharma- und Klinikreferentin für die Region Süd (Vollkliniken im ethischen Außendienst) weiter zu beschäftigen,

5. ...

6. hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, in die Weiterbeschäftigung der Klägerin durch Abschluss eines Arbeitsvertrags zu unveränderten Arbeitsbedingungen unter Anrechnung der früheren Beschäftigungsdauer einzuwilligen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen: Gegen die Klägerin bestehe der Verdacht des Spesenbetrugs, der die Kündigungen rechtfertige. Es stehe fest, dass die Klägerin für den 26.06.2015 falsche Angaben in ihrer Spesenabrechnung gemacht habe. Selbstverständlich könne ein Mitarbeiter seine Dienstreise auch an einem andren Ort als seiner Wohnung beenden. In diesem Fall sei aber entsprechend den gängigen gesetzlichen Regelungen zu den Reisekosten die Dienstreise mit dem Aufsuchen dieses anderen Orts beendet. Dieses ergebe sich etwa auch aus § 7 des Landesreisekostengesetzes für Baden-Württemberg (LRKG BW). Im Hinblick auf die weiteren der Klägerin vorgeworfenen Tage habe sie aufgrund der ungewöhnlichen Pausenzeiten davon ausgehen müssen, dass die Klägerin an diesen Tagen ebenfalls ihre Dienstreise an anderen Stellen als ihrer Wohnung, und zwar vor Erreichen der "Acht-Stunden-Grenze" beendet habe. Die Klägerin räume auch selbst ein, private Termine als dienstlich veranlasste Abwesenheitszeiten erfasst zu haben.

Herr K. habe den Arbeitsvertrag der Klägerin unterzeichnet. Er sei bereits bei Einstellung der Klägerin Personalleiter gewesen und habe diese Funktion auch zum Zeitpunkt der Kündigung ausgeübt. Daher habe die Klägerin die Kündigung nicht zurückweisen dürfen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage, soweit hier von Interesse, stattgegeben und nach den Klaganträgen zu 1., 2. und 4. erkannt. Wegen Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.

Gegen das am 21.12.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21.01.2016 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 22.03.2016 am 22.03.2016 begründet.

Sie trägt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen vor:

Die Klägerin habe im Anschluss an ihre ungewöhnlichen Pausenzeiten nicht ihre berufliche Tätigkeit wieder aufgenommen, auch handele es sich nicht um dienstlich veranlasste Anwesenheitszeit. Die Klägerin habe hauptsächlich um 17:00 Uhr und damit zu einer üblichen Feierabendzeit private Aktivitäten behauptet und dann nach einer langen Pause zwischen 19:00 Uhr und 19:45 Uhr ihre Arbeit angeblich wieder aufgenommen und bis ca. 21:10 Uhr wieder gearbeitet. Solche Arbeitszeiten stünden in keinem erkennbaren Zusammenhang mit den üblichen Tätigkeiten der Klägerin. Die von der Klägerin besuchten Arztpraxen hätten regelmäßig schon geschlossen, Werbeveranstaltungen fänden um diese Zeit nicht mehr statt. Kein anderer ihrer Außendienstmitarbeiter übe zu dieser Zeit noch Tätigkeiten aus, es sie denn, er erledige zu Hause Vorbereitungsarbeiten oder Dokumentationstätigkeiten. Damit bestehe nach wie vor der Verdacht, dass die Klägerin falsche Angaben zu ihren Abwesenheitszeiten gemacht habe, um ihr nicht zustehende Spesen zu beanspruchen.

Zu diesem Verdacht habe sich die Klägerin in keiner Weise substantiiert eingelassen. Dennoch habe das Arbeitsgericht den Vortrag der Klägerin als unstreitig angesehen. Die von der Klägerin vorgelegten Belege beträfen in keinem Fall die hier streitigen Arbeitstage. Allenfalls habe die Klägerin in den Abendstunden allgemeine Verwaltungstätigkeiten erledigt. Diese Tätigkeiten würden üblicherweise in der Wohnung ausgeübt. Es bestehe insoweit keine dienstliche Veranlassung, diese auswärts zu erledigen.

Die Klägerin habe außerdem zum 26.06.2015 vorsätzlich falsche Angaben gemacht. Dies ergebe sich daraus, dass sie in der Vergangenheit stets richtig abgerechnet habe. Weder an den Formularen, noch an den Abrechnungsmodalitäten habe sich etwas geändert. Selbst wenn man den Vortrag der Klägerin zum 26.06.2015 zugrunde lege, reiche dies nicht aus, um zu erläutern, wieso die Klägerin einfach eine zusätzliche Zeit veranschlagt habe, mit der sie die Acht-Stunden-Grenze überschritten habe. Das Arbeitsgericht überspanne insoweit die Anforderungen an den Vortrag zu vorsätzlichem Handeln.

Eine Abmahnung sei bei diesem Sachverhalt entbehrlich gewesen. Auch die ordentliche Kündigung sei wirksam. Ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung stehe der Klägerin nicht zu.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 3. Dezember 2015, AZ. 3 Ca 1142 e/15, soweit der Klage stattgegeben wurde, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie erwidert: Das Arbeitsgericht habe den Fall zutreffend entschieden. Die Beklagte verkenne die Beweislastregeln, wenn sie verlange, dass sie, Klägerin, nachweisen solle, ihrer Arbeit nachgegangen zu sein. Sie habe schon vor dem Arbeitsgericht vorgetragen, dass in ihrem großen Einsatzbereich Arztpraxen auch in den Abendstunden geöffnet hätten. Sie habe etwa Prospektmaterial in diesen Praxen abgegeben, eine noch offene Frage geklärt oder ein Telefonat geführt, für das im Laufe des Praxisbetriebs keine Zeit gewesen sei. Im Folgenden benennt die Klägerin verschiedene Ärzte, die abends Sprechstunden anbieten und die nach ihrer Behauptung von ihr kontaktiert worden seien. Auch Informations-, Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen seien häufig in die Abendstunden gelegt worden, etwa am 13.04.2016 von 18:30 Uhr bis 22:00 Uhr oder am 24.06.2015 von 19:30 Uhr bis 20:30 Uhr. Daneben hätten diese Veranstaltungen auch vor- und nachbereitet werden müssen. Sie habe getankt, Einkäufe für Veranstaltungen getätigt oder Rechnungen an den Schulungsorten bezahlt.

Sie könne trotz aller Anstrengungen nicht im Einzelnen belegen, was sie an den einzelnen ihr vorgeworfenen Tagen noch erledigt habe, bevor sie wieder zu Hause eingetroffen sei. Sie habe aber noch diverse Quittungen gefunden, die belegten, dass sie auch abends ihrer Tätigkeit nachgegangen sei. Insoweit wird auf die Anlage K 34 (Blatt 307 bis 310 d. A.) verwiesen.

Die Spesenrichtlinie sei ihr unbekannt gewesen. Sie habe am 26.06.2015 nichts falsch machen wollen. Ihr sei es logisch erschienen, einen Endzeitpunkt der Arbeit festzulegen und die theoretische Ankunftszeit zu Hause zugrunde zu legen. Wegen dieses Vorfalls hätte die Beklagte ggf. eine Abmahnung erteilen können. Vor ihrer Erkrankung habe sie keine langen Pausen benötigt, sodass sich die Frage, wie sie diese eintragen solle, nicht gestellt habe.

Schließlich bleibe es dabei, dass die Kündigung bereits gemäß § 174 BGB unwirksam sei.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands im Einzelnen wird auf den Inhalt der Akte Bezug genommen.

Gründe

Die gemäß § 64 Abs. 2 lit. c) ArbGG statthafte, form- und fristgemäß eingelegte und begründete und damit zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage, soweit sie in die Berufung gelangt ist, zu Recht stattgegeben. Sie ist mit den im Berufungsverfahren anhängigen Anträgen begründet.

I.

Der Antrag zu 1. ist begründet. Die fristlose Kündigung der Beklagten vom 30.07.2015 ist unwirksam.

1. Die Kündigung ist unwirksam, da es an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB fehlt. Die Voraussetzungen für eine zulässige Verdachtskündigung liegen im Streitfall nicht vor.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung einen wichtigen Grund bilden. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Der Verdacht muss auf konkrete Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, dass eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte (BAG, Urteil vom 21.06.2012 - 2 AZR 694/11 - juris, Rn 21). Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen des Arbeitgebers reichen zur Rechtfertigung eines dringenden Verdachts nicht aus (BAG, Urteil vom 06.09.2007 - 2 AZR 264/06 - juris, Rn 30 zu einer Verdachtskündigung wegen Spesenbetrugs).

b) Diese Anforderungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Es bestehen zwar Verdachtsmomente gegen die Klägerin, diese sind aber nicht stark. Der Verdacht gegen die Klägerin ist nicht dringend. Es besteht keine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin einen Spesenbetrug gegenüber der Beklagten begangen hat. Im Einzelnen beurteilt die Berufungskammer die Vorwürfe wie folgt:

aa) Die von der Klägerin angegebenen ungewöhnlichen Pausenzeiten für den 21.04., 28.04., 18.05., 09.06., 16.06. und 17.06.2015 liefern keine starken Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Spesenbetrugs.

(1) Der Vorwurf für den 18.05.2015 kann den Betrugsverdacht schon deswegen nicht begründen, weil die Klägerin für diesen Tag bereits vor der von ihr angegebenen Pause um 17:30 Uhr eine Abwesenheitszeit von mehr als acht Stunden angegeben hat. Die Beklagte hat in ihrem Vortrag nicht bestritten, dass die Klägerin - jedenfalls - bis zum Beginn der von ihr eingetragenen Pause tatsächlich von zu Hause ortsabwesend war. Dann sind aber für den 18.05.2015 in jedem Fall Spesen verdient gewesen. Hier dürfte schlicht ein Rechenfehler bei der Beklagten vorliegen.

(2) Für die weiteren Tage begründet allein die ungewöhnliche Lage der Pausenzeiten noch keinen dringenden Verdacht gegen die Klägerin. Eine große Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin die Beklagte betrügen wollte, ergibt sich allein aus diesen Zeiten nicht. Genauso gut wie ein Betrugsversuch ist es möglich, dass der Vortrag der Klägerin, sie habe nach den Pausenzeiten noch gearbeitet, zutrifft. Die Klägerin hat insoweit bereits erstinstanzlich ausgeführt, sie habe jeweils im Anschluss an die von ihr angegebene Pause ihre Arbeit wieder aufgenommen, Einkäufe für die Arbeit erledigt, getankt, Telefonate geführt oder Unterlagen oder andere Dinge in Arztpraxen gebracht. Zweitinstanzlich hat die diesen Vortrag noch ergänzt dadurch, dass sie auf zahlreiche Arztpraxen hingewiesen hat, die bis abends spät geöffnet haben und deswegen von ihr aufgesucht werden konnten. Im Berufungstermin hat sie ihren Vortrag zusätzlich dadurch ergänzt, dass sie erklärt hat, sie habe an diesen Tagen mehrere Pausen gemacht und diese in einer Zeit zusammengefasst. Insoweit war zwischen den Parteien auch unstreitig, dass das von der Beklagten vorgegebene Formular nur die Möglichkeit vorsieht, eine einzige Pause pro Tag einzutragen. Das erklärt aus Sicht der Kammer bereits plausibel, warum die Pausen so ungewöhnlich lang sind, nämlich an diesen Tagen regelmäßig über zwei Stunden. Dass die Klägerin gegen 17:00 Uhr eine längere Pause eingelegt hat, etwa um sich einer krankengymnastischen Behandlung zu unterziehen oder einen Arzt aufzusuchen ist genauso wahrscheinlich oder unwahrscheinlich wie die Behauptung der Beklagten, sie sei bereits zu diesem Zeitpunkt nach Hause gefahren. Insgesamt handelt es sich nur um fünf Tage in einem Zeitraum von drei Monaten. Dass ein Mitarbeiter am späten Nachmittag jedenfalls gelegentlich noch Etwas zu erledigen hat, das auch länger dauert, ist nicht völlig unwahrscheinlich. Dass die Klägerin danach noch einmal ihre Arbeit aufgenommen hat, hat sie ausreichend dargelegt.

(3) Offen geblieben ist aus Sicht der Kammer insoweit allein der Vortrag der Klägerin zum 16.06.2015. Ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Zusammenfassung ihrer Spesenberichte hat die Klägerin an diesem Tag ihre Arbeit um 19:50 Uhr beendet. Sie hat angegeben, dass sie zuletzt eine Schulung in J. durchgeführt hat, nachdem sie ihre Pause um 19:00 Uhr beendet hat. Dieser Vortrag ist an sich völlig plausibel: Die Schulungsveranstaltungen dauern nach den unstreitigen Erörterungen im Berufungstermin ca. 20 Minuten. Zwischen J. und dem Wohnsitz der Klägerin W. liegt eine Entfernung von ca. drei Kilometern, sodass ein Arbeitsende um 19:50 Uhr ohne weiteres plausibel ist und sich die Frage stellt, inwieweit hier überhaupt ein Verdacht gegen die Klägerin bestehen soll. Allerdings hat die Klägerin gerade für den 16.06.2015 einen Parkschein aus T. vorgelegt. Dort hat sie um 16:43 Uhr ein Parkticket erstellt und bis zu einem voraussichtlichen Parkende um 19:13 Uhr gelöst. T. findet sich indes nicht auf der von der Klägerin für den 16.06.2015 angegebenen Reiseroute. Denkbar ist insofern allerdings, dass die Klägerin ihre Pause in T. verbracht hat, die ausweislich der Angaben in der Spesenabrechnung von 17:00 Uhr bis 19:00 Uhr dauerte. Allein dieser Parkschein begründet damit keinen dringenden Verdacht gegen die Klägerin.

(4) Entgegen der Ansicht der Beklagten reicht der Vortrag der Klägerin zur Erläuterung ihrer Pausenzeiten aus. Weitere Substantiierung im Sinne einer konkreten Widerlegung der Vorwürfe bezogen auf die einzelnen Tage ist von der Klägerin nicht zu fordern. Sie muss also nicht detailliert darlegen, was sie an den einzelnen Tagen nach der von ihr angegebenen Pause konkret für Tätigkeiten erledigt hat, welche Ärzte sie aufgesucht oder angerufen hat, wo sie Einkäufe erledigt hat oder Sonstiges.

(a) Die Darlegungslast für das Vorliegen von Verdachtsmomenten liegt nach allgemeinen Regeln beim Arbeitgeber. Allerdings kann den Arbeitnehmer schon auf der Tatbestandsebene des wichtigen Grundes eine sekundäre Darlegungslast treffen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber als primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs steht, während der Arbeitnehmer aufgrund seiner Sachnähe die wesentlichen Tatsachen kennt. In einer solchen Situation kann der Arbeitnehmer gehalten sein, dem Arbeitgeber durch nähere Angaben weiteren Sachvortrag zu ermöglichen. Kommt er in einer solchen Prozesslage seiner sekundären Darlegungslast nicht nach, gilt das tatsächliche Vorbringen des Arbeitgebers - soweit es nicht völlig "aus der Luft gegriffen" ist - im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Dabei dürfen an die sekundäre Behauptungslast des Arbeitnehmers keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Sie dient lediglich dazu, es dem kündigenden Arbeitgeber als primär darlegungs- und beweispflichtiger Partei zu ermöglichen, weitere Nachforschungen anzustellen und sodann substantiiert zum Kündigungsgrund vorzutragen und ggf. Beweis anzutreten (BAG, Urteil vom 17.03.2016 - 2 AZR 110/15 - juris, Rn 32).

Danach hatte sich die Klägerin grundsätzlich zu den Vorwürfen der Beklagten einzulassen, da diese außerhalb des Geschehensablaufs steht und nicht weiß, wo und von wann bis wann die Klägerin ihrer Arbeitstätigkeit nachgeht. Andererseits ist es aber grundsätzlich zulässig, Vorgänge mit Nichtwissen zu bestreiten (§ 138 Abs. 4 ZPO). Das gilt auch dann, wenn sich eine Partei an einen lange zurückliegenden Alltagsvorgang - nach der Lebenserfahrung glaubhaft - nicht mehr erinnern kann (etwa: BGH, Urteil vom 19.04.2001 - I ZR 238/98 - juris, Rn 28).

(b) Danach hat die Klägerin sich vorliegend zulässigerweise hinsichtlich der einzelnen ihr vorgeworfenen Tage mit Nichtwissen erklärt. Die Klägerin hat insoweit ausdrücklich angegeben, sie könne nicht mehr sagen, was sie an den einzelnen Tagen erledigt habe. Sie habe sich keine entsprechenden Notizen gefertigt. Dies sehe das von der Beklagten vorgegebene Abrechnungsformular - unstreitig - auch nicht vor. Darin liegt eine zulässige Erklärung mit Nichtwissen.

Es handelt sich um Alltagsvorgänge, zu denen die Klägerin sich äußern soll. Es geht eben um ihre tägliche Arbeitsleistung. Diese hat die Klägerin stets zu wechselnden Zeiten begonnen und beendet, wie sich der Zusammenfassung der Spesenberichte vom 02.01.2015 bis 13.07.2015 entnehmen lässt. Die Klägerin war auch stets an wechselnden Orten in einem insgesamt großen räumlichen Bezirk tätig. Dass an den hier der Klägerin vorgeworfenen Tagen irgendetwas Ungewöhnliches geschehen ist, das diesen Tag außerhalb des Alltags der Klägerin stellt, ist nicht ersichtlich.

Diese Alltagsvorgänge sind auch lange zurückliegend. Ob ein Zeitraum so lange zurückliegt, dass jemand sich nachvollziehbar nicht mehr daran erinnert, was an dem Tag geschehen ist, hängt davon ab, welcher Bedeutung das maßgebliche Ereignis für den Tagesablauf konkret zukommt. Entscheidend ist, ob man sich nach der Lebenserfahrung noch an dieses Datum erinnern muss. Der Klägerin sind die einzelnen Tage, an denen die Beklagte einen Spesenbetrug vermutet, erstmalig am 14.07.2015 im Anhörungsgespräch vorgehalten worden. Dabei lag der nächste zurückliegende Tag, der 17.06.2015, bereits fast einen Monat zurück. Aus Sicht des Berufungsgerichts ist es ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar, dass die Klägerin keine konkrete Kenntnis mehr hat, was sie an diesem Tag nach der von ihr bis 19:00 Uhr angegebene Pause konkret noch erledigt hat. Nichts anderes gilt für die weiteren noch länger zurückliegenden Tage.

(5) Der Verdacht des Spesenbetrugs wegen der ungewöhnlichen Pausenzeiten der Klägerin wird auch nicht deswegen dringend, weil die Klägerin für den 26.06.2015 unstreitig eine fehlerhafte Spesenabrechnung fertigte.

Auch insoweit hält es die Berufungskammer für jedenfalls nachvollziehbar, wenn die Klägerin angibt, gutgläubig gehandelt zu haben. In der Spesenrichtlinie selbst ist nicht geregelt, wie die Mitarbeiterin ihre Abrechnung fertigen soll, wenn sie an einem anderen Ort als zu Hause ihre Tätigkeit beendet, ohne dass es sich um eine mehrtätige auswärtige berufliche Tätigkeit im Sinne des zweiten Absatzes zu Ziffer 4.3.1 der Spesenrichtlinie handelt. Die Klägerin hat insoweit auch angegeben, einen entsprechenden Vorfall habe es in der Vergangenheit nie gegeben. Der Vortrag der Beklagten, die Klägerin habe es besser wissen müssen, ist nicht weiter substantiiert worden. Die Spesenrichtlinie selbst ist insoweit nicht nur aus Sicht der Klägerin, sondern auch aus Sicht des Betriebsrats unklar, der insoweit in seiner Äußerung ausdrücklich von einer "unklaren" Spesenrichtlinie spricht. Unter Verpflegungsmehraufwendungen heißt es in der Spesenrichtlinie auch ausdrücklich, es gehe um die Deckung der Mehrkosten, die durch einen Aufenthalt fern der eigenen Wohnung entstehen. Die Klägerin hat sich am 26.06.2015 länger als acht Stunden fern ihrer eigenen Wohnung aufgehalten. Sie hat die sich infolge ihrer auswärtigen Übernachtung ergebenden Problematik gesehen und durch Berücksichtigung einer "hypothetischen Heimfahrt" lösen wollen. Das mag sachlich falsch gewesen sein, einen dringenden Verdacht für einen Betrugsvorsatz begründet es nicht.

Soweit die Beklagte auf § 7 LRKG BW hinweist, vermag dies keinen dringenden Verdacht gegen die Klägerin zu begründen. Richtig ist, dass die Rechtslage seitens der Beklagten zutreffend dargestellt ist und die Klägerin die Spesenabrechnung für den 26.06.2015 falsch ausgefüllt hat. Nicht ersichtlich aber und auch von der Beklagten nicht behauptet ist, dass der Klägerin die entsprechenden reisekostenrechtlichen Regelungen, etwa des Landes Baden-Württembergs oder anderer Länder oder des Bundes bekannt waren. Das ist auch keineswegs selbstverständlich.

Sinnvollerweise hätte die Klägerin vor Erstellung der Spesenabrechnung nachfragen sollen. Dass sie dies nicht gemacht hat, begründet aber ebenfalls noch nicht den dringenden Verdacht, sie habe eine vorsätzlich falsche Abrechnung eingereicht.

bb) Weitere Umstände sprechen eher dagegen als dafür, dass die Klägerin versucht hat, unrechtmäßig Spesenzahlungen zu erhalten.

So ist unstreitig, dass die Klägerin jedenfalls für zwei Tage keine Spesen geltend gemacht hat, obwohl sie hierauf Anspruch gehabt hätte, nämlich für den 14.04. und 23.04.2015. An beiden Tagen war sie länger als acht Stunden von zuhause abwesend, ohne dass sie die Pausenzeiten so ungewöhnlich angegeben hat, wie an den ihr vorgeworfenen Tagen. Wenn es der Klägerin darum gegangen wäre, sich möglichst auf Kosten der Beklagten zu bereichern, hätte es nahegelegen, in diesen Fällen, in denen tatsächlich ein Spesenanspruch bestand, diesen auch geltend zu machen.

Die Kammer hält es auch für nachvollziehbar, dass die Klägerin wegen des 26.06.2015 nicht bei ihrer Vorgesetzten wegen der Abrechnung der auswärtigen Übernachtung nachgefragt hat. Die Klägerin stand zu diesem Zeitpunkt bereits erkennbar unter erheblichem Druck. Sie hatte bereits eine Ermahnung und zwei Abmahnungen erhalten. Sie war angewiesen worden, wegen etwaiger PC-Probleme nicht stets die IT-Abteilung anzusprechen. Mehrfach ist ihr angeboten worden, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zu beenden. Bei dieser Sachlage liegt es nahe, dass die Klägerin nicht "schon wieder" mit einem Problem in der Datenerfassung bei der Beklagten auffallen wollte und für den 26.06.2015 das angegeben hat, was ihr plausibel erschien.

2. Die tatsächlich feststehende Pflichtverletzung der Klägerin, nämlich die fahrlässig fehlerhafte Spesenabrechnung für den 26.06.2015 kann die fristlose Kündigung nicht rechtfertigen. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter I. 2. d) der Gründe verwiesen. Auch die Beklagte geht ersichtlich nicht davon aus, dass eine einmalig fahrlässig falsch erstellte Spesenabrechnung sie dazu berechtigt, ein 19 Jahre bestehendes Arbeitsverhältnis ohne Vorliegen einer einschlägigen Abmahnung fristlos zu beenden.

3. Ob die Kündigung darüber hinaus auch nach § 174 BGB unwirksam ist, weil sie von der Klägerin unverzüglich zurückgewiesen wurde und diese von der Kündigungsvollmacht des Herrn K. nicht in Kenntnis gesetzt war, bedarf keiner Entscheidung.

Insoweit neigt die Kammer allerdings zu der Ansicht, dass mit der Ernennung einer Personalleiterin, wie hier Frau J. in der Vergangenheit, es naheliegt, dass das Amt des bisherigen Personalleiters aus der Vergangenheit (K.) zunächst endet und dass jedenfalls die Mitarbeiter der Beklagten, wenn ihnen nichts anderes mitgeteilt wird, hiervon ausgehen können. Wenn man dies zugrunde legt, dann hätte die Beklagte die Klägerin darüber in Kenntnis setzen müssen, dass Herr K. nach Ausscheiden von Frau J. wieder zum Personalleiter bestellt worden ist, was unstreitig nicht geschehen ist.

II.

Auch der Antrag zu 2. der Klägerin ist begründet. Die fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 26.08.2015 ist rechtsunwirksam, da sie sozial nicht gerechtfertigt ist, § 1 Abs. 1 KSchG. Insbesondere liegen keine Gründe im Verhalten der Klägerin vor, die den dringenden Verdacht eines Spesenbetrugs rechtfertigen. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen. Auch die einmalig falsche Spesenabrechnung kann jedenfalls mangels einschlägiger Abmahnung die ordentliche Kündigung nicht sozial rechtfertigen.

III.

Entsprechend der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts ist die Beklagte auch zur vorläufigen Weiterbeschäftigung der Klägerin, die diese mit ihrem Antrag zu 4. geltend gemacht hat, verpflichtet.

IV.

Der Hilfsantrag zu 6. ist nicht zur Entscheidung angefallen.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

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