Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss vom 29.04.2020 - 3 MR 10/20
Fundstelle
openJur 2020, 6951
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt, das Verbot, ihre Spielhallen zu öffnen, vorläufig bis zur Entscheidung über ihren - noch zu stellenden - Normenkontrollantrag außer Vollzug zu setzen.

Der Antragsgegner hat am 18. April die in der Hauptsache streitgegenständliche Landesverordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Schleswig-Holstein (SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung - SARS-CoV-2-BekämpfVO) vom 18. April erlassen, die in § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 regelt, dass u. a. Spielhallen zu schließen sind.

Die Antragstellerin, die in Schleswig-Holstein Spielhallen betreibt, ist der Auffassung, die Aufrechterhaltung der Anordnung zur Schließung von Spielstätten verletze sie in ihrem Recht auf Gleichbehandlung. Denn auch sie könne gewährleisten, dass die (Hygiene-)Anforderungen nach der SARS-CoV-2 BekämpfVO, unter denen es anderen Betrieben oder Bibliotheken und Archiven erlaubt ist, wieder zu öffnen, in ihren Spielhallen eingehalten würden. Insoweit legt sie im Einzelnen dar, welche Maßnahmen sie ergreifen würde, um das Personal und das Publikum vor einer Infektion zu schützen. Es sei gleichheitswidrig, dass andere - nicht systemrelevante - Betriebe öffnen dürften, ihr dies aber verwehrt bleibe, obwohl bei einer Öffnung von Spielhallen dazu beigetragen würde, der Entwicklung illegalen Glücksspiels im Internet entgegenzuwirken. Durch die Schließung der Spielstätten werde ihre Existenz gefährdet, sodass auch in ihr Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG eingegriffen werde.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO die Regelung des § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 (1. Alt. "Spielhallen") der Landesverordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Schleswig-Holstein (SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung - SARS-CoV-2-BekämpfVO), verkündet am 18. April 2020, bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag der Antragstellerin mit der Maßgabe außer Vollzug zu setzen, dass auch Betriebe der in § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 (1. Alt. "Spielhallen") SARS-CoV-2-BekämpfVO bezeichneten Art die Bestimmungen des § 6 Abs. 1 Satz 3 SARS-CoV-2-BekämpfVO einzuhalten haben,

hilfsweise sinngemäß,

durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO die Regelung des § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 (1. Alt. "Spielhallen") der Landesverordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Schleswig-Holstein (SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung- SARS-CoV-2-BekämpfVO), verkündet am 18. April 2020, bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag der Antragstellerin mit der Maßgabe außer Vollzug zu setzen, dass die Spielhallenbetriebe der Antragstellerin in- ..., ... Spielhalle (1) - ..., ... Spielhalle (2) - ..., ...- ..., ... Spielhalle (1) - ..., ... Spielhalle (2) - ..., ...unter Einhaltung der Bestimmungen des § 6 Abs. 1 Satz 3 SARS-COV-2-BekämpfVO wieder geöffnet werden dürfen,

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner hält die angegriffene Regelung für rechtmäßig; insbesondere sei eine Ungleichbehandlung von Spielhallen gegenüber Verkaufs- und Warenausgabestellen des Einzelhandels, die (teilweise) öffnen dürfen, gerechtfertigt.

II.

Der zulässige Eilantrag hat in der Sache keinen Erfolg; dem Hilfsantrag kommt keine eigenständige Bedeutung zu.

1. Der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 6 VwGO ist zulässig. Danach entscheidet das Oberverwaltungsgericht im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt. Eine entsprechende Bestimmung ist in § 67 Landesjustizgesetz enthalten. Die Antragstellerin wendet sich gegen § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 (1. Alt. "Spielhallen") SARS-COV-2-BekämpfVO vom 18. April 2020 (im Folgenden: SARS-COV-2-BekämpfVO), mithin gegen eine untergesetzliche Norm in Form einer Landesverordnung.

Die Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO setzt nicht voraus, dass das Normenkontrollverfahren in der Hauptsache bereits anhängig ist (vgl. Ziekow in: Sodan/Ziekow, VwGO-Großkommentar, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 386 m.w.N.).

Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt, weil sie als Betreiberin von Spielhallen geltend machen kann, durch die in § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SARS-COV-2-BekämpfVO geregelte Schließungsanordnung für Spielhallen in ihrem Recht auf Gleichbehandlung und in ihrem Recht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt zu sein. Diese Grundrechte sind auch auf juristische Personen des Privatrechts - wie hier die Antragstellerin - anwendbar (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.03.1968 - 1 BvR 975/58 -, juris Rn. 40; BVerfG, Beschl. v. 08.06.2010 - 1 BvR 2011/07 u.a. -, juris Rn. 85).

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet, weil die Voraussetzungen gemäß § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen im Ergebnis nicht vor.

a) Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, Beschl. v. 25.02.2015 - 4 VR 5.14 -, juris Rn. 12; OVG Schleswig, Beschl. v. 09.04.2020 - 3 MR 4/20 -, juris). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn - wie hier - die in der Hauptsache angegriffene Norm in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhebliche Grundrechtseingriffe enthält oder begründet, sodass sich das Normenkontrollverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweisen dürfte.

Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist.

Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens im Zeitpunkt der Entscheidung über den Eilantrag nicht (hinreichend) abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, das Normenkontrollverfahren aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.02.2015 - 4 VR 5.14 -, juris Rn. 12; vgl. auch BayVGH, Beschl. v. 30.03.2020 - 20 NE 20.632 -, juris Rn. 31ff.).

b) Nach diesen Maßstäben kommt eine vorläufige Außervollzugsetzung von § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 (1. Alt. "Spielhallen") SARS-CoV-2-BekämpfVO nicht in Betracht.

aa) Der Senat hat sich bereits in einer Eilentscheidung (Schl.-Holst. OVG, Beschl. v. 24.04.2020 - 3 MR 9/20 -, juris Rn. 16 ff.), auf die insofern verwiesen wird, mit der Außervollzugsetzung der auch von der Antragstellerin angegriffenen Verordnung auseinandergesetzt. Dabei ist der Senat im Rahmen der Eilverfahren davon ausgegangen, dass die angegriffenen Bestimmungen formell wirksam seien und in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eine wirksame Rechtsgrundlage finden dürften.

bb) Ob das Öffnungsverbot für Spielhallen gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 (1. Alt. "Spielhallen") SARS-CoV-2-BekämpfVO letztlich rechtmäßig ist, insbesondere nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, kann bei summarischer Prüfung nicht abschließend geklärt werden.

Der Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (stRspr., vgl. nur BVerfG, Urt. v. 23.10.1951 - 2 BvG 1/51 -, juris Rn. 18; Beschl. v. 15.07.1988 - 1 BvR 1554/89 u.a. -, juris Rn. 63).

Möglicherweise gibt es - ungeachtet des Umstandes, dass dem Verordnungsgeber unter infektionsschutzrechtlichen Gesichtspunkten ein weiter Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraum zusteht, der das stufenweise "Hochfahren" des öffentlichen Lebens rechtfertigt - einen tragfähigen Grund für die von der Antragstellerin gerügte Ungleichbehandlung. Denn die Situation in Spielhallen unterscheidet sich von derjenigen in den Betrieben und Einrichtungen, denen es gemäß § 6 Abs. 1 Satz 3 und 4, Abs. 7 SARS-CoV-2-BekämpfVO erlaubt ist, (teilweise) wieder zu öffnen. Der Aufenthalt in einer Spielhalle ist auf eine einen längeren Zeitraum andauernde Verweildauer angelegt, während das Aufsuchen von Verkaufs- und Warenausgabestellen oder von Bibliotheken und Archiven zwecks Ausleihe nur eines kurzen Aufenthalts bedarf. Dadurch dürfte durch eine höhere Virenkonzentration im geschlossenen Raum einer Spielhalle eine höhere Ansteckungsgefahr gegeben sein als in den derzeit (teilweise) geöffneten Betrieben und Einrichtungen. Auf die Ausführungen des Antragsgegners zur Verbreitung der Viren - auch bereits durch heftiges Ausatmen selbst bei Einhalten des Mindestabstands - auf Seite 16f. des Schriftsatzes des Antragsgegners vom 27. April 2020 - wird Bezug genommen. Zudem gilt auch in Spielhallen, dass der Mindestabstand von 1,5 m nicht ausnahmslos eingehalten werden kann, etwa im Eingangs- bzw. Ausgangsbereich oder auch im Spielbereich kann es zu unbeabsichtigter Unterschreitung des Mindestabstands kommen.

cc) Jedenfalls führt eine Folgenabwägung zu dem Ergebnis, dass der Eilantrag abzulehnen ist. Durch den weiteren Vollzug der angegriffenen Verordnung kommt es zwar zu einem Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit der Antragstellerin. Würde der Vollzug der Verordnung jedoch ausgesetzt, wäre mit hinreichender Wahrscheinlichkeit aufgrund des Publikumsverkehrs in den Spielhallen der Antragstellerin und dem gleichzeitigen längerfristigen Aufenthalt mehrerer Personen in geschlossenen Räumen mit vermehrten Infektionsfällen zu rechnen, die nach der aktuellen Risikobewertung des nach § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 IfSG hierzu berufenen Robert-Koch-Instituts vom 26. März 2020 (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html) zwingend so weit wie möglich zu verhindern sind, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verzögern und damit Zeit für die Schaffung von Behandlungskapazitäten sowie für die Durchführung und Entwicklung von Schutzmaßnahmen und Behandlungsmöglichkeiten zu gewinnen (so auch BayVGH, Beschl. v. 16.04.2020 - 20 NE 20.782 -, juris). Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs - insbesondere nach Ablauf des derzeit bis zum 3. Mai 2020 befristeten Geltungszeitraums der Landesverordnung - hat der Antragsgegner fortlaufend zu prüfen, ob die vollständige Schließung noch erforderlich ist.

Bei einer Abwägung der Folgen eines zeitlich befristeten Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) mit dem Grundrecht behandlungsbedürftiger, teilweise lebensbedrohlich erkrankender Personen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG setzt sich der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit durch (so im Ergebnis auch BVerfG, Beschl. v. 10.04.2020 - 1 BvQ 28/20 -, juris Rn. 11 ff.; Beschl. v. 09.04.2020 - 1 BvQ 29/20 -, juris Rn. 6 ff.; Beschl. v. 07.04.2020 - 1 BvR 755/20 -, juris Rn. 8 ff.; vgl. zur Folgenabwägung zugunsten eines möglichst weitgehenden Gesundheits- und Lebensschutz: Schl.-Holst. OVG, Beschl. v. 09.04.2020 - 3 MR 4/20 -, juris Rn. 21).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).