Schleswig-Holsteinisches VG, Beschluss vom 30.04.2020 - 1 B 66/20
Fundstelle
openJur 2020, 6942
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000, -- festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen Ziffer 3 der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 19. April 2020 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO zulässig; der Antragsteller möchte erreichen, dass das in Ziffer 3 der Allgemeinverfügung geregelte Betretensverbot von Kindertagesstätten nicht gegenüber ihm als Rechtsanwalt und seiner Tochter sofort vollziehbar ist.

Der Antragsteller kann geltend machen, durch die Regelung der Allgemeinverfügung in eigenen Rechten verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 VwGO analog). Dem Antragsteller fehlt nicht die Antragsbefugnis. Antragsbefugt im vorläufigen Rechtschutzverfahren ist nur, wer im Verfahren der Hauptsache klagebefugt wäre. Die Antragsbefugnis setzt voraus, dass für die rechtliche Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs die Anwendung von Regelungen in Betracht kommt, die zumindest auch dem Schutz der Interessen von Personen in der rechtlichen Situation, in der sich der Antragsteller befindet, zu dienen bestimmt sind und zumindest die konkrete Möglichkeit besteht, dass angesichts der zur Begründung vorgetragenen oder sonst in Betracht kommenden Tatsachen Rechte des Antragstellers verletzt werden. Nach Ziffer 3 der angefochtenen Allgemeinverfügung ist das Betreten von Kindertagesstätten (inklusive Krippen) verboten. Dieses in erster Linie unmittelbar die zu betreuenden Kinder treffende Verbot - das Abholen und Bringen der Kinder ließe sich auch ohne ein Betreten der Einrichtung durch die Eltern organisieren - macht es den Eltern jedenfalls unmöglich, die Kinder in der Kindertagesstätte gemäß den rechtlichen Beziehungen der Eltern zu dem Träger der Kindertagesstätte betreuen zu lassen und betrifft demnach auch eigene Rechte der Eltern.

Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO i.V.m § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kann das Gericht in dem vorliegenden Fall des nach § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 Infektionsschutzgesetz (IfSG) gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges die aufschiebende Wirkung des Widerspruches ganz oder teilweise anordnen. Die gerichtliche Entscheidung ergeht dabei auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Aufschubinteresse des Antragstellers einerseits und das öffentliche Interesse an der Vollziehung des streitbefangenen Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte, wenn aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung Erfolg oder Misserfolg des Rechtsbehelfs offensichtlich erscheinen. Lässt sich bei der summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes ohne weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen, weil an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich nach der genannten Überprüfung der angefochtene Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig, so führt dies in Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges regelmäßig dazu, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen ist.

Lässt sich nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Überprüfung weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die offensichtliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, so ergeht die Entscheidung aufgrund einer weiteren Interessenabwägung, in der zum einen die Auswirkungen in Bezug auf das öffentliche Interesse in dem Fall, dass dem Antrag stattgegeben wird, der Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren indes erfolglos bleibt, und zum anderen die Auswirkungen auf den Betroffenen für den Fall der Ablehnung eines Antrags und des erfolgreichen Rechtsbehelfs in der Hauptsache gegenüberzustellen sind. Bei dieser Interessenabwägung ist jeweils die Richtigkeit des Vorbringens desjenigen als wahr zu unterstellen, dessen Position gerade betrachtet wird, soweit das jeweilige Vorbringen ausreichend substantiiert und die Unrichtigkeit nicht ohne weiteres erkennbar ist (OVG Schleswig, Beschluss vom 13. September 1991 - 4 M 125/91 -, Rn. 14, juris; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 11. September 2017 - 1 B 128/17 -, Rn. 28 - 29, juris).

Die Kammer kann vorliegend mit der erforderlichen Gewissheit weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die offensichtliche Rechtswidrigkeit der ergangenen Allgemeinverfügung im Hinblick auf das in Ziffer 3 geregelte Betretensverbot, soweit es auch den Antragsteller als Rechtsanwalt trifft, feststellen. Es sprechen allerdings gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass die Allgemeinverfügung insoweit rechtmäßig sein könnte.

Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung kann ihre Rechtsgrundlage in der Vorschrift des § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG in der Fassung des Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587), insoweit am Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft getreten, finden. Nach dieser Vorschrift trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29-31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten (Satz 1). Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstiger Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen (Satz 2). Eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden (Satz 3). Die Grundrechte der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 des Grundgesetzes) werden insoweit eingeschränkt (Satz 4).

Es handelt sich bei der Bestimmung des § 28 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz IfSG n. F. um eine Generalklausel, die die zuständigen Behörden zum Handeln verpflichtet (sog. gebundene Entscheidung). Nur hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen, - "wie" des Eingreifens - ist der Behörde Ermessen eingeräumt. Die Behörde muss ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermessensermächtigung im Interesse des effektiven Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausüben.

Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der verfügten Beschränkungen ist der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Dafür sprechen das Ziel des Infektionsschutzgesetzes, eine effektive Gefahrenabwehr zu ermöglichen (§ 1 Abs. 1, § 28 Abs. 1 IfSG), sowie der Umstand, dass die betroffenen Krankheiten nach ihrem Ansteckungsrisiko und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen unterschiedlich gefährlich sind. Es erscheint sachgerecht, einen am Gefährdungsgrad der jeweiligen Erkrankung orientierten, "flexiblen" Maßstab für die hinreichende (einfache) Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (VG Bayreuth, Beschluss vom 11. März 2020 - B 7 S 20.223 -, Rn. 44 - 45, juris). Sind Schutzmaßnahmen erforderlich, so können diese grundsätzlich nicht nur gegen die in Satz 1 genannten Personen, also gegen Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider getroffen werden, sondern - soweit erforderlich - auch gegenüber anderen Personen (Bales/Baumann/Schnitzler, Infektionsschutzgesetz, Kommentar, 2. Aufl. § 28 Rn. 3). Es bestehen keine Zweifel daran, dass es sich bei der Infektion mit dem SARS-CoV-2, der zur Lungenkrankheit Covid-19 führen kann, um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG handelt, so dass der Anwendungsbereich des 5. Abschnitts des Infektionsschutzgesetzes, der sich mit der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten befasst, eröffnet ist (vgl. hierzu den Steckbrief des RKI zur Coronavirus-Krankheit:

https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ nCoV_node.html).

Das Coronavirus ist eine übertragbare Krankheit, die bereits landesweit aufgetreten und dadurch gekennzeichnet ist, dass sie sehr leicht übertragbar ist und sich dadurch sehr schnell ausbreitet. Das Robert Koch-Institut, das bei der Vorbeugung übertragbarer Krankheiten und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen eine besondere Sachkunde aufweist (§ 4 IfSG), schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland derzeit insgesamt als hoch ein. Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernstzunehmende Situation. Bei einem Teil der Fälle sind die Krankheitsverläufe schwer, auch tödliche Krankheitsverläufe kommen vor. Nach Darstellung des Robert Koch-Instituts ist die Erkrankung sehr infektiös. Da weder eine spezifische Therapie noch eine Impfung zur Verfügung stünden, müssten alle Maßnahmen darauf gerichtet sein, die Verbreitung der Erkrankung in Deutschland und weltweit so gut wie möglich zu verlangsamen (Epidemiologisches Bulletin 12/2020: COVID-19: Verbreitung verlangsamen, S. 3, veröffentlicht unter www.rki.de). Zentral dabei seien bevölkerungsbasierte kontaktreduzierende Maßnahmen, wie die Absage von Großveranstaltungen sowie von Veranstaltungen in geschlossenen Räumlichkeiten, bei denen ein Abstand von 1 - 2 Metern nicht gewährleistet werden könne. Bei vergangenen Pandemien habe gezeigt werden können, dass bevölkerungsbasierte Maßnahmen zur Kontaktreduzierung durch Schaffung sozialer Distanz besonders wirksam seien, wenn sie in einem möglichst frühen Stadium der Ausbreitung des Erregers in der Bevölkerung eingesetzt würden (ebd., S. 5). Es seien von jetzt an und in den nächsten Wochen maximale Anstrengungen erforderlich, um die Epidemie in Deutschland zu verlangsamen, abzuflachen und letztlich die Zahl der Hospitalisierungen, intensivpflichtigen Patienten und Todesfälle zu minimieren (dies., Modellierung von Beispielszenarien der SARS-CoV-2-Epidemie 2020 in Deutschland vom 20.03.2020, vorletzte Seite). Die massiven Anstrengungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes, dem insbesondere die möglichst frühzeitige Identifizierung von Kontaktpersonen und deren Management obliegt, sollten nach Ansicht der Robert Koch-Instituts durch gesamtgesellschaftliche Anstrengungen wie die Reduzierung von sozialen Kontakten mit dem Ziel der Vermeidung von Infektionen im privaten, beruflichen und öffentlichen Bereich sowie eine Reduzierung der Reisetätigkeit ergänzt werden (vgl. VG Bremen, Beschluss vom 26. März 2020 - 5 V 553/20 -, Rn. 37, juris). Mit den deutschlandweit auftretenden Fällen einer Infektion sind an einer übertragbaren Krankheit (§ 2 Nr. 3, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. h IfSG) erkrankte Personen und damit Kranke im Sinne von § 2 Nr. 4 IfSG festgestellt worden (vgl. VG Bremen, Beschluss vom 26. März 2020 - 5 V 553/20 -, Rn. 36, juris).

Es handelt sich voraussichtlich bei dem geregelten Betretungsverbot um eine notwendige Maßnahme zur Begrenzung der Ausbreitung der Infektion. Es fehlen gegenwärtig noch genauere Kenntnisse darüber, welche Besonderheiten es bei der Übertragung des Virus auf Kinder und von Kindern auf weitere Personen gibt. Kinder entwickeln offenbar seltener als andere Altersgruppen Covid-19-Symptome, werden deshalb seltener getestet und sind in diesem Zusammenhang insgesamt noch weniger erforscht. Solange es keine gesicherten Erkenntnisse darüber gibt, muss im Interesse des Gesundheitsschutzes auch einer Verbreitung des Virus auf und über Kinder wirksam begegnet werden. Ein Betretungsverbot für Kindertagesstätten ist dafür ein geeignetes Mittel. Das Betretungsverbot für Kindertagesstätten stellt Eltern wie Kinder häufig vor gewichtige Probleme, die nur schwer bewältigt werden können. Andererseits stellt es für die Kindertagesstätten eine kaum zu bewältigende Aufgabe dar, bei der Betreuung der Kinder ein aus Gründen des Infektionsschutzes noch erforderliches Abstandsgebot sicherzustellen. Bei dem gegenwärtigen Stand der Pandemieentwicklung dürfte es noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, den Besuch der Kindertagesstätten weitgehend zu beschränken und nur einen Notbetrieb zu gewährleisten, um auf diese Weise der weiteren Ausbreitung des Virus entgegenzuwirken, auch wenn damit vielfältige Nachteile für Eltern und Kinder in Kauf genommen werden müssen.

Der Antragsteller hat voraussichtlich keinen Anspruch darauf, als Angehöriger eines Berufs der kritischen Infrastruktur von dem Betretungsverbot ausgenommen zu werden. Ausgenommen vom Betretungsverbot der Ziffer 3 Satz 1 der Allgemeinverfügung sind nach Satz 3 Angebote der Notbetreuung in bestehenden Kindertageseinrichtungen, soweit in der Regel nicht mehr als fünf Kinder in einer Gruppe gleichzeitig betreut werden. Angebote der Notbetreuung sind Kindern vorbehalten, bei denen mindestens ein Elternteil in einem Bereich arbeitet, der für die Aufrechterhaltung kritischer Infrastrukturen notwendig ist und dieses Elternteil keine Alternativbetreuung organisieren kann. Neu aufgenommen in die Allgemeinverfügung wurde die Regelung, dass jetzt auch Kinder von berufstätigen Alleinerziehenden Angebote der Notbetreuung ebenfalls in Anspruch nehmen können, wenn diese keine Alternativbetreuung organisieren können. Zu den kritischen Infrastrukturen im Sinne dieser Ziffer 3 zählen die in § 10 der Landesverordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Schleswig-Holstein (SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung - SARS-CoV-2-BekämpfVO) in ihrer jeweils aktuell geltenden Fassung genannten Bereiche. Dabei sind in den dort genannten Bereichen nur Personen erfasst, deren Tätigkeit für die Kernaufgaben der Infrastruktur relevant ist Die Eltern haben dies durch die Angabe ihres Berufes gegenüber der Einrichtung zu dokumentieren (Ziffer 3 Sätze 10-13 der Allgemeinverfügung).

Die anwaltliche Tätigkeit gehört nicht zu den in der Allgemeinverfügung unter Bezug auf § 10 Abs. 1 SARS-CoV-2-BekämfVO vom 18. April 2020 genannten kritischen Infrastrukturen. Ein Anspruch ergibt sich voraussichtlich auch nicht aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 1 BvL 14/07 -, BVerfGE 130, 240, 252 - juris Rn. 40; Beschluss vom 15. Juli 1998 - 1 BvR 1554/89 u.a. -, BVerfGE 98, 365, 385 - juris Rn. 63). Es sind nicht jegliche Differenzierungen verwehrt, allerdings bedürfen sie der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Insoweit gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen.

Dabei sind die sich aus dem Gleichheitssatz ergebenden Grenzen für die Infektionsschutzbehörde und den Verordnungsgeber bei Regelungen eines dynamischen Infektionsgeschehens weniger streng (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. April 2020 - OVG 11 S 22/20 -, juris Rn. 25), wobei auch die strikte Beachtung des Gebots innerer Folgerichtigkeit nicht immer eingefordert werden kann (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 26. März 2020 - 5 Bs 48/20 -, juris Rn. 13; OVG Lüneburg, Beschluss vom 27. April 2020 - 13 MN 98/20 - juris), insbesondere, wenn aus Gründen des Infektionsschutzes nur begrenzte Lockerungen zu vertreten sind und wegen ihrer Vielzahl nicht alle Angehörigen vergleichbarer Gruppen einbezogen werden können. Für Rechtsbereiche der Gefahrenabwehr wie das Infektionsschutzrecht ist zu berücksichtigen, dass die Verwaltung ihre Entscheidungen hier oftmals unter Zeitdruck und Bedingungen einer sich ständig verändernden Lage zu treffen hat (Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 26. März 2020 - 5 Bs 48/20 -, Rn. 13, juris).

Dies gilt auch bei der Bestimmung von kritischen Infrastrukturen, mithin bei der Differenzierung zwischen beruflichen Tätigkeiten, deren Verfügbarkeit gerade auch mithilfe der Eltern, deren Kinder in Kindertagesstätten betreut werden, für die Aufrechterhaltung der Versorgung der Bevölkerung und die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens, für erforderlich gehalten wird und den beruflichen Tätigkeiten, hinsichtlich derer vorübergehend im Interesse einer möglichst weitgehenden Verringerung der Infektionsgefahr es hingenommen werden soll, dass die Aufgaben unter Umständen teilweise ohne die - jedenfalls uneingeschränkte - Hilfe von Eltern kleinerer Kinder bewältigt werden müssen, weil diese sich um die Kinderbetreuung kümmern müssen. Dem Verordnungsgeber steht dabei ein Gestaltungsspielraum und der örtlichen Infektionsschutzbehörde ein Ermessen darüber zu, bei welchen Tätigkeiten sie insbesondere im öffentlichen Interesse die uneingeschränkte Mitwirkung auch der Eltern kleinerer Kinder für unbedingt notwendig erachten.

Die Festlegung der kritischen Infrastruktur orientiert sich an dem öffentlichen Interesse an der uneingeschränkten Fortführung bestimmter Berufstätigkeiten wie bei Gesundheitsversorgung und Pflege, der Hilfe für Menschen mit Behinderung, der Kinder- und Jugendhilfe, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einschließlich Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz, der öffentliche Infrastruktur (Telekommunikation, Energie, Wasser usw.), der Lebensmittelversorgung und der zentralen Stellen von Staat, Justiz und Verwaltung. Maßgebend für die Festlegung sind nicht die möglichen privaten Folgen der Angehörigen einzelner Berufsgruppen gewesen. Bei der Gewichtung der Bedeutung einzelner Berufsfelder für die genannten öffentlichen Interessen steht dem Verordnungsgeber ein größerer Gestaltungsspielraum und dem Antragsgegner bei dem Erlass einer Allgemeinverfügung ein größerer Ermessensrahmen zur Verfügung.

Dieser Ermessensrahmen ist durch den Antragsgegner nicht überschritten worden. Bei der Aufzählung der kritischen Infrastrukturen in § 10 Abs. 1 SARS-CoV-2-BekämfVO, auf die der Antragsgegner in seiner Allgemeinverfügung Bezug nimmt, fehlen viele für die Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen Lebens benötigten beruflichen Tätigkeiten. Diese strenge Beschränkung auf sehr wenige Berufsgruppen im Zusammenhang mit den in der Allgemeinverfügung des Antragsgegners geregelten Betretungsverbot dient den Zielen des Infektionsschutzes durch die möglichst weitgehende Verringerung von engen körperlichen Kontakten auch im Bereich von Kindertagesstätten. Es kann nicht verkannt werden, dass die anwaltliche Tätigkeit insbesondere für die Rechtspflege, die auch während eines sich entwickelnden Infektionsgeschehens jedenfalls für dringende Angelegenheiten uneingeschränkt funktionsfähig bleiben muss, unverzichtbar ist. Es sind unter Umständen Fristen einzuhalten, die nicht verlängert werden können, auch die Rechtsberatung kann dringlich sein. Andere Angelegenheiten lassen auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Die Nichtberücksichtigung der anwaltlichen Tätigkeit bei den kritischen Infrastrukturen liegt auch im Anwendungsbereich von Ziffer 3 der Allgemeinverfügung die Annahme zugrunde, dass die unaufschiebbaren Tätigkeiten im anwaltlichen Bereich - wie auch bei allen anderen nicht genannten Berufsfeldern gegebenenfalls, jedenfalls zu einem wesentlichen Teil - ohne die Hilfe von Eltern kleinerer Kinder oder in der möglicherweise im Einzelfall noch geringfügig für die Berufstätigkeit zur Verfügung stehenden Zeit bewältigt werden müssen.

Es ist vorgesehen, dass bei der stufenweise geplanten Öffnung des Zugangs zu den Kindertagesstätten die persönlichen Bedürfnisse der Eltern und Kinder künftig stärker mit einbezogen werden. In einer ersten Stufe der Lockerung sind nunmehr bereits durch die angefochtene Allgemeinverfügung auch berufstätige Alleinerziehende, soweit sie keine Alternativbetreuung sicherstellen können, in die Notbetreuung einbezogen worden.

Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung ist nicht darin zu sehen, dass andere Länder auch die anwaltliche Tätigkeit der kritischen Infrastruktur zugerechnet haben. Voraussetzung für eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG ist, dass die Vergleichsfälle gleichen Trägern zuzurechnen sind. Daran fehlt es, wenn die beiden Sachverhalte von zwei verschiedenen Trägern öffentlicher Gewalt gestaltet werden; der Gleichheitssatz bindet jeden Träger öffentlicher Gewalt allein in dessen Zuständigkeitsbereich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 - BVerfGE 76, 1, 73 - juris Rn. 151 m.w.N.). Die Behörde eines Bundeslandes verletzt daher den Gleichheitssatz nicht deshalb, weil ein anderes Land den gleichen Sachverhalt anders behandelt (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 27. April 2020 - 13 MN 98/20 -, Rn. 63 - 66, juris).

Eine abschließende Klärung der beschriebenen Rechtsfragen ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht möglich. Deshalb sind in einer weitergehenden Interessenabwägung die Folgen gegenüberzustellen, die im Hinblick auf das öffentliche Interesse in dem Fall einträten, dass dem Antrag stattgegeben wird, der Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren indes erfolglos bleibt, und zum anderen die Auswirkungen auf den Betroffenen für den Fall der Ablehnung seines Antrags.

Gemessen an diesen Maßstäben überwiegt im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung des sich aus der Allgemeinverfügung ergebenden Betretenverbots von Kindertagesstätten das private Aufschubinteresse zum Zwecke des Besuchs der Tagesstätte durch die Tochter des Antragstellers.

Vorliegend streiten auf Seiten des öffentlichen Interesses überragende Gründe der Abwehr von Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung und der Sicherstellung der Leistungsfähigkeit der ärztlichen, insbesondere krankenhausärztlichen (Intensiv-)Versorgung für die Bevölkerung. Es geht insbesondere auch darum, die Ausbreitung des Virus durch zwischenmenschliche körperliche Kontakte einzudämmen. Hierbei ist nicht allein in den Blick zu nehmen, dass die Tochter des Antragstellers höchstwahrscheinlich selbst nicht infiziert ist und daher gegenwärtig kein Ansteckungsrisiko für andere ausgeht. Denn die aktuelle Infektionsgefahr ist bekanntermaßen insbesondere dadurch extrem risikobehaftet, dass bislang unentdeckt infizierte Personen sich im öffentlichen Raum bewegen und andere unwissentlich infizieren. Es ist gerade in der Anfangsphase dieser Pandemie wichtig, die Verbreitung des Virus nachhaltig zu begrenzen, bevor dann schrittweise Lockerungen eingeleitet werden können.

Gegenüber diesem gewichtigen öffentlichen Interesse setzt ein im Rahmen der Folgenabwägung überwiegendes privates Interesse voraus, dass im Einzelfall Umstände vorliegen, die so gewichtig sind, dass entgegen der gesetzgeberischen Anordnung in §§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 IfSG eine vorläufige Aussetzung der Vollziehung angezeigt ist.

Die von dem Antragsteller geltend gemachten Belange wiegen zwar schwer, insbesondere, weil die Eingriffe in seine Rechte für einen bestimmten Zeitraum irreversibel sind. Individuelle besondere Härtegründe sind von dem Antragsteller jedoch nicht dargelegt worden, auch die bei den Berufen der kritischen Infrastruktur geforderte Darlegung einer fehlenden alternativen Betreuung ist nicht erfolgt. Die Allgemeinverfügung mutet den Betroffenen - wie auch dem Antragsteller - für einen begrenzten Zeitraum eine bislang in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispiellose Beschränkung geschützter Freiheiten zu. Allerdings sind auch Infektionslagen wie die derzeit bestehende unter der Geltung des Grundgesetzes bisher nicht vorgekommen (VG Bremen, Beschluss vom 26. März 2020 - 5 V 553/20 -, Rn. 33, juris; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 03. April 2020 - 1 B 35/20 -, Rn. 13, juris). Mit den von ihm durch die Allgemeinverfügung getroffenen Maßnahmen kommt der Antragsgegner seiner grundrechtlichen Pflicht zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nach. Der Verlangsamung der Ansteckungsrate durch Vermeidung von sozialen Kontakten ist bei der Abwägung auch in der gegenwärtigen Lage noch entscheidende Bedeutung beizumessen, um Leben und Gesundheit der Bevölkerung wirksam zu schützen. Vor diesem Hintergrund müssen die geschützten Freiheiten des Antragstellers noch für einen begrenzten Zeitraum zurückstehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; der Streitwert wurde gemäß § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 iVm § 52 Abs. 2 GKG festgesetzt.

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