LG Köln, Beschluss vom 06.01.2020 - 34 T 159/19
Fundstelle
openJur 2020, 5875
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 50 M 651/19
Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom 15.08.2019 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Wipperfürth vom 05.08.2019 - 50 M 651/19 - wird der angefochtene Beschluss im Hinblick auf den dort festgesetzten pfandfreien Betrag von 424,- € abgeändert und insoweit wie folgt neu gefasst:

Von dem pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens des Schuldners ist ihm ein monatlicher Betrag von 0 € zu belassen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Schuldner.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

1.

Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom 15.08.2019 ist gemäß §§ 793, 567 ZPO i.V.m. § 11 Abs. 1 RPflG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt worden.

2.

Die sofortige Beschwerde erweist sich unter Berücksichtigung des Vorbringens beider Parteien im Beschwerdeverfahren als begründet.

Die Gläubigerin vollstreckt vorliegend wegen Unterhaltsansprüchen, so dass sich die Bestimmung des pfandfreien Betrags nach § 850d ZPO richtet. Nach dieser Vorschrift ist bei einer Unterhaltspfändung das Arbeitseinkommen des Schuldners grundsätzlich ohne Beschränkungen pfändbar. Jedoch ist dem Schuldner nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO so viel zu belassen, als er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber dem Gläubiger bevorrechtigten Unterhaltsschuldnern und zur gleichmäßigen Befriedigung gleichberechtigter Unterhaltsschuldner benötigt. Der notwendige Unterhalt hat sich dabei grundsätzlich an der individuellen Bedarfssituation des Schuldners zu orientieren.

Für die Bemessung des notwendigen Unterhalts ist der zunächst der sozialhilferechtliche Regelbedarf des Schuldners zu Grunde zu legen (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 850d Rn. 7; Becker in Münchener Kommentar zur ZPO, 15. Aufl. 2018, § 850d Rn. 6). Dem Schuldner soll im Anwendungsbereich des § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO - ebenso wie bei § 850f Abs. 2 Halbs. 2 ZPO - dasjenige belassen werden, das er zur Deckung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums im Sinne des SGB XII benötigt; die dort für die Anrechnung von Einkommen und geldwerten Vorteilen maßgebenden Grundsätze sind auch bei der Ermittlung des ihm pfandfrei zu belassenden Betrags zu berücksichtigen. Dem Schuldner soll nach der Rechtsprechung des BGH nicht weniger, aber auch nicht mehr belassen werden, als er zur Deckung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums im Sinne des SGB XII bedarf (vgl. BGH NJW-RR 2011, 706), weshalb die dort für die Anrechnung von Einkommen und geldwerten Vorteilen maßgebenden Grundsätze auch bei der Ermittlung des dem Schuldner pfandfrei zu belassenden Betrags zu berücksichtigen sind. Ist nämlich der notwendige Bedarf des Schuldners und damit sein sozialhilferechtliches Existenzminimum durch andere Einnahmen und geldwerte Vorteile gedeckt, dann besteht die Gefahr des Absinkens des Schuldners unter die Schwelle der Sozialhilfebedürftigkeit durch eine Pfändung seines Arbeitseinkommens und damit eine Befriedigung der Gläubiger zu Lasten des Sozialstaats wegen des aus § 2 Abs. 1 SGB XII folgenden Grundsatzes des Nachrangs der Sozialhilfe nicht. Nach diesem Grundsatz, der in §§ 19 Abs. 1, 27 Abs. 1 und 2 SGB XII für die Hilfe zum Lebensunterhalt konkretisiert wird, ist Sozialhilfe nur demjenigen zu leisten, der seinen Bedarf nicht aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten kann. Ist hinreichendes Einkommen oder Vermögen zur Deckung des maßgeblichen Bedarfs vorhanden, entfällt die Hilfebedürftigkeit und damit der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt (vgl. BGH NJW 2013, 1370).

Nach dieser Rechtsprechung des BGH hat das Vollstreckungsgericht daher zu prüfen, ob der notwendige Bedarf des Schuldners ganz oder teilweise durch weitere Einnahmen oder geldwerte Naturalleistungen tatsächlich gedeckt ist. Im Umfang der anderweitigen Deckung ist der Freibetrag, der dem Schuldner aus seinem gepfändeten Arbeitseinkommen zu belassen ist, herabzusetzen (vgl. BGH NJW 2013, 1370). Der BGH stellt aufgrund der sozialhilferechtlichen Wertentscheidung des § 27 SGB XII insoweit darauf ab, ob der notwendige Bedarf des Schuldners bereits durch das Einkommen seines mit ihm lebenden Ehegatten (Einsatzgemeinschaft) gedeckt ist; in dem Fall sollen Gläubiger in vollem Umfang privilegiert auf das Arbeitseinkommen des Schuldners zugreifen können (Becker in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 850f Rn. 12). Verfügt der nicht getrennt lebende Ehegatte des Schuldners mithin über eigenes Einkommen, so ist dieses Einkommen nach der Rechtsprechung des BGH aufgrund der rechtlichen und sittlichen Einstands- und Unterstützungspflicht innerhalb der Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft sowie der Erfahrung, dass in einer ehelichen Haushaltsgemeinschaft "aus einem Topf" gewirtschaftet wird, dazu zu verwenden, auch den Unterhalt des Schuldners sicherzustellen. Es gelten insoweit dieselben Grundsätze, die im Bereich des Sozialhilferechts für die Frage maßgebend sind, ob eine Person Sozialhilfe erhalten kann, auch wenn der in häuslicher Gemeinschaft lebende Ehegatte über eigenes Einkommen verfügt. Bei einem entsprechenden Einkommen des Ehegatten kann die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts demnach zum Ausdruck bringen, dass dem Schuldner von seinem Einkommen kein Teilbetrag verbleibt (vgl. BGH NJW 2013, 1370; BeckOK ZPO/Riedel, 34. Ed. 1.9.2019, ZPO § 850f Rn. 32aa).

Nach diesen Grundsätzen ist dem Schuldner vorliegend kein pfandfreier Betrag zu belassen. Aus der Vermögensauskunft des Schuldners vom 09.05.2018, die das Amtsgericht der beigezogenen Akte des Obergerichtsvollziehers Boxberg, Wipperfürth (Az. DR II 337/18), entnommen hat, ergibt sich, dass die Ehefrau des Schuldners über ein Nettoeinkommen von 1.750,- € verfügt. Nach der Berechnung der Gläubigerin im Schriftsatz vom 15.08.2019, der das Gericht inhaltlich beitritt, ergibt sich unter Zugrundelegung des sozialhilferechtlichen Regelsatzes für den Schuldner und seine Ehefrau, der angemessenen Unterkunftskosten sowie der Heizkostenpauschale ein sozialhilferechtlicher Gesamtbedarf von 1.291,85 € monatlich. Dieser ist auch nach Abzug des Freibetrags für Erwerbstätigkeit in Höhe von 300,- € durch das monatliche Nettoeinkommen der Ehefrau des Schuldners gedeckt, so dass nach der vorgenannten Rechtsprechung des BGH von dem Einkommen des Schuldners kein pfandfreier Betrag verbleibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.