VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 20.09.2019 - 14 L 1456/19
Fundstelle
openJur 2020, 5857
  • Rkr:

Die Auflage, neben einem Verbot von Transparenten, Plakaten, Fahnen oder anderen Gegenständen mit der Aufschrift "E.-E1. Nazi-Kiez" und "National befreite Zone", das Skandieren und jede andere sprachliche Verwendung der Parolen "E.-E1. Nazi Kiez" und "National befreite Zone" zu unterlassen, kann im Einzelfass erforderlich und auch noch hinreichend bestimmt sein, um einer Gefahr für die öffentliche Ordnung entgegenzutreten.

Tenor

1. Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes wird auf deren Kosten abgelehnt.

2. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

3. Der Tenor soll den Beteiligten vorab telefonisch bekanntgegeben werden.

Gründe

Der mit Blick auf den drohenden Zeitablauf - die Veranstaltung ist für den heutigen Tag, 19.30 Uhr, angemeldet - kurzfristig zu bescheidende Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage -14 K 4257/19- der Antragstellerin gegen die in Ziffer 3. Satz 1 2 Hs. und Satz 2 der Versammlungsbestätigung des Antragsgegners vom 19. September 2019 enthaltene Auflage wiederherzustellen, soweit der Antragstellerin darin auferlegt wurde: [..] und jede andere Verwendung der Parolen "E. -E1. Nazi-Kiez" und "National befreite Zone" ist untersagt und daher zu unterlassen. Verboten sind ferner alle inhaltlich gleichbedeutenden Umgehungsformulierungen (z. B. "E1. ist unser Kiez", "Nazi-Kiez" statt "E. -E1. Nazi-Kiez", "Nationalen Sozialismus erkämpfen - uns eine Zukunft!" statt "National befreit"),

hat keinen Erfolg.

Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Interessenabwägung insoweit fällt zu Lasten der Antragstellerin aus.

Nach dem derzeitigen, der Interessenabwägung zu Grunde zu liegenden Sach- und Streitstand überwiegt das öffentliche Interesse am Vollzug der beschränkenden Auflage das Suspensivinteresse der Antragstellerin, da sich die Auflage voraussichtlich als rechtmäßig erweisen dürfte. Unter Ziffer 3 Satz 1 der v. g. Versammlungsbestätigung wird der Antragstellerin das Mitführen von Transparenten, Plakaten, Fahnen oder anderen Gegenständen mit der Aufschrift "E. -E1. Nazi-Kiez" und "National befreite Zone" untersagt sowie aufgegeben, das Skandieren und jede andere sprachliche Verwendung der Parolen "E. -E1. Nazi Kiez" und "National befreite Zone" zu unterlassen.

Unstreitig unterfällt die von der Antragstellerin angemeldete Kundgebung dem Schutzbereich des Art. 8 Grundgesetz (GG).

Es dürfte überwiegendes dafür sprechen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG) für den Erlass einer versammlungsrechtlichen Auflage erfüllt sind. Soweit in der Auflage die Verwendung aller inhaltlich gleichbedeutenden Umgehungsformulierungen und jede andere sprachliche Verwendung der mit den in Ziffer 3 Satz 1 der Auflage zur v. g. Versammlungsbestätigung enthaltenen Aussagen verboten werden, nur dies ist vorliegend zum Streitgegenstand gemacht worden, dürfte nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung zu erkennenden Umständen jedenfalls die öffentliche Ordnung bei Durchführung des Aufzuges ohne diesen weitreichenden Umfang der Auflage unmittelbar gefährdet sein.

Unter öffentlicher Ordnung wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird. Die öffentliche Ordnung kann durch die Art und Weise der Kundgabe einer Meinung verletzt werden, etwa durch ein aggressives, die Grundlagen eines verträglichen Zusammenlebens der Bürger beeinträchtigendes, insbesondere andere Bürger einschüchterndes, Auftreten der Versammlungsteilnehmer.

Vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 05. September 2003 - 1 BvQ 32/03 juris.

Die oben genannten Parolen nehmen überwiegend unmittelbar auf die Ideologie und Herrschaft des Nationalsozialismus Bezug. Der Gesamtkontext, in dem die ausdrücklich untersagten Parolen verwendet würden, gäbe der Versammlung ein Gepräge, dass darauf gerichtet und jedenfalls geeignet wäre, von anderen Bürgern als Herrschaftsanspruch und Geltung dieser Ideologie und seiner Normen auch speziell für E1. verstanden zu werden mit der Folge, Andersdenkende einzuschüchtern und auszuschließen. In jenen Parolen kommt der auch territoriale Dominanzanspruch verbunden mit der Negation des staatlichen Gewaltmonopols der Antragstellerin für das von ihr - jedenfalls auch - als Nazi-Kiez bezeichnete Gebiet in E. E1. zum Ausdruck. Auch die Erweiterung auf jedwede sprachliche Abwandlung der ausdrücklich genannten Parolen ist aus den oben genannten Gründen zum Schutz der öffentlichen Ordnung erforderlich.

Vor diesem Hintergrund sind die in der v. g. Versammlungsbestätigung getätigten Erwägungen des Antragsgegners nachzuvollziehen und stützen die hier streitgegenständliche Auflage zum Schutz der öffentlichen Ordnung. Diese sind auch - wie sich auch aus den Gründen der Versammlungsbestätigung ergibt - hinreichend tatsachengestützt. Die Auflage ist jedenfalls unter Heranziehung der umfangreichen (Gesamt-)Begründung der Versammlungsbestätigung sowie der für die Antragstellerin als Adressatin bekannten und ohne Weiteres erkennbaren Umstände noch hinreichend bestimmt. Die Auflage stellt sich auch nicht als unverhältnismäßig dar. Sie betrifft im Hinblick auf das angemeldete Versammlungsthema nicht den Kern der Versammlung und lässt der Antragstellerin die Möglichkeit, auf ihre politischen Aussagen aufmerksam zu machen. Sie unterbindet sie auch in ihrem weitreichenden, aber noch hinreichenden bestimmten Wortlaut nicht den politischen Diskurs, auch zum Stadtteil E1. . Sie verhindert lediglich, dass durch den oben dargestellten Bezug zum Nationalsozialismus und zum territorialen Dominanzanspruch der Antragstellerin die Versammlung ein die öffentliche Ordnung störendes Gepräge erhält und erweist sich noch als verhältnismäßig.

Es erscheint daher auch mit Blick auf die Vollzugsfolgen, nämlich die hier nicht mehr rückgängig zu machenden Unterlassung der Verwendung entsprechender Banner und Parolen, etc., angemessen, die aufschiebende Wirkung nicht wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung entspricht der ständigen Kammerpraxis, insbesondere ist aufgrund der angestrebten Vorwegnahme der Hauptsache eine Reduzierung des Streitwertes nicht angemessen.