FG Münster, Urteil vom 25.06.2014 - 7 K 2079/13 E
Fundstelle
openJur 2020, 5793
  • Rkr:
Tenor

Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 28.02.2013 und der Einspruchsentscheidung vom 03.06.2013 wird der Beklagte verpflichtet, über den Erlassantrag der Kläger vom 20.02.2013 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob Nachzahlungszinsen gem. § 233a Abgabenordnung (AO) aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen sind.

Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt werden. Der Kläger ist von Beruf Bankkaufmann und hatte sich gemeinsam mit seiner Ehefrau als Mitunternehmer an der "E.GmbH & Co. KG" (Fondsgesellschaft) beteiligt.

Die Fondsgesellschaft erklärte in ihrer Feststellungserklärung für das Streitjahr 2003 gegenüber dem Betriebsstättenfinanzamt M-Stadt für die Kläger positive Beteiligungseinkünfte in Höhe von 232 €. Das Finanzamt M-Stadt gelangte aufgrund einer abweichenden steuerlichen Würdigung zu dem Ergebnis, dass den Klägern ein Verlust von 1.913 € zuzurechnen sei. Der Beklagte setzte diesen zunächst bei der ESt-Veranlagung der Kläger für 2003 im Jahre 2005 an.

Nach einer durch das Finanzamt für Großbetriebsprüfung durchgeführten Betriebsprüfung bei der Fondsgesellschaft wurde die abweichende steuerliche Würdigung des Betriebsstättenfinanzamtes M-Stadt korrigiert. Nunmehr wurden für die Kläger die ursprünglich von der Fondsgesellschaft erklärten positiven Beteiligungseinkünfte von 232 € festgestellt. Der Beklagte berücksichtigte die geänderte Feststellung in dem ESt-Änderungsbescheid 2003 vom 18.02.2013. Die auf den Änderungsbetrag entfallende ESt beträgt 1.048 €. Ferner setzte der Beklagte Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO in Höhe von 470 € fest, und zwar nach folgender Berechnung: zu verzinsende 1.000 € für die Zeit vom 01.04.2005 bis zum 21.02.2013 (94 volle Monate zu 0,5 v.H. = 47,0 v.H.).

Den auf sachliche Billigkeitsgründe gestützten Antrag der Kläger, die Nachzahlungszinsen zu erlassen, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 28.02.2013 ab.

Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die Klage, mit der die Kläger ihr Begehren weiterverfolgen.

Sie vertreten die Ansicht, dass die Zinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen seien. Der Umstand, dass das Betriebsstättenfinanzamt M-Stadt eigenmächtig von der (sachlich richtigen) Feststellungserklärung der Fondsgesellschaft abgewichen sei und- ohne dass überhaupt ein entsprechender Antrag gestellt worden sei - eine steuerliche Verlustzuweisung kreiert habe, könne ihnen (den Klägern) nicht angelastet werden. Es mute geradezu aberwitzig an, dass hier der Fiskus als Steuergläubiger zunächst dem Steuerpflichtigen risikolos Gelder auszahle, die er sich zehn Jahre später zuzüglich einer Verzinsung von 6% p. a. zurückhole und ohne dass der Steuerpflichtige diese Zinsen in irgendeiner Form steuermindernd geltend machen könne. Des Weiteren sei ihnen (den Klägern) infolge der später korrigierten Verlustzuweisung auch kein tatsächlicher Zinsvorteil in Höhe von 470 € entstanden. Die geringfügige Erstattung sei nicht geeignet gewesen, um eine separate Kapitalanlage daraus zu tätigen. Der Betrag entspreche vielmehr einem Guthaben auf einem unverzinslichen Kontokorrentkonto.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 28.02.2013 und der Einspruchsentscheidung vom 03.06.2013 den Beklagten zu verpflichten, über den Erlassantrag der Kläger vom 20.02.2013 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden;

hilfsweise - für den Fall des Unterliegens oder Teilunterliegens - die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen;

hilfsweise - für den Fall des Unterliegens oder Teilunterliegens - die Revision zuzulassen.

Er hält an seiner bereits im Verwaltungsverfahren vertretenen Rechtsauffassung fest, wonach vorliegend kein Grund für einen Erlass der Nachzahlungszinsen bestehe. Er, der Beklagte, habe bei der Einkommensteuerveranlagung der Kläger Grundlagenbescheide korrekt ausgewertet. Die Änderung des Grundlagenbescheids habe zu einer Änderung des Einkommensteuerbescheids und zu einer Zinsfestsetzung geführt. Eine fehlerhafte Bearbeitung und deshalb ein der BFH-Entscheidung vom 25.11.1997 IX R 28/96, BStBl. II 1998, 550 vergleichbarer Sachverhalt liege nicht vor. Der Vortrag der Kläger zur Höhe der Zinsen sei unbeachtlich, denn diese ergebe sich aus der gesetzlichen Regelung des § 238 AO.

Der Senat hat am 25.06.2014 in der Sache mündlich verhandelt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Der Ablehnungsbescheid vom 28.02.2013 und die Einspruchsentscheidung vom 03.06.2013 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten, § 101 Satz 2 FGO.

Bei der Entscheidung betr. den Erlassantrag der Kläger vom 20.02.2013 handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des Beklagten (vgl. § 227 AO), die gem. § 102 FGO auf etwaige Ermessensfehler hin zu überprüfen ist. Eine fehlerfreie Ermessensausübung setzt voraus, dass die Finanzbehörde ihre Ermessensentscheidung auf Grund einer einwandfreien und erschöpfenden Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts getroffen und alle für die Ermessensausübung wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat, vgl. Gräber/von Groll § 102 FGO Tz. 15 mit weiteren Nachweisen.

Vorliegend hat sich der Beklagte mit dem wesentlichen Gesichtspunkt des Streitfalles, wonach nämlich eine Billigkeitsmaßnahme wegen der objektiv fehlerhaften Behandlung der zutreffenden F-Erklärung der Fondsgesellschaft durch das Betriebsstättenfinanzamt in Betracht kommen könnte, noch gar nicht beschäftigt. Bereits deshalb liegt eine fehlerhafte Ermessensentscheidung vor, die auch nicht mehr gem. § 102 Satz 2 FGO durch eine "Ergänzung" geheilt werden kann. In dem Ablehnungsbescheid findet sich nämlich lediglich folgende - auch sachlich zumindest in dieser Allgemeinheit unzutreffende - ganz allgemein gehaltene Formulierung: "Ihr Vorbringen, die Finanzverwaltung habe durch sein Verhalten zur Entstehung der konkreten Situation beigetragen, habe ich bei der Entscheidung berücksichtigt. Derartige Einwendungen können jedoch einen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen nicht rechtfertigen."

Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten kann aber eine fehlerhafte Sachbearbeitung durch das Finanzamt sehr wohl Anlass für einen Billigkeitserlass von Nachforderungszinsen sein, vgl. etwa BFH, Urteil vom 25.11.1997 IX R 28/96, BStBl II 1998, 550. Unstreitig ist, dass die F-Erklärung der Fondsgesellschaft für die Kläger keinen Verlust, sondern geringfügige positive Einkünfte vorsah. Gegen den "eigenmächtig" vom FA vorgenommenen Verlustansatz konnten sich die Kläger mangels Beschwer nicht wehren. Wenn nun das FA - wie vorliegend geschehen - etwa 8 Jahre später nach einer Außenprüfung genau den (positiven) Betrag ansetzt, der bereits in der ursprünglichen F-Erklärung enthalten war, dürfte sich in der Tat ernsthaft die Frage eines Erlasses bzw. zumindest Teilerlasses der Nachforderungszinsen stellen. Zumindest muss sich der Beklagte im Rahmen seiner Ermessensentscheidung ernsthaft mit dieser Argumentation der Kläger beschäftigen, was aber bislang noch nicht erfolgt ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision war nicht zuzulassen. Der Senat hat eine Einzelfallentscheidung unter Beachtung der Rechtsprechung des BFH getroffen.

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