OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.04.2020 - 15 B 606/20
Fundstelle
openJur 2020, 5565
  • Rkr:
Verfahrensgang

Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bleibt offen, ob § 11 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO NRW vom 16. April 2020 mit Art. 8 GG vereinbar ist.

Bei der Zulassung einer Ausnahme aufgrund von § 11 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO NRW handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Dies bedeutet, dass ein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO NRW nur bei einer Ermessensreduzierung auf Null besteht.

Im Rahmen der Ermessensausübung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO NRW sind Bedeutung und Tragweite von Art. 8 GG zu berücksichtigen.

Die zuständige Behörde hat bei der Ermessensausübung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO NRW gegebenenfalls auch eigene Überlegungen zur weiteren Minimierung von Infektionsrisiken anzustellen. Die Verantwortung dafür trifft nicht allein den Anmelder der Versammlung. Vor dem Erlass einer Beschränkung der Versammlungsfreiheit muss sich die Behörde überdies um eine kooperative, einvernehmliche Lösung mit dem Versammlungsveranstalter bemühen.

Dabei kann in Betracht kommen, durch Verringerung der Teilnehmerzahl und/oder eine örtliche oder zeitliche Verlagerung der Versammlung gegebenenfalls in Verbindung mit weiteren Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko auf ein in Abwägung mit dem Grundrecht aus Art. 8 GG vertretbares Maß zu reduzieren.

Tenor

1. Der angefochtene Beschluss wird teilweise geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller zur Durchführung der Versammlung "Heraus zum 1. Mai" am 1. Mai 2020 auf dem X.----platz in F. in der Zeit von 11.00 Uhr bis 12.00 Uhr eine Ausnahmegenehmigung nach § 11 Abs. 3 CoronaSchVO unter folgenden Auflagen zu erteilen:

- Der Antragsteller nimmt die Aufgaben des Versammlungsleiters wahr. Er bestellt zehn weitere Personen zu Ordnern.

- Die Teilnehmerzahl wird auf maximal 50 Personen begrenzt. Weiteren Personen ist der Zugang zur Versammlungsfläche - in erster Linie von der Versammlungsleitung - zu verwehren. Ist dies nicht möglich, ist die Versammlung vorzeitig zu beenden.

- Ein Umzug findet nicht statt. Die Versammlung wird ausschließlich als Standkundgebung durchgeführt.

- Flugblätter oder sonstige Materialien werden nicht verteilt. Sie können allerdings zur kontaktlosen Mitnahme durch Versammlungsteilnehmer in einer Plastikbox oder vergleichbaren Vorrichtung bereitgestellt werden.

- Die Teilnehmer, soweit sie nicht in häuslicher Gemeinschaft leben, haben einen Mindestabstand von 1,5 m zueinander einzuhalten und Mund und Nase mindestens mit einem einfachen Mund-Nasen-Schutz zu bedecken.

- Der Versammlungsbereich ist durch Markierungen auf dem Boden deutlich sichtbar zu markieren. Die Versammlungsteilnehmer dürfen sich allein in diesem Bereich aufstellen.

- Für die Teilnehmer sind Abstandsmarkierungen innerhalb dieses Versammlungsbereichs auf dem Boden aufzubringen.

- Der Versammlungsleiter hat aus Gründen des Gesundheits- und Infektionsschutzes eine Liste über die Teilnehmer zu führen. Dies gilt auch für Teilnehmer, die sich während der Dauer der Versammlung dieser anschließen. Auch diese Daten hat der Versammlungsleiter in die Liste aufzunehmen. Die Liste hat folgende Daten über die Teilnehmenden zu enthalten:

aa. Vor- und Nachname der teilnehmenden Person

bb. Postanschrift der teilnehmenden Person

cc. Telefonnummer der teilnehmenden Person

Diese Liste ist nicht an Polizei- oder Ordnungskräfte zu übergeben, sondern verbleibt beim Versammlungsleiter, der diese für die Dauer von zwei Monaten nach Durchführung der Versammlung aufzubewahren hat. Sie ist dem Gesundheitsamt der Antragsgegnerin vorzulegen, wenn dies zur Ermittlung von Kontaktpersonen aufgrund einer festgestellten Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus einer teilnehmenden Person notwendig wird (§ 25 IFSG). Das Gesundheitsamt wird den Versammlungsleiter erst dann auffordern, die Liste zu übersenden.

- Personen, die eine Corona-Symptomatik aufweisen (Husten, Fieber, Atembeschwerden), dürfen nicht an der Versammlung teilnehmen.

- Der Versammlungsleiter hat die Teilnehmer zu Beginn der Versammlung über die Auflagen - insbesondere auf den einzuhaltenden Abstand - durch Schilder und Durchsagen zu informieren.

- Auf das Abspielen von Musik wird verzichtet.

- Der Antragsteller ist verpflichtet, die weitere Vorbereitung und Durchführung der Versammlung mit Hinweisen auf die Auflagen zu verbinden. Dies gilt insbesondere für eine Aktualisierung der von ihm benutzten Internetseiten.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

2. Von den Kosten des Verfahrens beider Instanzen tragen der Antragsteller 20 % und die Antragsgegnerin 80 %.

3. Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde mit dem Antrag,

den angefochtenen Beschluss zu ändern und

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller zur Durchführung der Versammlung "Heraus zum 1. Mai" am 1. Mai 2020 auf dem L.------platz in F. in der Zeit von 11 Uhr bis 12 Uhr eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen,

hilfsweise,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller zur Durchführung der Versammlung "Heraus zum 1. Mai" am 1. Mai 2020 auf dem X.----platz in F. in der Zeit von 11 Uhr bis 12 Uhr eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen,

hat nur mit dem Hilfsantrag in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

1. Bezogen auf den weiterverfolgten Hauptantrag bleibt die Beschwerde erfolglos.

Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen insoweit nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.

Die Beschwerde macht das Bestehen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs im Sinne von § 123 Abs. 1, Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2, § 294 ZPO diesbezüglich nicht glaubhaft.

Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn ein Erfolg in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist, das heißt, wenn der geltend gemachte materielle Anspruch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit besteht.

Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 24. August 2017 - 15 B 940/17 -, juris Rn. 7, vom 29. Juni 2017 - 15 B 200/17 -, juris Rn. 25, und vom 8. Mai 2017 - 15 B 417/17 -, juris Rn. 8.

Dies ist mit Blick auf den Hauptantrag bei der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung nicht der Fall.

Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronaschutzverordnung - CoronaSchVO) vom 16. April 2020 (GV. NRW. 2020, S. 222a) sind Veranstaltungen und Versammlungen untersagt, soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO können die nach dem Landesrecht für Schutzmaßnahmen nach § 28 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes zuständigen Behörden für Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz Ausnahmen zulassen, wenn die Veranstalter die Einhaltung der für den Schutz der Bevölkerung vor Infektionen erforderlichen Maßnahmen (insbesondere Mindestabstände) sichergestellt haben.

Bei der Ausnahmezulassungsentscheidung aufgrund von § 11 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO, dessen Vereinbarkeit mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit des Art. 8 GG der Senat im zu entscheidenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes offen lässt,

so auch BVerfG, Beschluss vom 17. April 2020 - 1 BvQ 37/20 -, juris Rn. 23,

handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Dies bedeutet, dass ein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO nur bei einer Ermessensreduzierung auf Null besteht.

Diese Situation ist in Bezug auf den L.------platz als Versammlungsfläche nicht anzunehmen.

Im Rahmen der Ermessensausübung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO sind Bedeutung und Trageweite von Art. 8 GG zu berücksichtigen.

Vgl. insoweit BVerfG, Beschluss vom 17. April 2020 - 1 BvQ 37/20 -, juris Rn. 23, m.w.N.

Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Orts - im eigentlichen Sinn des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. April 2020 - 1 BvQ 37/20 -, juris Rn. 17, m.w.N.

Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. April 2020 - 1 BvQ 37/20 -, juris Rn. 18, m.w.N.

Dies erfordert im Hinblick auf eine Ermessensentscheidung der in Rede stehenden Art insbesondere eine hinreichende Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Lediglich pauschale Erwägungen, die jeder Versammlung aus Gründen des Infektionsschutzes entgegengehalten werden könnten, würden dem durch den Normgeber eröffneten Entscheidungsspielraum, von dem die Verwaltung unter Berücksichtigung des Individualgrundrechts aus Art. 8 GG Gebrauch zu machen hat, nicht gerecht.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. April 2020 - 1 BvQ 37/20 -, juris Rn. 23, m.w.N.

Die zuständige Behörde hat ggf. auch eigene Überlegungen zur weiteren Minimierung von Infektionsrisiken anzustellen. Die Verantwortung dafür trifft nicht allein den Anmelder der Versammlung. Vor dem Erlass einer Beschränkung der Versammlungsfreiheit muss sich die Behörde überdies um eine kooperative, einvernehmliche Lösung mit dem Versammlungsveranstalter bemühen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. April 2020 - 1 BvQ 37/20 -, juris Rn. 25.

Dabei kann in Betracht kommen, durch Verringerung der Teilnehmerzahl und/oder eine örtliche oder zeitliche Verlagerung der Versammlung ggf. in Verbindung mit weiteren Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko auf ein in Abwägung mit dem Grundrecht aus Art. 8 GG vertretbares Maß zu reduzieren.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. April 2020 - 1 BvQ 37/20 -, juris Rn. 26.

Gemessen an diesen Maßstäben ist dem Verwaltungsgericht auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens darin zuzustimmen, dass der Antragsteller bei summarischer Prüfung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch im Lichte der Bedeutung und Tragweite von Art. 8 GG mangels Ermessensreduzierung auf Null keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO für den L.------platz hat. Nach Lage der Dinge lässt sich auf dem L.------platz nicht sicherstellen, dass den Belangen des Infektionsausbreitungsschutzes - und damit dem Schutzgut des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG - auf dieser Versammlungsfläche hinreichend Rechnung getragen werden kann.

Der L.------platz ist, wie das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss deutlich gemacht hat, ein in F. zentral - in der Fußgängerzone - gelegener Platz. Er ist über neun auf ihn führende Straßen erreichbar. Darüber hinaus befindet sich unter dem L.------platz nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts ein Parkhaus, das über fünf Aufgänge auf diesen Platz verfügt.

Angesichts dieser Sachlage ist auf dem L.------platz nicht gewährleistet, dass die Versammlung des Antragstellers die infektionsschutzrechtlichen Anforderungen - insbesondere die Einhaltung der Mindestabstände - erfüllen kann. Elementar dafür ist eine effektive Begrenzung der Teilnehmerzahl, die indes mit Blick auf die geschilderte örtliche Situation des L.-------platzes nicht als möglich erscheint. Es ist nicht erkennbar, wie der Antragsteller es - auch unter Einsatz von zehn Ordnern - bewerkstelligen könnte, die genannten Zugänge zum L.------platz dergestalt zu kontrollieren, dass die Einhaltung einer maximalen Teilnehmerzahl hinreichend gesichert wäre. Entsprechendes gilt für die Handlungsmöglichkeiten der vor Ort eingesetzten Polizei- und Ordnungskräfte. Infolgedessen würde eine Auflage zur Bestimmung einer Höchstzahl an Versammlungsteilnehmern - der Antragsteller hat sich mit einer Deckelung auf maximal 50 Teilnehmer einverstanden erklärt - ins Leere gehen, weil sie sich auf dem L.------platz absehbar nicht überwachen und durchsetzen ließe.

Unabhängig davon, wieviel Teilnehmer letztlich genau zu erwarten sind und welche Versammlungen am 1. Mai im Übrigen noch im Stadtgebiet von F. stattfinden, stellt es jedenfalls eine realistische Erwartung dar, dass mehr als 50 Personen die Versammlung frequentieren werden, so dass sich die Frage der Beachtung der Höchstteilnehmerzahl absehbar stellen wird. Denn die Versammlung fungiert - mit den Worten des Verwaltungsgerichts - als eine Art "DGB-Ersatz-Kundgebung" für den 1. Mai, die in der Vergangenheit regelmäßig von mehreren tausend Personen besucht worden ist. Daher ist auch in diesem Jahr trotz der besonderen Umstände der Corona-Pandemie und in Anbetracht der Tatsache, dass etliche Organisationen "Delegationen" zu der Versammlung zu entsenden beabsichtigen, potentiell mit einem nicht ganz unerheblichen Teilnahmeinteresse zu rechnen, das die 50-Personen-Schwelle überschreiten könnte.

2. Allerdings hat die Beschwerde mit dem in der Beschwerdeinstanz hinzugefügten Hilfsantrag, der auf die Ausrichtung der Versammlung auf dem X.----platz zielt, Erfolg.

a) Dieser Hilfsantrag ist zulässig. Er ist nicht als im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 VwGO grundsätzlich unzulässige Antragsänderung zu qualifizieren.

Vgl. zu dieser Problematik etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 29. Januar 2018 - 9 B 1540/17 -, juris Rn. 13, und vom 27. Juli 2009 - 8 B 933/09 -, juris Rn. 8 ff.; Sächs. OVG, Beschluss vom 27. Januar 2017 - 5 B 287/16 -, juris Rn. 3.

Denn die etwaige Verlegung des Versammlungsorts - als Auflage zu der begehrten Ausnahmegenehmigung - bildet einen Teil des ursprünglich anhängig gemachten Streitgegenstands.

Im Übrigen wäre eine Antragsänderung im Falle ihres Vorliegens aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes zur endgültigen Beilegung des Rechtsstreits ausnahmsweise sachdienlich.

Vgl. dazu OVG NRW, Beschlüsse vom 29. Januar 2018 - 9 B 1540/17 -, juris Rn. 13, und vom 27. Juli 2009 - 8 B 933/09 -, juris Rn. 10.

b) Der Hilfsantrag ist auch begründet.

aa) Diesbezüglich hat der Antragsteller die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht.

Bei summarischer Betrachtung ist unter Anlegung der aufgeführten Maßstäbe davon auszugehen, dass das der Antragsgegnerin in § 11 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO eingeräumte Ermessen hinsichtlich des X1.----platzes als Versammlungsfläche auf Null reduziert ist.

Insofern spricht Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller die Einhaltung der für den Schutz der Bevölkerung vor Infektionen erforderlichen Maßnahmen (insbesondere Mindestabstände) sicherstellt, wenn die Ausnahmegenehmigung mit den im Tenor genannten Auflagen versehen wird. Der X.----platz bietet von seiner örtlichen Lage her die Gewähr dafür, dass die festgesetzte maximale Teilnehmerzahl von 50 Personen eingehalten werden kann. Der X.----platz ist nicht so zentral gelegen wie der L.------platz . Er lässt sich auch nicht über so viele Zugänge erreichen wie dieser. Deswegen hat die Antragsgegnerin zwischenzeitlich selbst den X.----platz als Alternativstandort in Betracht gezogen. Wird der Antragsteller, wie von ihm in seiner weiteren Beschwerdebegründung vorgetragen, zehn Ordner einsetzen, erscheint es als hinreichend sicher, dass er für die Einhaltung der festgesetzten maximalen Teilnehmerzahl tatsächlich Sorge tragen kann, indem jeder weiteren Person der Zutritt zu der Versammlungsfläche verwehrt wird.

Ist dies dem Grunde nach gewährleistet, bieten die zusätzlichen Auflagen die Gewähr dafür, dass den infektionsschutzrechtlichen Vorgaben Genüge getan wird. Dies sind namentlich die Regelungen zur Beschränkung auf eine Standkundgebung, zur Markierung der Versammlungsfläche und zum zu wahrenden Mindestabstand innerhalb der Versammlungsfläche, der durch Abstandsmarkierungen deutlich zu machen ist.

Mit ihrer Beschwerdeerwiderung hat die Antragsgegnerin demgegenüber im Wesentlichen noch geltend gemacht, dass die Teilnehmerzahl realistisch gesehen ein Mehrfaches von 50 ausmachen werde. Dies habe zur Folge, dass die Personen, denen der Zutritt zur Versammlungsfläche wegen der Erreichung der höchstzulässigen Teilnehmerzahl verwehrt worden sei, außerhalb der Versammlungsfläche Ansammlungen bildeten, die infektionsschutzrechtlich nicht mehr zu bewältigen seien.

Bei summarischer Prüfung steht dieser Einwand der Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null jedoch im Ergebnis nicht entgegen.

Durch die Verpflichtung des Antragstellers, Teilnahmeinteressierte auf die Beschränkung der Teilnehmerzahl sowie die im Übrigen während der Versammlung zu beachtenden Auflagen hinzuweisen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Personenzahl in der von der Antragsgegnerin vorgetragenen Größenordnung die Versammlung des Antragstellers ansteuern wird. Dass dieser auf das Abspielen von Musik verzichtet, mindert das Anziehungspotential der Versammlung außerdem für das Publikum. Ferner ist anzunehmen, dass in der derzeitigen Lage der Corona-Pandemie nicht so viele Passanten in der näheren Umgebung der Versammlung anzutreffen sein werden, die die von der Antragsgegnerin angesprochene "Tribünenlage" des Gehwegs oberhalb des X1.----platzes für signifikante Ansammlungen nutzen werden.

Ungeachtet dessen obliegt die Überwachung der Einhaltung der Sicherheitsabstände durch Passanten, die nicht an der Versammlung teilnehmen, der Verantwortung der Polizei- und Ordnungsbehörde. Diese Passanten sind allgemein an die Maßgaben des § 12 Abs. 1 CoronaSchVO (Untersagung von Zusammenkünften und Ansammlungen im öffentlichen Raum von mehr als zwei Personen) gebunden. Ein etwaiger Verstoß Dritter gegen diese Verpflichtung kann nicht ohne Weiteres dem Veranstalter der Versammlung vorgehalten werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn er keine Veranlassung für einen Verstoß gegen die infektionsschutzrechtlichen Vorschriften setzt.

Vgl. hierzu VG Münster, Beschluss vom 25. April 2020 - 5 L 361/20 -, juris Rn. 14.

Nötigenfalls können gegenüber Personen, die erkennbar nicht an der Versammlung teilnehmen und die sich nicht an die infektionsschutzrechtlichen Bestimmungen halten, polizeibehördliche Platzverweise oder auch ordnungsbehördliche Betretungsverbote gemäß § 12 Abs. 2 CoronaSchVO in Ansatz gebracht werden.

Vgl. VG Münster, Beschluss vom 25. April 2020 - 5 L 361/20 -, juris Rn. 16 ff.

Stellt man dies in Rechnung, deutet Überwiegendes darauf hin, dass mit den tenorierten Auflagen ein Versammlungsablauf sichergestellt wird, der vom Versammlungsleiter und erforderlichenfalls von den vor Ort eingesetzten Polizei- und Ordnungskräften bewältigt werden kann. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich zurückgewiesene Versammlungsbesucher, die nach dem Vorbringen des Antragstellers überwiegend dem gewerkschaftlichen Spektrum angehören, den Anweisungen der Ordner bzw. der staatlichen Ordnungskräfte widersetzen werden. Unterstützend könnte der Antragsteller Megafondurchsagen veranlassen. Sollte sich am Versammlungstag eine gesammelte Anreise von Teilnehmergruppen abzeichnen, wäre es zudem möglich, an den vom Antragsteller benannten Stellen L1. /H.-------straße , L1. /I. X2.----straße und I. X2.----straße /L2.--------allee Barrieren oder sonstige Lenkungsmaßnahmen - im Sinne eines "Warteschlangenmanagements" - zu installieren.

Letztlich gilt generell, dass der Versammlungsleiter die Versammlung unverzüglich aufzulösen hat, sollte sich herausstellen, dass sich ein (infektionsschutz-)rechtmäßiger Versammlungsablauf trotz der verfügten Auflagen nicht garantieren lässt.

Vgl. auch dazu VG Münster, Beschluss vom 25. April 2020 - 5 L 361/20 -, juris Rn. 23.

bb) Der Antragsteller hat weiterhin die tatsächlichen Voraussetzungen eines die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Anordnungsgrunds glaubhaft gemacht. Rechtsschutz in der Hauptsache käme zu spät, weil die Versammlung des Antragstellers bereits am morgigen Tag stattfinden soll. Der Erlass der einstweiligen Anordnung ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Sinne von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zur Effektivierung des Grundrechts des Antragstellers aus Art. 8 Abs. 1 GG geboten.

cc) Die Befugnis des Senats, die einstweilige Anordnung mit den tenorierten Auflagen zu verknüpfen, resultiert aus § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 938 Abs. 1 ZPO. Die Auflagen sind ermessensgerecht, weil sie aus den oben angeführten Gründen einen angemessenen Ausgleich zwischen den konfligierenden Rechtsgütern des Art. 8 Abs. 1 GG auf den einen und des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auf der anderen Seite im Sinne einer praktischen Konkordanz schaffen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).