LG Dortmund, Urteil vom 20.02.2020 - 18 O 98/19
Fundstelle
openJur 2020, 5277
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 250.000,00 €, ersatzweise von Ordnungshaft oder von Ordnungshaft bis zur Dauer von sechs Monaten es zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr, wie nachstehend wiedergegeben, für Medizinprodukte damit zu werben, dass der Kunde ab einem Bestellwert von € 30,00 netto gratis zu seiner Bestellung eine Kiste "Haribo Kisscola" und/oder eine Box "Maoam" und/oder eine Box "Haribo Color-Rado" dazu erhält und/oder entsprechend der Ankündigung dieses Artikel kostenlos abzugeben:

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Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000,00 € vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin ist die A1. Ihr gehören über 800 Verbände und Körperschaften mit mehr als 1.200 Unternehmen als Mitglieder an. Zu den Mitgliedern zählen zahlreiche Industrie- und Handelskammern, sowie zahlreiche Handwerks-, Ärzte- und Apothekerkammern.

Die Beklagte befasst sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Verbandstoffen, Medizin-, Mutter- und Kind-Produkten, sportmedizinischen Artikeln und vergleichbaren Waren.

In von der Beklagten an Apotheken verteilten Flyern, die Bestellformulare für Fixiermull, Kalt-/Warmkompressen und Fixierbinden enthielten, erklärte die Beklagte gleichzeitig, dass ab einem Bestellwert von 30,00 € netto gratis zu der Bestellung eine Box "Haribo Kisscola" bzw. eine Box "Maoam" bzw. eine Box "Haribo Color-Rado" gratis zugegeben werde. Die Gratiszugabe wurde dabei durch die bildliche Darstellung der jeweiligen Boxen veranschaulicht. Wegen der Einzelheiten der Gestaltung wird auf die Ablichtungen im Rahmen des Tenors Bezug genommen.

Im Onlineshop Firma Haribo sind die entsprechenden Boxen für Beträge zwischen 4,89 € und 5,11 € erhältlich.

Die Klägerin meint, dass die Beklagte mit ihrer Ankündigung von Gratiszugaben für die Bestellung der hier fraglichen Produkte gegen § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG) verstoße. Die Ausnahmevorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 1 HWG greife nicht ein. Es dürften allenfalls geringfügige Kleinigkeiten zugegeben werden, die Wertgrenze liege hier bei 1,00 €.

Wegen des angenommenen Verstoßes hat die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 12. Juni 2019 abgemahnt und ihr eine Frist bis zum 24. Juni 2019 zur Abgabe einer strafbewährten Unterlassungserklärung gesetzt. Die strafbewährte Unterlassungserklärung hat die Beklagte nicht in der geforderten Form abgegeben, sondern lediglich für die Produkte Haribo Kisscola und Maoam und dann auch mit der Einschränkung, dass die Unterlassung nur für den Fall gilt, dass der Inhalt nicht in kleineren Einheiten primär verpackt ist.

Die Klägerin verfolgt nunmehr den Unterlassungsanspruch weiter.

Sie beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 250.000,00 €, ersatzweise von Ordnungshaft oder von Ordnungshaft bis zur Dauer von sechs Monaten es zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr, wie nachstehend wiedergegeben, für Medizinprodukte damit zu werben, dass der Kunde ab einem Bestellwert von € 30,00 netto gratis zu seiner Bestellung eine Kiste "Haribo Kisscola" und/oder eine Box "Maoam" und/oder eine Box "Haribo Color-Rado" dazu erhält und/oder entsprechend der Ankündigung dieses Artikel kostenlos abzugeben:

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, die Zugaben der Süßigkeitenboxen seien nicht geeignet, ein wirtschaftliches Interesse an der Verschreibung oder Abgabe der hier fraglichen Produkte zu wecken.

Die Apotheken als Mitglied der Fachkreise seien durch solche geringwertige Beigaben nicht zu beeinflussen.

Die Werbung der Beklagten sei nicht geeignet, den Apotheker veranlassen zu können sein Verhalten bei der Beratung der Kunden gerade im Hinblick auf die Werbegabe zu deren Ungunsten unsachlich zu ändern. Die Wertgrenze von 1,00 € könne in der Werbung gegenüber Fachkreisen nicht gelten. Des Weiteren seien die in den jeweiligen Boxen befindlichen Lakritz und Weingummis geeignet und auch dafür vorgesehen, den Kunden der Apotheke als Werbegeschenk übergeben zu werden, insofern lägen auch die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 HWG vor. Außerdem verweist die Beklagte darauf, dass die Produkte auch schon für unter 5,00 € erhält seien. Insofern legt sie das Ergebnis einer Internetrecherche mit Preisangaben für Maoam zwischen 4,90 € und 5,19 € vor und für eine Color-Rado Dose mit 4,89 €.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin ist nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG klagebefugt.

Die Klage ist auch begründet.

Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch steht der Klägerin gemäß § 8 Abs. 1, 3, 3 a UWG in Verbindung mit § 7 HWG zu.

Die Beklagte handelt unlauter, weil sie einer gesetzliche Vorschrift zuwider handelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln und der Verstoß geeignet ist, die Interesse von Verbrauchern, sonstigen Markteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

Hier liegt seitens der Beklagten ein Verstoß gegen § 7 HWG vor.

Nach § 7 Abs. 1 HWG ist es unzulässig, Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren oder als Angehörige der Fachkreise anzunehmen.

Der Anwendungsbereich des Heilmittelwerbegesetzes ist eröffnet. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 a findet das Gesetz Anwendung für Medizinprodukte im Sinne des § 3 Medizinproduktgesetz. Zu den Medizinprodukten im Sinne von § 3 Medizinproduktgesetz zählen alle Gegenstände, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktion zum Zwecke der Behandlung oder Linderung von Krankheiten und der Behandlung von Verletzungen bestimmt sind.

Mullbinden, Fixierbinden und Kalt-/Wärmekompressen fallen mithin unter den Begriff der Medizinprodukte. Sie dienen der Behandlung von Verletzungen.

Es liegt auch kein Ausnahmefall nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG vor. Danach sind Zuwendungen zulässig, wenn es sich um geringwertige Kleinigkeiten handelt. Indes können die hier fraglichen Süssigkeiten nicht als geringwertige Kleinigkeiten angesehen werden. Die Grenze der Geringwertigkeit liegt bei etwa 1,00 € (Fritsche, Medizinrecht, 3. Auflage 2018, § 7 HWG Rn. 18 ff.; OLG Stuttgart, Urteil vom 22.02.2018, 2 U 39/17, zitiert nach Juris, Rn. 43), und zwar auch gegenüber Fachkreisen (OLG Stuttgart. a. a. O.).

Der BGH hat insoweit ausgeführt, dass der Zweck des § 7 Abs. 1 HWG darin besteht, durch eine weitgehende Eindämmung der Wertreklame im Arzneimittelbereich der abstrakten Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung zu begegnen, die von einer Werbung mit Geschenken ausgehen kann. Die Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung sei dabei jedoch im Sinne einer individuellen Beeinflussbarkeit der Zuwendungsempfänger zu bewerten. Mit dem grundsätzlichen Verbot der Wertreklame sollen Verkaufsförderungspraktiken verhindert werden, die geeignet sind, bei den Angehörigen der Gesundheitsberufe ein wirtschaftliches Interesse an der Verschreibung oder Abgabe von Arzneimitteln zu wecken; gefördert werden soll eine medizinische und pharmazeutische Praxis, die den Berufsregeln entspricht (BGH Urteil vom 25.04.2012, I ZR 105/10, zitiert nach Juris, Rn. 29).

Hier ist von einer individuellen Beeinflussbarkeit aus Sicht der Kammer schon deshalb auszugehen, weil im Verhältnis zum Mindestbestellwert die Gratiszugabe einen durchaus erheblichen Wertanteil aufweist. Gemessen am Mindestbestellwert beträgt der Wert der Beigabe rund 16 %. Das ist nicht zu vernachlässigen. Bei anderen Wertverhältnissen, die gegebenenfalls im geringen einstelligen Prozentbereich liegen, mag es gegebenenfalls auch anders aussehen. Bei dem hier im Raum stehendem Wertverhältnis kann die Gefahr einer individuellen Beeinflussbarkeit aus Sicht der Kammer nicht verneint werden.

Hinzu kommt, dass selbst dann, wenn man von einer geringwertigen Kleinigkeit ausgehen würde, dann jedenfalls die weiteren Voraussetzungen einer zulässigen Ausnahme nach § 7 Abs. 1 Satz 2 HWG nicht vorliegen würden. Danach sind Werbegaben für Angehörige der Heilberufe unbeschadet des Satzes 1 nur dann zulässig, wenn sie zur Verwendung in der ärztlichen, tierärztlichen oder pharmazeutischen Praxis bestimmt sind.

Dies lässt sich für Süßigkeiten nicht feststellen. Ihnen fehlt jeder konkreter Praxisbezug im Sinne der Vorschrift. Zwar können sie natürlich auch - hier in der Apotheke - aufgestellt werden, damit sich Kunden hieran bedienen können. Allerdings können sie auch genauso gut von dem Apotheker privat eingesetzt werden. Süßigkeiten können zu allen möglichen Zwecken verwendet werden, dass sie auch in der Praxis verwendet werden können, verleiht ihnen keinen besonderen Praxisbezug. Würde man dies anders sehen, so bestünde die erhebliche Gefahr, dass die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 HWG leerlaufen würde.

Insgesamt liegt damit ein Verstoß der Beklagten gegen § 7 Abs. 1 HWG vor. § 7 Abs. 1 HWG ist im Sinne des § 3 a UWG auch dazu bestimmt im Interesse der Marktteilnehmer, dass Marktverhalten zu regeln, der Verstoß ist auch geeignet, das Interesse von Verbrauchern spürbar zu beeinträchtigen. § 7 HWG dient gerade dazu, dass der Verbraucher im Bereich der Medizinprodukte unbeeinflusst und sachgerecht beraten wird und Entscheidungen nur aufgrund sachgerechter Beratung trifft.

Die vermutete Wiederholungsgefahr wird durch die Abgabe einer lediglich eingeschränkten strafbewährten Unterlassungserklärung, die nicht alle Fälle des Untersagungsanspruchs erfasst, nicht ausgeräumt.

Insgesamt kann die Klägerin damit nach § 8 Abs. 1 UWG die beantragte Unterlassung verlangen.

Die Androhung von Ordnungsmitteln beruht auf § 890 ZPO.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.

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