OLG Jena, Beschluss vom 29.01.2015 - 1 Ss 124/14
Fundstelle
openJur 2020, 81174
  • Rkr:

1. Enthält das angefochtene erstinstanzliche Urteil keine eigene Darstellung der "erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden", sondern insoweit lediglich eine - mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen (Rechtsmittelverzicht aller Anfechtungsberechtigten bzw. durch Fristablauf und Nichteinlegung von Rechtsmitteln eingetretene Rechtskraft des Schuld- und des Strafausspruchs) - unzulässige Bezugnahme auf den Anklagesatz gemäß § 267 Abs. 4 Satz 1 2. Halbsatz StPO, ist die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch wegen fehlender Feststellungen zum Schuldspruch auch dann unwirksam, wenn sie sich weitergehend auf die Höhe eines Tagessatzes der verhängten (Gesamt-)Geldstrafe erstreckt.

2. Geht das Berufungsgericht in diesem Fall von einer wirksamen Berufungsbeschränkung aus und trifft es keine eigenen Feststellungen zum Tatgeschehen, sondern gibt es lediglich den Anklagevorwurf - als den vom Amtsgericht "festgestellten" und der Rechtsfolgenentscheidung zu Grunde zu legenden Sachverhalt - wieder, unterliegt das - nur über die Tagessatzhöhe neu entscheidende - Berufungsurteil schon wegen Fehlens einer tragfähigen Grundlage für den Rechtsfolgenausspruch der Aufhebung.

Tenor

1.

Das Urteil des Landgerichts Gera vom 01.09.2014 wird mit den Feststellungen aufgehoben.

2.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Gera zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Jena verurteilte den Angeklagten am 07.04.2014 wegen Untreue in 60 Fällen, hiervon in 20 Fällen im besonders schweren Fall sowie in 30 Fällen in Tateinheit mit Betrug, zu einer Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen in Höhe von je 110 €. Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte am 14.04.2014 "Rechtsmittel" ein und erklärte mit Einlegung:

"Das Rechtsmittel beschränke ich bereits jetzt auf den Rechtsfolgenausspruch und darüber hinaus innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs auf die Höhe des Tagessatzes. Die Anzahl der Tagessätze ist vom Rechtsmittelangriff ausdrücklich nicht umfasst, § 318 StPO".

Daraufhin fertigte der Vorsitzende des Schöffengerichts ein "teilweise abgekürztes" Urteil gemäß § 267 Abs. 4 StPO, in dem "bezüglich der getroffenen Feststellungen gemäß § 267 Abs. 4 StPO auf den Anklagevorwurf der zugelassenen Anklage" verwiesen wurde.

Die Berufungskammer erachtete die Berufungsbeschränkung als wirksam und ging davon aus, dass der Schuldspruch sowie die dazu getroffenen Feststellungen in Rechtskraft erwachsen waren. Eigene bzw. ergänzende Feststellungen traf das Landgericht insoweit nicht. Im Berufungsurteil wird lediglich dargelegt, welche Vorwürfe dem Angeklagten mit der Anklage der Staatsanwaltschaft Gera vom 10.04.2013 zur Last gelegt wurden.

Im Ergebnis der am 01.09.2014 durchgeführten Berufungshauptverhandlung verwarf das Landgericht Gera die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Jena vom 07.04.2014.

Der Angeklagte hat gegen das Berufungsurteil am 04.09.2014 Revision eingelegt und diese nach am 09.10.2014 erfolgter Zustellung des Urteils am Montag, den 10.11.2014 mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts begründet.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Gera zurückzuverweisen.

II.

Die statthafte und auch sonst zulässig eingelegte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

Auf eine zulässige Revision prüft das Revisionsgericht von Amts wegen, ob das Berufungsgericht zu Recht von einer wirksamen Berufungsbeschränkung ausgegangen ist (vgl. Meyer-Goßner/- Schmitt, StPO, 57. Auflage, § 352 Rn. 4; KK-Paul, StPO, 7. Auflage, § 318 Rn. 11 m. w. N.). Diese Überprüfung ergibt vorliegend, dass die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch und hier weitergehend auf die Tagessatzhöhe der verhängten Geldstrafe(n) nicht wirksam erfolgt ist.

Eine wirksame Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch setzt voraus, dass die zum Schuldspruch getroffenen tatsächlichen Feststellungen eine ausreichende Grundlage für eine dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat entsprechende Bemessung der Rechtsfolgen darstellen. Sind die Tatsachenfeststellungen unzureichend bzw. lückenhaft, so ist eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam (BGHR StPO, § 318 Strafausspruch 1; BayObLG wistra 1994, 322; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2000, 307; Beschluss des Senats vom 02.03.2011, 1 Ss 8/11).

Letzteres ist hier der Fall, weil dem amtsgerichtlichen Urteil keine Feststellungen zu den verfahrensgegenständlichen, dem Schuldspruch zugrundeliegenden Taten zu entnehmen sind, auf die das Berufungsgericht hätte Bezug nehmen und auf die es die Verhandlung über den Rechtsfolgenausspruch hätte stützen können. Ausweislich seines Urteils vom 07.04.2014 hat das Amtsgericht zwar eigene Feststellungen getroffen, jedoch im Urteil insoweit lediglich auf den Anklagevorwurf der (mit Änderungen?) "zugelassenen" Anklage verwiesen, weil es davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen des § 267 Abs. 4 Satz 1, 2. Halbs. StPO gegeben seien. Ein Fall der zulässigen Verweisung nach dieser Vorschrift lag jedoch nicht vor. Ein solcher ist nur dann gegeben, wenn alle Anfechtungsberechtigten auf das zulässige Rechtsmittel gegen das Urteil (Berufung oder Revision) verzichtet haben - und zwar hinsichtlich des Schuld- und des Rechtsfolgenausspruchs vollständig - oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 01.07.1971, 1 StR 362/70, MDR 1971, 898; OLG Schleswig, SchlHA 1983, 112, Meyer-Goßner/- Schmitt, StPO, a. a. O., § 267 Rn. 24; HK-StPO-Julius, 5. Auflage, § 267 Rn. 28, KK-Kuckein, StPO, a. a. O., § 267 Rn. 37; LR-Stuckenberg, StPO, 26. Auflage, § 267 Rn. 132).

Zulässig ist ein abgekürztes Urteil bei einer Teilanfechtung nur hinsichtlich einer im Schuld- und Strafausspruch rechtskräftigen Verurteilung wegen einer von mehreren prozessualen Taten. Unzulässig ist die Abkürzung in den Fällen horizontaler Teilrechtskraft, wenn also - wie vorliegend - nur der Rechtsfolgenausspruch angefochten wurde (vgl. SK-StPO-Velten, 4. Auflage, § 267 Rn. 59).

Mangels einer zulässigen Verweisung entspricht damit das amtsgerichtliche Urteil nicht den Voraussetzungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO, wonach im Urteil eine erschöpfende und aus sich selbst heraus verständliche Darstellung der zur Urteilsgrundlage gemachten Feststellungen erforderlich ist. Der Unrechts- und Schuldgehalt der dem Angeklagten zur Last liegenden Straftaten ist aus dem Urteil des Amtsgerichts Jena vom 07.04.2014 nicht zu erkennen.

Die Strafkammer hätte die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch mithin nicht als wirksam ansehen dürfen, sondern hätte die Entscheidung des Amtsrichters in vollem Umfang, auch zum Schuldspruch, überprüfen und zur Schuldfrage eigene Feststellungen treffen müssen. Dies hat sie jedoch nicht getan, weshalb das Urteil insoweit keinen Bestand haben kann.

Auch der Umstand, dass die Berufung vorliegend - unter ausdrücklicher Ausklammerung der Strafzumessung hinsichtlich der Anzahl der verhängten Tagessätze - weitergehend auf die Tagessatzhöhe beschränkt wurde, führt im Ergebnis zu keiner anderen Beurteilung. Zwar handelt es sich bei der Bemessung der Tagessatzhöhe um einen eigenständigen, in erster Linie nach den Kriterien des § 40 Abs. 2 StGB vorzunehmenden Zumessungsakt. Die Bemessung der Höhe eines Tagessatzes ist ein bestimmter Beschwerdepunkt, der regelmäßig losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt überprüft werden kann, weshalb die entsprechende Beschränkung eines Rechtsmittels auf diesen Punkt im Grundsatz möglich ist (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10.01.1989, 1 StR 682/88, bei juris; KK-Paul, StPO, 7. Aufl., § 318 Rdnr. 8a). Auch sind die Entscheidungen über Tagessatzanzahl und Höhe der Tagessätze zwei verschiedene Vorgänge, die unterschiedliche Zielrichtungen haben. Allerdings sind auch Fallgestaltungen möglich, in denen Wechselwirkungen bzw. ein innerer Zusammenhang zwischen Anzahl der Tagessätze und deren Höhe bestehen (vgl. nur BGH a. a. O.; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 40 Rdnr. 21 ff). Allein um diese Frage einschätzen zu können, bedarf es eines Mindestmaßes an nachvollziehbaren Feststellungen zu dem der Bestrafung zugrundeliegenden Tatgeschehen. Eine rein abstrakte Strafzumessungsentscheidung ohne jeglichen Bezug zu dem für die Bemessung der Anzahl der Tagessätze maßgeblichen, hier allerdings nicht (verfahrensordnungsgemäß) mitgeteilten und deshalb auch nicht festgestellten Sachverhalt/Schuldumfang würde die geforderte Zumessungsentscheidung auf einen rein schematischen Berechnungsakt (vgl. dazu Fischer, a. a. O., Rdnr. 21)  reduzieren und kann den Anforderungen der §§ 40 StGB, 267 Abs. 3 StPO von vornherein nicht gerecht werden. So kann etwa im Einzelfall gerade bei einer hohen Tagessatzanzahl (hier: 300 Tagessätze) durchaus eine Senkung, in anderen Fällen dagegen eine Anhebung des rechnerisch ermittelten Tagessatzes in Betracht kommen bzw. sogar angezeigt sein, um zu einer schuldangemessenen Sanktion zu gelangen (Fischer a. a. O., Rdnr. 23 f). Inwieweit solche Wechselwirkungen in Betracht zu ziehen sind, ist nach dem Inhalt der Urteilsgründe zu beurteilen, weshalb der für den Schuldumfang maßgebliche Sachverhalt nicht vollständig ausgeklammert bleiben kann.

Das angefochtene Urteil des Landgerichts Gera war nach alledem aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Gera zurückzuverweisen.