AG Düsseldorf, Beschluss vom 20.03.2020 - 502 IN 155/19
Fundstelle
openJur 2020, 4741
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag von Rechtsanwalt L auf Neufestsetzung des Stimmrechts bezüglich der Anzahl der auf den gemeinsamen Vertreter der Anleihegläubiger entfallenden Kopfstimmen wird zurückgewiesen.

Gründe

I. Mit Beschlüssen vom 10.1.2020 wurde Rechtsanwalt L in allen 5 ausgegebenen Anleihen der Schuldnerin jeweils zum gemeinsamen Vertreter der Anleihegläubiger im Sinne von § 19 Abs. 2 SchVG gewählt. In der Gläubigerversammlung vom 27.1.2020 wurde sodann ein Antrag auf Wahl eines anderen Insolvenzverwalters gestellt. Bezüglich der für den gemeinsamen Vertreter der Anleihegläubiger bei der Abstimmung zu berücksichtigenden Kopfzahl konnte die Gläubigerversammlung keine Einigung erzielen. Ebenso wenig konnte eine Einigung über das Stimmrecht der von Rechtsanwalt S vertretenen Darlehensforderungen erzielt werden. Der Rechtspfleger setzte das Stimmrecht für Rechtsanwalt L als gemeinsamem Vertreter der Anleihegläubiger auf 1 Kopf pro Anleihe fest. Für die von Rechtsanwalt S vertretenen Darlehensforderungen gewährte er ein Stimmrecht in Höhe von jeweils 1,00 €. Damit ergaben sich 8 Kopfstimmen für einen Verwalteraustausch, 41 Kopfstimmen - darin enthalten die 29 von Rechtsanwalt S vertretenen Darlehensgläubiger - dagegen. Der Rechtspfleger stellte fest, dass eine Summenmehrheit für den Verwalterwechsel vorliege, die erforderliche Kopfmehrheit jedoch nicht erreicht sei. Rechtsanwalt L beantragte sodann die richterliche Neufestsetzung des Stimmrechts gemäß § 18 Abs. 3 RPflG.

II. Die durch den Rechtspfleger vorgenommene Festsetzung auf eine Kopfstimme des gemeinsamen Vertreters der Anleihegläubiger pro Anleihe ist rechtlich zutreffend.

Rechtsprechung zur Frage, wie viele Köpfe der gemeinsame Vertreter der Anleihegläubiger bei Abstimmungen zählt, existiert soweit ersichtlich nicht. Befasst sich die obergerichtliche Rechtsprechung mit dem gemeinsamen Vertreter, geschieht dies im wesentlichen zur Frage der Prozessführungsbefugnis einzelner Anleihegläubiger und einer etwaigen Stellung des gemeinsamen Vertreters als Partei kraft Amtes. In diesem Zusammenhang führt der BGH im Beschluss vom 14.7.2016, IX ZA 9/16 und im Urteil vom 22.3.2018, IX ZR 99/17 aus, dass die Anleihegläubiger Inhaber der Forderung bleiben und der gemeinsame Vertreter sie rechtsgeschäftlich vertritt; es handle sich weder um eine gesetzliche noch eine organschaftliche, sondern um eine rechtsgeschäftliche Vertretung.

Aus dieser rechtsgeschäftlichen Vertretung den Schluss zu ziehen, dem gemeinsamen Vertreter so viele Köpfe wie Anleihegläubiger vorhanden zuzubilligen ist jedoch nicht überzeugend und erst recht nicht zwingend. Zutreffend ist zwar, dass die individuellen Forderungen der Anleihegläubiger erhalten bleiben und nicht auf den gemeinsamen Vertreter übertragen werden. Allerdings unterscheidet sich die Stellung des gemeinsamen Vertreters ganz erheblich von der Stellung eines individuell durch einzelne Vollmacht bestellten Vertreters. Denn im Gegensatz zur rechtsgeschäftlichen Vertretung aufgrund individuell erteilter Vollmacht vertritt der gemeinsame Vertreter alle Gläubiger, also auch solche, die sich an seiner Wahl nicht beteiligt haben oder einen anderen Kandidaten gewählt haben. Es erfolgt eine Vertretung durch eine Person, die der einzelne Gläubiger möglicherweise nicht gewählt hat mit einem Inhalt, den der einzelne Gläubiger möglicherweise ablehnt. Im Gegensatz zur individuell erteilten rechtsgeschäftlichen Vollmacht ist es für den einzelnen Gläubiger dabei auch nicht möglich, sich der Vertretung durch den gemeinsamen Vertreter zu entziehen, denn eine individuelle Möglichkeit, den gemeinsamen Vertreter abzuberufen, besteht nicht. Anders als bei der individuell erteilten rechtsgeschäftlichen Vollmacht kann der gemeinsame Vertreter auch nur einheitlich abstimmen. Dann aber ist auch nicht einzusehen, weswegen die einheitliche Stimme mit einer Vielzahl von Köpfen abgegeben werden sollte. Die Folgen der Wahl eines gemeinsamen Vertreters ( und auch schon die Auswahl selbst ) weichen für den einzelnen Gläubiger gravierend von den Folgen einer individuell erteilten Vollmacht ab. Dies führt nach Auffassung des erkennenden Gerichts dazu, dass der gemeinsame Vertreter bei den Kopfstimmen anders als ein individuell Bevollmächtigter zu behandeln ist. Das Gericht vermag sich daher der Auffassung in der Literatur, wonach dem gemeinsamen Vertreter so viele Kopfstimmen zuzubilligen sein sollen wie Anleihegläubiger vorhanden sind, nicht anzuschließen. Soweit diese Auffassung in der Literatur überhaupt begründet wird (ohne Begründung etwa: Veranneman - Rattunde, SchVG, 2. Auflg., 19 Rn. 79; Langenbucher/Bliesener/Spindler - Schneider, Bankenrechtskommentar, 2. Auflg., Kapitel 17 Rn. 20 - beide Zitate zur Kopfstimmenzahl bei Abstimmung über Insolvenzpläne - ; Blersch/Goetsch/Haas, Inso, § 19 SchVG 6.4 Rn. 31; Penzlin/Klerx, Das Schuldverschreibungsgesetz - Insolvenzrechtliche Sonderregeln für Anleihegläubiger, ZinsO 2004, 311, II. 4.; Schmidt - Jungmann, InsO, 19. Auflg., § 74 Rn. 35) wird hierbei auf die verbleibende Selbständigkeit der Forderungen verwiesen ( Kuder, Obermüller ZInsO 2009, 2025, Insolvenzrechtliche Aspekte des neuen Schuldverschreibungsgesetzes II.1.a); Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht - Knof, 7. Auflg., Anhang II SchVG Rn. 83; Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, 83. Lieferung, / 76 Rn. 26; Nerlich/Römermann- Weiß, 39.EL, § 77 Rn. 7). Dieses Argument aber ist eng verzahnt mit dem bereits untersuchten und für nicht durchgreifend befundenem Argument der rechtsgeschäftlichen Vertretung. Die verbleibende Selbständigkeit der Forderungen wird als Argument für die rechtsgeschäftlichen Vertretung herangezogen, ändert aber gerade nichts daran, dass der einzelne Gläubiger trotz seiner individuellen Forderung seine Rechte nicht mehr selbständig individuell ausüben kann.

Zudem hält das Gericht es für verfehlt, diesem beschriebenen Vertretungszwang inhaltlich noch weiter Geltung dadurch zu verschaffen, dass zusätzlich zu der ohnehin zu berücksichtigenden Forderungssumme aller Anleihegläubiger bei der Feststellung der Summenmehrheit auch noch eine Vielzahl von Köpfen geschaffen wird. Die Anleihegläubiger sind bereits dadurch privilegiert, dass durch die Wahl des gemeinsamen Vertreters summenmäßig auch Anleihegläubiger bei Abstimmungen gezählt werden, die sich ansonsten gar nicht am Verfahren beteiligt hätten. Typischerweise stellen die Anleihegläubiger bei über Anleihen finanzierten Unternehmen zudem ohnehin schon die ganz überwiegende Summenmehrheit, weswegen sie auch keiner besonderen weiteren Privilegierung bedürfen.

Soweit zur Begründung einer abweichenden Stimmrechtsfestsetzung argumentiert wird, dass auf den gemeinsamen Vertreter § 244 Abs. 2 InsO wegen der Selbständigkeit der Forderungen gerade nicht anwendbar ist, so spricht dies nicht gegen die durch das Gericht vertretene Auffassung. Vielmehr zeigt diese Vorschrift, dass es der Rechtsordnung nicht fremd ist, Kopfstimmen mehrerer Gläubiger zu vereinen. Gleiches gilt auch für § 244 Abs. 3 InsO, der unter Bezugnahme auf § 244 Abs. 1 Nr. 2 InsO regelt, dass bei der Abstimmung über einen Insolvenzplan innerhalb der Gruppe der am Schuldner beteiligten Personen es nur auf eine Mehrheit des abstimmenden Kapitalanteils ankommt und keine zusätzliche Kopfmehrheit erforderlich ist ( Lüer/Streit- Uhlenbruck, InsO, 15. Auflg., § 244 Rn. 8). Hier werden Kopfstimmen nicht nur in einer Stimme kumuliert, sondern gänzlich außen vorgelassen. Ein stetiger Gleichlauf zwischen der Anzahl von Forderungsinhabern und der Anzahl von Kopfstimmen ist damit gesetzlich gerade nicht geregelt. Bei § 244 Abs. 3 InsO überlagern rechtliche Grundsätze des Gesellschaftsrechts die Abstimmung im Rahmen eins Insolvenzverfahrens. Nach Wahl eines gemeinsamen Vertreters gilt es nach Auffassung des Gerichts die Besonderheiten seiner Rechtsstellung im Rahmen des Insolvenzverfahrens ebenfalls zu berücksichtigen.

Nach alledem schließt sich das Gericht der gerade in jüngeren Publikationen ( Hölzle, Thole, Beyß, Die verfahrensrechtliche Stellung von Anleihegläubigern und dem gemeinsamen Vertreter in der Insolvenz des Emittenten, KTS 2017, 471; Börkle/Hölzle - Martini Handbuch Insolvenzrecht, E.IV. Rn. 122 ff.; Rüberg, Die Anleihe in der Insolvenz, S. 189 ff) vertretenen Auffassung an, wonach für den gemeinsamen Vertreter pro Anleihe lediglich eine Kopfstimme zu berücksichtigen ist.

Hiernach wirkt sich die Frage, ob und in welcher Höhe den Darlehensgläubigern ein Stimmrecht zuzubilligen ist, nicht mehr auf das Ergebnis der Abstimmung aus. Auch ohne Berücksichtigung der Darlehensgläubiger liegen 8 Kopfstimmen für und 12 Kopfstimmen gegen die Wahl von Frau Rechtsanwältin H2 vor. Daher ist eine Entscheidung über das Stimmrecht der Darlehensgläubiger nicht veranlasst.

Düsseldorf, den 20.3.2020

H, Richterin am Amtsgericht

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