OLG Hamm, Urteil vom 28.05.2015 - 18 U 137/14
Fundstelle
openJur 2020, 4316
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 9.7.2014 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer - Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat das Rechtsmittel der Berufung verloren, nachdem sie ihre Berufung zurückgenommen hat.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 69 % und die Beklagte zu 31 %.

Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen

Gründe

A.

Der Kläger verfolgt gegen die Beklagte Ausgleichsansprüche gem. § 89 b HGB.

Er war Pächter einer Tankstelle nebst Waschanlage der Beklagten in L vom 14.3.2002 bis zum 30.11.2011. Zugrunde lag der " B Tankstellen- und B- Store-Konzeptvertrag (Tankstellenvertrag)" vom 4./8.12.2003. In diesem Vertrag heißt es u.a.:

IV. Waschgeschäft

17. B SuperWash

17.1 B hat ein Systemwaschgeschäft unter der Bezeichnung "B SuperWash" entwickelt. Es zeichnet sich insbesondere durch eine ein heitliche technische und optische Ausstattung der ... Anlagen aus. Das System beinhalten weiterhin ein von Aral herausgegebenes und mit namhaften Herstellern entwickeltes Wasch- und Reinigungschemie- Programm. Die Vertragsparteien stimmen überein, dass zur Wahrung eines einheitlichen Außenauftritts auch die angebotenen Waschpro- gramme einheitlich sein sollten.

17.2 B überlässt Partner eine Waschhalle einschließlich Autowaschanlage und Nebenaggregaten. Partner wird diese im eigenen Namen und auf eigene Rechnung unter der Bezeichnung "B SuperWash" betreiben.

...

VI. Abrechnung

26. Grundlagen

26.1 Partner wird für die im Rahmen dieses Vertrages betriebenen Geschäfte eine den Anforderungen von B entsprechende Buchführung einrichten. ...

Auf den weiteren Inhalt des Vertrages wird Bezug genommen. Mit Schreiben vom 16.3.2012 forderte der Kläger über seine Anwälte die Beklagte zur Zahlung des Handelsvertreterausgleichs in Höhe von insgesamt 598.279,16 €, davon 411.464,87 € für das sog. Shop-Geschäft, auf. Die Beklagte zahlte an den Kläger 124.950,00 €.

Der Kläger hat aus dem Kraft- und Schmierstoffgeschäft sowie aus dem Betrieb der Waschanlage eine - weitere - Ausgleichsforderung in Höhe von 61.864,29 € ermittelt. Er hat die Auffassung vertreten, es sei von dem Zeitraum 12/2010 bis 11/2011 auszugehen, in dem er Kraftstoff- und Mineralölprovisionen in Höhe von 96.263,00 € (netto) erhalten habe. Auch die ihm gem. Ziff. 24 des Vertrags gewährte "Dienstleistungsvergütung" von jährlich 18.000,00 € sei in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen, da es sich der Sache nach um eine "Kraftstoffprovision" handele. Außerdem seien auch die "Waschprovisionen" in Höhe von 41.195,00 € zu berücksichtigen. Es handele sich dabei nicht um Eigengeschäft des Pächters, sondern der Sache nach um Agenturgeschäft. Er habe keinerlei Möglichkeit, Art, Umfang, Preis oder sonstige wesentliche Merkmale der Leistungserbringung selbst frei zu bestimmen. Unter Berücksichtigung eines unstreitig gewordenen Stammkundenanteils von 79,81 % ergebe sich im Basiszeitraum ein Gesamtprovisionsbetrag von 123.272,93 €. Im Prognosezeitraum von 4 Jahren und unter Berücksichtigung einer jährlichen Abwanderung von 20 % errechne sich der Provisionsverlust mit 246.545,86 Euro (netto). Ein Verwaltungsanteil sei nicht abzusetzen, auch ein Abzug wegen "Sogwirkung" der Marke komme nicht in Betracht. Eine Abzinsung sei allenfalls in Höhe der aktuellen Zinssätze für Festgeld denkbar, müsse hier also unterbleiben. Der sog. Rohausgleich belaufe sich auf 293.389,57 €. Der Höchstbetrag belaufe sich gem. 186.814,29 €, so dass unter Berücksichtigung der Zahlung von 124.950,00 € ein Betrag von 61.864,29 € verbleibe.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn

1. 61.864,29 € nebst gesetzlicher Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.3.2012 sowie

2. außergerichtliche Kosten in Höhe von 1.825,70 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit

zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe bereits mehr erhalten, als ihm zustehe. Die Dienstleistungspauschale sei nicht in die Bemessungsgrundlage für den Ausgleichsanspruch einzubeziehen; ein Verwaltungskostenabzug von 10 % sei berechtigt, ebenso eine Kürzung wegen der Sogwirkung der Marke B. Das Waschgeschäft sei nicht ausgleichspflichtig, weil es gem. Ziff. 17 des Tankstellengeschäfts als Eigengeschäft betrieben werde.

Das Landgericht hat der Klage lediglich in Höhe von 32.697,08 € stattgegeben. Bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs sei die "Dienstleistungspauschale" zu berücksichtigen, doch sei eine Kürzung wegen verwaltender Tätigkeiten um 10 % vorzunehmen. Aus dem Waschgeschäft ergebe sich kein Ausgleichsanspruch, denn der Kläger habe die Waschanlage im eigenen Namen und auf eigene Rechnung betrieben.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge, soweit ihnen nicht stattgegeben worden ist, in vollem Umfang weiter.

Er meint, die Kammer habe das Waschgeschäft zu Unrecht als Eigengeschäft qualifiziert und einen Ausgleichsanspruch insoweit verweigert. Zunächst sei zu unterstellen bzw. im Wege der Schätzung festzustellen, dass der Stammkundenanteil im Waschgeschäft mit demjenigen im Kraftstoffgeschäft identisch gewesen sei. Er sei bezüglich des Betriebs der Waschanlage völlig in die Absatzorganisation der Beklagten eingegliedert gewesen. Es habe kein Mitspracherecht und auch keine unternehmerischen Freiheiten gegeben, namentlich auch keine Freiheit, über die Höhe der Waschpreise zu bestimmen.

Die Gründe, auf die das Landgericht einen Abzug wegen verwaltender Tätigkeiten in Höhe von 10 % stützt, trügen nicht. Die insoweit genannten Pflichten, namentlich die Einrichtung eines Buchhaltungssystems sowie die Speicherung von Daten, rechtfertigten einen Abzug in dieser Höhe nicht, zumal es an jeglichen Angaben zum Umfang der Pflichten des Klägers fehle. Abgesehen davon stünden auch diese Pflichten mit der werbenden Tätigkeit in untrennbarem Zusammenhang, genauso wie die Lagerhaltung oder das Inkasso.

Auch für die Annahme einer Sogwirkung lägen keine zureichenden Anhaltspunkte vor. Das bloße Abstellen auf die Bekanntheit der Marke B verfehle die Vorgaben des Bundesgerichtshofs.

Das Landgericht habe sich auch nicht mit den Aspekten auseinandergesetzt, die gegen eine Abzinsung sprächen.

Zu Unrecht sei ihm ferner der Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten versagt worden. Die Beklagte habe sich ab dem 1.12.2011 mit der Zahlung des Handelsvertreterausgleichs in Verzug befunden.

Der Kläger beantragt,

abändernd die Beklagte zu verurteilen, an ihn

1. unter Einbeziehung des erstinstanzlich ausgeurteilten Betrages 61.864,29 € nebst gesetzlicher Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.3.2012 sowie

2. außergerichtliche Kosten in Höhe von 1.825,70 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit

zu zahlen.

Die Beklagte hat sinngemäß beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, soweit sie zu einer Zahlung von mehr als 7.643,52 € zzgl. Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.3.2012 verurteilt worden ist.

Sie hat ihre Berufung im Hinblick auf die Entscheidung des BGH (Beschluss vom 13.11.2014 - Az. VII ZR 227/13) mit Schriftsatz vom 22.12.2014 zurückgenommen und beantragt nunmehr noch,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und bekräftigt ihre Auffassung, wonach dem Kläger für das Waschgeschäft kein Ausgleichsanspruch zustehe. Es habe keinerlei verbindliche Preisbestimmung gegenüber den Pächtern gegeben, auch keine Verpflichtungen zur Teilnahme an "Aktionen".

Nach wie vor sei die Abzinsung des Ausgleichsbetrags erforderlich, und zwar jedenfalls solange, wie § 352 HGB eine entsprechende Verzinsung von Forderungen unter Kaufleuten vorsehe. Die Sogwirkung sei mit einem Abschlag von 10 % zu berücksichtigen. Das folge u.a. daraus, dass die Beklagte sowohl dem Routex-Kartensystem als auch dem "Payback-System" angeschlossen sei, wodurch sie für viele Kunden attraktiv sei. Darüber hinaus trage sie jährlich Werbeaufwendungen von weit über 5 Mio. €, wodurch sie ihren Marktanteil halte.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der zu den Akten gereichten Anlagen Bezug genommen, namentlich auch auf die Ausführungen des Klägers in seinem Schriftsatz vom 16.4.2015.

B.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten kein höherer als der vom Landgericht ermittelte Ausgleichsanspruch aus § 89 b Abs. 1 HGB zu, wie sich aus der Berechnung unter Ziff. II. ergibt. Im Einzelnen:

1.

Die Dienstleistungspauschale in Höhe von 18.000,00 € ist bei der Bemessung der Ausgleichsforderung zu berücksichtigen. Dieser Aspekt ist nach Rücknahme der Berufung der Beklagten nicht mehr klärungsbedürftig.

2.

Zu Recht hat das Landgericht eine Kürzung der Bemessungsgrundlage wegen "verwaltender Tätigkeiten" im Umfang von 10 % vorgenommen.

a)

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind für den Ausgleichsanspruch solche Provisionen bzw. Provisionsteile nicht zu berücksichtigen, die der Handelsvertreter für Tätigkeiten erhält, die über seine "werbende" (vermittelnde, abschließende) Tätigkeit hinausgehen und mit denen der Handelsvertreter zusätzliche, für die Schaffung eines Kundenstamms nicht ausschlaggebende Aufgaben erfüllt, die ihm der Unternehmer überträgt und vergütet. Für die Erfüllung solcher zusätzlichen Aufgaben hat sich der Begriff "verwaltende Tätigkeiten" herausgebildet. Ob und inwieweit in der Provision eines Handelsvertreters auch Vergütungsanteile für vermittlungsfremde Tätigkeiten enthalten sind, richtet sich grundsätzlich nach der vertraglichen Vereinbarung, die der Tätigkeit des Handelsvertreters zugrunde liegt. Der Lagerung und Auslieferung, aber auch dem Inkasso kommt im Rahmen der Agenturtätigkeit eines Tankstellenhalters jedenfalls auch werbende Funktion zu, was für eine Berücksichtigung der auf sie entfallenden Vergütungsanteile im Rahmen des Ausgleichsanspruchs ausreichend ist (BGH, Urt. vom 12.2.2003, Az. VIII ZR 130/01, NJW-RR 2003, S. 821, ferner BGH NJW-RR 2010, S. 1550). Ebenfalls kommt den Tätigkeiten des Pächters im Bereich "Objekt/Sicherheit" jedenfalls auch werbende Funktion zu (BGH, Urteil vom 6.8.1997, Az. VIII ZR 92/96, NJW 1998, S. 71).

In seinem Urteil vom 19.1.2011 (VIII ZR 149/09) hat der Bundesgerichtshof weitere grundsätzliche Ausführungen zur Kürzung um einen Verwaltungskostenanteil gemacht. Er stellt klar, dass es der Verpächterin obliegt, "im Einzelnen darzutun, welche Aufteilung der Provision nach dem Vertrag angemessen ist, falls sie von der Beurteilung ihres Vertragspartners abweichen will", und dies nachzuweisen.

b)

Auch angesichts des Vortrags des Klägers, die vom Landgericht dargestellten verwaltenden Tätigkeiten erforderten nur einmalige Vorkehrungen bzw. Investitionen, die einen Abzug in Höhe von 10 % nicht rechtfertigten, schätzt der Senat den Verwaltungskostenanteil weiterhin auf 10 %. Der Kläger hatte mit den ihm ausgezahlten Provisionen u.a. auch die Kosten für die Erfüllung der in Ziff. 26.1 - 26.4 des Tankstellenvertrages geregelten Pflichten abzudecken, namentlich also diejenigen bezüglich der Buchhaltung und Buchführung. Diese Kosten sind, soweit sie durch das Agenturgeschäft verursacht sind, im vorliegenden Fall auf 10 % der diesbezüglichen Provisionseinnahmen zu schätzen. Dass der Aufwand, den der Kläger insoweit zu betreiben hatte, von dem anderer Pächter abwich, ist nicht ersichtlich. Auch bei der Tankstelle des Klägers handelte es sich um einen stark frequentierten Betrieb mit einer entsprechend hohen Zahl von Buchungsvorgängen, wie sich schon aus der Eingruppierung in Ziff. 21 des Tankstellenvertrages, aber auch aus den mitgeteilten Umsätzen ergibt. So betrug allein der Kraftstoffumsatz im letzten Vertragsjahr über 8,235 Mio. Liter, was bei einem durchschnittlichen Kraftstoffpreis von 1,30 € einem Umsatz von ca. 10,7 Mio. € entspricht, dem noch der Umsatz mit Schmierstoffen hinzuzurechnen ist. Bereits unter Berücksichtigung der in der StBGebV für die Buchführungstätigkeiten genannten Vergütungssätze (§ 33 und Anl. C) ergibt sich, dass bei der Inanspruchnahme der Leistungen eines Steuerberaters allein für Kontierung und Buchführung durchaus monatliche Kosten in einer Größenordnung von mehreren 100,00 € anfallen. Zwar sind im vorliegenden Zusammenhang allein die dem Kläger gegenüber der Beklagten gem. Ziff. 26 des Tankstellenvertrags obliegenden Pflichten, nicht hingegen seine steuerlichen Pflichten maßgebend, doch ist nicht ersichtlich, dass die Erfüllung der ersteren qualitativ oder quantitativ hinter der Erfüllung der letzteren zurückbleibt und deshalb lediglich mit geringerem Aufwand verbunden wäre. Der Abzug in Höhe von 10 %, der sich im vorliegenden Fall auf rund 11.000,00 € beläuft, ist daher nach wie vor plausibel, zumal der Kläger mit weiteren Pflichten belastet ist, die zusätzliche Kosten verursachen können. Hinzu kommt, dass in einer Vielzahl früherer Verfahren von "B-Pächtern" der Verwaltungskostenanteil von 10 % unstreitig gestellt worden ist (OLG Hamm, Urteil vom 25.8.2008, Az. 18 U 63/06, insoweit bestätigt in Urteil des BGH vom 11.11.2009, Az. VIII ZR 249/08). Damit besteht nach wie vor eine ausreichende Schätzungsgrundlage.

Das Bedürfnis für eine Kürzung der Provisionseinnahmen um einen Anteil für "verwaltende Tätigkeiten" ist auch nicht wegen der Zahlung der "Dienstleistungspauschale" entfallen, denn "verwaltende Tätigkeiten" lagen dieser Zahlungsverpflichtung der Beklagten gegenüber dem Kläger gar nicht zugrunde. Die mit die "Dienstleistungspauschale" abgedeckten Tätigkeiten standen vielmehr direkt mit der Abgabe der Kraftstoffe in Zusammenhang, ähnlich wie die Kosten der Lagerung und Ablieferung. Sie betrafen hingegen nicht solche Kosten, die dem Kläger durch die Auferlegung weiterer Aufgaben, die nicht mit dem Verkauf von Agenturwaren in Zusammenhang stehen, anfielen.

3.

Zu Recht ist auch eine Kürzung der Bemessungsgrundlage in Höhe von 10 % infolge der "Sogwirkung" vorgenommen worden.

Der Bundesgerichtshof hat einen Abzug von 10 % mehrfach als berechtigt angesehen. Im Urteil vom 21.4.2010 (Az. VIII ZR 108/09) heißt es beispielsweise, beim Ausgleichsanspruch eines Tankstellenhalters könne ein Billigkeitsabschlag gerechtfertigt sein, wenn dessen Verkaufsbemühungen durch eine von der Lage der Tankstelle oder der Marke des Produkts ausgehende "Sogwirkung" in nicht unerheblichem Maße gefördert werden. Die Abwägung der Ursächlichkeit von werbender Tätigkeit des Tankstellenhalters einerseits und der "Sogwirkung" von Lage, Marke oder Preis andererseits gehöre zum Kernbereich des tatrichterlichen Schätzungsermessens im Rahmen der Billigkeitsprüfung gem. § 89 Abs. 1 Nr. 3 HGB a.F. bzw. gem. § 89 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HGB n.F.

Nach diesen Maßstäben und in Ausübung des Schätzungsermessens ist auch im vorliegenden Fall eine Kürzung der Bemessungsgrundlage um 10 % vorzunehmen. Nach wie vor zählt "B" zu den Premium-Marken, die bei Kraftfahrern besonderes Vertrauen genießt. Daneben gründet der Abzug auf der guten Lage des Pachtobjekts. Denn die vom Kläger geführte Tankstelle wurde als eine solche mit "5 Sternen" eingruppiert (Ziff. 21.1 des Vertrages), und zwar wegen der "sehr hohen Frequenz" und des "guten Strukturmixes". Daran änderte sich im Laufe der Pachtzeit nichts Wesentliches. Etwas anderes hat auch der Kläger nicht mitgeteilt.

4.

Des Weiteren war eine Abzinsung vorzunehmen. Entgegen der Auffassung des Klägers rechtfertigt es das derzeit bestehende niedrige Zinsniveau nicht, davon abzusehen.

a)

Wie der Bundesgerichtshof mehrfach entschieden hat, ist der Ausgleichsanspruch abzuzinsen, da er an die Stelle der mit der Vertragsbeendigung entfallenden Provisionseinnahmen tritt, die sich bei einer Fortsetzung des Vertrages auf einen längeren Zeitraum verteilt hätten. Der Tatrichter kann unter den gebräuchlichen Methoden der Abzinsung frei wählen. Dazu gehört auch die Berechnungsmethode nach Gillardon (Urteil vom 12.9.2007, Az. VIII ZR 194/06; Urteil vom 8.11.1990, Az. I ZR 269/88, WM 1991, S. 602).

b)

Der Senat hält an der Ermittlung der Abzinsung unter Berücksichtigung eines Zinssatzes von 5 % p.a. nach der Multifaktoren-Tabelle von Gillardon fest. Abgesehen davon, dass im Jahr 2011 noch Guthabenzinsen etwa für Festgeldanlagen in Höhe von 3 % und mehr erreichbar waren, stellt die vorzeitige Verfügbarkeit über einen bestimmten Geldbetrag ohnehin einen Vorteil dar. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass für den Fall der Schuldentilgung auch deutlich höhere Sollzinsen erspart werden. Indes kommt es für die Höhe der Abzinsung nicht auf die konkrete Verwendung des zur Auszahlung gelangenden Handelsvertreterausgleichs an, vielmehr ist für die Bemessung des durch die vorzeitige Verfügbarkeit entstehenden Vorteils eine Prognose erforderlich und ausreichend. Der Ansatz einer Abzinsung um 5 % entspricht dabei auch der vom Gesetzgeber im Rahmen der §§ 41 Abs. 2 InsO, 352 Abs. 1 S. 1 HGB getroffenen Regelung, wonach eine Abzinsung nicht fälliger Forderungen aus Rechtsgeschäften unter Kaufleuten mit dem Betrag von 5 % p.a. vorzunehmen ist.

Es ergibt sich daraus für den maßgeblichen Vierjahreszeitraum der von der Beklagten benannte Quotient (43,423/48). Auch die sog. Hoffmann´sche Methode (BGH NJW 1991, S. 3274 mit Angabe der Formel; so auch Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Löwisch, HGB; 3. Aufl., § 89b Rn. 164) führt zu keinem dem Kläger günstigeren Ergebnis. Selbst wenn man diese Formel für den maßgeblichen Zeitraum von 4 Jahren auf einen Zinssatz von - lediglich - 3 % p.a. anwendet, ergibt sich immer noch ein Abschlag von ca. 10 %.

5.

Entgegen der Auffassung des Klägers muss das sog. Wasch-Geschäft bei der Bemessung des Ausgleichsanspruchs unberücksichtigt bleiben.

a)

Es fehlt bereits an der Schlüssigkeit des Ausgleichsbegehrens, weil der Kläger keine Angaben zum Stammkundenumsatzanteil am Waschgeschäft unterbreitet hat. Es kann nicht einfach angenommen werden, der Anteil der Stammkunden entspreche demjenigen des Kraftstoffgeschäfts oder jedenfalls dem des Shopgeschäfts, wie der Kläger in seinem Schriftsatz vom 16.4.2015 ausführt. Die "Wasch-Klientel" zu Zeiten des mit dem Kläger bestehenden Tankstellenvertrags kann sich durchaus von den tankenden oder den Shop nutzenden Kunden erheblich unterschieden haben.

b)

Ferner spricht Einiges dafür, dass der Kläger das Waschgeschäft als Franchise-Nehmer betrieben hat. Denn er nutzte die Marke B, hier in der Abwandlung "B SuperWash", und zahlte ein umsatzabhängiges Entgelt. Ferner fanden betriebswirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen (Empfehlung von "Aktionen") und Kontrollen statt (s.a. Münchener Komm. HGB / von Hoyningen-Huene Vor § 84 Rn. 18).

Die Qualifikation des Waschgeschäfts als Franchising bedarf aber keiner Entscheidung. Läge insoweit ein Franchisevertrag vor, könnte der Kläger in entsprechender Anwendung des § 89 b Abs. 1 HGB jedenfalls schon deshalb keinen Ausgleich verlangen, weil eine bloß faktische Übertragung des Kundenstammes, wie sie hier offensichtlich erfolgt ist, für die entsprechende Anwendung von § 89 b HGB auf Franchiseverträge, die ein anonymes Massengeschäft betreffen, nicht reicht (BGH, Urteil vom 5.2.2015, Az. VII ZR 109/13).

c)

Die Herleitung eines Ausgleichsanspruchs in analoger Anwendung des § 89 b Abs. 1 HGB kommt auch nicht mit der Begründung in Betracht, der Kläger stehe bezüglich des Waschgeschäfts - unabhängig von seiner Qualifikation als Franchisenehmer - jedenfalls wegen seiner Eingliederung in die Absatzorganisation der Beklagten einem Handelsvertreter gleich.

Es fehlt es auch im vorliegenden Fall an der erforderlichen Eingliederung des Klägers als Betreiber der Waschanlage in die Absatzorganisation der Beklagten.

Von einer solchen Eingliederung kann (nur) dann gesprochen werden, wenn sich das "Vertragsverhältnis nicht in einer bloßen Verkäufer-Käufer-Beziehung erschöpft". Dazu gehört, dass sich der Vertragshändler bzw. Franchise-Nehmer für den Vertrieb der Erzeugnisse des Herstellers wie ein Handelsvertreter einzusetzen hat und auch im Übrigen Bindungen und Verpflichtungen unterliegt, wie sie für einen Handelsvertreter typisch sind. Indessen ist es nicht notwendig, dass alle vertretertypischen Kriterien vorliegen, sondern es genügt, dass diejenigen Kriterien gegeben sind, die dazu führen, das der Vertragshändler eine dem Handelsvertreter vergleichbare Stellung einnimmt. Dazu gehört insbesondere die vertretertypische Interessenwahrnehmungspflicht und das Verbot des Vertriebs von Konkurrenzwaren (Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Bd. 2, 8. Aufl., II Rn. 76).

Nach den vorgenannten Kriterien stand der Kläger bezüglich des Wasch-Geschäfts nicht einem Handelsvertreter gleich: Zwar sprechen für die Eingliederung des Klägers in die "Absatzorganisation" der Beklagten die unstreitig äußerst beschränkte Auswahlmöglichkeit bezüglich der Waschchemie-Lieferanten, die zumindest faktisch vorgegebenen Waschprogramme sowie die elektronischen Kontrollmechanismen hinsichtlich der "verkauften" Wäschen. Andererseits hatte der Kläger bezüglich der Preisgestaltung noch einen gewissen Spielraum.

Aus dem Schriftsatz des Klägers vom 8.7.2014, in dem er umfangreich zu seiner Eingliederung in die Absatzorganisation der Beklagten und zu fehlenden unternehmerischen Entscheidungsspielräumen betreffend das Waschgeschäft vorgetragen hat, ergibt sich nichts anderes. Der Vortrag ist zu berücksichtigen, auch wenn der Schriftsatz unter Verstoß gegen § 132 Abs. 1 ZPO vorgelegt worden ist. Die Voraussetzungen einer Präklusion, die nur unter den Voraussetzungen des § 296 Abs. 2 ZPO möglich ist und auch das Erwägen der Abhilfemöglichkeit des § 283 ZPO voraussetzt (Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 132 Rn. 3), lagen nicht vor. Doch lässt sich auch aus diesem Vortrag des Klägers nicht entnehmen, dass der Pächter die eigenständige Festsetzung der Waschpreise von Aral genommen war. Die angebliche Vorgabe von Planzahlen durch B, die schon von ihrem Begriff her keine rechtliche Verbindlichkeit beanspruchen, weil sie eben nur einer Planung entstammen, steht dem nicht entgegen. Der Kläger führt im Übrigen selbst aus, dass der Pächter "während des laufenden Geschäftsjahres" sogar zu Preiserhöhungen genötigt sein kann, um das geplante Betriebsergebnis zu erreichen (Bl. 197 d.A.).

Im Übrigen bestand weder eine rechtliche Verpflichtung, an den ihm von der Beklagten zur Ankurbelung des Kraftstoffgeschäfts angedienten "Aktionen" teilzunehmen, noch ein Wettbewerbsverbot zugunsten der Beklagten. Der Kläger war auch nicht gehalten, das Wasch-Geschäft von sich aus gezielt zu forcieren. Er schuldete der Beklagten im Übrigen weder Informationen über den Geschäftsverlauf betreffend die Waschanlage oder gar eine aktive "Marktbeobachtung". Dass die Beklagte aufgrund der ihr gewährten Möglichkeiten der Datenübertragung über sämtliche "Geschäftsvorfälle" in Bezug auf die Waschanlage stets im Bilde war, ist nicht von Belang, weil keine entsprechenden Pflichten des Klägers in Bezug auf den Betrieb der Waschanlage bestanden.

Insgesamt gesehen lässt sich daher nicht feststellen, dass der Kläger bezüglich des Wasch-Geschäftes der Beklagten gegenüber Pflichten ähnlich einem Handelsvertreter wahrzunehmen hatte. Der Betrieb der Waschanlage stellte vielmehr einen dem Kraftstoff- und dem Shop-Geschäft faktisch nachgeordneten Servicebereich dar.

6.

Dem Erfolg der Berufung des Klägers steht im Übrigen, soweit er eine Abänderung des Urteils um mehr als 1.877,41 €, erstrebt, bereits die Kappungsgrenze gem. § 89 b Abs. 2 HGB entgegen, wie in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist.

a)

Zu Unrecht hat der Kläger bei seiner Berechnung (Bl. 24f. d.A.) die von ihm sog. Waschprovisionen mit berücksichtigt, die sich in den letzten 5 Jahren des Tankstellenvertrages auf immerhin 114.663,00 € netto beliefen. Ohne diese Einnahmen ergäbe sich ein Durchschnittsbetrag von lediglich 134.054,20 € (netto) oder 159.424,49 € (brutto) statt der vom Kläger errechneten 186.814,29 € (brutto). Unter Berücksichtigung der unstreitig bereits gezahlten 124.950,00 € (brutto) verblieben folglich nur noch 34.574,49 €, von denen der Kläger mit dem Urteil - aufgrund der Berufungsrücknahme seitens der Beklagten rechtskräftig - weitere 32.697,08 € zugesprochen erhalten hat. Seine Berufung könnte mithin allenfalls in Höhe weiterer 1.877,41 € Erfolg haben.

b)

Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass bei der Kappungsgrenze nicht nur "reine" Provisionszahlungen, sondern auch "sonstige Vergütungen" einzubeziehen sind (Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Löwisch, a.a.O., Rn. 167f.). Zwar sind in die Berechnung des Höchstbetrages sämtliche erzielten Provisionen, auch soweit sie nicht auf Stammkunden entfallen, sowie sog. Verwaltungsprovisionen einzubeziehen (z.B. Küstner/Thume, Hdb. des gesamten Vertriebsrechts, Bd. 2, 9. Aufl., Kap. XII Rn. 12). Doch gilt diese Ausweitung der Bemessungsgrundlage für die Kappungsgrenze nicht für solche Vergütungen, die der Handelsvertreter nicht in Bezug auf seine Handelsvertretertätigkeit, sondern z.B. aufgrund einer daneben geführten eigenen kaufmännischen Betätigung - etwa aus Franchise-Verträgen - erhält. So liegt es hier aber bei dem Betrieb der Waschanlage, die aus den genannten Gründen (soeben Ziff. 5 c)) nicht als Handelsvertretertätigkeit anzusehen ist.

Die Auffassung, wonach sich der Höchstbetrag im Sinne von § 89 b Abs. 2 HGB nicht auch unter Einbeziehung handelsvertreterfremder Einnahmen ermittelt, teilt offensichtlich auch der Kläger, denn auch er sieht davon ab, seine Einnahmen aus dem B-Shop in die Bemessung des Höchstbetrages einzustellen.

II.

Nach dem vom Landgericht angewandten und nicht zu beanstandenden Berechnungsschema ergibt sich mithin folgender Ausgleichsanspruch des Klägers:

Parameter

Betrag

a) letzte Jahresprovision

91.755,00 €

3.508,00 €

b) Berücksichtigung der "Dienstleistungspauschale"

18.000,00 €

Summe

113.263,00 €

c) Vornahme eines Abzugs von 10 % für verwaltende Tätigkeiten

101.936,70 €

d) unstreitiger Stammkundenabsatzanteil (79,81 %)

81.355,68 €

e) Kumulierung der Provisionsverluste (200 % über 4 Jahre, ausgehend von Abwanderungsquote von jährlich 20 %)

162.711,36 €

f) abzüglich 10 % für Sogwirkung

146.440,23 €

g) weitere Billigkeitsaspekte

h) abgezinst nach Gillardon (Zeitraum 4 Jahre; Zinssatz 5 % p.a., also Faktor 43,423/48)

132.476,54 €

i) zzgl. USt.

157.647,08 €

j) Berücksichtigung des

Wasch- Geschäfts

0,00 €

l) unstreitige Erfüllung durch Zahlung

- 124.950,00 €

verbleiben

32.697,08 €

Der Betrag von 32.697,08 € ist vom Landgericht zugesprochen worden.

III.

Dem Kläger steht kein Anspruch auf vorgerichtliche Anwaltskosten zu.

Ein solcher Anspruch kann sich unter den Voraussetzungen des §§ 280 Abs. 2, 286 BGB ergeben. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt: Auch wenn der Ausgleichsanspruch bereits mit Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses am 30.11.2011 fällig geworden ist, ist die Beklagte nicht schon am 1.12.2011 mit dem Ausgleich in Verzug geraten. Der Kläger kann sich nicht auf § 286 Abs. 2 Ziff. 1. oder 2. berufen, nach denen in bestimmten Fällen eine Mahnung entbehrlich ist. Denn die Entbehrlichkeit der Mahnung, sollte sie zu bejahen sein, führt hier noch nicht zur Begründung von Verzug. Dazu ist auch ein Verschulden des Zahlungspflichtigen erforderlich. Der ausgleichspflichtige Unternehmer bedarf aber im Einzelfall noch tatsächlicher Angaben des Handelsvertreters, um den Ausgleichsanspruch überhaupt berechnen zu können. Das trifft im vorliegenden Fall jedenfalls auf den Stammkundenumsatzanteil des Klägers zu, den der Kläger zunächst selbst zu ermitteln hatte. Er bediente sich dazu der Fa. E, die ihre Ausarbeitungen erst unter dem 17.2.2012 abschloss. Die Beklagte kann daher frühestens nach Zuleitung dieser Analyse sowie einer angemessenen Bearbeitungsfrist in Verzug geraten sein.

Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich nicht, dass er seinen Prozessbevollmächtigten erst nach Ablauf dieser Bearbeitungsfrist einschaltete.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO. Bei der Ermittlung der Kostenquote war zu berücksichtigen, dass die Beklagte bis zur Rücknahme ihrer Berufung an den dadurch ausgelösten Gerichtskosten und Verfahrensgebühren beider Prozessbevollmächtigter beteiligt war; lediglich die erst nach der Berufungsrücknahme entstandenen Terminsgebühren waren insgesamt vom Kläger zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Veranlassung zur Zulassung der Revision besteht nicht. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Befassung des Bundesgerichtshofs nicht geboten.