VG Köln, Urteil vom 28.02.2020 - 14 K 1198/17.A
Fundstelle
openJur 2020, 4250
  • Rkr:

1. Keine die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus rechtfertigende Bedrohungslage in der Provinz Kunar.

2. Kein Abschiebungsverbot aus humanitären Gründen für alleinstehenden Mann, dessen Frau mit minderjährigen Kindern in Afghanistan verblieben ist, wenn diese dort durch familiäres Netzwerk ihren Lebensunterhalt sicherstellen können, da der Mann bei Rückkehr dieses um seine Arbeitskraft ergänzt.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, paschtunischer Volkszugehörigkeit, muslimischen Glaubens und stammt aus N. in der Provinz L. . Er verließ sein Heimatland eigenen Angaben zufolge am 5. September 2015 und reiste am 5. November 2015 auf dem Landweg in das Bundesgebiet ein, wo er vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag stellte.

In seiner Anhörung vor dem Bundesamt gab er im Wesentlichen an, Afghanistan verlassen zu haben, da er aufgrund seiner musikalischen Tätigkeit von radikalen Islamisten bedroht worden sei. Diese hätten ihn aufgefordert, mit dem Sitar spielen und Singen aufzuhören. Er habe in diesem Zusammenhang auch zwei Drohbriefe enthalten. Im zweiten Drohbrief habe gestanden, dass er entweder diese "teuflische Tätigkeit" beenden oder auf den Tod warten solle. Gesehen oder persönlich begegnet sei er den Leuten nie. Da das Sitarspiel sein Hobby sei, habe er damit nicht aufgehört. Endgültig zur Ausreise sei er veranlasst worden, als sein Haus von radikalen Islamisten angegriffen und dabei einer seiner Brüder getötet worden sei. Sein anderer Bruder habe daraufhin unverzüglich seine Ausreise veranlasst. Seine Frau und fünf Kinder würden sich weiterhin daheim in Afghanistan aufhalten, sein Bruder kümmere sich um diese.

Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 17. Januar 2017 die Anträge des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ab. Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an.

Der Kläger hat dagegen Klage erhoben, zu deren Begründung er auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren verweist. Mit Schriftsatz vom 13. März 2019 trug der Kläger ergänzend vor, in fachärztlicher Behandlung zu sein und reichte hierfür einen Überweisungsschein aus dem Jahr 2017 sowie ein Attest aus dem Jahr 2018 sowie aus 2020 zu den Akten. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf Bl. 47 ff. der Gerichtsakte verwiesen. Ferner trug er vor, dass seine Familie kein Mobiltelefon habe, er jedoch mit einem Bekannten in Kontakt stehe. Diesen könne er zwar aktuell nicht erreichen, er habe dem Kläger aber mehrere Dokumente wie Drohbriefe und eine Bestätigung der Dorfältesten übersandt. Letztere reichte er in Kopie zu den Akten (Bl. 40 ff. der Gerichtsakte).

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids vom 17. Januar 2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen,

weiter hilfsweise, die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des vorgenannten Bescheids zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge einschließlich der Ausländerakte Bezug genommen.

Gründe

Das Gericht kann trotz des Ausbleibens der Beklagten auf Grund der mündlichen Verhandlung entscheiden. Die Beklagte wurde fristgemäß geladen und darauf hingewiesen, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten, ihm die Flüchtlingseigenschaft (1.) oder subsidiären Schutz (2.) zuzuerkennen oder festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (3). Denn der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1, 5 Satz 1 VwGO.

1. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 AsylG zu. Denn er ist kein Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG.

Danach setzt die Flüchtlingseigenschaft voraus, dass der Ausländer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner politischen Überzeugung oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslands befindet. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 4. Juli 2019 - 1 C 37.18 -, juris, Rn. 13 f., und vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, juris, Rn. 19, 32.

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt nach § 3a AsylG eine Verfolgungshandlung von bestimmter Art und Schwere voraus, die an einen der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten und in § 3b Abs. 1 AsylG näher erläuterten Gründe anknüpft und vom Staat, einer den Staat beherrschenden Gruppierung oder Organisation oder einem nichtstaatlichen Handelnden ausgeht (§ 3c AsylG). Gegen diese Verfolgung darf es darüber hinaus keinen effektiven Schutz im Herkunftsland geben (vgl. §§ 3d, 3e AsylG).

Die eine Verfolgungsgefahr begründenden Umstände müssen zur Überzeugung des Gerichts feststehen (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Asylsuchende muss bei der Aufklärung des Sachverhalts mitwirken und selbst die Tatsachen vortragen, die seine Furcht vor Verfolgung begründen (§§ 15 Abs. 1 Satz 1, 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz VwGO, vgl. auch Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2011/95/EU). Er ist dabei gehalten, die in seine Sphäre fallenden tatsächlichen Umstände substantiiert und in sich stimmig zu schildern sowie eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien nachvollziehbar aufzulösen (vgl. auch Art. 16 Satz 2 Richtlinie 2013/32/EU). Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts sind u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Schutzsuchenden zu berücksichtigen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 1998 - 2 BvR 253/96 -, juris, Rn. 4; BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13.09 -, juris, Rn. 19, und Beschluss vom 26. Oktober 1989 - 9 B 405.89 -, juris, Rn. 8.

Gemessen daran ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Kläger sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG außerhalb seines Herkunftslandes Afghanistan befindet. Das vom Kläger beschriebe - vermeintlich ausreiserelevante - Kerngeschehen blieb auch nach dessen Anhörung im Rahmen der mündlichen Verhandlung in sich vage und widersprüchlich. Das Gericht geht daher nicht davon aus, dass der Kläger insoweit wahre Begebenheiten schildert. Im Einzelnen: So will der Kläger ausweislich seiner Angaben vor dem Bundesamt beim Angriff auf sein Haus auf dem Heimweg von einer Feier gewesen sein und von außen die Schießereien gehört haben. Ein Bewohner des Ortes habe ihm dann gesagt, dass sein Haus angegriffen worden sei. Er sei daraufhin noch in der Nacht geflohen. Erst später führte er aus, dass dabei auch sein Bruder getötet worden sei. Dieser sei aus dem Haus gekommen, bedroht worden und es sei nach dem Kläger gefragt worden. Als sein Bruder erwidert habe, wer die - angeblich mit einem Tuch verhüllten Männer - gewesen seien, sei dieser getötet worden. Nunmehr führte der Kläger im Rahmen der weiteren Anhörung aus, während des Vorfalls in einem anderen Haus bei Freunden gewesen zu sein. Ein Freund sei dann aufgrund der Schießereien rausgegangen, um nachzuschauen. Beide Geschehensabläufe sind aufgrund der unterschiedlichen Darstellung zu den beteiligten Personen und Orten nicht in Einklang zu bringen. Es bleibt zudem fraglich, wie der Kläger - der nach eigenen Bekunden nicht zugegen war - genaue Gesprächsinhalte feststellen konnte. Prozessgesteigert ist sein Vortrag insoweit, als der Kläger vor dem Bundesamt noch angab nicht zu wissen, wer die Leute seien und diese persönlich auch nie getroffen zu haben. Im Rahmen der Verhandlung gab er demgegenüber konsequent zu Protokoll, dass es sich um Taliban handeln würde und diese verlangt hätten, dass er religiöse Lieder spielen solle. Auf Frage, ob er genau wisse, wer ihn bedroht habe, antwortete er ausweichend und ersichtlich prozessorientiert, dass sein Dorf unter Taliban Herrschaft stehe und viele Bewohner mit diesen kooperieren würden und daher wüssten, wenn er zurück käme. Auch stellte sich das Geschehen nach seinen Angaben vor dem Bundesamt und zunächst auch in der Verhandlung noch dergestalt dar, dass es eine mögliche Option für den Kläger gewesen wäre, mit dem Spielen aufzuhören, was er - da es sein Hobby - war, ablehnte. Gegenteiliges führte er demgegenüber erst auf Suggestivfrage seines Bevollmächtigten aus. Eine Aufgabe der Musik oder Verlagerung in den Privatbereich hinein wäre ihm indessen zuzumuten gewesen, denn es ist - auch wenn der Kläger sein Hobby mit Leidenschaft betreibt - nicht erkennbar, dass dieses zum unauflösbaren Kern seiner Identität gehört. Auf die weiteren Fragen, welche im Rahmen des dann maßgeblichen § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG zu klären wären, kommt es damit bereits nicht an. Auch die eigens zu den Akten gereichten angeblichen Drohbriefe belegen vielmehr, dass der Kläger - sofern überhaupt eine Gefährdung vorlag - wovon das Gericht aufgrund der aufgezeigten Unstimmigkeiten nicht ausgeht, hätte mit dem Spielen aufhören können. Ebenso nicht erklärbar bleibt, wieso der Kläger nach seinem eigenen Bekunden im Verwaltungsverfahren erst - trotz der angeblichen Drohbriefe - überhaupt keine konkrete Bedrohung fürchtete, dann jedoch nach dem Angriff auf sein Haus noch in der Nacht Afghanistan verließ, ohne selbst daheim nachzuschauen. Dass der Bruder dann innerhalb von 15 Tagen eine komplette Ausreise nebst Traktor- und Landverkauf organisierte, erscheint zumindest zweifelhaft. Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers bestehen ferner, da dieser die Frage des Bundeamtes, ob er in seinem Heimatland Personalpapiere besessen habe, verneinte, nun jedoch angab, eine Tazkira zu besitzen. Die Frage vor dem Bundesamt will er falsch verstanden haben. Diese war indessen eindeutig auf die Existenz von Dokumenten im Heimatland formuliert. Auf Nachfrage im Rahmen der mündlichen Verhandlung, warum der Kläger diese Tazkira immer noch nicht zu den Akten gereicht habe antwortete er, dass sein Bruder diese erst nicht gefunden habe, ihm aber bestätigt habe, dass diese noch da sei. Eigentlich will der Kläger aber zu seinem Bruder mangels Mobiltelefon keinen Kontakt mehr haben, obgleich er wiederum auf seinem Handy in der mündlichen Verhandlung ein Foto seines Bruders, aufgenommen auf der Beerdigung des anderen Bruders, zeigen wollte. Auch der vorgenannte Vortrag erweist sich damit als prozessangepasst. In der Zusammenschau konnte das Gericht daher aufgrund der vielfältigen Ungereimtheiten nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen.

2. Dem Kläger steht auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG nicht zu.

Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder die ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens muss von einem Verfolgungsakteur i. S. d. §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3c AsylG ausgehen.

a) Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1 AsylG wegen einer Straftat gesucht wird und bei seiner Rückkehr nach Afghanistan die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

b) Dem Kläger droht im Fall der Rückkehr auch keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Denn aus den zu § 3 AsylG genannten Gründen ist der Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlich von einer unmenschlichen Behandlung bedroht.

c) Der Kläger kann auch nicht im Rahmen von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG geltend machen, wegen etwaigen Problemen bei der Existenzsicherung in einer Verletzung von Art. 3 EMRK bedroht zu sein. Denn eine den subsidiären Schutz begründende Gefahr eines ernsthaften Schadens in Form von Folter oder unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung muss stets von einem Akteur im Sinne des § 4 Abs. 3 i. V. m. § 3c AsylG ausgehen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 - 1 B 2.19 -, juris, Rn. 6, und Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, juris, Rn. 29; vgl. zu Art. 15 lit. b der Richtlinie 2011/95/EU EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2014 - C-542/13 -, juris, Rn. 35.

Dies ist im Hinblick auf die gegenwärtige Lage in Afghanistan nicht der Fall. Die schlechte Versorgungslage (betreffend Nahrung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung) wird durch die schlechte wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans, die dort herrschenden Umweltbedingungen (also insbesondere die schwierigen klimatischen Bedingungen sowie Naturkatastrophen) sowie maßgeblich durch die volatile Sicherheitslage negativ beeinflusst und bestimmt. Insofern ist nicht festzustellen, dass einem der in Betracht kommenden Akteure ein wesentlicher Beitrag direkt oder indirekt anzulasten wäre und eine Verhaltensänderung zu einer unmittelbaren Verbesserung der Lage führen könnte.

Vgl. OVG Rlp., Urteil vom 22. Januar 2020 - 13 A 11356/19 -, juris, Rn. 62; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24. Januar 2018 - A 11 S 1265/17 -, juris, Rn. 101 ff.; a. A: VG Köln, Urteil vom 12. Dezember 2017 - 5 K 3637/17.A -, juris, Rn. 48 ff.

d) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes wegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.

In Afghanistan herrscht - jedenfalls in einigen Landesteilen - ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Liegen in der Person des Schutzsuchenden - wie hier - keine besonderen, gefahrerhöhenden Merkmale vor, kann eine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG jedoch nur angenommen werden, wenn der Grad willkürlicher Gewalt ein derart hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr, einer Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit ausgesetzt zu sein.

Vgl. EuGH, Urteile vom 17. Februar 2009 - C-465/07 -, juris, Rn. 35 ff., und vom 30. Januar 2014 - C-285/12 -, juris, Rn. 30.

Eine entsprechende Gefahrendichte kann nicht allein deshalb bejaht werden, weil ein Zustand permanenter Gefährdungen der Bevölkerung und schwerer Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des innerstaatlichen Konflikts festgestellt wird. Vielmehr erfordert die Bestimmung der Gefahrendichte eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Im Rahmen der quantitativen Bewertung hat das Bundesverwaltungsgericht ein Risiko von ca. 1/800 (0,125 %) oder 1/1000 (0,1 %) verletzt oder getötet zu werden als bei weitem nicht ausreichend angesehen, um von einer individuellen Bedrohung ausgehen zu können.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 -, juris, Rn. 22, und vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, juris, Rn. 32 f.

Bezugspunkt für die nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG anzustellende Gefahrenprognose ist der tatsächliche Zielort des Ausländers bei seiner Rückkehr. Dies ist regelmäßig die Herkunftsregion des Asylsuchenden in die er typischerweise zurückkehren wird.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - juris, Rn. 13 f., und vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 -, juris, Rn. 16.

Dies ist vorliegend die Provinz L. .

Weder der EASO Bericht aus Juni 2019 noch die zuletzt von UNAMA im Februar 2020 bekannt gegebenen Zahlen weisen für L. unter Berücksichtigung der dortigen Einwohnerzahl ein entsprechend hohes Risiko aus.

Vgl. UNAMA, Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Annual Report 2019, S. 94 sowie EASO, Country Guidance Afghanistan, Stand Juni 2019, dort S. 105; zu der Einwohnerzahl EASO, Afghanistan Security Situation, Juni 2019, S. 186.

Auch unter Berücksichtigung eines Sicherheitszuschlags liegt das entsprechende Risiko im - rechtlich insoweit irrelevanten - Promillebereich.

3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. In Betracht kommt insoweit insbesondere ein Verbot aus Art. 3 EMRK, wonach niemand unmenschlich oder erniedrigend behandelt werden darf.

Dem Kläger droht in seinem Heimatort keine Verletzung aus Art. 3 EMRK. Eine Gefährdung aus individuellen Gründen ist aus den zu §§ 3, 4 AsylG genannten Gründen nicht anzunehmen. Dem Kläger droht auch keine Verletzung von Art. 3 EMRK wegen der Sicherheitslage (unten a) oder der humanitären Situation (unten b).

a) Trotz des seit vielen Jahren extremen Gewaltniveaus in Afghanistan besteht nicht für jede Person in L. die beachtliche Wahrscheinlichkeit, durch Anschläge oder Kampfhandlungen getötet oder verletzt zu werden. Die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG herangezogene Gefahrenschwelle von 1:800, die entsprechend auch im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK angewendet werden kann, wird selbst unter der Berücksichtigung der nicht vollständig gesicherten Datenlage - wie zuvor ausgeführt - nicht erreicht.

b) Die humanitäre Situation in L. führt ebenfalls nicht auf eine Verletzung von Art. 3 EMRK.

Insoweit ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK in Bezug auf die allgemeinen humanitären Verhältnisse ein extremes Gefahrenniveau erforderlich ist, da nur dann ein ganz außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem die humanitären Gründe gegen die Abschiebung zwingend sind.

OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2019 - 13 A 3741/18.A -, juris unter Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 - 1 B 2.19 -, juris, Rn. 10; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 29. Januar 2019 - 9 LB 93/18 -, juris, Rn. 51; VGH Bad-Württ., Urteile vom 12. Dezember 2018 - A 11 S 1923/17 -, juris, Rn. 121 ff., und vom 12. Oktober 2018 - A 11 S 316/17 -, juris, Rn. 170 ff.; Bayerischer VGH, Urteil vom 8. November 2018 - 13a B 17.31960 -, juris, Rn. 40; jeweils m.w.N.

Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Kläger trotz der in Afghanistan vorherrschenden sehr schwierigen Verhältnisse für Rückkehrer und insbesondere dabei auch für Familien mit kleinen Kindern,

allgemein zur Situation für Rückkehrerinnen und Rückkehrer etwa Bericht des Auswärtigen Amtes über die asylund abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 2. September 2019 (Stand Juli 2019), speziell zur Situation von Rückkehrern m.w.N. zur Rechtsprechung etwa VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26. Juni 2019 - A 11 S 2108/18 -, juris,

nicht in eine Art. 3 EMRK verletzende besondere Ausnahmesituation im oben dargestellten Sinn geraten würde. Denn die Familie des Klägers ist gegenwärtig sogar ohne den Kläger durch dessen Bruder versorgt und lebt weiterhin im Familienheim. Der Kläger kann daher nicht nur bei seiner Rückkehr auf ein bestehendes Netzwerk zurückgreifen, sondern erweitert dieses sogar durch seine Arbeitskraft. Insoweit ist ferner zu berücksichtigen, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers auch vor seiner Ausreise gut waren und er sowohl durch seine Tätigkeit als LKW-Fahrer als auch in der Landwirtschaft Geld verdiente. Sein Bruder verfügt zudem über Land, so dass sogar eine unmittelbare Arbeitsaufnahme möglich erscheint. Weiterhin ist in die Erwägung einzustellen, dass der Kläger auch in Deutschland erwerbstätig ist und damit seine Fähigkeiten individuell sogar gesteigert haben dürfte.

Dem Kläger steht schließlich auch der geltend gemachte Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht zu. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Soweit es um die allgemeine Sicherheitslage und humanitäre Situation in Afghanistan geht, gelten die obigen Ausführungen hier entsprechend (zumal nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG diesbezüglich ein hier nochmals verschärfter Maßstab gilt, nämlich der Maßstab der alsbaldigen Realisierung einer extremen Gefahrenlage mit hoher Wahrscheinlichkeit).

Vgl. BVerwG, Urteile vom 8.11.2011 - 10 C 14.10 - juris, Rn. 22 ff. und vom 31.1.2013 - 10 C 15.12 -, juris Rn. 38 ff.

Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen liegen ebenfalls nicht vor, weil eine behandlungsbedürftige Erkrankung des Klägers nicht feststellbar ist. Insbesondere sind die Atteste aus den Jahren 2018 nicht geeignet, den aktuellen Gesundheitszustand des Klägers zu belegen. Soweit im fünf Zeilen umfassenden Attest aus dem Jahr 2020 eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vermutet wird, entspricht das Attest noch nicht einmal im Ansatz den Anforderungen, die an diesbezügliche Atteste zu stellen sind.

Vgl. zu den Anforderungen BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 -, juris Rn. 15 ff. zur PTBS. Zur Übertragung dieser Rechtsprechung zur PTBS auf alle psychischen Krankheiten siehe z.B. OVG NRW, Beschluss vom 21. März 2017 - 19 A 2461/14.A -, juris Rn. 15 ff.

4. Die Androhung der Abschiebung findet ihre hinreichende Grundlage in § 34 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG und ist rechtlich nicht zu beanstanden.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 80 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder

2. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

3. ein in § 138 der VwGO bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen.

Statt in Schriftform können die Einlegung und die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) erfolgen.

Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der VwGO im Übrigen bezeichneten und ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.

Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.

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