AG Düsseldorf, Urteil vom 27.11.2019 - 46 C 60/19
Fundstelle
openJur 2020, 3610
  • Rkr:
Tenor

hat das Amtsgericht Düsseldorf

auf die mündliche Verhandlung vom 04.09.2019

durch die Richterin am Amtsgericht H

für Recht erkannt:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für die außergerichtliche Geltendmachung eines Schmerzensgeldanspruchs wegen psychischer Beeinträchtigungen gegen die Firma I-AG aus Anlass der Einnahme des Medikaments X seit dem Jahr 2015 bis zu dessen Rückruf bis zu einem Gegenstandswert von bis 21.500,00 € bedingungsgemäß Kostendeckung aus dem zwischen dem Kläger und der Beklagten geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag ( ...-#-...-#) zu gewähren. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 70 % und die Beklagte zu 30%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsschuldner vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand

Zwischen den Parteien besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, auf den die ARB 2005 M Anwendung finden. Mit Schreiben vom 1.10.2018, wegen dessen Einzelheiten auf Bl. 20 ff. dA. verwiesen wird, beantragte der Kläger über seine jetzigen Prozessbevollmächtigten Deckungsschutz für die außergerichtliche Geltendmachung von Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüchen in einer Gesamthöhe von 126.397,60 €. Hierzu ließ er vortragen, er habe das von der Firma I AG hergestellte Medikament X seit 2015 zweimal täglich eingenommen. Dieses Medikament wurde im Sommer 2018 zurückgerufen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass es seit 2012 mit NDMA verunreinigt war, einem Stoff, der Krebs erregen kann. Er kündigte an wegen aktueller psychischer Beeinträchtigungen - Angst vor Krebs - den Hersteller auf Schmerzensgeld in Höhe von 21.500,00 € in Anspruch nehmen zu wollen, desweiteren schon jetzt einen materiellen und immateriellen Vorbehalt für Schmerzensgeld und Haushaltsführungsschaden für den Fall einer etwaigen zukünftigen Krebserkrankung vorgerichtlich geltend machen zu wollen und ersuchte um Deckungsschutz. Mit Schreiben vom 11.10.2018 stellte die Beklagte Nachfragen zum Sachverhalt und es kam zu umfangreicher vorgerichtlicher Korrespondenz zwischen den Parteien. Im Rahmen dieser Korrespondenz schlugen die Klägervertreter mit Schreiben vom 19.11.2018 vor, sich für die " X- Fälle" auf einen pauschalen Streitwert von 35.000,00 € und Ansatz einer 1,8fachen Geschäftsgebühr zu einigen. Die Beklagte lehnte schließlich mit Schreiben vom 17.1.2019 unter Hinweis auf das Fehlen eines Versicherungsfalls und das Fehlen von Erfolgsaussichten Deckungsschutz ab.

Der Kläger behauptet, er habe das Medikament X von Mitte 2015 bis Mitte 2018 2x täglich in einer Dosierung von 160mg eingenommen. Für ihn bestehe daher ein signifikant erhöhtes Krebsrisiko. Aus Sorge vor einer Krebserkrankung sei er psychisch beeinträchtigt, leide an einer depressiven Verstimmung und der Angst, an Krebs zu erkranken, weswegen sich seine Lebensführung zunehmend darauf beschränke, das Nichtvorhandensein einer Krebserkrankung ärztlich abklären zu lassen. Die anwaltliche Honorarrechnung vom 1.10.2018 aus einem Streitwert von 126.397,60 € sei storniert worden. Zudem habe die Beklagte Einwendungen gegen ihre Leistungspflicht nicht zeitnah und nicht hinreichend deutlich erhoben, so dass seiner Auffassung nach die Beklagte das Recht verloren habe, ihre Leistungspflicht wegen fehlender Erfolgsaussichten zu verneinen. Er ist der Auffassung, im Rechtsstreit von Anfang an nur um Deckungsschutz aus einem Streitwert von 36.500,00 € nachgesucht zu haben.

Ursprünglich hat der Kläger beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für die außergerichtliche Geltendmachung von Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüchen gegen die Firma I AG aus Anlass der Einnahme des Medikaments X seit dem Jahr 2015 bedingungsgemäß Kostendeckung aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zu gewähren.

Der Kläger beantragt nun,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für die außergerichtliche Geltendmachung von Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüchen zu einem Gegenstandswert von bis zu 36.500,00 € gegen die Firma I AG aus Anlass der Einnahme des Medikaments X seit dem Jahr 2015 bedingungsgemäß Kostendeckung aus dem zwischen dem Kläger und der Beklagten geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag (...-#-...#-#) zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, einer Anspruchsverfolgung wegen Krebsangst fehle die Erfolgsaussicht, bei der beabsichtigten Verfolgung von Ansprüchen wegen einer etwaigen zukünftigen Krebserkrankung liege schon kein Versicherungsfall vor. Die klägerischen Ausführungen in der Deckungsanfrage seien unzureichend und unschlüssig gewesen, weswegen sie erst nach Beantwortung ihrer Nachfragen über die Deckungsanfrage habe entscheiden können. Im übrigen sei das Risiko, tatsächlich aufgrund der Einnahme eines verunreinigten Präparats an Krebs zu erkranken, nur um 0,0001 % erhöht.

Gründe

Die Klage ist aufgrund rügeloser Einlassung in der mündlichen Verhandlung zulässig. Die Beklagte hat nach Vorlage der Originalprozessvollmacht die Rüge der fehlenden Prozessvollmacht nicht aufrechterhalten.

Der Antrag ist auch als Feststellungsantrag zulässig. Der Kläger hat die Gutschrift vom 16.8.2019 , Bl. 121 d.A., vorgelegt, die in der ersten Zeile den Stornierungsbetrag unter Angabe der Rechnungsnummer und des Rechnungsdatums der stornierten Rechnung ausweist. Dabei sind Rechnungsnummer und Endbetrag identisch mit Rechnungsnummer und Betrag der Vorschussrechnung Bl. 79 d.A.. Ersichtlich wurde lediglich auch bei der Stornorechnung der Mehrwertsteuerbetrag separat ausgewiesen. Das Bestreiten der Beklagten mit Nichtwissen ist vor diesem Hintergrund unbeachtlich, denn es fehlt eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Stornorechnung.

Die Klage ist jedoch nur teilweise begründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Deckungsanspruch nur wegen der außergerichtlichen Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen bis zu einem Betrag von 21.500,00 € wegen psychischer Beschwerden zu. Der Kläger trägt schlüssig zu einer psychischen Gesundheitsbeeinträchtigung aufgrund der Einnahme und des Rückrufs des Präparats X vor. In der behaupteten psychischen Beeinträchtigung liegt bereits eine Rechtsgutsverletzung und damit ein Schaden im Sinne der ARB. Hieraus kann - bei entsprechenden Beschwerden - ein Schmerzensgeldanspruch resultieren. Im Rahmen eines Deckungsprozesses ist dabei die hinreichende Erfolgsaussicht nach den zu § 114 ZPO entwickelten Grundsätzen zu prüfen. Dies bedeutet, dass der Standpunkt des Versicherungsnehmers nach den von ihm aufgestellten Behauptungen und den ihm bekannten Einwendungen des Gegners zumindest vertretbar sein muss. Zudem muss es als möglich erscheinen, dass der Versicherungsnehmer den Beweis der von ihm zu beweisenden Tatsachen mit Hilfe zulässiger und geeigneter Beweismittel zu führen vermag; eine Beurteilung der Beweischancen durch antizipierte Beweiswürdigung darf jedoch bei der Prüfung der Erfolgsaussichten grundsätzlich nicht stattfinden ( OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.9.2017, 4 U 87/17). Gemessen an diesen Grundsätzen aber ist das klägerische Vorbringen bezüglich eines Anspruchs wegen psychischer Beeinträchtigungen aus Angst vor einer Krebserkrankung - noch - hinreichend. Bei der beabsichtigten vorgerichtlichen Inanspruchnahme reicht die Darlegung der Erkrankung wie geschehen aus. Dass der Kläger tatsächlich das Präparat X in der angegebenen Dosierung über den angegebenen Zeitraum eingenommen hat, ließe sich über die Vorlage ärztlicher Verordnungen und das Zeugnis der Ehefrau unter Beweis stellen, wobei eine Vermutung dafür streitet, dass der Kläger die Medikamente verordnungsgemäß eingenommen hat. Die behaupteten aktuellen psychischen Folgen ließen sich ggfls. nach weiterem Vortrag durch einen Sachverständigen feststellen. Dass der Kläger sich immer wieder auf das Fehlen einer Krebserkrankung untersuchen lässt, kann durch Vernehmung der entsprechenden Ärzte unter Beweis gestellt werden. Dabei ist es noch nicht notwendig, im Deckungsprozess alle Zeugen im einzelnen zu benennen und alle Arztbesuche aufzulisten. Dies kann im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Firma I AG geschehen. Auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob die Verunreinigung mit NDMA tatsächlich zu einem signifikant erhöhten Krebsrisiko führt, kommt es bei einem Schmerzensgeldanspruch wegen Angst vor einer Erkrankung nicht an. Kausal für die psychische Situation ist der Rückruf des Medikaments und die damit einhergehende Berichterstattung, die wegen der Erwähnung eines Krebsrisikos grundsätzlich geeignet sein kann, Angst auch in krankhaft ausgeprägter Form zu schüren. Ein medizinischer Laie vermag die Bedeutung der unterschiedlichen von den Parteien zitierten Studien und deren Auswirkungen auf eine eigene Erkrankungswahrscheinlichkeit nicht nachzuvollziehen.

Der Kläger gibt den Schmerzensgeldanspruch mit 21.500,00 € an. Auch wenn diese Summe auf den ersten Blick hoch erscheint, spielen gerade bei Schmerzensgeldansprüchen viele Faktoren eine Rolle, neben der Ausprägung der Beeinträchtigungen bei dem Geschädigten auch der Verschuldensgrad auf Seiten des Verursachers und dessen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Vor diesem Hintergrund ist Deckungsschutz auch in Höhe bis 21.500,00 € zu gewähren (= 2.054,65 € bei 2,3facher Geschäftsgebühr zzgl. Auslagenpauschale zzgl. Mehrwertsteuer).

Hingegen besteht kein Anspruch auf Deckungsschutz für einen materiellen und immateriellen Vorbehalt bezüglich einer etwaigen zukünftigen Krebserkrankung. Insoweit liegt kein Schadensfall im Sinne der ARB vor. Der Kläger ist nicht an Krebs erkrankt, hat mithin keine Rechtsgutsverletzung erlitten. Da der Grund der Inanspruchnahme bei tatsächlicher Krebserkrankung ein völlig anderer ist als bei der psychischen Erkrankung in Form von Krebsangst, greift die klägerische Argumentation nicht, wonach bei der Verletzung eines absoluten Rechtsguts ein Feststellungsinteresse auch für künftige Schadensfolgen besteht, selbst wenn diese nur weit entfernt möglich und ihr Eintritt ungewiss ist. Eine tatsächliche Krebserkrankung ist keine entfernte Schadensfolge der aktuellen Krebsangst. Zu Recht hat die Beklagte den Deckungsschutz in diesem Punkt abgelehnt, und zwar auch rechtzeitig. Der Versicherungsnehmer ist zur umfassenden Information des Versicherers verpflichtet. Hierzu gehört neben der Klarstellung des Umfangs einer aktuellen Erkrankung auch dass er - wenn er wie vorliegend seinen Anspruch durch eine Studie untermauern möchte - diese dem Versicherer zugänglich macht. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte erst nach Übermittlung des Links mit Schreiben vom 19.12.2018 am 17.1.2019 entschieden hat.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO. Bei der Kostenentscheidung war zunächst zu Lasten des Klägers die konkludente Teilklagerücknahme zu berücksichtigen. Denn der ursprüngliche Klageantrag, der die gewünschte Deckungshöhe nicht ausdrücklich enthielt, bezog sich auf Deckungsschutz bis 126.397,60 € entsprechend den Darlegungen in dem in der Klageschrift zitierten Schreiben an die Firma I vom 1.10.2018. Die Ausführungen auf Seite 17 unten der Klageschrift stehen dem nicht entgegen. Denn auch dort begehrt der Kläger " vollen Kostenschutz". Er verweist weiter auf die Deckungsanfrage vom 1.10.2018. Soweit er sodann ausführt, der Streitwert belaufe sich zuletzt auf 36.500,00 €, so ist dies - nahezu - der im vorprozessualen Schreiben angegebene Betrag von 35.000,00 €, der als Pauschalbetrag für einen Vergleich vorgeschlagen worden ist. Ein Vergleich aber ist gerade nicht zustande gekommen. Dass schon in der Klage nur noch für 36.500,00 € Deckung begehrt wird, vermag das Gericht wegen des Hinweises auf vollen Kostenschutz und das zitierte Anspruchsschreiben vom 1.10.2018 nicht zu erkennen.

Die Vollstreckbarkeitsentscheidung ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert:6.987,37 € bis 20.8.2019 ( vergleiche Beschluss 1.8.2019)

Seitdem: 2.796,38 €

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,

1. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder

2. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Düsseldorf, Werdener Straße 1, 40227 Düsseldorf, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.

Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Düsseldorf zu begründen.

Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Düsseldorf durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.

Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

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