AG Memmingen, Beschluss vom 10.07.2018 - 1 L 5/16
Fundstelle
openJur 2020, 73789
  • Rkr:
Tenor

Der Zwangsverwalter wird angewiesen, an den Schuldner aus den Erträgen der Immobilie vorrangig zu den Zahlungen laut Teilungsplan bis auf weiteres monatlich EUR 511,05 zu bezahlen.

Gründe

I.

Mit Schreiben vom 9.5.2018 fragte der Schuldner beim Vollstreckungsgericht nach einer Bestätigung für das Jobcenter beim Landkreis ... an. Aus der Bestätigung soll sich ergeben, dass der Zwangsverwalter keine Beträge aus den verwaltenden Einnahmen an den Schuldner ausbezahlen darf. Die Bestätigung diene der Beantragung von ALG II Leistungen.

Darauf erließ das Vollstreckungsgericht mit Beschluss vom 16.5.2018 einen Hinweis nach § 139 ZPO wobei die Parteien Gelegenheit zu einer einvernehmlichen Einigung erhielten.

Sowohl der angehörte Zwangsverwalter als auch die betreibende Gläubigerin lehnten eine Unterhaltsgewährung unter Hinweis auf die einschlägigen Kommentierungen ab.

Der Schuldner stellte nun in der Folge mit Schreiben vom 4.7.2018 einen bezifferten Antrag. Diesem Antrag lag ein Darlehensbescheid des Jobcenters bei nach dem dem Schuldner darlehensweise monatlich EUR 511,03 Leistungen bewilligt worden ist.

Im übrigen wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Dem Schuldner ist ein monatlicher Unterhalt in der tenorierten Höhe zu gewähren.

Die Entscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 149 Abs. 3 Satz 2 ZVG zusammen mit § 850 i ZPO.

1. Nach einhelliger Auffassung der Kommentarliteratur zu § 149 ZVG (Stöber ZVG, 21. Aufl. RdNr. 4.1; Haarmeyer/Hintzen 6. Aufl. RdNr. 13, Depre 1. Aufl., RdNr. 13) hat der Schuldner keinen Anspruch auf Unterhalt aus der Masse. Dies wird ohne weitere Erwägungen von allen Autoren mit einer Entscheidung des LG Saarbrücken aus dem Jahr 1995 begründet (LG Saarbrücken, Beschluss vom 09. Dezember 1994 - 5 T 697/94 -,Rpfleger 1995, 265). Danach habe der Schuldner keinen Unterhaltsanspruch, nicht einmal das Existenzminimum. Soweit der Schuldner keine anderen Einkünfte habe, sei er eventuell auf Sozialhilfe zu verweisen.

2. Der BGH hat in einer aktuellen Entscheidung (BGH, Beschluss vom 01. März 2018 - IX ZB 95/15 -) offengelassen, ob dem Schuldner wegen der Neufassung des § 850i ZPO durch das Gesetz vom 7. Juli 2009 und der dadurch bewirkten Erweiterung des Pfändungsschutzes von Arbeitseinkommen auf sonstige Einkünfte auch im Falle der Zwangsverwaltung ein entsprechender Schutz zu gewähren ist.

3. Nach richtiger Auffassung ist dem Schuldner zumindest das Existenzminimum zu gewähren.

a. Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen ist als Verfahrensrecht Teil der ZPO. Das ZVG ist deshalb so zu lesen, als stünden seine Vorschriften im achten Buch der ZPO, nämlich an Stelle des § 869 ZPO. Die Vorschriften der ZPO sind daher direkt anzuwenden, Stöber aaO, Einleitung RdNr. 19. Damit ist § 850i ZPO unmittelbar anwendbar, soweit sich aus den Vorschriften des ZVG nichts anderes ergibt.

Mit der Neufassung des § 850i ZPO durch das Gesetz vom 7. Juli 2009 wurde der Pfändungsschutz von Arbeitseinkommen auf sonstige Einkünfte erweitert.

Die von § 850i ZPO ermöglichte Unpfändbarkeit soll die öffentlichen Haushalte von ansonsten notwendig werdenden Transferleistungen öffentlicher Kassen entlasten (BT-Drucks. 16/7615 S. 12, 30). Danach soll sichergestellt werden, dass dem Schuldner die für ein menschenwürdiges Dasein benötigten Mittel zur Verfügung stehen und ihm nicht im Wege der Zwangsvollstreckung entzogen werden (BT-Drucks. aaO S. 12). Der Pfändungsschutz soll dem Eintritt der Hilfebedürftigkeit infolge einer Pfändung entgegenwirken, die Sozialhilfeträger sollen dauerhaft entlastet und der Steuerzahler nicht indirekt für private Verbindlichkeiten aufkommen müssen (BT-Drucks. aaO), BGH, Beschluss vom 07. April 2016 - IX ZB 69/15 -, Rn. 17, juris.

Diese Erwägung treffen sowohl bei einer Pfändung als auch bei einer kalten Zwangsverwaltung (BGH vom 01. März 2018 aaO) als auch bei einer formellen Zwangsverwaltung zu. Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, weshalb eine "kalte" Zwangsverwaltung insoweit anders zu behandeln sein soll als eine nach dem ZVG. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass durch eine Ungleichbehandlung beider Arten der Zwangsverwaltung der Vollstreckungsschutz nach § 850i ZPO ausgehebelt werden könnte (Fuhst, jurisPR-InsR 8/2018 Anm. 2).

b. Die genannten ablehnenden Stimmen der Kommentarliteratur stehen dem gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Die in Bezug genommene Entscheidung des LG Saarbrücken stammt aus dem Jahr 1995, ist also weit vor der Neufassung des § 850i ZPO durch das Gesetz vom 7. Juli 2009 ergangen. Trotzdem setzen sich diese Literaturstimmen nicht mit der geänderten Gesetzeslage auseinander.

c. § 149 Abs. 3 ZVG sieht bei Zwangsverwaltungen für land- und forstwirtschaftliche Betriebe sowie Gärtnereien eine Sonderregelung vor. Wie oben unter 2a. bereits ausgeführt ist § 850i ZPO jedoch direkt anzuwenden. Lediglich bezüglich des Verfahrens der Unterhaltsgewährung fehlen in der ZPO dem ZVG angepasste Verfahrensregeln, die die Besonderheiten eines Zwangsverwaltungsverfahrens mit einem aufsichtführenden Gericht (§ 153 ZVG) berücksichtigen. Diese vom Gesetzgeber ungewollte Lücke ist durch analoge Anwendung des Satzes 2 und 3 des § 149 Abs. 3 ZVG zu schließen. Hiernach kann im Streitfall - wie vorliegend - das Vollstreckungsgericht entscheiden. Durch die Beschwerdemöglichkeit des Satzes 3 ist sicher gestellt, dass der Zwangsverwalter vor einer Auszahlung Rechtssicherheit erhält.

d. Ob dem Schuldner statt einem Betrag in Höhe der Zahlungen des ALG II ein Betrag in Höhe des pfändungsfreien Betrages zuzusprechen wäre, braucht nicht entschieden zu werden, da der Schuldner einen Betrag in dieser Höhe nicht beansprucht hat.