VG Minden, Beschluss vom 12.03.2020 - 7 L 212/20
Fundstelle
openJur 2020, 3434
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

Die Kammer entscheidet in Anbetracht der Eilbedürftigkeit der Sache ohne die Stellungnahme der Antragsgegnerin abzuwarten, da das Verfahren auch nicht zu ihren Lasten ausgeht.

Der zulässige Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage vom heutigen Tage gegen die Ordnungsverfügung vom 12. März 2020 anzuordnen und wiederherzustellen,

mit dem sich die Antragstellerin auf die zum Aktenzeichen des erkennenden Gerichts 7 K 659/20 erhobene Klage bezieht, ist jedenfalls unbegründet.

Dabei ist aufgrund der jeweils erfolgten gesetzlichen Anordnung des Entfallens der aufschiebenden Wirkung der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO statthaft.

Das Gericht kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen, wenn - wie hier hinsichtlich der Untersagung der Durchführung der Veranstaltung gemäß §§ 16 Abs. 8, 28 Abs. 3 IfSG bzw. hinsichtlich der Androhung des unmittelbaren Zwangs gemäß 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 112 Satz 1 JustizG NRW - die aufschiebende Wirkung der Klage kraft Gesetzes entfällt. Hierbei hat das Gericht eine Interessenabwägung vorzunehmen. Dem privaten Interesse des Antragstellers, von der sofortigen Durchsetzung des Verwaltungsakts vorläufig verschont zu bleiben, ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts gegenüberzustellen, wobei hinsichtlich § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO die gesetzgeberische Wertung des Entfallens der aufschiebenden Wirkung der Klage zu beachten ist. Ausgangspunkt dieser Interessenabwägung ist eine - im Rahmen des Eilrechtsschutzes allein mögliche und gebotene summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Ergibt diese Prüfung, dass der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers und ist deshalb die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen. Denn an der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts kann grundsätzlich kein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen. Erweist sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig, überwiegt nach der gesetzgeberischen Wertung das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Erscheinen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, ist die Entscheidung auf der Grundlage einer umfassenden Folgenabwägung zu treffen.

Die vom Gericht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung geht jeweils zulasten der Antragstellerin aus. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ziffern 1 und 2 des in der Hauptsache angefochtenen Bescheids überwiegt das Interesse der Antragstellerin, von einer Vollziehung einstweilen verschont zu bleiben. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht vieles für die Rechtmäßigkeit der Verfügungen in Ziffern 1 und 2 des Bescheids (I.), jedenfalls geht aber die von den Erfolgsaussichten unabhängige Interessenabwägung zulasten der Antragstellerin aus (II.).

I. Es spricht vieles dafür, dass die Verfügungen in Ziffern 1 und 2 des in der Hauptsache angefochtenen Bescheids rechtmäßig sind.

Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist (§ 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG). Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde insbesondere Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten (§ 28 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 IfSG).

Da auch bereits im Kreis N. am sogenannten Coronavirus erkrankte Personen festgestellt wurden und zu befürchten ist, dass sich unerkannt weitere Personen infiziert haben, die sich noch nicht in Quarantäne befinden, liegen die Voraussetzungen der Eingriffsermächtigung vor. Durch die vorgenannten Umstände ist eine an einer übertragbaren Krankheit (§ 2 Nr. 3 IfSG) erkrankte Person und damit ein Kranker im Sinne von § 2 Nr. 4 IfSG festgestellt worden. Nach dem präventiven Zweck des IfSG, der darin liegt, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern (vgl. § 1 Abs. 1 IfSG), ist davon auszugehen, dass die Ermächtigungsgrundlage nicht - wie die Antragstellerin meint - erst dann greift, wenn auf der zu untersagenden Veranstaltung Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt worden sind.

Demzufolge war die Antragsgegnerin zum Handeln verpflichtet (gebundene Entscheidung). Hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen - "wie" des Eingreifens - ist der Behörde allerdings Ermessen eingeräumt. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Der Gesetzgeber hat § 28 Abs. 1 IfSG daher als Generalklausel ausgestaltet. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um "notwendige Schutzmaßnahmen" handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16.11 -, jurs Rn. 23.

Notwendige Maßnahme kann dabei nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG auch das Verbot einer Veranstaltung sein.

Die Antraggegnerin hat in dem in der Hauptsache angefochtenen Bescheid nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen die Untersagung der Veranstaltung hier notwendig ist (dynamische Verbreitung des Virus, schwere Krankheitsverläufe, Vermeidung der Überlastung des Gesundheitssystems). Insofern wird auf die Begründung der Antragsgegnerin Bezug genommen. Insbesondere ist nach dem Stand der medizinischen Erkenntnisse von der Notwendigkeit der Untersagung von Großveranstaltungen mit über 1.000 Teilnehmer auszugehen, um besonders vulnerable Personengruppen vor einer Ansteckung zu schützen (vgl. auch Erlass des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales zur Durchführung von Großveranstaltungen ab dem 10. März 2020 - Übertragung von SARS-CoV-2 - Az. IV B).

Vom Gericht überprüfbare Ermessensfehler (§ 114 Satz 1 VwGO) sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat die Antragsgegnerin die von der Antragstellerin geltend gemachten wirtschaftlichen Auswirkungen berücksichtigt.

Nach summarischer Prüfung erweist sich die Maßnahme auch als verhältnismäßig. Mildere Mittel als die Untersagung der Durchführung der Veranstaltung sind nicht ersichtlich und wurden von der Antragstellern auch nicht geltend gemacht. Unter Abwägung der aufgezeigten drohenden Gefahren für die Allgemeinheit und die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin ist auch von der Angemessenheit der Maßnahme auszugehen. Auf eine Ungleichbehandlung kann sich die Antragstellerin nicht berufen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin andere Veranstaltungen mit einem zu erwartenden Teilnehmerkreis von über 1.000 Menschen stattfinden ließe. Die von der Antragstellerin aufgezeigten anderen sozialen Gegebenheiten sind insofern nicht mit einer von der Antragstellerin beabsichtigten Großveranstaltung mit dem damit einhergehenden Verbreitungsrisiko des Coronavirus zu vergleichen.

Gegen die Rechtmäßigkeit der in Ziffer 2 des in der Hauptsache angefochtenen Bescheides enthaltenen Androhung des unmittelbaren Zwanges hat die Antragstellerin keine eigenständigen Einwände vorgebracht. Sie entspricht zudem nach summarischer Prüfung ebenfalls den Vorgaben des VwVG NRW.

II. Selbst wenn man nach alledem von offenen Erfolgsaussichten der Klage gegen den Bescheid vom 12. März 2020 ausgehen wollte - eine offensichtliche Rechtswidrigkeit ist jedenfalls nicht gegeben -, führt die Interessenabwägung zu einem klaren Überwiegen des öffentlichen Vollzugsinteresses gegenüber dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Würde der Vollzug der streitgegenständlichen Verfügungen ausgesetzt, erwiesen sich diese aber im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig, so könnten in der Zwischenzeit schwerwiegende und erhebliche Schädigungen eines überragenden Schutzgutes - der menschlichen Gesundheit - eintreten. Bleiben die Anordnungen dagegen sofort vollziehbar, erweisen sie sich aber im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig, entstehen der Antragstellerin zwar möglicherweise erhebliche wirtschaftliche Einbußen. Das Schutzgut der menschlichen Gesundheit ist demgegenüber - jedenfalls im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes - aber ohne Zweifel als höherrangig einzustufen. Dies gilt insbesondere vor der Möglichkeit, die Antragsgegnerin in Regress zu nehmen, sollte sich die Anordnung als rechtswidrig erweisen. Die zu befürchtenden Gesundheitsschädigungen sind dagegen möglicherweise nicht reversibel.

Vgl. zu dieser Bewertung VG München, Beschluss vom 21. Juli 2014 - M 18 S 14.2 -, juris Rn 69 f. sowie VG N. , Beschlüsse vom 11. März 2020 - 7 L 44/20 und 7 L 45/20.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.