LG Köln, Urteil vom 12.12.2018 - 23 O 106/18
Fundstelle
openJur 2020, 3413
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 100.980,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 52.020,00 € seit dem 05.01.2018 und aus weiteren 48.960,00 € seit dem 23.07.2018 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger (geb. am 02.03.1970) ist bei der F AG als Flugkapitän tätig. Er ist Mitglied in dem zwischen der Beklagten und der Versicherungsmaklerin der F AG, der B Versicherungsdienste GmbH bestehenden Gruppenvertrag, der (u.a.) eine private Krankentagegeldversicherung mit den Tarifen TC 43 und TC 274 beinhaltet. Diese sehen - soweit für den Rechtsstreit von Belang ein Krankentagegeld in Höhe von kalendertäglich 340,00 € vor. Auf die zugrunde liegenden AVB-G und die Tarifbedingungen (Anlage K2, Bl. 14 ff. d.A.) wird Bezug genommen. Im Rahmen des Gruppenvertrags bestehen ferner ergänzende Vereinbarungen (Anlage K3, Bl. 25 f. d.A.), die u.a. vorsehen:

"3) Bei Vorlage einer vorübergehenden Flugdienstuntauglichkeit gilt die nachfolgende Vorgehensweise innerhalb der Krankentagegeldversicherung.

In den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Gruppenversicherung für die Krankentagegeldversicherung (AVB-G KT) ist der Sicherungsfall als die medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen, in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird, definiert. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung und endet, wenn nach medizinischem Befund keine Arbeitsunfähigkeit und keine Behandlungsbedürftigkeit mehr festgestellt wird.

Arbeitsunfähigkeit im Sinne der AVB-G KT liegt vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgeht. In der Regel ist eine krankheits- oder unfallbedingte medizinisch festgestellte vorübergehende ("vorübergehend" gemäß den AVB-G KT) Flugdienstuntauglichkeit mit der völligen Arbeitsunfähigkeit im Sinne der vorstehend beschriebenen Definition der AVB-G KT gleichgestellt. [...]" [Hervorhebungen im Original]

Der Kläger war ab dem 06.09.2016 arbeitsunfähig erkrankt. Ihm wurden u.a. die Diagnosen nach ICD-10 F 45.0 (Somatisierungsstörung) und F 43.23 (Anpassungsstörung) gestellt. Er wurde von seinem Fliegerarzt am 13.03.2017 entsprechend dem hierfür vorgesehenen Verfahren zur abschließenden Entscheidung über die flugmedizinische Tauglichkeit an das Luftfahrbundesamt (nachfolgend: LBA) als Genehmigungsbehörde verwiesen. Mit Bescheid vom 08.08.2017 (Anlage K9, Bl. 117 f. d.A.) stellte das LBA fest, dass der Kläger als flugmedizinisch untauglich für alle Klassen zu beurteilen sei. Zur Begründung wurde ausgeführt, bei dem Kläger bestehe die Diagnose einer Somatisierungsstörung sowie einer mittelgradigen depressiven Episode. Nach dem Ergebnis einer (in dem Verfahren erfolgten) psychiatrischen Begutachtung bestehe zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch kein ausreichend dauerhaft stabilisierter psychischer Zustand. Der Fliegerärztliche Ausschuss am Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur sprach im Rahmen der Zweitüberprüfung unter dem 27.11.2017 die Empfehlung aus, den Kläger - zunächst unter Auflagen - als flugtauglich zu erklären (Anlage K10, Bl. 119 f. d.A.). Aufgrund der Zweitüberprüfung stellte das LBA dem Kläger am 21.07.2018 ein Tauglichkeitszeugnis aus. Am 24.07.2018 erhielt er eine Flugtauglichkeitsbescheinigung der F AG.

Die Beklagte leistete für den Zeitraum vom 17.10.2016 bis zum 29.09.2017 Krankentagegeld. Im September 2017 machte sie von der Möglichkeit einer Nachuntersuchung nach § 10 Abs. 3 AVB-G T Gebrauch. Die in diesem Rahmen erfolgte internistischgastroenterologische Begutachtung durch Dr. S sowie die neurologische Untersuchung durch Dr. X gelangten zu dem Ergebnis, aus medizinischer Sicht sei der Kläger arbeitsfähig. Mit Schreiben vom 29.09.2017 (Anlage BLD 1, Bl. 84 d.A.) benachrichtigte die Beklagte den Kläger von der Einstellung weiterer Krankentagegeldzahlungen.

Der Kläger ist der Ansicht, er sei solange zum Bezug von Krankentagegeld berechtigt, bis das Luftfahrtbundesamt seine Flugtauglichkeit feststelle. Als Verkehrspilot sei er so lange nicht arbeitsfähig, wie er nicht die gesetzlichen Voraussetzungen erfülle. Die in Ziffer 3 der ergänzenden Vereinbarungen zum Gruppenversicherungsvertrag enthaltene Gleichstellung von Flugdienstuntauglichkeit völliger Arbeitsunfähigkeit im Sinne der AVB sei gerade in Hinblick auf Konstellationen wie die vorliegende ausgehandelt worden. Er behauptet hierzu, im Rahmen der Verhandlungen hätten insbesondere alle denkbaren Fälle berücksichtigt werden sollen, in denen Piloten oder Kabinenpersonal den an sie gestellten besonderen Anforderungen im Flugverkehr nicht gerecht werden können, ohne dass sie tatsächlich generell arbeitsunfähig seien. Die Beklagte habe im Rahmen der Zusatzvereinbarung keinen Vorbehalt bezüglich überlanger Entscheidungswege des LBA aufgenommen. Sofern sie die Zusatzvereinbarung in Unkenntnis des Ablaufs von Tauglichkeitsverfahren geschlossen habe, könne dies nicht zu Lasten des Klägers gehen. Er selbst könne die Bearbeitungsdauer bei dem LBA nicht beeinflussen und habe auch keine entsprechende Obliegenheit, angesichts der Bearbeitungsweise im vorliegenden Fall komme auch keine Untätigkeitsklage in Betracht. Seine Nachuntersuchung sei nicht durch als Fliegerärzte qualifizierte Mediziner erfolgt. Das LBA berücksichtige nur Stellungnahmen von Fliegerärzten.

Mit der Klage hat der Kläger neben der Zahlung von Krankentagegeld für den Zeitraum vom 30.09.2017 bis zum 01.03.2018, welches er unter Ansatz von 154 Kalendertagen in Höhe von 52.360,00 € errechnet, zunächst die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten begehrt, ab dem 02.03.2018 bedingungsgemäß Krankentagegeld in Höhe von kalendertäglich 340,00 € an ihn zu zahlen. Mit Schriftsatz vom 04.10.2018 hat der Kläger den Klageantrag zu 2. auf Zahlung von weiterem Krankentagegeld für den Zeitraum vom 02.03. bis einschließlich 23.07.2018 (144 Kalendertage) geändert.

Der Kläger beantragt nunmehr,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 52.360,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.01.2018 zu zahlen.

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 48.960,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.07.2018 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Kläger sei ausweislich der internistisch/gastroenterologischen und neurologischen Gutachten spätestens ab dem 30.09.2017 wieder arbeitsfähig gewesen, weshalb die Zahlung von Krankentagegeld mit dem 29.09.2017 eingestellt worden sei. An der Ausübung seines Berufs sei der Kläger nur mangels Feststellung der Fliegertauglichkeit durch das Luftfahrtbundesamt gehindert gewesen. Die Beklagte ist der Auffassung, es könne nicht das Risiko des Versicherers sein, etwaige Zeitverzögerungen durch das LBA zu versichern; diese lägen in der Sphäre des Piloten. Aus der Formulierung in der ergänzenden Gruppenversicherungsvereinbarung, "in der Regel" sei eine Flugdienstuntauglichkeit mit der völligen Arbeitsunfähigkeit gleichgestellt, zeige, dass letztlich die medizinisch festgestellte Arbeitsunfähigkeit im Sinne der AVB maßgeblich sei, an der es indes bereits ab dem 06.09.2017 gefehlt habe. Hier liege eine Ausnahme von der Regel vor. Der Kläger sei ausweislich einer Bescheinigung des medizinischen Dienstes der F nur bis zum 31.01.2017 arbeitsunfähig gewesen. Im Tarif sei nur Arbeits-, nicht auch Fluguntauglichkeit versichert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist in dem zuletzt zur Entscheidung stehenden Umfang weit überwiegend begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von weiterem Krankentagegeld in Höhe von 100.980,00 € für den Zeitraum vom 30.09.2017 bis einschließlich zum 23.07.2018. In diesem Zeitraum lag eine bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit des Klägers vor. Die Fluguntauglichkeit des Klägers ist gemäß Ziffer 3) der ergänzenden Vereinbarungen zum Gruppenversicherungsvertrag in der Regel der völligen Arbeitsunfähigkeit gleichgestellt. Diese auf die besonderen luftfahrtrechtlichen Anforderungen an Piloten abzielende Gleichstellung trägt dem Umstand Rechnung, dass der aus medizinischen Gründen flugunfähige Pilot völlig arbeitsunfähig - da rechtlich an der Berufsausübung gehindert - ist. Eine Auslegung der Klausel nach AGB-Kriterien ergibt, dass der durchschnittliche Gegner dieser ausschließlich für Piloten und Bordpersonal geschlossenen Klausel sie dahingehend versteht, dass die zeitliche Lücke zwischen Entfall einer medizinischen Arbeitsunfähigkeit und Wiedererlangung der Flugtauglichkeit eine bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit = Flugunfähigkeit darstellt. Soweit die Beklagte sich mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 27.11.2018 auf ein Urteil des OLG Köln vom 20.11.2018 (9 U 32/18) bezieht, rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung. Das Oberlandesgericht hat in der angezogenen Entscheidung ausgeführt, dass eine Auslegung der dort maßgeblichen "Lossof-Licence"-Versicherung ergebe, dass die aus dieser Versicherung bezogenen Leistungen nicht als Leistungen einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu werten seien. Soweit das Oberlandesgericht in diesem Kontext ausgeführt hat, eine Krankentagegeldversicherung könne in Fällen wie dem dort zur Entscheidung stehenden - vorübergehender Entzug der Fluglizenz aufgrund von flugsicherheitsrelevanten Vorschriften, obgleich eine medizinisch notwendige Heilbehandlung nicht erforderlich sei - ihre Eintrittspflicht zu Recht verneinen, verfängt diese Bewertung im vorliegenden Fall nicht. Denn mit der in Ziffer 3. der ergänzenden Vereinbarungen des Gruppenversicherungsvertrags enthaltenen Gleichstellung von Flugdienstuntauglichkeit und völliger Arbeitsunfähigkeit ist im vorliegenden Krankentagegeldversicherungsvertrag gerade eine grundsätzliche Eintrittspflicht der Beklagten begründet worden. Auf das Vorliegen eines Ausnahmefalls im Sinne von Ziffer 3) der ergänzenden Vereinbarungen beruft sich die Beklagte ohne Erfolg. Eine Ausnahme ergibt sich insbesondere nicht aus dem notwendigen Zeitversatz zwischen Genesung des Piloten und seiner Wiedererlangung der Flugdiensttauglichkeit nach Beschreiten des zwingend vorgeschalteten Verfahrens.

Der Kläger kann demnach für den Zeitraum seit dem 30.09.2017 bis einschließlich zum 23.07.2018 Zahlung bedingungsgemäßen Krankentagegeldes in Höhe von kalendertäglich 340,00 € verlangen. Der Zeitraum erstreckt sich indes - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - abweichend von der Berechnung des Klägers auf lediglich 297 Kalendertage, was zur Klageabweisung hinsichtlich des Krankentagegeldes für einen weiteren Kalendertag führt.

Die Zinsforderung ist gemäß §§ 280 Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 BGB begründet.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 709 S. 2 ZPO.

Streitwert: 101.320 €

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