LAG Hamm, Urteil vom 23.01.2020 - 17 Sa 1030/19
Fundstelle
openJur 2020, 3406
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Berufung des klagenden Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 13.06.2019 - 1 Ca 401/19 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt das klagende Land.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Rückzahlung einer überzahlten Vergütung.

Sie war auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 02.12./03.12.2013 (Bl. 54 bis 57 d. A.) ab dem 06.12.2013 als Fachkraft für Schulsozialarbeit in Vollzeitbeschäftigung an einer Hauptschule in S beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war zunächst befristet. Mit Vertrag vom 26.01.2016/01.02.2016 (Bl. 58, 59 d. A.) wurde es entfristet. Gem. § 2 des Arbeitsvertrages galt der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L).

Das Arbeitsverhältnis endete zum 31.12.2017 aufgrund eines Aufhebungsvertrages.

Die Beklagte war vom 20.12.2016 bis zum 06.01.2017, sodann vom 11.01.2017 bis zum 20.01.2017 arbeitsunfähig krank. Sie erkrankte erneut am 20.02.2017 und legte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bis zum 24.03.2017 vor. Aufgrund einer Erstbescheinigung war sie erneut vom 10.04.2017 bis zum 21.04.2017, anschließend aufgrund von Folgebescheinigungen vom 25.04.2019 bis zum 12.05.2017 arbeitsunfähig krank. Für die Zeit vom 24.03.2017 bis zum 07.04.2017 lag keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Die Klägerin galt jedoch in der Einsatzschule als dienstunfähig.

Lehrkräfte haben bei Arbeitsunfähigkeit die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei ihrer Einsatzschule einzureichen. Auch im Fall der Beklagten gingen die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in der Schule in S ein. Die Einsatzschule übersandte ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen an die Bezirksregierung Detmold, die ihre Personalakten führte. Dort wird die Arbeitsunfähigkeit in dem dafür vorgehaltenen Lehrerpersonalsystem erfasst.

Bezügeauszahlende Stelle ist das Landesamt für Besoldung und Versorgung (LBV), das Änderungen in der Zahlung der Vergütung aufgrund von Änderungsmitteilungen der die Personalakten führenden Stelle vornimmt.

Das klagende Land zahlte an die Beklagte Entgelt für den gesamten Arbeitsunfähigkeitszeitraum.

Mit Schreiben vom 12.10.2018 (Bl. 64 d. A.), am 23.10.2018 der Einsatzschule der Beklagten, am 03.11.2018 dem LBV zugegangen, teilte ihre Krankenkasse C mit, das Entgeltfortzahlungsende sei aufgrund der Anrechnung von Vorerkrankungszeiten auf den 09.04.2017 festzusetzen, sie werde vom 10.04.2018 bis zum 12.05.2018 Krankengeld leisten.

Mit Schreiben vom 23.10.2018 (Bl. 60 d. A.), beim LBV am 24.10.2018 eingegangen, forderte die C das klagende Land auf, eine Verdienstbescheinigung für die Beklagte zu erteilen. Mit E-Mail vom 26.10.2018 (Bl. 62 d. A.) wies das LBV die Krankenkasse darauf hin, dass die Personalakten von der Bezirksregierung Detmold geführt würden und es nur das Lohnbüro des klagenden Landes sei. Mit E-Mail vom 14.11.2018 forderte es die Bezirksregierung Detmold auf, eine Änderungsmitteilung im Hinblick auf die Vorerkrankungszeiten der Beklagten vorzulegen. Mit E-Mail vom 21.11.2018 (Bl. 72 d. A.) legte die Bezirksregierung Detmold dem LBV eine Änderungsmitteilung (Bl. 74 d. A.) vor.

Mit Schreiben vom 07.12.2018 (Bl. 75, 76 d. A.) forderte das klagende Land die Beklagte auf, Entgeltfortzahlung in Höhe von 3.538,77 € zurückzuzahlen.

Mit Schreiben vom 28.12.2018 (Bl. 84, 85 d. A.) wies die Beklagte die Forderung unter Hinweis auf die tarifliche Ausschlussfrist nach § 37 TV-L zurück.

Mit Schreiben vom 05.03.2019 (Bl. 112, 113 d. A) teilte die C der Beklagten mit, für die Zeit vom 11.04.2017 bis zum 12.05.2017 Krankengeld in Höhe von 2.324,16 € zu zahlen.

Mit ihrer am 20.02.2019 bei dem Arbeitsgericht Bielefeld eingegangenen Klage verfolgt das klagende Land seinen Rückzahlungsanspruch weiter.

Es hat die Auffassung vertreten, der Anspruch gegen die Beklagte sei nicht nach der tariflichen Ausschlussfrist verfallen. Es hat vorgetragen:

Es sei ihm praktisch unmöglich gewesen, den Rückzahlungsanspruch im Zeitpunkt seines Entstehens durch Fortzahlung der Entgeltfortzahlung geltend zu machen. Das LBV habe erst im Oktober/November 2018 erfahren, dass die Beklagte für die Zeit vom 10.04.2017 bis zum 12.05.2017 keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gehabt habe.

Außerdem berufe sie sich rechtsmissbräuchlich auf die Ausschlussfrist. Ihr seien die Änderungen bekannt gewesen. Sie habe gewusst, dass sie wegen derselben Erkrankung vom 10.04.2017 bis zum 12.05.2017 arbeitsunfähig krank gewesen sei und deshalb keinen Anspruch auf Bezüge gehabt habe. Ihr seien alle Umstände bekannt gewesen. Gleichwohl habe sie weder die Bezirksregierung Detmold als die die Personalakten führende Dienststelle noch das LBV entsprechend informiert.

Die Forderung sei mit Schreiben vom 07.12.2018 fristgerecht geltend gemacht worden. Ob ein Verschulden der Krankenkasse im Hinblick auf die verspätete Mitteilung der Fortsetzungserkrankung vorliege, könne dahinstehen, es sei ihm jedenfalls nicht zuzurechnen.

Nachdem das klagende Land zunächst die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 3.538,77 € nebst Zinsen begehrt hatte, hat es zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an es 3.535,01 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 26.02.2019 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet:

Bis zur Inanspruchnahme durch das klagende Land habe sie keine Kenntnis davon gehabt, in der Zeit vom 10.04.2017 bis zum 12.05.2017 Entgeltfortzahlung möglicher- weise rechtsgrundlos erhalten zu haben. Sie habe keine Rechtskenntnisse bezüglich des Unterschieds zwischen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Leistung von Krankengeld.

Der Anspruch des klagenden Landes sei verfallen, da der Rückzahlungsanspruch im Zeitpunkt der Überzahlung fällig geworden sei. Sie habe keine Informationspflichten gegenüber dem klagenden Land verletzt. Vielmehr habe es dieses unterlassen, rechtzeitig entsprechende Erkundigungen einzuholen. Eine Auskunft der Krankenkasse sei nicht zeitnah eingeholt worden, obwohl sich aufgrund ihrer gehäuften Erkrankungen die Frage der Folgeerkrankung aufgedrängt habe.

Sie berufe sich nicht rechtsmissbräuchlich auf die Ausschlussfrist, da sie eine Kenntniserlangung des klagenden Landes nicht aktiv verhindert habe.

Mit Urteil vom 13.06.2019 hat das Arbeitsgericht Bielefeld die Klage abgewiesen.

Es hat ausgeführt:

Die Klage sei unbegründet, da der Anspruch des klagenden Landes gem. § 37 TV-L verfallen sei.

Der Rückzahlungsanspruch sei bereits im Jahre 2017 fällig gewesen, sodass zum Zeitpunkt der Geltendmachung mit Schreiben vom 07.12.2018 bereits Verfall eingetreten gewesen sei.

Nach Berechnung des klagenden Landes habe der sechswöchige Entgeltfortzahlungszeitraum am 02.04.2017 geendet, da eine Fortsetzungserkrankung vorgelegen habe.

Soweit es sich darauf berufe, erst durch die Mitteilung der Krankenkasse der Beklagten im Jahre 2018 erfahren zu haben, diese überzahlt zu haben, habe es diesen Sachverhalt anhand ihrer Arbeitsunfähigkeitszeiten unschwer erkennen können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Urteils wird auf Bl. 132 bis 141 d. A. Bezug genommen.

Das klagende Land hat gegen das ihm am 28.06.2019 zugestellte Urteil am 11.07.2019 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese am 26.07.2019 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend begründet.

Es rügt das erstinstanzliche Urteil als fehlerhaft und führt aus:

Das Arbeitsgericht sei von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen, indem es angenommen habe, die Beklagte sei vom 20.02.2017 bis zum 12.05.2017 durchgehend arbeitsunfähig krank gewesen.

Ihre Erkrankung vom 20.12.2016 bis zum 06.01.2017 und vom 11.01.2017 bis zum 20.01.2017 sei der Einsatzschule bekannt gegeben worden. Das LBV habe davon erst am 14.02.2019 Kenntnis erlangt.

Für die Zeit vom 24.03.2017 bis zum 07.04.2017 sei eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht vorgelegt worden. Selbst wenn die der Bezirksregierung und dem LBV unbekannte Arbeitsunfähigkeit vom 24.03.2017 bis zum 07.04.2017 angenommen werde, liege immer noch keine ununterbrochene Arbeitsunfähigkeit für den gesamten Zeitraum vor.

Regelmäßig informiere die Krankenversicherung der arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer das LBV als bezügeauszahlende Stelle über den Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums. Das sei erst im Oktober 2018 geschehen.

Das LBV habe nicht erkennen können, dass mit Ablauf des 03.04.2017 für sechs Wochen Entgeltfortzahlung geleistet gewesen sei.

Der Rückforderungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB sei deshalb nicht verfallen.

Das klagende Land beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 13.06.2019 zum dortigen Aktenzeichen 1 Ca 401/19 die Beklagte zu verurteilen, an es einen Betrag in Höhe von 3.535,01 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 26.02.2019 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend und verweist darauf, dass das klagende Land unstreitig gestellt habe, dass ihrer ehemaligen Einsatzschule die Arbeitsunfähigkeit vom 24.03.2017 bis zum 07.04.2017 bekannt gewesen sei. Eine fehlende Organisation des Informationsflusses sei ihr nicht zuzurechnen.

Im Übrigen sei zu beachten, dass § 37 TV-L nach seinem Wortlaut an die Fälligkeit, nicht jedoch an die Kenntnis des klagenden Landes anknüpfe. Der Rückzahlungsanspruch sei im Zeitpunkt der Überzahlung entstanden.

Es habe allein im Organisationsbereich des klagenden Landes gelegen, Strukturen und Informationskanäle zu schaffen, um rechtzeitig über Erkrankungen der Arbeitnehmer informiert zu werden. Bei gehäuften Erkrankungen habe es die Pflicht gehabt, von sich aus aktiv zu werden und bei der jeweiligen Krankenkasse nachzufragen, ob eine Fortsetzungserkrankung vorliege. Sie habe das klagende Land auch nicht aktiv von der Geltendmachung der Ansprüche abgehalten oder Sachverhalte pflichtwidrig nicht mitgeteilt.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Gründe

A.

Die gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 64 Abs. 2b, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO an sich statthafte und form- sowie fristgerecht eingelegte Berufung des klagenden Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 13.06.2019 ist unbegründet. Zu Recht hat das erstinstanzliche Gericht die zulässige Klage abgewiesen.

Der Anspruch des klagenden Landes auf Rückzahlung von 3.535,01 €, folgend aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB, ist gem. § 37 Abs. 1 s. 1 TV-L verfallen.

Danach verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit von den Beschäftigten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden.

I. Der TV-L ist gem. § 2 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 26.01.2016/01.02.2016 auf ihr Arbeitsverhältnis anwendbar gewesen.

II. Die Ausschlussfrist erfasst den Anspruch des klagenden Landes auf Rückzahlung überzahlter Vergütung (BAG 10.03.2005 - 6 AZR 217/04 - Rd. 11 zu § 70 BAT).

III. Der Anspruch auf Rückzahlung überzahlten Entgelts entsteht grundsätzlich im Zeitpunkt der Überzahlung und wird sofort fällig, berechnet der Arbeitgeber die Vergütung fehlerhaft, obwohl ihm die maßgeblichen Berechnungsgrundlagen bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen. Auf die Kenntnis des Arbeitsgebers von seinem Rückzahlungsanspruch kommt es in einem solchen Fall nicht an. Sind ihm die Grundlagen der Berechnung bekannt, fallen Fehler bei der Berechnung grundsätzlich in seine Sphäre, weil sie von ihm eher durch Kontrollmaßnahmen entdeckt werden können als von dem Empfänger der Leistung (BAG 10.03.2005 a.a.O. Rd. 11; 19.02.2004 - 6 AZR 664/02 - Rd. 24).

Etwas anderes gilt dann, wenn der Arbeitgeber die Überzahlung nicht erkennen kann, weil die Fehler bei der Berechnung in die Sphäre des Arbeitnehmers fallen. Teilt dieser Änderungen seiner persönlichen Verhältnisse, die sich auf die Höhe der Vergütung auswirken, dem Arbeitgeber nicht mit, wird der Anspruch auf Rückzahlung erst dann fällig, wenn dieser von den rechtsbegründenden Tatsachen Kenntnis erlangt (BAG 10.03.2005 a.a.O. Rd. 13; 19.02.2004 a.a.O. Rd. 25). Denn dem Gläubiger muss es praktisch möglich sein, den Anspruch geltend zu machen. Das setzt bei Zahlungsansprüchen allgemein voraus, dass sie wenigstens annähernd beziffert werden können. Daraus ergibt sich, dass bei Rückforderungen wegen Überzahlung die Tatsachen des Überzahlungstatbestandes bekannt sein müssen (BAG 16.11.1989 - 6 AZR 114/88 - Rd. 20).

Der Arbeitgeber darf es jedoch nicht ohne schuldhaftes Zögern versäumt haben, sich Kenntnis von den Voraussetzungen zu verschaffen, die er für die Geltendmachung benötigt (BAG 19.02.2004 a.a.O. Rd. 25; 16.11.1989 a.a.O. Rd. 21). Welche Anforderungen an das Tätigwerden des Arbeitgebers zu stellen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (BAG 19.03.1986 - 5 AZR 86/85 - Rd. 15).

Hier stützt das klagende Land seinen Bereicherungsanspruch auf die Tatsache, dass nach der Mitteilung der Krankenkasse der Beklagten vom 12.10.2018 Vorerkrankungen vom 20.02.2017 bis zum 07.04.2017 anzurechnen sind, in der Zeit ab dem 10.04.2017 bis zum 12.05.2017 im Hinblick auf eine Fortsetzungserkrankung ein Krankengeld -, aber nicht ein Entgeltfortzahlungsanspruch bestand.

Gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 TV-L erhalten Beschäftigte, die durch Arbeitsunfähigkeit infolge einer Krankheit an der Arbeitsleistung verhindert sind, ohne dass sie ein Verschulden trifft, Entgelt nach § 21 TV-L bis zur Dauer von sechs Wochen. Nach § 22 Abs. 1 Satz 2 TV-L gelten bei erneuter Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit die gesetzlichen Bestimmungen des § 3 Abs. 1 Satz 2 Entgeltfortzahlungsgesetz. Danach verliert der Arbeitnehmer wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit (Fortsetzungserkrankung) den Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nicht, wenn er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig krank war, § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz, oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von 12 Monaten abgelaufen ist, § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Entgeltfortzahlungsgesetz.

Für den Beginn der Ausschlussfrist ist damit von entscheidender Bedeutung, wann der Arbeitgeber Kenntnis von der Fortsetzungserkrankung hat bzw. wie er sich die erforderliche Kenntnis ohne schuldhaftes Zögern verschaffen kann.

1. Zwar wird der Arbeitnehmer nach Treu und Glauben gehalten sein, ihm entsprechende Mitteilung zu machen, wenn für ihn eindeutig erkennbar ist, dass er an einer Fortsetzungserkrankung leidet (BAG 19.03.1986 a.a.O. Rd. 18). Derartige Fälle der eindeutigen Erkennbarkeit werden jedoch nur selten vorliegen, weil die mit einer Fortsetzungserkrankung zusammenhängenden medizinischen und rechtlichen Fragen für den Arbeitnehmer in aller Regel nur schwer durchschaubar sind (BAG 19.03.1986 a.a.O. Rd. 18).

Das gilt auch für die Beklagte, die sich darauf beruft, vor der Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs durch das klagende Land mit Schreiben vom 07.12.2018 keine Kenntnis von der Leistungspflicht der Krankenkasse im Hinblick auf eine Fortsetzungserkrankung gehabt zu haben. Das klagende Land hat ihre Kenntnis lediglich pauschal behauptet.

2. Für das Bestehen einer Fortsetzungserkrankung trägt der Arbeitgeber im Rahmen des § 3 Abs.1 Entgeltfortzahlungsgesetz die Beweislast. Er ist allerdings regelmäßig kaum in der Lage, das Bestehen einer Fortsetzungserkrankung darzulegen, weil er über die Ursachen der Arbeitsunfähigkeit durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht unterrichtet wird. Er kann allerdings gem. § 69 Abs. 4 SGB X bei der zuständigen Krankenkasse nachfragen, ob eine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Danach sind die gesetzlichen Krankenkassen befugt, einem Arbeitgeber mitzuteilen, ob die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit oder eine erneute Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers auf derselben Krankheit beruht. Allerdings kann der Arbeitgeber die wertende Mitteilung der Krankenkasse nicht zuverlässig überprüfen, da gem. § 69 Abs. 4 2. Halbsatz SGB X die Übermittlung von Diagnosedaten an den Arbeitgeber nicht zulässig ist (BAG 13.07.2005 - 5 AZR 389/04 - Rd. 28).

Im Streit über die Entgeltfortzahlungspflicht ist der Unkenntnis des Arbeitgebers von den Krankheitsursachen bei der Verteilung der Darlegungslast zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung Rechnung zu tragen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz trägt der Arbeitnehmer. Er genügt seiner Darlegungs- und Beweislast gem. § 5 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz regelmäßig durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Ist er jedoch innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 Entgeltfortzahlungsgesetz länger als sechs Wochen arbeitsunfähig krank, ist die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht ausreichend, weil sie keine Angaben zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung enthält. Der Arbeitnehmer muss deshalb darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit, obliegt dem Arbeitnehmer die Darlegung der Tatsachen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Dabei hat er den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. Die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung sind allerdings vom Arbeitgeber zu tragen, ihn trifft die objektive Beweislast (BAG 13.07.2005 a.a.O. Rd. 29).

Daraus folgt jedoch nicht, dass der Arbeitnehmer in jedem Fall einer erneuten Arbeitsunfähigkeit oder einer Arbeitsunfähigkeit über sechs Wochen hinaus gehalten ist, von sich aus auf den Arbeitgeber zuzugehen und über die Vorlage der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hinaus Angaben zu machen, ob eine Fortsetzungserkrankung vorliegt.

Im Hinblick auf die zur Wahrung der Ausschlussfrist erforderliche Kenntnisverschaffung ohne schuldhaftes Zögern verbleibt es bei der Obliegenheit des Arbeitgebers, sich bei dem Arbeitnehmer zu erkundigen, wenn sich objektive Anhaltspunkte (wie z. B. häufige Krankschreibungen) dafür ergeben, dass eine Fortsetzungserkrankung vorliegt (so auch BAG 19.03.1986 a.a.O. Rd. 18 bei Annahme einer Beweislast des Arbeitsgebers und Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers bei der Aufklärung der rechtserheblichen Umstände), da der Arbeitnehmer regelmäßig - wie ausgeführt - die medizinischen und rechtlichen Voraussetzungen einer Fortsetzungserkrankung nicht kennt, ihm die Problematik nicht bewusst ist. Erst danach ist der Arbeitnehmer zur Mitwirkung, z. B. durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung verpflichtet.

3. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat das klagende Land es versäumt, sich ohne schuldhaftes Zögern zeitnah zu der Arbeitsunfähigkeit in der Zeit zwischen dem 20.02.2017 und dem 12.05.2017 um Aufklärung zu bemühen, ob eine Fortsetzungserkrankung vorlag.

a. Es durfte nicht warten, bis die Krankenkasse der Beklagten sich zu dieser Frage äußerte. Gem. § 69 Abs. 4 SGB X besteht eine Berechtigung, aber keine Verpflichtung der gesetzlichen Krankenkasse, den Arbeitgeber von dem Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung zu informieren.

b. Das klagende Land hatte auch ausreichenden Anlass, die Frage der Fortsetzungserkrankung zu stellen und für Aufklärung zu sorgen.

Abzustellen ist dabei auf die Kenntnis der die Personalakten der Beklagten führenden Bezirksregierung Detmold, nicht auf die Kenntnis des LBV.

aa. Zugunsten des klagenden Landes kann unterstellt werden, dass das LBV als die die Bezüge der Beklagten berechnende und auszahlende Stelle erstmals dem Schreiben der C vom 12.10.2018, bei ihm am 03.11.208 eingegangen, hat entnehmen können, dass Vorerkrankungszeiten mit der Folge anzurechnen waren, dass die Verpflichtung zur Leistung von Entgeltfortzahlung am 07.04.2017 (Freitag) endete.

Zugunsten des klagenden Landes war auch zu berücksichtigen, dass das LBV auf Änderungsmitteilungen der die Personalakten führenden Bezirksregierung angewiesen war, um die Zahlung des Arbeitsentgelts einzustellen. Das zeigen die E-Mail des LBV an die Bezirksregierung (Bl. 73 d. A.) und deren Änderungsmitteilung vom 21.11.2018 (Bl. 74 d. A.).

bb. Entgegen der Auffassung des klagenden Landes ist die Kenntnis der Bezirksregierung Detmold maßgeblich.

(1) Der Bezirksregierung mag nicht bekannt gewesen sein, dass die Beklagte in der Zeit vom 25.03.2017 bis zum 09.04.2017 arbeitsunfähig krank war, auch wenn ihre Einsatzschule von einer Arbeitsunfähigkeit auch in dieser Zeit ausging. Anhand der Personalakten konnte sie jedoch feststellen, dass die Beklagte in der Zeit vom 20.12.2016 bis zum 20.01.2017, vom 20.02.2017 bis zum 24.03.2017 und ab dem 10.04.2017 bis zum 12.05.2017 arbeitsunfähig erkrankt war. Damit war die Klägerin innerhalb der Rahmenfrist von sechs Monaten, § 3 Satz 2 Nr. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz, mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig krank. Selbst wenn ab dem 10.04.2017 zunächst eine Erstbescheinigung vorgelegt wurde, mussten die Krankheitszeiten Anlass für die Bezirksregierung sein, um die Krankenkasse der Beklagten unverzüglich gem. § 69 Abs. 4 SGB X zu dem Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung zu befragen oder die Beklagte selbst aufzufordern, ihrer Mitwirkungspflicht nachzukommen und gegebenenfalls unter Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht Auskunft über das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung zu geben. Keinesfalls durfte sie sich darauf verlassen, die Krankenkasse werde von sich aus zeitnah die erforderlichen Informationen erteilen. Dafür besteht nach § 69 Abs. 4 SGB X - wie bereits ausgeführt - keine rechtliche Verpflichtung.

(2) Das klagende Land muss sich zurechnen lassen, dass die Bezirksregierung untätig geblieben ist und sich die für die Einhaltung der Ausschlussfrist erforderliche Kenntnis nicht verschafft hat.

Die Kammer folgt nicht seiner Auffassung, es sei der Kenntnisstand des LBV maßgeblich gewesen, das Wissen der Beschäftigungsbehörde und der Bezügestelle sei bei Überzahlung einer Vergütung nicht zusammenzuführen.

Das Bundesarbeitsgericht hat zwar im Verhältnis der Beschäftigungsbehörde zu der Bezügestelle die analoge Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB bzw. die Zusammenführung des Wissens verneint (BAG 13.10.2010 - 5 AZR 648/09 - Rd. 16).

Die Entscheidung ist jedoch auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Das Bundesarbeitsgericht hatte - wie hier - zu prüfen, ob der klagenden Partei ein Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 BGB im Hinblick auf die Überzahlung der Vergütung zustand, weil die Vereinbarung eines Altersteilzeitverhältnisses von der Beschäftigungsbehörde nicht der Bezügestelle mitgeteilt worden war. Im Rahmen des § 814 BGB, nicht im Rahmen der tariflichen Ausschlussfrist, hat es geprüft, ob eine positive Kenntnis der klagenden Partei bzgl. der Rechtslage im Zeitpunkt der Leistung, der Erfüllung einer Nichtschuld deshalb bestand, weil der Beschäftigungsbehörde das Altersteilzeitverhältnis bekannt war. Es hat darauf abgestellt, dass nach § 814 1.Alt. BGB die Kenntnis des Leistenden maßgeblich ist, Leistende aber die Bezügestelle war, die sich die Kenntnis der Beschäftigungsbehörde nicht zurechnen lassen musste (BAG 13.10.2010 a.a.O. Rd. 15, 16). Die Entscheidung verhält sich nicht zu dem Beginn der tariflichen Ausschlussfrist, deren Einhaltung vom Bundesarbeitsgericht in dieser Entscheidung bejaht wurde. Insoweit hat es lediglich die Möglichkeit rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der beklagten Partei geprüft (BAG 13.10.2010 a.a.O. Rd. 18 ff.).

Das klagende Land muss sich jedoch hinsichtlich des Beginns der Ausschlussfrist als Körperschaft des öffentlichen Rechts das Wissen der die Personalakte führenden Bezirksregierung zurechnen lassen, auch wenn es sich bei der Beschäftigungsbehörde und dem LBV um zwei unterschiedliche Behörden handelt.

Die Kammer folgt der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg (31.01.2018 - 15 Sa 732/17 - Rd. 25, 26). Danach erfolgt die Zurechnung von Wissen innerhalb einer Körperschaft des öffentlichen Rechts oder auch innerhalb einer juristischen Person des Privatrechts nach dem Grundsatz, dass jede am Rechtsverkehr teilnehmende Organisation sicherzustellen hat, dass die ihr ordnungsgemäß zustehenden, rechtserheblichen Informationen von ihren Entscheidungsträgern zur Kenntnis genommen werden können (BSG 17.04.2008 - B 13 R 123/07 R - Rd. 18 ff.). Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass die Aufspaltung von Zuständigkeiten nicht dazu führen darf, dass ein Vertragspartner einer juristischen Person schlechter gestellt wird, als der Vertragspartner einer natürlichen Person (BGH 13.10.2000 - V ZR 149/99 - Rd. 14). Auch wenn zwischen verschiedenen Behörden grundsätzlich nicht eine Zurechnung von Kenntnissen erfolgt, so gilt dies dann nicht, wenn eine Behörde eine andere mit der Erledigung ihrer Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut. Eine Zurechnung kann auch aus Gründen des Verkehrsschutzes geboten sein, so z. B. wenn der Beteiligte eines Verwaltungsverfahrens berechtigterweise darauf vertrauen darf, dass das von einem Bediensteten erlangte Wissen in einer Verwaltungseinheit übergreifend verfügbar ist. Die Risiken einer Wissensaufteilung hat derjenige zu tragen, der sie veranlasst hat und durch zweckmäßige Organisation beherrschen kann (BVerwG 12.03.2015 - 3 C 6/14 - Rd. 16 f.).

Das klagende Land hat die Personalverantwortung für seine Beschäftigten so organisiert, dass nicht die Bezirksregierung als Beschäftigungsbehörde die zutreffende Berechnung und Zahlbarmachung der Vergütung in eigener Verantwortung durchführt, sondern Berechnung und Auszahlung auf das zentrale LBV ausgegliedert sind, das seinerseits auf Änderungsmitteilungen der Beschäftigungsbehörde angewiesen ist. In einem solchen Fall arbeitsteiliger Organisation muss das Wissen beider Behörden untereinander zugerechnet werden. Ansonsten stünden die Beschäftigten im öffentlichen Dienst des klagenden Landes schlechter dar, als wenn sie eine natürliche Person als Vertragspartner hätten, die das gesamte Wissen in ihrer Person vereinigt (LAG Berlin-Brandenburg 31.01.2018 a.a.O. Rd. 26).

4. Das klagende Land hat den am letzten Tag der Monate April und Mai 2017 fällig gewordenen Bereicherungsanspruch mit Schreiben vom 07.12.2018 nach Ablauf der sechsmonatigen Ausschlussfrist selbst dann geltend gemacht, wenn ihm ein gewisser Zeitraum zur Aufklärung des Sachverhalts der Fortsetzungserkrankung eingeräumt wird. Die Fälligkeit des Bereicherungsanspruchs richtet sich nach der Fälligkeit der Vergütung für die streitgegenständlichen Monate, die sich aus § 24 Abs. 1 Satz 2, 3 TV-L ergibt.

Die Leistungsklage ist der Beklagten erst am 26.02.2019 zugestellt worden.

5. Sie beruft sich auch nicht in rechtsmissbräuchlicher Weise auf den Ablauf der tariflichen Ausschlussfrist.

Es ist anerkannt, dass § 242 BGB zum Verlust eines Rechtes im Hinblick auf ein missbilligtes Verhalten führen kann, das mit der Rechtsposition in sachlichem Zusammenhang steht. Das wird z. B. angenommen, wenn der Schuldner die Kenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen verhindert. Der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs in Fällen wie dem vorliegenden beruht darauf, dass der Arbeitnehmer in Kenntnis des Irrtums des Arbeitgebers diesem Informationen vorenthält, die ihn seinen Irrtum erkennen lassen und ihm bezüglich erfolgter Überzahlungen die Einhaltung der Ausschlussfrist ermöglichte (BAG 13.10.2010 a.a.O. Rd. 19). Rechtsmissbrauch kann auch gegeben sein, wenn der Arbeitnehmer in dem Arbeitgeber das Vertrauen erweckt, er werde auch ohne Geltendmachung den Anspruch erfüllen (BAG 18.02.2016 - 6 AZR 628/14 - Rd. 25) oder er eine erhebliche Überzahlung nicht anzeigt, obwohl er erkennt, dass dem Arbeitgeber bei der Berechnung der Vergütung ein Fehler unterlaufen ist (BAG 18.02.2016 a.a.O. Rd. 26).

Hier hat das klagende Land lediglich behauptet, die Beklagte habe Kenntnis von der Fortsetzungserkrankung gehabt. Sie wird gewusst haben, an welcher Krankheit sie jeweils litt. Es besteht jedoch angesichts der komplexen medizinischen und rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Fortsetzungserkrankung kein Anhaltspunkt dafür, dass sie gewusst hat, keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung (mehr) zu haben. Sie hat das klagende Land weder davon abgehalten, sich die erforderlichen Informationen zu beschaffen, noch hat sie das Vertrauen erweckt, sie werde den Bereicherungsanspruch auch ohne ausdrückliche Geltendmachung erfüllen. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Sie hat den Anspruch des klagenden Landes vorprozessual zurückgewiesen.

B.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision rechtfertigt sich aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Zitate10
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte