LG Mönchengladbach, Beschluss vom 13.02.2020 - 4 T 14/20 und 4 T 15/20
Fundstelle
openJur 2020, 3294
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

1.

Der Beklagten wird ratenfreie Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt J aus ... bewilligt.

2.

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Viersen vom 15.01.2020 - 31 C 179/18 - aufgehoben und wie folgt neu gefasst:

a.

Der Beklagten wird ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt J aus .. für ihren Antrag auf Verlängerung der Räumungsfrist bewilligt.

b.

Die der Beklagten in dem Urteil des Amtsgerichts Viersen vom

25.09.2019 - 31 C 179/18 - bewilligte Räumungsfrist wird bis zum Ablauf des 31.03.2020 verlängert.

3.

Soweit die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss über die Versagung der Verlängerung der Räumungsfrist betroffen ist, trägt die Klägerin die Kosten

des Beschwerdeverfahrens. Im Übrigen werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.

Gründe

Die zulässigen sofortigen Beschwerden sind begründet. Aus diesem Grunde bestehen auch hinreichende Erfolgsaussichten der Beklagten im Sinne des § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO für die Durchführung der Beschwerdeverfahren.

Die sofortigen Beschwerden sind zulässig. Es fehlt der Beklagten auch nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis, soweit sie sich gegen den Prozesskostenhilfe verweigernden Beschluss wendet. Dem steht nicht entgegen, dass das erstinstanzliche Antragsverfahren bereits abgeschlossen ist. Denn da das Amtsgericht zeitgleich über den Prozesskostenhilfe- und den Sachantrag entschieden hat, hatte die Beklagte auch bei größtmöglicher prozessualer Sorgfalt keine Gelegenheit, vor Abschluss des Antragsverfahrens den Beschluss über die Verweigerung von Prozesskostenhilfe anzufechten (vgl. OLG Oldenburg NJW-RR 1991, 189; OLG Frankfurt MDR 1998, 494).

Die sofortigen Beschwerden sind begründet.

Über den Antrag nach § 721 Abs. 3 ZPO ist nach Ermessen unter Abwägung der Gläubiger- und Schuldnerinteressen zu entscheiden. Vorliegend fällt diese Abwägung zugunsten der Interessen der Beklagten aus.

Maßgebliche Kriterien der gebotenen Abwägung sind unter Anderem, ob der Schuldner sich während der bewilligten Frist hinreichend um Ersatzwohnraum bemüht hat (vgl. BGH NJW 1990, 2823; LG Mannheim NJW-RR 1993, 713) und ob der Schuldner eine andere Wohnung gefunden hat und so ein Zwischenumzug verhindert werden kann (vgl. LG Waldshut-Tiengen WuM 1996, 53; LG Münster WuM 1993, 62). Auch die Frage, ob eine laufende Nutzungsentschädigung gezahlt wird, kann berücksichtigt werden (vgl. LG Stuttgart NJW-RR 2007, 15).

Für das Interesse der Klägerin an der Räumungsvollstreckung streitet, dass das Mietverhältnis bereits mit der Kündigung aus August 2018 - mithin vor mehr als anderthalb Jahren - sein Ende gefunden hat und dass der Beklagten bereits in dem Urteil des Amtsgerichts eine viermonatige Räumungsfrist eingeräumt wurde. Die

Beklagte hat überdies nicht substantiiert vorgetragen, sich um vor Ablauf der

Räumungsfrist verfügbaren Ersatzwohnraum bemüht zu haben. Im Einzelnen hat die Beklagte weder dargelegt, wann, wo und wie sie nach verfügbaren Wohnungen gesucht hat, noch ob sie potentielle Vermieter kontaktiert und sich auf angebotenen Wohnraum beworben hat. Auch wann, ob und in welchem Umfang die Beklagte bei der Wohnraumsuche amtliche Hilfe - etwa über das Wohnungsamt oder das Jugendamt - in Anspruch genommen hat, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Insbesondere lässt der Vortrag der Beklagten in zeitlicher Hinsicht nicht erkennen, ob die Beklagte die ihr bereits bewilligte viermonatige Räumungsfrist von Beginn an genutzt hat, um zumindest ab Erlass des Räumungsurteils einen Auszug innerhalb der Räumungsfrist zu realisieren.

Demgegenüber streitet für das Interesse der Beklagten an der Verlängerung der Räumungsfrist insbesondere der Umstand, dass es sich bei ihr um eine alleinerziehende Mutter von vier minderjährigen Kindern handelt, die die Räumungsvollstreckung besonders hart träfe. Bei lebensnaher Betrachtung dürfte ihre familiäre Situation - insbesondere die Wahrnehmung der Obhutspflichten gegenüber dem erst im April 2019 geborenen Sohn - die alleinerziehende Beklagte in einem Umfang tatsächlich beansprucht haben, der die Möglichkeiten der Wohnungssuche einschränkte. Dies lässt das Gewicht des mangelhaften Vortrags zu den Bemühungen der Beklagten geringer erscheinen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass sie ab dem 01.04.2020 - und mithin in weniger als zwei Monaten - Ersatzwohnraum gefunden hat. Daraus folgt ein nachvollziehbares Interesse der Beklagten, gerade mit Blick auf ihre familiäre Situation nicht binnen zwei Monaten zwei Umzüge durchführen zu müssen. Auch gewährleistet der Leistungsbezug durch das Jobcenter bis zum Ablauf der verlängerten Räumungsfrist die Zahlung der laufenden Nutzungsentschädigung an die Klägerin. In Ansehung des Umstandes, dass die dem Räumungsurteil zugrunde liegende Kündigung gerade auf Zahlungsverzug beruhte, schränkt dieser Umstand das Räumungsinteresse der Klägerin ein. Denn diese erleidet in der Zwischenzeit keinen weiteren wirtschaftlichen Schaden.

Unter diesen Voraussetzungen überwiegen die zu berücksichtigenden Interessen der Beklagten das Interesse der Klägerin an der Vollstreckung des erstrittenen Räumungstitels vor dem Ablauf des 31.03.2020.

Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Beschwerde gegen die Versagung der

Verlängerung der Räumungsfrist folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens über die Prozesskostenhilfe werden nicht erstattet, § 127 Abs. 4 ZPO.

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