LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.05.2017 - L 8 SO 166/15
Fundstelle
openJur 2020, 3204
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. S 27 SO 280/14
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 30. April 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger begehrt die Kostenerstattung wegen eines Pflegeheimaufenthalts in der Zeit vom 19. Dezember 2009 bis 1. Februar 2010 als Leistung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).

Der 1942 geborene Kläger hält sich in E. ohne gemeldete Wohnanschrift auf, bezog bis Oktober 2007 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und erhielt anschließend eine Regelaltersrente in monatlicher Höhe von etwa 770,00 €. Nach einer Schulteroperation am 12. Oktober 2009 begab sich der Kläger in der Zeit vom 15. Oktober bis zum 26. November 2009 zu einem Kurzzeit- und einem sich anschließenden 14-tägigen Verhinderungspflegeaufenthalt in das Alten- und Pflegeheim F. (im Folgenden G.) in Hannover. Die Beklagte übernahm die Kosten für diesen Aufenthalt abzüglich eines Eigenanteils in Höhe von insgesamt 159,34 €, nachdem sich die von der beklagten Region herangezogene Landeshauptstadt (LHH) hierzu in einem gerichtlichen Eilverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Hannover (- S 51 SO 344/09 ER -) mit Schriftsatz vom 24. September 2009 vorbehaltlich einer Bedarfsdeckung durch eigenes Einkommen oder Leistungen der Pflegekasse des Klägers verpflichtet hatte.

Nach einem weiteren Krankenhausaufenthalt sollte der Kläger ab 21. Dezember 2009 erneut zum Zwecke der Kurzzeitpflege im G. stationär aufgenommen werden. Auf die Weigerung des Klägers, den ausstehenden Eigenanteil (gegenüber dem G.) zu begleichen, lehnte die Heimleitung dessen Aufnahme in der Einrichtung allerdings ab. Zu einem (weiteren) Aufenthalt des Klägers im G. kam es im Anschluss nicht, obwohl sich die LHH in einem gerichtlichen Eilverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Hannover (- S 51 SO 671/09 ER -; Aktenzeichen des LSG - L 8 SO 71/10 B ER -) mit Schriftsätzen vom 14. Dezember 2009 und 5. Januar 2010 bereit erklärt hatte, die durch die erneute Operation anfallenden Kosten der Kurzzeitpflege im Umfang des „Anerkenntnisses“ vom 24. September 2009 aus Mitteln der Sozialhilfe zu übernehmen, soweit diese nicht durch etwaige Leistungen der Pflege- bzw. Krankenkasse  oder durch Einkommen des Klägers gedeckt seien.

Zwei Jahre später führte der Kläger in dem an die LHH gerichteten Schreiben vom 14. Dezember 2011 aus, dass die umfassende Pflegeversorgung vom 19. Dezember 2009 bis 1. Februar 2010 nach der erneuten Operation erfolgreich verlaufen sei. Gemäß dem Anerkenntnis im gerichtlichen Eilverfahren erwarte er bis zum 23. Dezember 2011 die Pflegekostenübernahme in Höhe von 4.246,00 €. Außerdem drohte er der LHH ein Zwangsgeld in Höhe von 50.000,00 € sowie Klage auf Zahlung an. Die daraufhin (ohne Durchführung eines Verwaltungsverfahrens) vom Kläger beim SG erhobene Leistungsklage war aufgrund prozessualer Gründe erfolglos, erstinstanzlich mit der Begründung, es fehle an einem Vorverfahren als Prozessvoraussetzung (Gerichtsbescheid des SG vom 23. April 2012 - S 81 SO 623/11 -), zweitinstanzlich mangels Rechtsschutzbedürfnis. Einer Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes hätte es in diesem Einzelfall nicht bedurft, weil sich der Kläger wegen der vorherigen Zusicherung der Kostenübernahme mit entsprechenden Rechnungen oder sonstigen Belegen über den Pflegeheimaufenthalt zunächst an die Beklagte hätte wenden können (Urteil des LSG vom 18. Juli 2013 - L 8 SO 201/12 -).

Der Antrag auf Kostenübernahme vom 14. Dezember 2011 wurde nach Erhebung einer Untätigkeitsklage (- S 27 SO 320/12; L 8 SO 388/15 -) durch Bescheid der LHH vom 24. Februar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 10. Juni 2014 mit der Begründung abgelehnt, dass der Kläger ohne Nachweis eines Pflegeheimaufenthalts und der hierdurch entstandenen Kosten keine Leistungen der stationären Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff. SGB XII beanspruchen könne.

Die hiergegen vom Kläger am 10. Juli 2014 erhobene Klage hat das SG durch Gerichtsbescheid vom 30. April 2015 mit der Begründung abgewiesen, die Klage sei mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Aufgrund des Anerkenntnisses des Beklagten vom 14. Dezember 2009 hätte der Kläger sein Rechtsschutzziel ohne weiteres durch Vorlage der entsprechenden Belege und Rechnungen beim Beklagten erreichen können. Die im gerichtlichen Verfahren vorgelegte eidesstattliche Versicherung vom 9. Juli 2014 über die angeblich angefallenen Heimkosten sei insoweit als Beweismittel ungeeignet. Für die mit der Klage ebenfalls beantragte Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen die Beklagte in Höhe von 50.000,00 € fehle es an einer Rechtsgrundlage.

Gegen diese dem Kläger am 8. Mai 2015 zugestellte Entscheidung richtet sich dessen Berufung vom 4. Juni 2015. Er macht u.a. geltend, dass er die geltend gemachten Pflegeheimkosten nach Aufnahme eines Kredits im Voraus entrichtet habe, den Namen der Einrichtung aber nicht nennen werde, weil er sich aus Dankbarkeit gegenüber dem Pflegepersonal zur Verschwiegenheit verpflichtet habe. Er beanstandet weiter, dass die Beklagte die Kostenübernahme willkürlich von einem Eigenanteil abhängig gemacht und - so der Vortrag des Klägers - alle Pflegeeinrichtungen aufgefordert habe, die Aufnahme des Klägers bis zur Zahlung des Eigenanteils zu verweigern. Rechtsgrundlage für die Zahlung des Zwangsgeldes seien „die kriminellen Handlungen der Beklagten, bürgerschädigende und -vernichtende Tatbestände zu schaffen sowie auf Bürgeranträge erst unter Mitwirkung der Gerichte zu reagieren.“

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Bescheid der Landeshauptstadt Hannover vom 24. Februar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 10. Juni 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger 4.246,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 23. Dezember 2011 sowie weitere 50.000,00 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Der Senat hat die Entscheidung über die Berufung durch Beschluss vom 22. September 2015 dem Berichterstatter übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, einer Vorprozessakte des SG Hannover (- S 51 SO 671/09 ER -) und der beigezogenen Verwaltungsakte der LHH (Az. 50.117, S 605067) verwiesen. diese Akten haben dem Gericht vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Gründe

Die Entscheidung ergeht nach Übertragung der Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Berichterstatter unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter.

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte und ohne Zulassung statthafte (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGG) Berufung ist unbegründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, 4 SGG) gegen den Bescheid der Landeshauptstadt Hannover vom 24. Februar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 10. Juni 2014 (§ 95 SGG) und die zusätzlich erhobene (isolierte) Leistungsklage auf Zahlung eines Zwangsgeldes von 50.000,00 € im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Abweichend von der Begründung des SG erachtet der Senat allerdings die Klagen (insgesamt) als zulässig, insbesondere ist das Rechtsschutzbedürfnis (bzw. Rechtsschutzinteresse) des Klägers als allgemeine Prozessvoraussetzung (vgl. dazu etwa Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, Vor § 51 Rn. 16-19 m.w.N.) nicht allein deshalb zu verneinen, weil er sein Rechtsschutzziel bereits durch die Vorlage von Belegen und Rechnungen über die angeblich vom 19. Dezember 2009 bis 1. Februar 2010 stattgefundene Pflege in einer Einrichtung bei der LHH erreichen könne. Der Kläger ist im vorliegenden Verfahren der Auffassung, es genüge zum Nachweis dieser Kosten die von ihm zur Gerichtsakte gereichte „eidesstattliche“ Versicherung vom 9. Juli 2014. Die Bewertung dieser Erklärung im Rahmen der freien Beweiswürdigung berührt nicht die Zulässigkeit der Klage, sondern ist Gegenstand des Erkenntnisverfahrens (dazu auch gleich) und damit der Begründetheit der Klage. Dies unterscheidet die Sachlage auch von derjenigen, die dem Senatsurteil vom 18. Juli 2013 (- L 8 SO 201/12 -) zu Grunde gelegen hat. Insoweit steht die Rechtskraft dieses (Prozess-) Urteils auch nicht einer erneuten Entscheidung des Senats in der Sache entgegen, weil es die Beteiligten nach § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG nur bindet, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, hier also über die Unzulässigkeit der Klage wegen des Fehlens eines Rechtsschutzinteresses bei einem in wesentlicher Hinsicht vom vorliegenden Fall abweichenden Sachverhalt.

Die Klagen sind unbegründet. Der Bescheid der Landeshauptstadt Hannover vom 24. Februar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 10. Juni 2014 (§ 95 SGG), mit dem die Erstattung von angeblich entstandenen und vom Kläger beglichenen Pflegekosten abgelehnt worden ist, ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht i.S. des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die von ihm gegen die Beklagte geltend gemachten Zahlungsansprüche stehen ihm nicht zu.

Ob für den streitigen Kostenerstattungsanspruch für Leistungen nach dem Siebten Kapitel des SGB XII (Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff. SGB XII) als Rechtsgrundlage das von der für die Beklagte handelnden LHH in dem vorangegangenen Eilverfahren abgegebene Anerkenntnis vom 14. Dezember 2009, konkretisiert durch Schriftsatz vom 5. Januar 2010 (Bl. 22 und 26 d. GA - S 51 SO 671/09 ER; L 8 SO 71/10 B ER -), in Betracht kommt oder aber § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) bzw. § 15 Abs. 1 Satz 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in entsprechender Anwendung einschlägig sind, kann hier dahinstehen. Auch kann dahinstehen, ob ein entsprechender Anspruch nicht bereits an der fehlenden Kenntnis der Beklagten von den Voraussetzungen für die Leistung scheitert (§ 18 Abs. 1 SGB XII), weil sie über die Pflegebedürftigkeit des Klägers nach dem erneuten Krankenhausaufenthalt im Dezember 2009 und die näheren Umstände des angeblich stattgefundenen Aufenthalts in einem Pflegeheim - bis heute - keine Informationen hat.

20Einem Kostenerstattungsanspruch des Klägers steht bereits entgegen, dass nicht bewiesen ist, ob und - wenn ja - in welcher Höhe ihm wegen eines Heimaufenthalts zur Kurzzeit- und Verhinderungspflege im Anschluss an die Operation im Dezember 2009 überhaupt Kosten entstanden sind. Nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es muss sich grundsätzlich die volle Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen der Tatsachen verschaffen (sog. Vollbeweis), wobei eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichend ist. Dies ist der Fall, wenn eine Tatsache in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu bilden (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rn. 3b m.w.N.). Die Glaubhaftmachung einer tatsächlichen Behauptung (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 294 Zivilprozessordnung), etwa durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung, ist nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung oder ausnahmsweise aufgrund der Zweckbestimmung des Gesetzes ausreichend (Keller, a.a.O., Rn. 3d). Können nach Ausschöpfung der dem Gericht im Rahmen der Amtsermittlung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten für die Entscheidung erhebliche Tatsachen nicht festgestellt werden (non liquet), geht dies nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast (auch materielle Beweislast oder Feststellungslast genannt) zu Lasten desjenigen Beteiligten, der sich zur Begründung seines Anspruchs auf die Tatsache beruft (vgl. hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 103 Rn. 19a m.w.N.).

21Nach diesen Maßgaben ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass sich der Kläger nach der Operation im Dezember 2009 zur Kurzzeit- und Verhinderungspflege in einer Einrichtung aufgehalten hat und ihm wegen eines solchen Aufenthalts Kosten in Höhe von 4.246,00 € entstanden sind. Dies geht zu seinen Lasten. Entgegen seinem Vortrag ist in gleicher Weise möglich und wahrscheinlich, dass er entweder überhaupt keine (stationären) Pflegeleistungen in Anspruch genommen oder unentgeltlich Hilfe erhalten hat oder eine evtl. entstandene, aber mittlerweile aufgrund Verjährung einredefähige bzw. -behaftete Forderung nicht mehr gegen ihn geltend gemacht werden kann. Der Sachverhalt ist insoweit ungeklärt. Die „eidesstattliche“ Versicherung des Klägers vom 9. Juli 2009 ist - ungeachtet förmlicher Voraussetzungen für deren Abgabe - in diesem Hauptsacheverfahren kein taugliches Beweismittel, weil es hierfür an einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung bzw. einer Zweckbestimmung des Gesetzes mangelt. Dem Gericht stehen weitere Ermittlungsmöglichkeiten zu der Frage, ob dem Kläger Pflegekosten entstanden sind und - wenn ja - in welcher Höhe, nicht zur Verfügung. Name und Sitz der angeblichen Einrichtung und der Behandlungszeitraum sind dem Gericht unbekannt. Der Kläger verweigert weitere Angaben mit dem Hinweis, dass er sich aus Dankbarkeit gegenüber dem Pflegepersonal zur Verschwiegenheit verpflichtet habe. Unter diesen Umständen stößt auch die Amtsermittlungspflicht des Gerichts an ihre Grenzen. Stellt ein Beteiligter für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts lediglich Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" auf, brauchen die Tatsacheninstanzen solchen Beweisantritten nicht nachzugehen (BSG, Urteil vom 13. April 2015 - B 12 KR 109/13 B - juris Rn. 12).

Dem Kläger steht gegen die Beklagte auch kein Anspruch auf Zahlung eines Zwangsgeldes zu, weil es hierfür - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - an einer Rechtsgrundlage fehlt. Einen Amtshaftungsanspruch, über den der Senat womöglich wegen der Bindungswirkung des § 17a Abs. 5 Gerichtsverfassungsgesetz zweitinstanzlich in der Sache hätte befinden müssen (vgl. dazu etwa BSG, Beschluss vom 5. März 2015 - B 8 SO 38/14 BH - juris Rn. 5), hat der Kläger nicht geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

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