BGH, Beschluss vom 12.02.2020 - IV ZB 29/18
Fundstelle
openJur 2020, 2875
  • Rkr:
Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 17. Zivilsenats des Oberlandgerichts Dresden vom 10. September 2018 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 100.000 €

Gründe

I. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er Erbe seiner 2013 verstorbenen Mutter ist. Im Wege der Stufenklage beantragt er zudem die Verurteilung des Beklagten zur Auskunft über den Nachlass und Herausgabe sich hieraus ergebender Nachlassgegenstände.

In der mündlichen Verhandlung am 4. August 2017 hat das Landgericht Verkündungstermin auf den 15. September 2017 bestimmt, den es später auf den 20. Oktober 2017, von dort auf den 1. Dezember 2017 und sodann auf den 8. Dezember 2017 verlegt hat. An diesem Tag hat es ausweislich des Protokolls ein klageabweisendes Urteil bestehend aus dem Tenor ohne Gründe verkündet. Am 8. Mai 2018 ist das mit Gründen versehene Urteil zur Geschäftsstelle gelangt. Das Empfangsbekenntnis des Klägervertreters datiert vom 13. Mai 2018. Der Kläger hat am 9. Juni 2018 Berufung eingelegt.

Mit dem vorliegend angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen und seine Berufung als unzulässig verworfen, weil sie zwar die Regelfrist wahre, nicht aber die absolute Berufungsfrist nach § 517 Halbs. 2 ZPO. Diese habe am 8. Mai 2018 begonnen und sei mit Ablauf des 8. Juni 2018, einem Freitag, abgelaufen.

Die Zustellung beglaubigter Abschriften des angefochtenen Beschlusses ist am 10. September 2018 verfügt worden. Am 25. September 2018 hat die Urkundsbeamtin dem Klägervertreter per Telefax mitgeteilt (GA II 241), "am 11.09.2018 wurde Ihnen gegen Empfangsbekenntnis gem. § 174 Abs. 1 ZPO die beglaubigte Abschrift des Beschlusses vom 10.09.2018 zugeleitet. Das Empfangsbekenntnis ist bis heute hier nicht eingegangen. Um dessen Zusendung wird umgehend gebeten." Auf dem Ausdruck des Telefax-Sendeberichts, der das Schreiben an den Rechtsanwalt wiedergibt (nach GA II 241), ist handschriftlich und von der Urkundsbeamtin unterzeichnet vermerkt "Beschluss gegen ZU an KV 8.10.18". Darunter ist ein Aufkleber mit einem Strichcode und der Nummer N140000531819 angebracht. Auf der die Zustellung an den Klägervertreter am 9. Oktober 2018 ausweisenden Zustellungsurkunde finden sich ein gleichartiger Aufkleber mit derselben Nummer, das Aktenzeichen und die Angabe "Bl. 241". Unter dem 24. Oktober 2018 hat ein anderer Rechtsanwalt angezeigt, er sei amtlicher Vertreter des Klägervertreters, der angefochtene Beschluss sei ihm am selben Tag zugegangen.

II. Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist zwar nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist aber verfristet und deshalb gemäß § 577 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses einzulegen. Die Zustellung hat in einem anhängigen Verfahren an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen, § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Das ist im Streitfall am 9. Oktober 2018 geschehen, was durch die von dem Zusteller eines Postunternehmens unterzeichnete Zustellungsurkunde mit der Beweiskraft gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2, § 418 Abs. 1 ZPO nachgewiesen ist. Die Rechtsbeschwerde ist am 26. November 2018, einem Montag, eingelegt worden, also nach Fristablauf.

2. Der Einwand der Rechtsbeschwerde, die Zustellungsurkunde beweise allenfalls die Zustellung einer Verfügung der Urkundsbeamtin, nicht aber diejenige des in der Urkunde nicht genannten angefochtenen Beschlusses in beglaubigter Abschrift, greift nicht durch. Zwar trifft der Ausgangspunkt zu, dass sich die Beweiskraft gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2, § 418 Abs. 1 ZPO nur auf die in der Zustellungsurkunde festgestellten Tatsachen erstreckt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2018 - XII ZB 138/18, NJW 2018, 2802 Rn. 5). § 182 Abs. 2 ZPO verlangt aber nicht die Bezeichnung des zugestellten Schriftstücks in der Zustellungsurkunde. Zudem ist die Zustellungsurkunde kein notwendiger (konstitutiver) Bestandteil der Zustellung, sondern dient nur deren Nachweis (BGH, Urteil vom 19. Juli 2007 - I ZR 136/05, NJW-RR 2008, 218 Rn. 26; Beschluss vom 11. Juli 2018 aaO; BT-Drucks. 14/4554 S. 15; Zöller/Schultzky, ZPO 33. Aufl. § 166 Rn. 10). Zur Klärung der Frage, welches Schriftstück zugestellt wurde, sind daher neben etwaigen Angaben in der Zustellungsurkunde auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles, insbesondere die Verfügungen des Gerichts, zu würdigen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2018 aaO Rn. 8).

Im Streitfall ist in der Zustellungsurkunde in dem Textfeld "1.2 Ggf. weitere Kennz." vermerkt "Bl. 241". Das verweist auf die Verfügung der Urkundsbeamtin vom 25. September 2018, in welcher der Prozessbevollmächtigte des Klägers zur Rücksendung des Empfangsbekenntnisses betreffend die beglaubigte Abschrift des Beschlusses aufgefordert wird. Am 8. Oktober 2018 (dem Vortag der Zustellung) hat die Urkundsbeamtin auf dem Telefax-Sendebericht dieser Verfügung (ohne Blattzahl hinter GA II 241) vermerkt "Beschluss gegen ZU an KV". Darunter ist ein Aufkleber mit derselben Nummer angebracht, die sich auf einem entsprechenden Aufkleber auf der Zustellungsurkunde findet. Aus dem Zusammenhang der Verfügungen vom 25. September und 8. Oktober 2018, der Angabe der Blattzahl in der Zustellungsurkunde sowie den Aufklebern auf der Verfügung vom 8. Oktober 2018 und der Zustellungsurkunde ergibt sich zur Überzeugung des Senats hinreichend deutlich, dass dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 9. Oktober 2018 eine beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses zugestellt worden ist.

3. Ohne Erfolg bleibt der Einwand der Rechtsbeschwerde, es liege keine Zustellungsurkunde im Sinne von § 182 ZPO mit der Beweiswirkung des § 418 ZPO vor, weil nicht ersichtlich sei, dass das mit der Zustellung beauftragte Unternehmen nach § 33 Abs. 1 PostG beliehen sei. Der Senat hat zwar die Einhaltung der Frist des § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO und damit auch den Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Beschlusses von Amts wegen zu prüfen (§ 577 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Prüfung von Amts wegen bedeutet aber nicht Amtsermittlung der Tatsachen und Erforschung der Wahrheit wie beim Untersuchungsgrundsatz (RGZ 160, 338, 346 f., 348). Die Prüfung von Amts wegen beschränkt sich vielmehr auf den dem Gericht vorliegenden oder offenkundigen Prozessstoff (BGH, Urteile vom 20. Januar 1989 - V ZR 173/87, NJW 1989, 2064 [juris Rn. 17]; vom 11. Februar 1982 - III ZR 39/81, NJW 1982, 1467 [juris Rn. 15]; vom 5. November 1975 - VIII ZR 73/75, NJW 1976, 149 [juris Rn. 9]; MünchKomm-ZPO/Rauscher, 5. Aufl. Einl. Rn. 350; Brehm in Stein/Jonas, ZPO 23. Aufl. Einl. Rn. 257). Hieraus ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Berufungsgericht entgegen § 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO einen nicht nach § 33 Abs. 1 PostG beliehenen Unternehmer mit der Ausführung der Zustellung beauftragt haben könnte. Näheres trägt der Kläger nicht vor. Erleichterungen seiner Darlegungslast, wie sie bei gerichtsinternen Vorgängen geboten sein können (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2013 - VIII ZB 13/13, NJW-RR 2014, 179 Rn. 10, 13 f. m.w.N.), kommen nicht in Betracht, da das Postunternehmen in der Zustellungsurkunde benannt wird und damit auch dem Kläger bekannt ist.

4. Der Wirksamkeit der gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu Recht an den Prozessbevollmächtigten gerichteten Zustellung am 9. Oktober 2018 steht nicht entgegen, dass sich später ein anderer Rechtsanwalt als gemäß § 53 BRAO bestellter amtlicher Vertreter zur Akte gemeldet und erklärt hat, der angefochtene Beschluss sei ihm am 24. Oktober 2018 zugegangen. Auf den Zugang bei dem Vertreter kommt es nicht an. Die Bestellung zum amtlichen Vertreter verleiht dem Vertreter die im Vertretungsfall erforderliche Vertretungsmacht nach außen, schränkt aber nicht die Rechtsposition des Vertretenen aufgrund seiner Mandatierung durch die Partei und Bestellung zum Prozessbevollmächtigten ein (vgl. BGH, Urteile vom 9. Dezember 1974 - III ZR 134/72, NJW 1975, 542 [juris Rn. 19 f.]; vom 5. Oktober 1970 - III ZR 8/68, VerwRspr 1971, 509, 510 f.; Dahns in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht 3. Aufl. § 53 BRAO Rn. 49; Nöker in Weyland, BRAO 10. Aufl. § 53 Rn. 81 f.).

5. Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde ist zu Recht nicht beantragt. Wiedereinsetzungsgründe sind nicht ersichtlich.

Mayen Felsch Harsdorf-Gebhardt Lehmann Dr. Götz Vorinstanzen:

LG Zwickau, Entscheidung vom 08.12.2017 - 7 O 983/14 -

OLG Dresden, Entscheidung vom 10.09.2018 - 17 U 858/18 -