VG Minden, Beschluss vom 06.05.2019 - 6 L 430/19
Fundstelle
openJur 2020, 2702
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Die Antragsteller tragen als Gesamtschuldner die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

Der Antrag vom 9.4.2019 (Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO) mit dem sinngemäßen Inhalt,

die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller im Verfahren 6 K 789/19 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18.12.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.2.2019 wieder herzustellen,

ist unbegründet. Das öffentliche Interesse an der Beibehaltung der von der Antragsgegnerin am 26.3.2019 formell ordnungsgemäß angeordneten (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) und begründeten (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO) sofortigen Vollziehbarkeit des streitigen Bescheides überwiegt das entgegenstehende Aufschubinteresse der Antragsteller, weil der streitige Bescheid vom 18.12.2018, mit dem die Antragsgegnerin die Erbringung der den Antragstellern im Zuge des Bescheides vom 6.12.2018 ab Januar 2019 bewilligten Kindertagespflege ihrer am 16.11.2017 geborenen Tochter M. F. durch die Tagespflegemutter Z. U. zurückgenommen hat - die Bewilligung der Tagespflege als solche soll ausweislich des Widerspruchsbescheides unberührt bleiben -, in der jetzt maßgebenden Gestalt des Widerspruchsbescheides (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) offensichtlich rechtmäßig ist.

Die Rücknahme der Bewilligung der Tagespflegeleistung durch Frau U. rechtfertigt sich aus § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, unter den Voraussetzungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Bewilligung der Tagespflegeleistung durch die Pflegeperson U. war rechtswidrig, denn der von den Antragstellern der Sache nach geltend gemachte Tagespflegevertrag mit Frau U. ist bei lebensnaher Betrachtung offensichtlich nur ein Scheingeschäft und daher nichtig (§ 117 BGB). Kindertagespflegeleistungen nach dem SGB VIII gegen Entgelt (§ 43 Abs. 1 SGB VIII) und mit Anspruch auf staatliche Förderung (§ 23 Abs. 1 bis 2a SGB VIII) können und sollen nur durch andere Personen als die Personensorgeberechtigten des betreffenden Kindes - in der Regel die Eltern - erbracht werden, wie sich schon im Wortlaut des § 43 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII (Betreuung von fremden Kindern) andeutet. Denn Pflege und Erziehung der eigenen Kinder sind zuvörderst die den Eltern obliegende Pflicht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und damit grundsätzlich auch von ihnen zu finanzieren. Mit der Anerkennung der Tagespflegeperson U. als Tagespflegemutter für die Tochter der Antragsteller würden die genannten Grundsatzentscheidungen der Normgeber des Grundgesetzes und des SGB VIII unterlaufen. Denn Frau U. betreibt zusammen mit der Antragstellerin zu 1. eine Großtagespflege i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 des Kinderbildungsgesetzes NRW - KiBiz -, ist also berechtigt, gemeinsam mit der Antragstellerin zu 1. gleichzeitig bis zu neun (fremde) Kinder zu betreuen. Aus § 4 Abs. 2 Satz 3 KiBiz folgt, dass in einer Großtagespflege die vertragliche und pädagogische Zuordnung des einzelnen Kindes zu einer bestimmten Tagespflegeperson gewährleistet sein muss. Die von den Antragstellern geltend gemachte Zuordnung der Tochter der Antragsteller zur Tagespflegeperson U. ist aber vertraglich wie pädagogisch offensichtlich nicht gewährleistet. Denn ein erst gut ein Jahr altes Kleinkind wird nach aller Lebenserfahrung dann, wenn es sich während des Tages in einer Räumlichkeit mit zwei Erwachsenen aufhält, den Kontakt zumindest weit überwiegend, wenn nicht gar ausschließlich zur leiblichen Mutter - hier der Antragstellerin zu 1. - und nicht zu einer dritten "fremden" Person suchen und halten. Dies kann sowohl den Antragstellern als auch Frau U. nicht unbekannt sein. Die vertraglich vereinbarte Betreuung von M. F. durch Frau U. geht also an der Lebenswirklichkeit vorbei und ist deshalb rechtlich ein Scheingeschäft. Tatsächlich würde damit die leibliche Mutter, die Antragstellerin zu 1., und nicht deren Geschäftspartnerin die Betreuung der Tochter der Antragsteller übernehmen und die Antragsgegnerin würde dafür staatliche Geldleistungen erbringen, wenn der Bewilligungsbescheid vom 6.12.2018 unverändert bestehen bliebe. Das stünde in offensichtlichem Widerspruch zu den Grundgedanken der Kindertagespflege i.S.d. SGB VIII.

§ 45 Abs. 2 SGB X - die von Absatz 1 Satz 1 ebenfalls in Bezug genommenen Absätze 3 und 4 dieser Norm sind vorliegend nicht von Belang - steht der Rücknahmeentscheidung offensichtlich nicht entgegen. Denn ein etwaiges Vertrauen der Antragsteller auf den Bestand des Ursprungsbescheides vom 6.12.2018 wäre ungeachtet der Frage, ob sie sich überhaupt auf ein solches Vertrauen berufen könnten (§ 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X) - sie sollen im Vorfeld der Bewilligung beratend darauf hingewiesen worden sein, dass die Betreuung des eigenen Kindes in der von der Antragstellerin zu 1. mitbetriebenen Großtagespflegestelle nicht möglich sei - zumindest nicht schutzwürdig, zumal sie mit Blick auf die Tagespflegeperson U. keine nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig zu machenden Vermögensdispositionen geltend machen (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X) und solche Dispositionen bis zum Erlass des streitigen Bescheides am 18.12.2018 auch ausgeschlossen erscheinen. Es liegt allein bei den Antragstellern selbst, ob sie von der Grundsatzbewilligung der Kindertagespflege für ihre Tochter durch die Antragsgegnerin Gebrauch machen wollen, indem sie der Antragsgegnerin eine geeignete andere Tagespflegeperson als Frau U. benennen.

Irgendwelche Ermessensfehler bei der Rücknahmeentscheidung der Antragsgegnerin sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2, 188 Satz 1, Satz 2 Halbs. 1 VwGO.

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