OLG Hamburg, Urteil vom 29.11.2018 - 3 U 111/18
Fundstelle
openJur 2020, 2363
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 03.05.2018 abgeändert. Die zu Ziffer 1. c) des Tenors des Landgerichts Hamburg erlassene einstweilige Verfügung wird aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass wird insoweit zurückgewiesen. Die Berufung der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt die Antragstellerin zu 2/3 und die Antragsgegnerin zu 1/3.

Gründe

A. Die Antragstellerin wendet sich gegen Aussagen in einer Werbekarte der Antragsgegnerin für das Präparat L..

Die Antragstellerin vertreibt in Deutschland das Arzneimittel E. mit dem Wirkstoff A., das unter anderem für die Behandlung der altersbedingten Makuladegeneration (AMD) und der Visusbeeinträchtigung aufgrund eines diabetischen Makulaödems (DMÖ) indiziert ist (Fachinformation E., Anlage ASt 2). Die Antragsgegnerin vertreibt in Deutschland das Arzneimittel L. mit dem Wirkstoff R., das ebenfalls unter anderem für die Behandlung der AMD und des DMÖ zugelassen ist (Fachinformation L., Anlage ASt 3).

Die Antragsgegnerin bewirbt ihr Arzneimittel L. gegenüber Fachkreisen, nämlich spezialisierten Augenärzten, mit der streitgegenständlichen Werbekarte unter der Überschrift„L.®: 10 Jahre Erfahrung1 – 10 gute Gründe“ (Anlage AS 1)

Von den ursprünglich drei angegriffenen Angaben sind nur noch zwei Gegenstand des Berufungsverfahrens. Wegen einer Angabe (Antrag Ziffer 1. a)) hat die Antragsgegnerin die erlassene einstweilige Verfügung als endgültige Regelung gegen sich gelten lassen. Weiter streitig sind die folgenden Angaben:

-„Überzeugende Bindungsaffinität8“ und/oder-„Speziell zur Anwendung im Auge entwickelt – Molekül ohne FC-Teil9 – geringe systemische Exposition9“Die Antragstellerin hat am 15.01.2018 von der Werbekarte Kenntnis erlangt (Anlage ASt 9). Sie hat die Antragsgegnerin vergeblich unter dem 09.02.2018 (Anlage ASt 10) abgemahnt. Am 22.02.2018 hat sie den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung eingereicht und diesen mit Schriftsatz vom 02.03.2018 weitergehend begründet.

- Antrag Ziffer 1. b): „Überzeugende Bindungsaffinität“

Die Antragstellerin hat zum Verkehrsverständnis vorgetragen, dass durch die vorbezeichnete Aussage den angesprochenen Fachärzten für Ophthalmologie der Eindruck vermittelt werde, das Präparat L. zeichne sich durch eine „überzeugende“ – also eine besonders vorteilhafte – Bindungsaffinität aus und diese Eigenschaft sei wissenschaftlich nachgewiesen und unstreitig. Dadurch, dass die Antragsgegnerin hier die Bindungsaffinität als überzeugend auslobe, hebe sie diese Eigenschaft in besonderem Maße hervor und bringe gegenüber den Fachkreisen zum Ausdruck, dass die Bindungsaffinität jedenfalls über eine „einfache“ bzw. „durchschnittliche“ Bindungsaffinität hinausgehe. Der Werbeadressat werde daher auch erwarten, dass die Bindungsaffinität von L. gegenüber den maßgeblichen und unmittelbaren Wettbewerbspräparaten E. und/oder V. nicht zurückbleibe. „Überzeugend“ sei eine Eigenschaft nach dem Verständnis der Fachkreise jedenfalls dann nicht, wenn diese von Wettbewerbsprodukten übertroffen werde.

Eine besonders vorteilhafte Bindungsaffinität, welche nicht hinter der von E. und V. zurückbleibe, sei wissenschaftlich nicht hinreichend belegt. Ganz im Gegenteil belegten andere Studien sogar eine Überlegenheit von E. gegenüber L.. Die Antragsgegnerin stütze sich ausweislich Fußnote 8 zur wissenschaftlichen Absicherungen auf eine Veröffentlichung von Yang et al. (Anlage AS 19). Die Studie von Yang et al. basiere aber auf Testbedingungen, welche nicht repräsentativ für die tatsächlichen physiologischen Bedingungen seien und welche darüber hinaus anscheinend mit chemisch modifizierten anti-VEGF-Wirkstoffen oder modifizierten VEGF-A-Molekülen durchgeführt worden seien. Die Ergebnisse von Yang et al. seien nach einer Arbeit vom Platania et al. auf einen ungeeigneten Versuchsaufbau zurückzuführen und daher nicht aussagekräftig. Mangels wissenschaftlicher Validität sei die Studie von Yang et al. mithin nicht dazu geeignet, die aufgestellte Werbeaussage bzw. die damit einhergehende Verkehrserwartung wissenschaftlich hinreichend zu belegen.

Darüber hinaus sei eine überlegene bzw. jedenfalls gleichwertige Bindungsaffinität von R. im Verhältnis zu A. wissenschaftlich höchst umstritten, da andere Studien zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangten. Papadopoulos et al. beschrieben ausdrücklich eine markant höhere Bindungsstärke von A. gegenüber R. und B. (vgl. Anlage AS 21). Darüber hinaus würden aber auch weitere Studien erhebliche Zweifel an den Ergebnissen von Yang et al. aufwerfen. So stellten beispielsweise Fauser und Muether in einer Cross-Over-Studie eine wesentlich längere VEGF-Suppressionsdauer durch A. im Vergleich zu R. fest (Anlage AS 22). Auch der Assessment Report der EMA zu E. beschreibe eine höhere Affinität von VEGF-Trap (= A.). In diesem Sinne werde auch im Arzneiverordnungs-Report 2013 eine gesteigerte Bindungsaffinität von A. festgestellt (Anlage AS 24).

Mit Schriftsatz von 02.03.2018 hat die Antragstellerin ihren Vortrag zum Verkehrsverständnis ergänzt und ihren Antrag zu Ziffer 1. b) um die Auflösung des Fußnotenverweises erweitert. Die Werbeaussage verstoße auch gegen die vom Bundesgerichtshof postulierte Zitatwahrheit. Die Antragsgegnerin erwecke bei den Fachkreisen mit der vorbezeichneten Werbeaussage den Eindruck, dass eine überzeugende Bindungsaffinität durch die Arbeit von Yang et al. wissenschaftlich hinreichend und vor allem auch unumstritten belegt werde. Dies sei jedoch unzutreffend. Die Antragsgegnerin stütze die konkrete Werbeaussage hier ausschließlich und gezielt auf Yang et al.. Die die Werbung wahrnehmenden Fachkreise müssten daher davon ausgehen, dass die Werbeaussage von der in Bezug genommenen Arbeit von Yang et al. in wissenschaftlich nicht zu beanstandender Weise nachgewiesen werde. Einer solchen Irreführung stünde es demnach selbst nicht entgegen, wenn eine „überzeugende Bindungsaffinität“ wörtlich von der Fachinformation konstatiert werden würde – was hier nicht der Fall sei.

Darüber hinaus gingen die angesprochenen Fachkreise aufgrund der konkreten Bezugnahme auf die Arbeit von Yang et al. davon aus, dass sich die überzeugende Bindungsaffinität von R. gerade so darstellt, wie dies in nämlicher Veröffentlichung dargelegt werde. Insbesondere aus dem maßgeblichen Abstract ergebe sich ein (angeblicher) unmittelbarer Vorteil von R. (L.) gegenüber A. (E.) (Anlage AST 19).

Im Ergebnis stelle sich die vergleichende Auslobung einer überzeugenden Bindungsaffinität auch nicht deshalb als zulässig dar, weil es sich hierbei um eine sinngemäße Wiedergabe der Fachinformation handele. Unter Ziffer 5.1 der Fachinformation heiße es insofern zwar, dass R. mit „hoher Affinität“ an VEGF-A-Isoformen binde, jedoch sei dies nicht gleichbedeutend mit einer hier ausgelobten „überzeugenden Bindungsaffinität“. Denn eine hohe Bindungsaffinität wiesen durchaus alle Konkurrenzpräparate auf, eine überzeugende Bindungsaffinität suggeriere hier jedoch eine direkte Relation zu anderen Arzneimitteln.

- Antrag Ziffer 1. c) „Speziell zur Anwendung im Auge entwickelt:“

Die Antragsgegnerin wecke mit der angegriffenen Werbeaussage zweierlei Erwartungen bei den Fachkreisen, und zwar dass erstens die Entwicklung von L. speziell für die Anwendung im Auge kausal für die geringe Exposition sei und dass L. gegenüber Präparaten, die nicht speziell für die Anwendung im Auge entwickelt worden seien und welche ein Molekül mit FC-Teil aufwiesen, eine geringere systemische Exposition und damit geringere systemische Nebenwirkungen aufwiesen. Der Verkehr erwarte weiter, dass diese beiden Aussagen aufgrund der Fußnote durch den European Public Assessment Report (EPAR) der EMA zu L. belegt werden.

Den angesprochenen Fachkreisen werde durch die Aussage „Speziell zur Anwendung im Auge entwickelt“ unmittelbar gefolgt von den beiden Spiegelpunkten „ Molekül ohne FC-Teil“ und „- geringe systemische Exposition“ der Eindruck vermittelt, dass gerade weil L. als einziges Arzneimittel in diesem Bereich für die Anwendung im Auge entwickelt worden sei, dem Präparat eine geringe systemische Exposition und damit gleichzeitig nur geringe Nebenwirkungen zukämen. Die spezielle Entwicklung von L. zur Anwendung im Auge werde von der Antragstellerin auf der Karte als ein maßgeblicher Grund („10 gute Gründe“) dafür genannt, weshalb L. bevorzugt von den Ärzten eingesetzt werden sollte. Der speziellen Entwicklung zur Anwendung im Auge werde damit ein besonderer Stellenwert und damit eine Relevanz für den bevorzugten Einsatz von L. beigemessen. Den Werbeadressaten werde zunächst vermittelt, dass der Entwicklungsansatz von L. ("speziell zur Anwendung im Auge") überhaupt relevant für das Nebenwirkungsprofil sei. Ferner werde durch die Werbung behauptet, dass eine spezielle Entwicklung für das Auge sich positiv auf das systemische Nebenwirkungsprofil auswirke. Die Aussage „Speziell zur Anwendung im Auge entwickelt“ beziehe sich insoweit darauf, dass die Wettbewerbspräparate E. (A.) und V. (B.) nicht unmittelbar für die Behandlung von den in Rede stehenden Augenerkrankungen entwickelt worden seien, sondern aus der Krebsforschung stammten. Dies sei den Fachkreisen, insbesondere den mit der Werbekarte angesprochenen Fachärzten für Ophthalmologie, bekannt.

Darüber hinaus werde den angesprochenen Fachkreisen mit der angegriffenen Werbeaussage gleichzeitig suggeriert, dass eine systemische Exposition bei L. geringer sei als eine solche bei den Wettbewerbsprodukten. Dies resultiere wiederum aus der Hervorhebung der speziellen Entwicklung für das Auge sowie aus dem Hinweis auf das fehlende FC-Molekül. Denn den Fachkreisen sei bekannt, dass dies gerade Eigenschaften seien, die L. von den Wettbewerbspräparaten unterscheide. Der Werbeaussage sei mithin ein Vergleich von L. mit V. und E. immanent.

Das von der Antragsgegnerin damit hervorgerufene Verkehrsverständnis sei unzutreffend. Weder sei eine Kausalität der speziellen Entwicklung von L. für eine vermeintlich geringe systemische Exposition belegt noch weise L. gegenüber den Konkurrenzprodukten eine geringere systemische Exposition bzw. geringere systemische Nebenwirkungen auf. Dies werde auch durch den in Bezug genommenen EPAR nicht belegt (Anlage AS 28). Zwar werde in der Veröffentlichung zum Teil auf eine geringe systemische Exposition des Arzneimittels hingewiesen, über die Ursache hierfür schweige das Dokument jedoch. Auch aus der Fachinformation von L. lasse sich die ausgelobte Ursächlichkeit nicht herleiten. Schließlich weise L. weder eine besonders geringe systemische Exposition noch geringere Nebenwirkungen als die einzig relevanten Konkurrenzpräparate E. und V. auf. Ganz im Gegenteil bestätigten einschlägige Studien und Stellungnahmen, dass L. hinsichtlich des Nebenwirkungsprofils bzw. der systemischen Exposition gegenüber E. und V. keinen Vorteil böte (Anlage ASt 30 - 35).

Mit Schriftsatz vom 02.03.2018 hat die Antragstellerin ergänzend vorgetragen, dass die Ausführungen der Fachinformation der Auslobung einer geringen systemischen Exposition entgegenstünden. Die Fachinformation sei schon nicht der geeignete Nachweis für die Richtigkeit dieser werblichen Auslobung. Zudem warne die Fachinformation an verschiedenen Stellen, insbesondere bei Patienten mit DMÖ (Ziffer 4.4 Fachinformation) vor systemischer Exposition. Die Werbeaussage höhle damit einen ausdrücklichen Warnhinweis aus und lade die Fachkreise ein, diese Warnung zu übergehen. Dies sei unzulässig. Die Antragsgegnerin habe daher nicht pauschal eine geringe systemische Exposition ausloben dürfen, jedenfalls nicht ohne eine der Fachinformation entsprechende einschränkende Erläuterung aufzunehmen.

Die Antragstellerin hat in erster Instanz zuletzt beantragt,

der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen, geschäftlich handelnd das Arzneimittel L. mit folgenden Angaben zu bewerben und/oder bewerben zu lassen:

a) [...]b) „Überzeugende Bindungsaffinität8“unter folgender Auflösung des Fußnotenhinweises auf der Rückseite der Werbekarte: „8 Yang et al. Mol Pharm. 2014 Oct 6;11(10):3421 – 30.“ und/oderc) „Speziell zur Anwendung im Auge entwickelt:– Molekül ohne FC-Teil9 - geringe systemische Exposition9“wenn dies geschieht wie aus Anlage ASt 2 ersichtlich.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Die Angaben seien wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden.

- Antrag 1. b) „Überzeugende Bindungsaffinität“

Bei der Angabe zur Bindungsaffinität handele es sich um eine pharmakologische Eigenschaft des Präparats L.. Dessen Bindungsaffinität sei in der Tat „überzeugend“, was sich bereits aus der Fachinformation ergebe, die unter Abschnitt 5.1 „Pharmakodynamische Eigenschaften“ ausdrücklich feststelle, dass R. mit hoher Affinität an VEGF-A Isoformen binde. Wenn bereits die Fachinformation von einer hohen Bindungsaffinität spreche, könne es der Antragsgegnerin mangels entgegenstehender neuerer Erkenntnisse nicht verwehrt sein, ihr Präparat L. mit der Angabe „überzeugende Bindungsaffinität“ zu bewerben. Denn sei die Bindungsaffinität hoch, sei sie auch überzeugend. Die Angaben zur Fachinformation müssten dabei nicht wortwörtlich wiedergegeben werden.

Es liege auch – entgegen der Ansicht der Antragstellerin – keine vergleichende Auslobung vor. Eine überzeugende Bindungsaffinität suggeriere keine direkte Relation zu anderen Arzneimitteln. „Überzeugend“ meine nicht mehr, als dass das Präparat bezüglich der Bindungsaffinität gute Werte aufweise.

Die Ergebnisse der Studie von Yang et al. basierten auf der wissenschaftlich anerkannten und inzwischen standardisierten „Biacore Analyse“. Die Untersuchung von Platania et al. aus dem Jahr 2015 vermöge das Ergebnis der Untersuchung von Yang et al. aus verschiedenen Gründen in keiner Weise einzuschränken. Weiter belege die Studie von Yang et al. alleine, dass R. eine hohe Bindungsaffinität bezüglich VEGF zukomme und dass die Bindungskraft von A. jedenfalls nicht höher sei als die von R.. Ergebnis der Studie sei also nicht, dass R. eine höhere Bindungsaffinität aufweise als A., sondern dass A. keine höhere Bindungsaffinität aufweise als R.. So heiße es in er Zusammenfassung in deutscher Arbeitsübersetzung: „Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Biacore Studien und SV-AUC Flüssigkeits-Studien zeigten, dass A. nicht mit höherer Affinität als R. an VEGF bindet, wie dies kürzlich berichtet worden war, und dass beide Inhibitoren gleichstark erscheinen im Hinblick auf ihre Fähigkeit, VEGF Funktionen zu verhindern.“ Dem stünden die Arbeiten von Platania et al. und Papadopoulos et al. nicht entgegen. Die Studie von Fauser und Muether (Cross-Over-Studie) sei schon deswegen irrelevant, weil diese Untersuchung an nur sieben Augen (Patienten) erfolgt sei. Auch der Assessment Report der EMA zu L. und der Arzneiverordnungs-Report 2013 beweise letztlich keine Überlegenheit von A. gegenüber R..

- Antrag Ziffer 1. c) „Speziell zur Anwendung im Auge entwickelt“

Die Antragstellerin gehe von einem falschen Verkehrsverständnis aus. Es liege kein Werbevergleich vor. Der Umstand, dass die Aussage eine „Spezialität“ anspreche, begründe noch keinen Vergleich zur Konkurrenz. Dass bei Wettbewerbern eine solche Entwicklung „speziell für die Anwendung im Auge“ nicht vorliege, sei ein bloß reflexartiger Effekt. Dass die Aussage „Molekül ohne FC-Teil9“ die Fachkreise erkennen lasse, dass es auch Moleküle mit FC-Teil gebe, sei der Aussage ebenfalls immanent und führe aus den eben genannten Gründen nicht zu einem Vergleich. Gleiches gelte für die Angabe der „geringen systemischen Exposition9“. Es werde nicht von „geringerer“ systemischer Exposition gesprochen, sondern nur von einer „geringen“. Zum Werbevergleich gelange man hier auch nicht unter Bezugnahme auf die Überschrift der Werbekarte „10 gute Gründe“.

Die einzelnen Werbeaussagen seien zutreffend. Der EPAR belege, dass das R.-Molekül ein Fab-Fragment sei, mithin keinen FC-Teil habe. Außerdem belege der EPAR, dass R. als Wirkstoff des Präparats L. nur eine „geringe systemische Exposition“ aufweise. Demgegenüber werde zur Immunogenität (Ziffer 4.4 der Fachinformation) ein allein auf die DMÖ beschränkter Sonderfall beschrieben, der jedoch darauf zurückzuführen sei, dass die Möglichkeit der Immunogenität dem Krankheitsbild der DMÖ immanent sei und nichts mit der Wirksubstanz R. zu tun habe. Die Fachkreise entnähmen der Aussage „geringe systemische Exposition“ im Übrigen auch nicht, dass eine solche überhaupt nicht stattfinde. Natürlich gebe es Fälle der systemischen Exposition. Diese seien aber auf ein niedriges Maß beschränkt. Der Warnhinweis im Abschnitt „systemische Effekte nach intravitrealer Anwendung“ stehe ebenfalls einer Bewerbung von L. mit „geringe systemischer Exposition“ nicht entgegen. Denn es werde durch die Werbung nicht behauptet, dass solche systemischen Nebenwirkungen gar nicht entstünden. Sie entstünden aber nur in geringem Maße. Abgehandelt würden in der Fachinformation dabei alleine Risikopatienten, die einen Schlaganfall oder eine transitorische ischämische Attacke in der Vorgeschichte aufwiesen. Dass bei diesen Risikopatienten die Behandlung von L. nur mit Vorsicht zu empfehlen sei, leuchte unmittelbar ein, stehe aber der angegriffenen Werbeaussage nicht entgegen. Arzneimittel ohne Nebenwirkungen gebe es nicht.

Die angesprochenen Verkehrskreise verstünden die Aussage nicht dahin, dass die spezielle Entwicklung zur Anwendung im Auge ursächlich für die geringe systemische Exposition von L. sei und das L.-Molekül kein FC-Teil aufweise. Vielmehr verstünden diese die Werbekarte dahin, dass ihnen seitens der Antragsgegnerin „10 gute Gründe“ für die Behandlung mit L. näher gebracht würden. Ein guter Grund sei die Tatsache, dass L. speziell für die Anwendung im Auge entwickelt worden sei. Wenn nun unter dieser „Überschrift“ zwei Spiegelstriche erschienen, verstehe der angesprochene Facharzt für Ophthalmologie dies dahin, dass zwei Elemente benannt werden, die näher erläutern, was diese Entwicklung speziell für die Anwendung im Auge ausmache. Beide Spiegelstriche erschienen nicht als Folge, sondern als Bestandteil der Entwicklung speziell für die Anwendung im Auge. Ein Ophthalmologe nehme deshalb die angegriffene Angabe nicht mit dem Inhalt der von der Antragstellerin behaupteten Kausalität wahr.

Fehl gehe auch die Argumentation der Antragstellerin, es gebe keine Übereinstimmung der angegriffenen Aussage mit dem EPAR zu L.. Die Antragstellerin übersehe, dass sich der Hinweis auf den EPAR jeweils am Ende der beiden Spiegelstriche befinde. Der EPAR und auch die Fachinformation belegten die einzelnen Werbeaussagen. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin auf sicherheitspharmakologische Studien verzichtet habe. Richtig sei allein, dass der EPAR es für „wünschenswert“ halte, von Daten über die Freisetzung aus dem Auge, die bei Tieren erhoben worden waren, auf Menschen zu schließen. Die EMA habe in ihrem Assessment Report zu L. unter dem Punkt „Safety Pharmacology“ (Seite 9) selbst ausdrücklich festgestellt, dass das Fehlen formaler pharmakologischer Sicherheitsstudien ausdrücklich akzeptiert werde. Darüber hinaus spreche die EMA an anderen Stellen des EPAR (Seite 12, 15) ausdrücklich selbst von „geringer systemischer Exposition“. Die Feststellungen zur Schwangerschaft in der Fachinformation unter Abschnitt 5.3 führten nicht dazu, dass diese Fachinformation keinen validen Hinweis auf eine geringe systemische Exposition gebe. Wenn die Zulassungsbehörde der Auffassung gewesen wäre, dass der in Abschnitt 4.6 zur Schwangerschaft befindliche Satz „Die systemische Exposition von R. nach intraokularer Verabreichung ist niedrig.“ wissenschaftlich nicht hinreichend abgesichert wäre, hätte dieser Satz nicht in die Fachinformation aufgenommen werden dürfen.

Das Landgericht hat den Antrag zu Ziffer 1. b) mit Urteil vom 03.05.2018 zurückgewiesen und die Antragsgegnerin im Übrigen (Ziffer 1. a) und c)) antragsgemäß verurteilt. Gegen die Zurückweisung des Antrags zu Ziffer 1. b) sowie die Verurteilung zu Ziffer 1. c) wenden sich die Parteien unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrags mit ihren jeweiligen Berufungen.

- Antrag Ziffer 1. b) „Überzeugende Bindungsaffinität“

Die Antragstellerin beanstandet, dass sich das Landgericht nicht hinreichend mit dem von der Antragstellerin vorgetragenen Verkehrsverständnis auseinandergesetzt habe. Die Feststellung des Landgerichts werde der Bedeutung des Wortes im Zusammenhang mit der konkreten Werbung nicht gerecht. So frage die Kammer nicht danach, wozu die Antragsgegnerin die angesprochenen Verkehrskreise überzeugen möchte. Dies sei sicherlich zum Einsatz von L. bei ihren Patienten. „Überzeugend“ werde hier daher im Sinne von „besonders leistungsstark“ und „effektiv“ verstanden. Die bloße Gleichsetzung mit „glaubhaft“ überzeuge daher nicht, da die Antragsgegnerin ohnehin nur mit „glaubhaften“, das heißt belegbaren Eigenschaften werben dürfe, so dass das vom Landgericht ermittelte Begriffsverständnis zur Bewerbung einer bloßen Selbstverständlichkeit führen würde. Die Antragsgegnerin suggeriere den angesprochenen Fachkreisen, dass die Bindungsaffinität von L. über eine herkömmliche bzw. durchschnittliche Bindungsaffinität hinausgehe. Denn eine Eigenschaft sei sicher dann nicht überzeugend, wenn sie lediglich durchschnittlich sei oder sogar hinter den Eigenschaften von Alternativpräparaten zurückbleibe. Der Durchschnitt ergebe sich dabei zwangsläufig aus einer Betrachtung der unmittelbaren Konkurrenzprodukte, die den angesprochenen Fachkreisen aufgrund des engen Marktes bekannt seien. Dass in der Auslobung einer überzeugenden Bindungsaffinität von L. dabei zusätzlich auch ein Vergleich zu den Wirkstoffen A. (E.) und B. (V.) liege, belege auch das Abstract der Veröffentlichung von Yang et al., indem ausgeführt werde, dass es Ziel der Studie war, die relative Bindung von drei Inhibitoren zu bewerten.

Vorliegend gingen die Fachkreise aufgrund der Bezugnahme auf eine konkrete Studie Yang et al. ferner davon aus, dass die Werbeaussage allein durch eben jene Studie bestätigt werde und diese Studie sowie deren Ergebnisse – insbesondere mangels entgegenstehenden Hinweises in der Werbeaussage – auch nicht in der Fachwelt umstritten seien. Die von der Antragsgegnerin bei den angesprochenen Fachkreisen hervorgerufenen Vorstellungen würden tatsächlich enttäuscht. Eine Irreführung liege mithin auch aufgrund dieses Umstands vor.

- Antrag Ziffer 1 c) „Speziell zur Anwendung im Auge entwickelt“

Die Antragstellerin verteidigt das Urteil des Landgerichts. Die Werbeaussage rufe verschiedene Vorstellungen hervor. Dazu zähle, dass der spezielle Entwicklungsansatz relevant für das Nebenwirkungsprofil bzw. die Wirksamkeit von L. sei und dass die Entwicklung von L. speziell zur Anwendung im Auge kausal für eine geringe systemische Exposition sei und dass L. gegenüber Präparaten, die nicht speziell für die Anwendung im Auge entwickelt worden seien und welche ein Molekül mit FC-Teil aufwiesen, eine geringere systemische Exposition und damit geringere systemische Nebenwirkungen aufweise. Die Kammer habe ihre Auffassung zutreffend damit begründet, dass die Überschrift „Speziell zur Anwendung im Auge entwickelt“ in Fettdruck gehalten sei und sich darunter zwei Spiegelstriche mit den Aussagen „Molekül ohne FC-Teil“ und „geringe systemische Exposition“ befänden. Aus Sicht der Kammer ergebe sich daraus ein Zusammenhang der dort in den Spiegelstrichen dargestellten Aussagen mit der sich darüber befindlichen Überschrift im Sinne eines Kausalverhältnisses. Auch die Antragsgegnerin streite einen dadurch hervorgerufenen Zusammenhang von Überschrift und Subtext nicht ab. Sie habe aber einen anderen plausiblen Zusammenhang als ein Kausalverhältnis nicht darzulegen vermocht.

Die Antragstellerin beantragt,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils des Landgerichts Hamburg vom 03.05.2018, Az. 327 O 103/18, der Antragsgegnerin bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen, geschäftlich handelnd das Arzneimittel L. mit folgender Angabe zu bewerben und/oder bewerben zu lassen:

Ziffer 1. b): „Überzeugende Bindungsaffinität8“ unter folgender Auflösung des Fußnotenhinweises auf der Rückseite der Werbekarte: „8Yang et al. Mol Pharm. 2014 Oct 6;11(10):3421 – 30.“ wenn dies geschieht wie aus Anlage AS 1 ersichtlich.

Die Antragsgegnerin beantragt,

1. die Berufung der Antragstellerin zurückzuweisen.

2. das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 03.05.2018, Az.: 327 O 103/18, abzuändern und den Antrag Ziffer 1. c) der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 22.02.2018 zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Berufung der Antragsgegnerin zurückzuweisen.

- Antrag Ziffer 1. c) „Speziell zur Anwendung im Auge entwickelt“

Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, dass das Landgericht die Angabe zu Ziffer 1. c) zu Unrecht erlassen habe. Das Landgericht gehe von einem unzutreffenden Verkehrsverständnis aus. Dieses gehe vielmehr nur dahin, was die Entwicklung speziell für die Anwendung ausmache. Beide Spiegelstriche erschienen dem qualifizierten Ophthalmologen nicht als Folge, sondern als Bestandteil der Entwicklung speziell für die Anwendung im Auge.

- Antrag Ziffer 1. b) „Überzeugende Bindungsaffinität8“

Die Kammer sei völlig zutreffend davon ausgegangen, dass der Begriff „überzeugend“ keine vergleichende Bedeutung in sich trage. Dies ergebe sich schon alleine daraus, dass die Antragsgegnerin in der Aussage keinen Komparativ („überlegene“, „höhere“, „stärkere“) verwende. Des Weiteren sei die von der Kammer ermittelte Bedeutung des Wortes „überzeugend“ als laut Duden vorwiegend „glaubhaft, einleuchtend“ mehr als nachvollziehbar. Dass in der Aussage „überzeugende Bindungsaffinität“ auch ein Vergleich zwischen den Wirkstoffen A. und B. liege, belege auch der Abstract der Veröffentlichung von Yang et al. nicht. Es treffe zwar zu, dass es Ziel dieser Studie gewesen sei, die relative Bindungswirksamkeit zu untersuchen und deren Relevanz für das klinische Ergebnis zu bewerten. Die Studie von Yang et al. habe aber nicht zum Ergebnis gehabt, dass R. eine gegenüber A. höhere Bindungsaffinität habe. Deswegen könne auch nicht aus der Inbezugnahme der Studie abgeleitet werden, dass damit die Aussage einer Besserstellung verbunden sei. Die Studie von Yang et al. bestätige auch eine überzeugende Bindungsaffinität, wenn sie im Abstract in deutscher Arbeitsübersetzung ausführe „Ungeachtet der Abhängigkeit vom Untersuchungsformat zeigte sich R. als ein sehr fester (starker) VEGF-Binder in allen drei Formaten.“ Entgegen den Ausführungen genüge die Studie diesen Anforderungen sehr wohl und sie sei auch nicht durch die Studie von Platania et al. widerlegt. Die „überzeugende Bindungsaffinität“ von L. werde durch die Studie von Yang et al. wissenschaftlich in hohem Maße nachgewiesen. Die Studie von Papadopoulos sei ihrerseits angreifbar, nicht überzeugend und vereinzelt geblieben. Die Studien von Yu et al. und Puddu et al. stützten hingegen die Ergebnisse von Yang et al..

B. Die zulässige Berufung der Antragstellerin ist nicht begründet. Die Berufung der Antragsgegnerin hat demgegenüber Erfolg. Die mit Urteil vom 03.05.2018 erlassene einstweilige Verfügung ist teilweise abzuändern (Antrag Ziffer 1. c)) und der Antrag ist insoweit unter Aufhebung der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

I. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Unterlassung der in der Berufungsinstanz noch streitgegenständlichen angegriffenen Aussagen aus §§ 3, 3a, 8 Abs. 1, 3 Nr. 1 UWG i.V.m. § 3 HWG bzw. § 5 UWG. Die beiden angegriffenen Aussagen der Werbeunterlage „L.®: 10 Jahre Erfahrung1 – 10 gute Gründe“ sind nicht aus den von der Antragstellerin in dringlichkeitsunschädlicher Zeit in das Verfahren eingeführten Gründen irreführend.

1. Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet des Vertriebs von Medikamenten u.a. zur Behandlung der altersbedingten Makuladegeneration.

2. Es handelt sich bei der angegriffenen Werbeunterlage der Antragsgegnerin unstreitig um Werbung an Fachärzte für Ophthalmologie.

3. Die in ihrer jeweiligen konkreten Verletzungsform angegriffenen Aussagen sind jedoch nicht gemäß § 3 S. 1 HWG irreführend.

a) Die Werbung für das Arzneimittel L. richtet sich an Ophthalmologen. Das Verkehrsverständnis des situationsadäquat aufmerksamen, durchschnittlich informierten und vernünftigen Verbrauchers ebenso wie das eines Arztes vermögen die Mitglieder des Senats, die sich hierbei auf ihre eigene Sachkunde und Lebenserfahrung stützen können, selbst zu beurteilen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die Beurteilung des Verkehrsverständnisses von Ärzten durch die Mitglieder des Gerichts jedenfalls dann möglich, wenn der Erkenntnisstand der Wissenschaft im Hinblick auf den maßgebenden Sachverhalt vorgetragen wurde und außerdem – wie hier – keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass ein Arzt die deutsche Sprache anders verstehen könnte als jemand, der ebenfalls ein wissenschaftliches Studium absolviert hat (Senat, Urteil v. 21.12.2006, Az. 3 U 77/06, PharmaR 2007, 204).

b) Die Antragstellerin hat die in den konkreten Verletzungsformen mit Antrag zu Ziffer 1. b) „überzeugende Bindungsaffinität“ und mit Antrag zu Ziffer 1. c) „Speziell zur Anwendung im Auge entwickelt“ angegriffenen Aussagen unter mehreren irreführenden Gesichtspunkten beanstandet. Diese greifen – jedenfalls soweit sie in dringlichkeitsunschädlicher Zeit vorgetragen worden sind – im Ergebnis nicht durch.

aa) „Überzeugende Bindungsaffinität“

(1) Die Antragstellerin hat mit der Antragsschrift zum Verkehrsverständnis der Aussage „überzeugende Bindungsaffinität“ der angesprochenen Fachärzte vorgetragen, dass diese die Aussage dahin verstünden, dass das Präparat L. sich durch eine „überzeugende“, also eine besonders vorteilhafte, Bindungsaffinität auszeichne. Die Aussage hebe die Bindungsaffinität in besonderem Maße hervor und bringe gegenüber den Fachkreisen zum Ausdruck, dass sie jedenfalls über eine „einfache“ bzw. „durchschnittliche“ Bindungsaffinität hinausgehe. Der Werbeadressat werde daher auch erwarten, dass die Bindungsaffinität von L. gegenüber den maßgeblichen und unmittelbaren Wettbewerbspräparaten E. und/oder V. nicht zurückbleibe. „Überzeugend“ sei eine Eigenschaft nach dem Verständnis der Fachkreise jedenfalls dann nicht, wenn diese von Wettbewerbsprodukten übertroffen werde.

(2) Der Senat teilt das von der Antragstellerin vorgetragene Verkehrsverständnis der angesprochenen Fachärzte nicht. Dies hat das Landgericht zutreffend entschieden. Die angesprochenen Fachärzte für Ophthalmologie verstehen die Wortwahl „überzeugend“ nicht dahin, dass L. eine bessere oder zumindest keine schlechtere Bindungsaffinität aufweist als die unmittelbaren Wettbewerbsprodukte. Durch die angegriffene Werbeaussage wird ein solcher Vergleich nicht hergestellt. Eine vergleichende Werbung ist begrifflich grundsätzlich dann zu verneinen, wenn die beanstandete Werbeaussage so allgemein gehalten ist, dass sich den angesprochenen Verkehrskreisen eine Bezugnahme auf Mitbewerber nicht aufdrängt, sondern diese sich nur reflexartig daraus ergibt, dass mit jeder Hervorhebung eigener Vorzüge in der Regel unausgesprochen zum Ausdruck gebracht wird, dass nicht alle Mitbewerber die gleichen Vorteile zu bieten haben (BGH, GRUR 1999, 1100, Rn. 24f – Generika-Werbung). Vorliegend wird lediglich die Bindungsaffinität von L. positiv hervorgehoben, ohne sie in Bezug zu den Wettbewerbsprodukten zu setzen. Die Konkurrenzprodukte werden nicht ausdrücklich erwähnt. Es drängt sich durch die Aussage „überzeugende Bindungsaffinität“ auch nicht auf, dass die Bindungsaffinität der maßgebliche Grund für den angesprochenen Verkehr sein soll, statt der Wettbewerbspräparate E. oder V. das beworbene L. auszuwählen. Einerseits wird durch die Werbekarte zunächst nur eine absolute und nicht die relative „Qualität“ des Präparates beschrieben. Die angesprochenen Fachärzte für Ophthalmologie haben nämlich zunächst eine Entscheidung über das „ob“ der Anwendung von L. zu treffen. Sie müssen zunächst in dieser Entscheidungsfindung „überzeugt“ werden. Dies zeigt sich exemplarisch auch daran, dass es für den angesprochenen Verkehr eine beachtenswerte Information ist, dass bei dem Medikament auf eine zehnjährige Erfahrung zurückgegriffen werden kann. Durch die Aussage wird primär nur eine für das „ob“ der Anwendung positive Eigenschaft beschrieben. Zweitens ist die „überzeugende Bindungsaffinität“ nicht der einzige „gute Grund“ für die Anwendung des Mittels. Die Überschrift der Werbeunterlage lautet „L.: 10 Jahre Erfahrung - 10 gute Gründe“ von denen die mit Haken versehenen ausgelobte „überzeugende Bindungsaffinität“ ein Grund ist. Dies schwächt es weiter ab, dass der angesprochene Verkehr diese Eigenschaft in Bezug zu den Wettbewerbspräparaten setzt, da er durch eine Gesamtschau guter Gründe von der Anwendung überzeugt werden soll. Die angegriffene Aussage „überzeugende Bindungsaffinität“ nimmt auch nicht deswegen die Wettbewerbsprodukte in Bezug, weil sie in der Fußnote auf die Studie von Yang et al. verweist. Die Studie nimmt zwar – wie schon die Überschrift „Comparison of Binding Characteristics and In Vitro Activities of Three Inhibitors of Vascular Endothelial Groth Factor A“ zeigt, eine vergleichende Betrachtung der Bindungsaffinität der verschiedenen Wirkstoffe vor. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass relevante Teile des angesprochenen Verkehrs die in der angegriffenen Werbekarte nicht abgedruckte Studie von Yang et al. mit in den Blick nehmen.

(3) Die Antragstellerin hat die Aussage mit Schriftsatz von 02.03.2018 auch unter dem Aspekt eines Verstoßes gegen die Zitatwahrheit angegriffen und insoweit ausdrücklich den Fußnotenhinweis und dessen Auflösung in ihren Antrag aufgenommen. Sie hat vorgetragen, dass die Antragsgegnerin bei den Fachkreisen mit der vorbezeichneten Werbeaussage den Eindruck erwecke, dass eine überzeugende Bindungsaffinität durch die Arbeit von Yang et al. wissenschaftlich hinreichend und vor allem auch unumstritten belegt werde. Dies sei jedoch unzutreffend. Das vorbezeichnete Verkehrsverständnis ergebe sich vorliegend daraus, dass die Antragsgegnerin hinsichtlich der Bindungsaffinität nicht etwa auf die Fachinformation oder irgendeine andere Veröffentlichung verweise. Die Antragsgegnerin stütze die konkrete Werbeaussage hier ausschließlich und gezielt auf Yang et al.. Die die Werbung wahrnehmenden Fachkreise müssten daher davon ausgehen, dass die Werbeaussage von der in Bezug genommenen Arbeit von Yang et al. in wissenschaftlich nicht zu beanstandender Weise nachgewiesen werde.

Soweit die Antragstellerin die Aussage damit in Bezug auf die Zitatwahrheit angegriffen hat, hat sie dies nicht in dringlichkeitsunschädlicher Zeit getan. Vorliegend ist die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG widerlegt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, GRUR 2018, 431, Rn. 16 – Tiegelgröße) kann ein Kläger – wie vorliegend – auch bei einem auf das Verbot der konkreten Verletzungsform gerichteten Klageantrag sein Rechtsschutzbegehren aufgrund der im Zivilprozess geltenden Dispositionsmaxime dahin fassen, dass aus einem bei natürlicher Betrachtungsweise einheitlichen Lebenssachverhalt nur bestimmte Teile zur Beurteilung herangezogen werden sollen. Als in diesem Sinne selbständig zu beurteilende Teile eines einheitlichen Streitgegenstands, die mit einem auf das Verbot einer konkreten Verletzungsform gerichteten Antrag geltend gemacht werden können, kommen beispielsweise verschiedene Irreführungsaspekte in Betracht. Der weit gefasste Streitgegenstandsbegriff darf nicht dazu führen, dass der Beklagte neuen Angriffen des Klägers gegenüber schutzlos gestellt oder gezwungen wird, sich von sich aus gegen eine Vielzahl von lediglich möglichen, vom Kläger aber nicht konkret geltend gemachten Irreführungsaspekten zu verteidigen. Der Kläger ist daher gehalten, in der Klage substantiiert diejenigen Irreführungsaspekte darzulegen und zu den gemäß § 5 Abs. 1 UWG dafür maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzungen einer irreführenden geschäftlichen Handlung konkret vorzutragen, auf die er seinen Klageangriff stützen will. Dementsprechend darf auch das Gericht eine Verurteilung nur auf diejenigen Irreführungsgesichtspunkte stützen, die der Kläger schlüssig vorgetragen hat. Die schlüssige Darlegung eines Irreführungsgesichtspunktes setzt Vortrag dazu voraus, durch welche Angabe welcher konkrete Verkehrskreis angesprochen wird, welche Vorstellungen die Angabe bei diesem angesprochenen Verkehrskreis ausgelöst hat, warum diese Vorstellung unwahr ist und dass die so konkretisierte Fehlvorstellung geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er anderenfalls nicht getroffen hätte. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann sich der Beklagte hinreichend gegen den Angriff des Klägers verteidigen und das Gericht sodann prüfen, ob es die Voraussetzungen einer irreführenden geschäftlichen Handlung feststellen kann (BGH, GRUR 2018, 431 Rn. 16 – Tiegelgröße). Diese schlüssige Darlegung eines Irreführungsgesichtspunktes muss im einstweiligen Verfügungsverfahren in dringlichkeitsunschädlicher Zeit erfolgen (vgl. Senat, Urteil vom 13.09.2012, 3 U 107/11, Magazindienst 2013, 39, juris Rn. 56ff). Dem ist die Antragstellerin mit der vorliegenden Verkehrsvorstellung nicht nachgekommen.

Die Vermutung der Dringlichkeit gemäß § 12 Abs. 2 UWG ist widerlegt, wenn der Verletzte das als rechtswidrig beanstandete Verhalten in Kenntnis der maßgeblichen Umstände längere Zeit hingenommen hat, so dass aus seinem Abwarten geschlossen werden kann, ihm sei die Angelegenheit nicht eilig. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls (vgl. Senat, WRP 1996, 774, juris Rn. 7ff. – Warengutschein; Senat, GRUR-RR 2008, 366, juris Rn. 30ff – Simplify your Production; Senat, Magazindienst 2009, 766, juris Rn. 63; Feddersen in: Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 11. Auflage, 2016, Kap. 54 Rn. 17, 24 m.w.N.). Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Partei das Verfahren mit dem nötigen Nachdruck verfolgt, und damit ihr Interesse an einer dringlichen Rechtsdurchsetzung in einem Eilverfahren dokumentiert hat, ist eine Gesamtbetrachtung ihres prozessualen und ihres vorprozessualen Verhaltens geboten (Köhler in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Auflage 2018, § 12 Rn. 3.15b).

Die Antragstellerin hat vorliegend den Gesichtspunkt des Verstoßes gegen die Zitatwahrheit nicht mit dem notwendigen Nachdruck verfolgt. Dies ist vorliegend auch bei einer Beanstandung der Werbung unter einem von mehreren Irreführungsgesichtspunkten gut 6 ½ Wochen nach Kenntniserlangung nicht der Fall. Auch wenn die Antragstellerin rechtzeitig zum Ausdruck gebracht hat, dass sie sich gegen die konkrete Aussage wendet, muss sie auch die Voraussetzungen für die konkrete Beanstandung rechtzeitig vortragen, auf die sie die Irreführung stützt. Es genügt nicht die Werbeaussage zunächst unter einem Gesichtspunkt anzugreifen und dann im Laufe des Verfahrens weitere Irreführungsgesichtspunkte nachzuschieben. Die Antragstellerin hatte am 15.01.2018 Kenntnis von der Werbekarte erlangt (Anlage ASt 9). Sie hat die Aussage erstmals mit Schriftsatz vom 02.03.2018 – und damit gut 6 ½ Wochen nach der Kenntniserlangung - unter dem Aspekt des Verstoßes gegen die Zitatwahrheit angegriffen. Weder in der Abmahnung vom 09.02.2018 (Anlage ASt 10) noch in der Antragsschrift vom 22.02.2018 hat sie die Aussage unter dem Gesichtspunkt beanstandet, dass eine besonders vorteilhafte Bindungsaffinität im Sinne einer „guten“ oder wie das Landgericht meint „glaubhaften, einleuchtenden“ nicht ausreichend durch die genannte Studie Yang et al. wissenschaftlich belegt sei. Dies ist dringlichkeitsschädlich.

Die Aussage ist mithin nicht aus den von der Antragstellerin in dringlichkeitsunschädlicher Zeit vorgetragenen Irreführungsaspekten zu beanstanden.

bb) „Speziell zur Anwendung im Auge entwickelt“

(1) Die Antragstellerin hat mit der Antragsschrift zum Verkehrsverständnis der Aussage „Speziell zur Anwendung im Auge entwickelt“ der angesprochenen Fachärzte vorgetragen, dass diese die Aussagen dahin verstünden, dass die Entwicklung von L. speziell für die Anwendung im Auge kausal für die geringe Exposition sei und dass diese Aussage durch das in der Fußnote referenzierte EPAR belegt werde. Den Verkehrskreisen werde der Eindruck vermittelt, dass gerade weil L. als einziges Arzneimittel unmittelbar für die Anwendung im Auge entwickelt worden sei, dem Präparat eine geringere systemische Exposition und damit gleichzeitig nur geringere Nebenwirkungen zukämen. Dies sei unzutreffend. Eine Kausalität der speziellen Entwicklung von L. für die Anwendung für eine vermeintlich geringe systemische Exposition sei nicht belegt.

(2) Der Senat teilt das von der Antragstellerin vorgetragene Verkehrsverständnis der angesprochenen Fachärzte für Ophthalmologie entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht. Dies auch nicht deswegen – wie das Landgericht meint – weil die Werbeaussage in der streitgegenständlichen Darstellungsform den Kausalschluss nahelegt. Selbstverständlich geht der angesprochene Verkehr davon aus, dass die Entwicklung eines Mittels als solches kausal für dessen Eigenschaften ist. Über diesen groben Zusammenhang hinausgehend macht der Verkehr sich vorliegend jedoch keine Gedanken. Er erwartet darüber hinaus insbesondere nicht weiter, dass der kausale Zusammenhang zwischen der speziellen Entwicklung des Präparates und dessen Eigenschaften wissenschaftlich nachgewiesen ist. Es ist vorliegend auch nicht ersichtlich, in welcher Weise ein solcher Nachweis überhaupt erbracht werden könnte. Wenn überhaupt erwartet der Verkehr, dass die spezielle Entwicklung zur Augenbehandlung eine bestimmte Eigenschaft hervorgebracht hat, die eine geringe systemische Exposition zur Folge hat. Dazu hat die Antragstellerin aber nichts weiter vorgetragen. Sie hat insbesondere nicht dargelegt, ob und welche Eigenschaften das Mittel haben könnte, die – obwohl speziell der Augenbehandlung dienend – ohne Einfluss auf die geringe systemische Exposition sind. Sie hat auch nicht das Maß der systemischen Exposition von L. dargelegt, sondern nur zum Verhältnis der Wettbewerbsprodukte untereinander. Eine Irreführung aus diesem Gesichtspunkt scheidet mithin aus.

(3) Die Antragstellerin hat mit der Antragsschrift weiter das Verkehrsverständnis der angesprochenen Fachärzte vorgetragen, dass diese die Aussage dahin verstünden, dass L. gegenüber Präparaten, die nicht speziell für die Anwendung im Auge entwickelt worden seien und welche ein Molekül mit FC-Teil aufwiesen, eine geringere systemische Exposition und damit geringere systemische Nebenwirkungen aufweise als Wettbewerbsprodukte und dass diese Aussage durch das in der Fußnote referenzierte EPAR belegt werde. Da es sich bei den herausgestellten Eigenschaften speziell zur Anwendung im Auge und Molekül ohne FC-Teil um Alleinstellungsmerkmale von L. gegenüber E. und V. handele und im gleichen Atemzug die geringere systemische Exposition betont werde, schlössen die angesprochenen Fachkreise darauf, dass es sich bei auch hierbei um ein Alleinstellungsmerkmal handele.

(4) Der Senat teilt auch dieses von der Antragstellerin vorgetragene Verkehrsverständnis der angesprochenen Fachärzte für Ophthalmologie nicht. Zwar wird durch die ausdrückliche Mitteilung, dass L. speziell für die Behandlung im Auge entwickelt worden sei, diese Tatsache, die nur L. betrifft, hervorgehoben. Trotzdem ist diese Aussage so allgemein gehalten, dass sich den angesprochenen Verkehrskreisen eine Bezugnahme auf Mitbewerber in der Weise, dass diese eine geringere systemische Exposition und damit geringere systemische Nebenwirkungen aufweise als Wettbewerbsprodukte nicht aufdrängt. Das Wort „gering“ wird nur im Indikativ („gering“) und nicht im Komparativ („geringer“) oder gar Superlativ („geringsten“) verwendet. Es werden durch die Wortwahl „gering“ auch im Gesamtkontext der Werbung – wie bei der „überzeugenden Bindungsaffinität“ – nur die eigenen Eigenschaften hervorgehoben.

(5) Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 02.03.2018 weiter vorgetragen, dass auch die Ausführungen der Fachinformation der Auslobung einer geringen systemischen Exposition entgegenstünden. Der EPAR kritisiere damit ausdrücklich den Verzicht auf den Versuch, eine Relevanz der Tierversuche für den menschlichen Körper zu belegen. Entsprechend könne der EPAR nicht für die werbliche Angabe „geringe systemische Exposition“ als Beleg herangezogen werden. Auch die Fachinformation belege die Richtigkeit der Angabe nicht.

Damit greift die Antragstellerin die Aussage unter einem weiteren Irreführungsgesichtspunkt an. Es wird nicht primär der erste Teil der angegriffenen Aussage „Speziell für die Anwendung im Auge“, sondern der Spiegelstrich „geringe systemische Exposition“ unter dem Aspekt des fehlenden wissenschaftlichen Nachweises und der Zitatwahrheit beanstandet. Unter diesem Gesichtspunkt hat die Antragstellerin jedoch die Aussage nicht in dringlichkeitsunschädlicher Zeit angegriffen. Dies wäre aber – wie bereits ausgeführt – erforderlich gewesen, um die Beanstandung im vorliegenden Verfahren berücksichtigen zu können.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1; 91 Abs. 1 ZPO. Einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bedarf es nicht (Lackmann in: Musielak/Voit, Zivilprozessordnung, 15. Auflage 2018, § 708 Nr. 6, 9). Das Urteil ist formell rechtskräftig und ist damit gemäß § 704 ZPO vollstreckbar. Ein Rechtsmittel ist gemäß § 542 II 1 ZPO nicht statthaft (Lackmann in: Musielak/Voit, aaO, § 705 Nr. 4).