Hessischer VGH, Beschluss vom 03.05.2019 - 1 B 652/18
Fundstelle
openJur 2020, 43794
  • Rkr:

1. Eilrechtsschutz gegen den Abbruch eines Auswahlverfahrens ist innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung über den Abbruch des früheren Auswahlverfahrens zu beantragen.2. Der Beginn dieser Frist wird durch eine fehlende oder unzureichende Mitteilung des sachlichen Grundes für den Abbruch des Auswahlverfahrens nicht hinausgeschoben.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 14. März 2018 - 3 L 3411/17.WI - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf 5.000,- € festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin,

dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, das Stellenbesetzungsverfahrens betreffend der Stelle des Leiters/der Leiterin der Abteilung IV "Integration" mit dem bestehenden Bewerberkreis fortzusetzen,

zu Recht "zurückgewiesen", weil er nicht innerhalb der Frist von einem Monat nach Zugang der Mitteilung über den Abbruch des Besetzungsverfahrens gestellt worden ist.

Ein auf Fortführung eines abgebrochenen Stellenbesetzungsverfahrens gerichteter Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zugang der Abbruchmitteilung zu stellen. Anderenfalls darf der Dienstherr darauf vertrauen, dass der Bewerber den Abbruch des Auswahlverfahrens nicht angreift, sondern sein Begehren im Rahmen einer neuen Ausschreibung weiterverfolgt. Nach Ablauf der Monatsfrist ist die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit des Abbruchs des Auswahlverfahrens gerichtlich überprüfen zu lassen, verwirkt (BVerwG, Beschluss vom 3. Dezember 2014 - 2 A 3/13 - juris Rn. 22 - 24, Beschluss vom 10. Dezember 2018 - 2 VR 4/18 - juris, Rn. 10; Hess. VGH, Beschluss vom 10. November 2015 - 1 B 286/15 -, juris Rn. 8 f.).

Diese Frist ist versäumt worden. Sie begann vorliegend am 24. April 2017 zu laufen. An diesem Tag ist den Bevollmächtigten der Antragstellerin, an die der Antragsgegner für die Antragstellerin wirksam Schriftstücke bekanntgeben sollte (§ 14 Abs. 3 Satz 1 HVwVfG), das Schreiben vom 20. April 2017 über den Abbruch der Stellenbesetzungsverfahrens zugegangen. Dort wird ausgeführt, dass das Stellenbesetzungsverfahren "aus sachlichen Gründen abgebrochen" werde. Sodann heißt es, die getroffene Auswahlentscheidung sei "gerichtlich beanstandet und die Besetzung der Stelle mit dem ausgewählten Bewerber bis zum Abschluss eines erneut durchzuführenden Auswahlverfahrens untersagt" worden. Hiergegen erhob die Antragstellerin mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 5. Mai "2016" (gemeint: 2017) Widerspruch und forderte den Antragsgegner "zur Abwendung eines Antrags nach § 123 VwGO" auf, bis zum 15. Mai 2017 verbindlich zur erklären, dass die Stelle nicht erneut ausgeschrieben und auch nicht mit einer anderen Bewerberin oder einem anderen Bewerber besetzt werden würde. Außerdem beantragte sie, ihr einen Auszug aus der Verwaltungsakte zu übersenden, aus dem die verwaltungsinterne Entscheidung über den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens hervorgeht. Dem entsprach der Antragsgegner mit Schreiben vom 15. Mai 2017, eingegangen in der Kanzlei der Bevollmächtigten ausweislich des Eingangsstempels am 24. Mai 2017. Am 29. Mai 2017 hat die Antragstellerin den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem Verwaltungsgericht Wiesbaden gestellt.

Soweit die Antragstellerin mit der Beschwerdebegründung (sinngemäß) geltend macht, eine Verwirkung ihres Rechts auf Inanspruchnahme gerichtlichen einstweiligen Rechtschutzes gegen die Abbruchentscheidung sei in ihrem Fall nicht eingetreten bzw. der Beginn der Monatsfrist sei später anzusetzen, weil ihr die Gründe für den Abbruch durch das Schreiben vom 20. April 2017 nicht ordnungsgemäß mitgeteilt worden seien, vermag der Senat dem nicht zu folgen.

Weder einfaches Recht noch Verfassungsrecht gebieten den Ansatz eines späteren Fristbeginns.

Das Erfordernis der Beantragung gerichtlichen (einstweiligen) Rechtsschutzes binnen Monatsfrist nach Zugang der Abbruchmitteilung rechtfertigt sich daraus, dass im besonderen Dienst- und Treueverhältnis eine zeitnahe Entscheidung des Beamten erwartet werden kann, ob er den Abbruch eines Auswahlverfahrens angreift oder vielmehr an dem neuen Auswahlverfahren teilnimmt. Dies trägt nicht nur dem Interesse des Dienstherrn an einer zügigen Stellenbesetzung Rechnung, sondern auch dem Interesse aller Bewerber um die Beförderungsstelle an einer zeitnahen Besetzung. Ein klar bestimmter Fristbeginn, der mit dem Zeitpunkt des Zugangs der Abbruchmitteilung erfolgt, entspricht dem und dient der Rechtssicherheit. Es ist auch nicht sachgerecht, die Frage der (hinreichenden) Begründung der Abbruchentscheidung in die Berechnung der Monatsfrist für die Inanspruchnahme gerichtlichen (Eil-)Rechtsschutzes gegen die Abbruchentscheidung vorzuverlagern. Dies würde Unsicherheiten in Bezug auf die Fristberechnung bedingen, die zu vermeiden sind.

Es ist von einem Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens betroffenen Bewerbern auch zumutbar, die Entscheidung über die Anfechtung des Abbruchs ohne vollständige Kenntnis der Gründe hierfür binnen Monatsfrist ab Zugang der Abbruchmitteilung zu treffen. Die Rechtsschutzmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 GG wird hierdurch nicht unverhältnismäßig beschränkt, da Rechtsnachteile nicht erkennbar sind.

Der Abbruch eines Auswahlverfahrens ist nur dann rechtmäßig, wenn neben dem Vorliegen eines sachlichen Grundes sichergestellt ist, dass die von dem Verfahren Betroffenen von dem Abbruch rechtzeitig und in geeigneter Form Kenntnis erlangen (BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2012 - 2 A 7/09 -, juris Rn. 28). Wird kein tragfähiger sachlicher Grund für den Abbruch offenbart, wird mit einem Obsiegen des (rechtzeitig) einstweiligen Rechtsschutz beanspruchenden Beteiligten eines abgebrochenen Stellenbesetzungsverfahrens zu rechnen sein. Im Fall zulässig nachgeschobener Erläuterungen eines Abbruchgrundes durch den Dienstherrn im Laufe des Verfahrens kann dem durch Abgabe einer Erledigungserklärung des Antragsstellers und die daraufhin zu treffende streitige bzw. im Fall beidseitiger Erledigungserklärungen durch die nach § 161 Abs. 2 VwGO zu treffender Kostenentscheidung zugunsten des Antragstellers Rechnung getragen werden.

Die von der Antragstellerin mit der Beschwerdebegründung zitierte (Kammer-) Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 28. November 2011 - 2 BvR 1181/11 -, juris, rechtfertigt keine andere Sichtweise. Die Entscheidung verhält sich nicht zu der Frage, wann ohne Verwirkungseintritt Rechtschutz gegen eine Abbruchentscheidung zu beantragen ist.

Überdies wäre die Stellung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO der Antragstellerin auch noch innerhalb der Monatsfrist in voller Kenntnis der mitgeteilten Ergänzungen möglich gewesen. Denn die weitere Präzisierung des "sachlichen Grundes" durch Vorlage der Abschrift über die Verwaltungsverfügung zur Abbruchentscheidung erfolgte mit Schreiben vom 15. Mai 2017. Dieses ist den Bevollmächtigen der Antragstellerin am 24. Mai 2017, dem letzten Tag der Monatsfrist ab (erstmaliger) Bekanntgabe der Entscheidung über den Abbruch des Auswahlverfahrens zugegangen.

Der Senat weist zudem darauf hin, dass es einer schriftlichen Dokumentation des maßgeblichen Grundes für den Abbruch des Auswahlverfahrens nur dann bedarf, wenn sich dieser "nicht evident aus dem Vorgang selbst" ergibt (BVerfG, a.a.O., juris, Rn. 23). Vorliegend hat der Antragsgegner in der Mitteilung über den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens vom 20. April 2017 darauf verwiesen, dass die vorangegangene Auswahlentscheidung gerichtlich beanstandet worden sei. Dies erfolgte in einem Verfahren zwischen den hiesigen Verfahrensbeteiligten. Die Gründe der gerichtlichen Entscheidung sind diesen mithin bekannt. Es streitet daher einiges dafür - bedarf aber wegen der Erfolglosigkeit der Beschwerde aus den genannten Gründen keiner abschließenden Klärung -, dass vorliegend eine Präzisierung des mit dem Verweis auf die gerichtliche Beanstandung bezeichneten "sachlichen Grundes" entbehrlich war.

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin als unterlegene Beteilige zu tragen, (§ 154 Abs. 1 VwGO).

Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren, beruht auf §§ 47 Abs.1, 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).