LG Düsseldorf, Urteil vom 28.01.2020 - 4a O 40/19
Fundstelle
openJur 2020, 1256
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beklagten werden verurteilt,

1. es bei Meldung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,- - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft für die Beklagten zu 1) und 3) an ihrem jeweiligen gesetzlichen Vertretern zu vollziehen ist,

zu unterlassen,

Bearbeitungsvorrichtungen zum maschinellen Bearbeiten eines Rohrsystems, das einen Verbindungsbereich zwischen einem Rohr mit einem kleineren Innendurchmesser und einem Rohr mit einem größeren Innendurchmesser umfasst, dadurch gekennzeichnet, dass die Vorrichtung umfasst:

a) vorstehende Teile, die zum Positionieren der Vorrichtung oder zumindest eines Teils davon innerhalb des Rohrs mit kleinerem Innendurchmesser des Rohrsystems geeignet sind,

b) lenkbare, durch Stellglied betreibbare Mittel zum Abtragen von Material aus dem Verbindungsbereich des Rohrsystems,

c) eine Lenkvorrichtung zum Steuern der Richtung der Bearbeitungsvorrichtung bezüglich der Längsachse des Rohrs mit kleinerem Durchmesser im Rohrsystem während des Abtragens von Material von den Kanten eines Lochs, das im Verbindungsbereich des Rohrsystems hergestellt ist, und

d) ein biegbares Momentübertragungsglied,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;

2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die unter Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 26.12.2018 begangen haben, und zwar unter Angabe

a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,

c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,

wobei

zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Belege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;

3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die unter Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 26.01.2019 begangen haben, und zwar unter Angabe

a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen,

-zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,

b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,

c) nur die Beklagten zu 1) und 2): der einzelnen Gebrauchshandlungen, aufgeschlüsselt nach Gebrauchsumfang, -zeiten und -preisen und der Namen und Anschriften der Leistungsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei

die Beklagten zum Nachweis der Angaben zu a) - mit Ausnahme der Lieferzeiten - entsprechende Belege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen haben, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;

und wobei

den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer sowie der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn berechtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;

4. nur die Beklagten zu 1) und 3); die unter Ziffer I.1 bezeichneten, seit dem 26.12.2018 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des ... vom ...) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten zu übernehmen und die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;

5. nur die Beklagten zu 1) und 3): die - auch infolge Rückrufs nach Ziffer I.4 - in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum in der Bundesrepublik Deutschland befindlichen, in Ziffer I.1 bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben oder nach ihrer Wahl selbst zu vernichten.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten - die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner - verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die Handlungen nach Ziffer I.1 seit dem 26.01.2019 entstanden ist und noch entstehen wird.

III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.

IV. Das Urteil ist insgesamt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 250.000,00 EUR vorläufig vollstreckbar. Hinsichtlich des Tenors zu den Ziffern I.1, I.4 und I.5 (Unterlassung, Rückruf, Vernichtung) ist das Urteil gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 190.000,00 EUR. Hinsichtlich des Tenors zu den Ziffern I.2 und I.3 (Auskunft und Rechnungslegung) ist das Urteil gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 35.000,00 EUR. Wegen der Kosten ist das Urteil gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen behaupteter Patentverletzung auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung (nur die Beklagten zu 1) und 3)) und Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, Schadensersatz zu leisten, in Anspruch.

Die Klägerin ist die im Register des Deutschen Patent- und Markenamts (vgl. den in Anlage K 2 vorgelegten Registerauszug) eingetragene Inhaberin des deutschen Teils des Europäischen Patents EP A(nachfolgend: Klagepatent). Die Klagepatentschrift wurde als Anlage K 1 zur Akte gereicht; eine deutsche Übersetzung als Anlage K 1a. Das in englischer Verfahrenssprache erteilte Klagepatent wurde am 23.04.2010 unter Inanspruchnahme des Prioritätsdatums 29.04.2009 der FI B angemeldet. Das Europäische Patentamt veröffentlichte am 26.12.2018 den Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents.

Das Klagepatent steht in Kraft. Unter anderem das Unternehmen C erhob unter dem 25.09.2019 Einspruch gegen das Klagepatent.

Das Klagepatent betrifft eine Vorrichtung und ein Verfahren zur Renovierung eines Rohrsystems.

Die unten verkleinert eingeblendete Figur 1 des Klagepatents zeigt eine Bearbeitungsvorrichtung einer Ausführungsform der Erfindung.

Der nunmehr geltend gemachte Anspruch 11 des Klagepatents lautet in der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache wie folgt:

A machining device (100) for machining the material of a pipe system comprising a joint area between a pipe having a smaller inner diameter and a pipe having a larger inner diameter, characterized in that the devices comprises:

a. protruding parts (102) adapted to position the device or at least a part of it inside the pipe having smaller diameter of the pipe system,

b. steerable, actuator operable means (106 and/or 201) for removing material from the joint area of the pipe system and

c. steering device (301) for controlling the direction of the machining device in relation to the longitudinal axis of the pipe having thinner diameter in the pipe system while removing material from the edges of a hole made to the joint area of the pipe system,

d. a bendable torque transmitting member.

In deutscher Übersetzung lautet der geltend gemachte Anspruch wie folgt:

Bearbeitungsvorrichtung (100) zum maschinellen Bearbeiten eines Rohrsystems, das einen Verbindungsbereich zwischen einem Rohr mit einem kleineren Innendurchmesser und einem Rohr mit einem größeren Innendurchmesser umfasst, dadurch gekennzeichnet, dass die Vorrichtung umfasst:

a) vorstehende Teile (102), die zum Positionieren der Vorrichtung oder zumindest eines Teils davon innerhalb des Rohrs mit kleinerem Innendurchmesser des Rohrsystems geeignet sind,

b) lenkbare, durch Stellglied betreibbare Mittel (106 und/oder 201) zum Abtragen von Material aus dem Verbindungsbereich des Rohrsystems, und

c) eine Lenkvorrichtung (301) zum Steuern der Richtung der Bearbeitungsvorrichtung bezüglich der Längsachse des Rohrs mit kleinerem Durchmesser im Rohrsystem während des Abtragens von Material von den Kanten eines Lochs, das im Verbindungsbereich des Rohrsystems hergestellt ist,

d) ein biegbares Momentübertragungsglied.

Die Klägerin und die Beklagte zu 1) sind Wettbewerber auf dem Markt der Werkzeuge für die Bearbeitung und Reinigung von Rohren. Bei dem Beklagten zu 2) handelt es sich um den CEO der Beklagten zu 1). Bei der Beklagten zu 3) handelt es sich um eine Vertriebspartnerin der Beklagten zu 1) in Deutschland.

Die Beklagte zu 1) stellte auf der Messe RO-KA-Tech 2019 in Kassel Bearbeitungsvorrichtungen, bestehend aus Spindeln D und dazu passenden Schleifbändern E aus (nachfolgend als angegriffene Ausführungsform bezeichnet). Ferner bietet sie angegriffene Ausführungsformen ausweislich der als Anlage K 5 vorgelegten Screenshots auf ihrer Internetseite an. Die Beklagte zu 3) bietet die angegriffenen Ausführungsformen ebenfalls auf ihrer Internetseite an.

Die angegriffene Ausführungsform weist die nachfolgende, der Anlage K 5 entnommene, äußere Gestaltung auf:

Die Klägerin ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache von sämtlichen Merkmalen des Klagepatentanspruchs 11 unmittelbar und wortsinngemäß Gebrauch. Insbesondere verfüge die angegriffene Ausführungsform über eine klagepatentgemäße Lenkvorrichtung in Form der Schleifbänder. Das Klagepatent sehe in Bezug auf die Lenkvorrichtung lediglich vor, dass diese in der Lage sei, die Bearbeitungsvorrichtung zumindest in einer bestimmten Richtung zu halten, beispielsweise in Richtung der Längsachse eines Rohrs. Ferner könne es sich bei der Lenkvorrichtung und den vorstehenden Teilen nach der Lehre des Klagepatents um ein identisches Bauteil handeln.

Das Klagepatent werde sich in den Einspruchsverfahren als rechtsbeständig erweisen. Die Klägerin hat durch Vorlage ihrer Eingabe an das EPA als Anlage K 12 dargelegt, dass sie das Klagepatent im Einspruchsverfahren in der Fassung des nunmehr geltend gemachten Unteranspruchs 11 hilfsweise verteidigt. Gerade unter Berücksichtigung des neu hinzugekommenen Merkmals des biegbaren Momentübertragungsgliedes fehle eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung sämtlicher Merkmale des Unteranspruchs 11 des Klagepatents in dem als Anlage B 6 vorgelegten Katalog. Ferner sei die Veröffentlichung vor Prioritätsdatum nicht hinreichend dargelegt. Der Copyright-Vermerk genüge hierfür nicht. Der als Anlage B 7 vorgelegte Produktkatalog offenbare ebenfalls keine klagepatentgemäße Bearbeitungsvorrichtung.

Nachdem sie die Klage um die Beklagte zu 3) erweitert und ihren Antrag auf Unteranspruch 11 beschränkt hat, beantragt die Klägerin nunmehr:

wie erkannt.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung über den Einspruch der Unternehmen C bzw. F gegen das Klagepatent auszusetzen.

Sie sind der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform verwirkliche nicht sämtliche Merkmale des Klagepatentanspruchs 11. Insbesondere verfüge sie nicht über eine klagepatentgemäße Lenkvorrichtung, da die Schleifbänder lediglich in der Lage seien, die angegriffene Ausführungsform in einer bestimmten Position mit Kontakt sämtlicher Schleifbänder zum Rohr zu halten. Dies sei für eine klagepatentgemäße Lenkvorrichtung keine hinreichende Funktion.

Das Klagepatent werde sich im Einspruchsverfahren als nicht rechtsbeständig erweisen. Die Beklagten beantragen insoweit die Beiziehung der Akte 4a O 38/19. Schriftsätzlich beschränken sie sich auf Vortrag zu einer angeblich neuheitsschädlichen offenkundigen Vorbenutzung ausgehend von dem als Anlage B 6 vorgelegten Katalog. Dieser sei ausweislich der letzten Seite im September 2007 erschienen. Auf den Seiten 68/69 sind die Produkte "X" beschrieben.

Auf Seite 68 finden sich die folgenden Abbildungen:

Diese zeigen nach Auffassung der Beklagten sämtliche Merkmale des Klagepatentanspruchs 11 unter Berücksichtigung der klägerischen Auslegung der Merkmale.

Ferner offenbare der als Anlage B 7 vorgelegte Katalog auf den Seiten 57/58 eine klagepatentgemäße Bearbeitungsvorrichtung in Form eines Kettenschleuderkopfes.

Gründe

Die Klage ist zulässig (hierzu unter A)) und begründet, das Verfahren ist nicht nach § 148 ZPO auszusetzen (hierzu unter B)).

A)

Die Klage, insbesondere die Klageerweiterung auf die Beklagte zu 3), ist zulässig.

Die Klageerweiterung ist nach § 263 ZPO zulässig, da sie sachdienlich ist. Sie ist geeignet, einen weiteren Prozess mit dem gleichen Prozessstoff zu vermeiden. Einer Zustimmung der ursprünglichen Beklagten bedarf es nicht (Greger in Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, § 263 Rn 21).

B.

Die Klage ist begründet. Die angegriffene Ausführungsform ist ein klagepatentgemäßes Erzeugnis nach § 9 S. 2 Nr. 1 PatG (hierzu unter I.). Da die Beklagten entgegen § 9 S. 2 Nr. 1 PatG die angegriffene Ausführungsform anbieten und vertreiben, stehen der Klägerin gegen sie die geltend gemachten Ansprüche aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1, Abs. 2, 140a Abs. 3, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB zu (hierzu unter II.). Im Rahmen des der Kammer zustehenden Ermessens wird die Verhandlung nicht nach § 148 ZPO in Bezug auf die rechtshängigen Einspruchsverfahren ausgesetzt (hierzu unter III.).

I.

Bei der angegriffenen Ausführungsform handelt es sich um ein klagepatentgemäßes Erzeugnis.

1.

Das Klagepatent betrifft das Renovieren von Rohrsystemen.

Bei der Renovierung von Rohrsystemen, z.B. des Abwassersystems in Gebäuden, werden üblicherweise die alten Rohre durch neue vollständig ersetzt. Das Klagepatent kritisiert hieran, dass hierzu üblicherweise in die Gebäudesubstanz eingegriffen werden muss.

Aus der JPG ist bekannt, Rohre durch eine innere Beschichtung zu renovieren. Eine solche Technik wird als Innenverkleidungstechnik bezeichnet, wobei eine Innenverkleidungshülse in das zu reparierende Abwassersystem geschoben und unter Verwendung eines geeigneten Materials, beispielsweise Epoxidharz, imprägniert wird, nach dessen Erhärtung ein durchgehendes und dichtes Rohr gebildet ist. Die Innenverkleidung ist unter anderem starr, säureresistent und umweltfreundlich. Die Dicke der Wand der Hülse beträgt je nach Durchmesser des Rohrs zwischen 2 und 4 mm und deren glatte Innenfläche gewährleistet ausgezeichnete Durchflusseigenschaften. Die Beständigkeit, Umweltsicherheit und Lebensdauer des installierten und gehärteten Rohrs sind vergleichbar mit den entsprechenden Eigenschaften neuer Rohre. Ein Problem bei der Innenverkleidungstechnik besteht nach dem Klagepatent allerdings darin, dass, wenn die Hülse installiert wurde, beispielsweise in eine dicke vertikale Hauptleitun eines Rohrsystems, alle Verbindungsstellen, die beispielsweise zu dünneren Rohren führen, die von den Wohnungen eines Wohnhauses kommen, blockiert werden. Aus diesem Grund müssen Löcher in die Verbindungen gebohrt werden, um zu ermöglichen, dass Abwasser aus den Rohren, die von den Wohnungen zur Hauptleitung führen, heraus fließt. In den Lösungen gemäß dem Stand der Technik werden diese Löcher von der Hauptleitung aus, z. B. unter Verwendung eines Roboterbohrers, gebohrt. Die Roboterbohrer sind große, teure und komplexe Vorrichtungen, deren Betrieb spezielle Fachkenntnisse des Benutzers erfordert. Bel falscher Betätigung kann das Loch teilweise oder vollständig an einer falschen Stelle gebohrt werden oder bleibt eventuell zumindest der Oberflächenzustand rau. Eine solche Qualität ist In der Regel nicht akzeptabel, da an den rauen Stellen des Abflussrohrs Abfall hängen bleiben kann, der sich Im Laufe der Zeit zu einer dickeren Schicht ansammeln und das Abwasser gegebenenfalls sogar blockieren kann. Ebenso wenig ist es akzeptabel, dass stehendes Wasser in den rauen Stellen des Verbindungsbereichs stehen bleibt. Ein weiteres Problem mit den Roboterbohrern besteht darin, dass sie nicht für die Verwendung in Hauptleitungen mit Krümmungen darin geeignet sind. Aufgrund deren Größe ist es eventuell nicht möglich, den Roboterbohrer in die Hauptleitung zu der Position zu bewegen, wo das Loch gebohrt werden sollte.

Vor dem Hintergrund dieser Nachteile stellt sich das Klagepatent die technische Aufgabe, die Effizienz solcher Rohrrenovierungsvorhaben derart zu verbessern, dass ihre Beliebtheit gesteigert und die Kosten gesenkt werden.

Zur Lösung schlägt das Klagepatent eine Vorrichtung gemäß Anspruch 11 vor, der sich in die folgenden Merkmale gliedern lässt:

1.

Bearbeitungsvorrichtung (100) zum maschinellen Bearbeiten eines Rohrsystems, das einen Verbindungsbereich zwischen einem Rohr mit einem kleineren Innendurchmesser und einem Rohr mit einem größeren Innendurchmesser umfasst, dadurch gekennzeichnet, dass

2.

die Vorrichtung umfasst:

2.1

vorstehende Teile (102), die zum Positionieren der Vorrichtung oder zumindest eines Teils davon innerhalb des Rohrs mit kleinerem Innendurchmesser des Rohrsystems geeignet sind,

2.2

Mittel (106 und/oder 201) zum Abtragen von Material aus dem Verbindungsbereich des Rohrsystems,

2.2.1

die lenkbar und

2.2.2

durch Stellglied betreibbar sind, und

2.3

eine Lenkvorrichtung (301) zum Steuern der Richtung der Bearbeitungsvorrichtung bezüglich der Längsachse des Rohrs mit kleinerem Durchmesser im Rohrsystem während des Abtragens von Material von den Kanten eines Lochs, das im Verbindungsbereich des Rohrsystems hergestellt ist, sowie

2.4

ein biegbares Drehmomentübertragungsglied.

2.

Bei der angegriffenen Ausführungsform handelt es sich um ein klagepatentgemäßes Erzeugnis, welches sämtliche Merkmale des geltend gemachten Anspruchs verwirklicht.

a)

Die Beklagten stellen die Verwirklichung der Merkmale 1., 2.1 und 2.2.2 zu Recht nicht in Abrede, so dass es insoweit keiner weiteren Erörterung bedarf.

b)

Bei den Schleifbändern der angegriffenen Ausführungsform handelt es sich um Mittel zum Abtragen von Material im Sinne von Merkmal 2.2 des Klagepatentanspruchs 11.

Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt ein Abtragen von Material nicht erst dann vor, wenn ein Loch gebohrt oder ausgehöhlt wird. Es ist hinreichend, dass die betreffenden Mittel in der Lage sind, Material entsprechend dem Wortlaut des Anspruchs abzutragen, beispielsweise durch Abschleifen, wie in Abschnitt [0015] beschrieben. Das Punktieren eines Lochs wird erst in Unteranspruch 8 beschrieben und stellt mithin einen Unterfall des Abtragens dar, auf welchen die klagepatentgemäße Lehre nicht beschränkt ist.

Mithin stellen die Schleifbänder der angegriffenen Ausführungsform klagepatentgemäße Mittel zum Abtragen von Material aus dem Rohrsystem dar, da sie geeignet sind, Material von der Innenwand des Rohrsystems abzuschleifen.

c)

Die Schleifbänder der angegriffenen Ausführungsform sind lenkbar im Sinne von Merkmal 2.2.1.

Was unter dem Begriff "lenkbar" zu verstehen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Unter Heranziehung der allgemeinen Auslegungsgrundsätze liegt eine Lenkbarkeit vor, wenn und soweit die betreffenden Mittel dafür ausgebildet sind, die Entfernungsmittel in einer erwünschten Position im Rohr zu positionieren. Hinreichend hierfür ist, dass eine Ausrichtung der Drehachse zur Mitte des Rohrs mit dem dünneren Durchmesser hin erfolgen kann.

Dies folgt aus Abschnitt [0016] des Klagepatents, der in Bezug auf die Lenkbarkeit zwar auch eine Umlenkung der Drehachse in eine gewünschte Position beschreibt, die Ausrichtung der Drehachse in eine erwünschte Position innerhalb des Rohrs, z.B. hin zur Mitte des Rohrs, aber für eine Lenkbarkeit ausreichen lässt. Eine weitergehende Steuerbarkeit der betreffenden Mittel ist hingegen nach der Beschreibung zwar möglich, aber keine Voraussetzung für eine Lenkbarkeit.

Ausgehend hiervon handelt es sich bei den Schleifbändern der angegriffenen Ausführungsform um lenkbare Mittel im Sinne des Klagepatentanspruchs 11. Durch ihre Anordnung rund um die Spindel sind sie in der Lage, die angegriffene Ausführungsform zentriert im dünneren Rohr zu positionieren und dort zu halten.

d)

Die angegriffene Ausführungsform umfasst ebenfalls eine Lenkvorrichtung im Sinne von Merkmal 2.3

zum Steuern der Richtung der Bearbeitungsvorrichtung bezüglich der Längsachse des Rohrs mit kleinerem Durchmesser im Rohrsystem während des Abtragens von Material von den Kanten eines Lochs, das im Verbindungsbereich des Rohrsystems hergestellt ist.

aa)

Aus dem Anspruchswortlaut geht hervor, dass die Lenkvorrichtung die Bearbeitungsvorrichtung zu einem Zeitpunkt steuern können muss, in welchem Material von den Kanten eines Lochs im Verbindungsbereich des Rohrsystems abgetragen wird. Konkretisiert wird dies in Abschnitt [0019] der allgemeinen Beschreibung des Klagepatents. Hier heißt es:

Die Bearbeitungsvorrichtung kann auch eine Lenkvorrichtung zum Steuern der Längs(Dreh-)Achse der Spindel der Bearbeitungsvorrichtung bezüglich der Längsachse des Rohrsystems umfassen, beispielsweise durch Umlenken der Bearbeitungsvorrichtung von der Richtung der Längsachse oder Halten der Bearbeitungsvorrichtung in eine bestimmte Richtung, beispielsweise in die Richtung der Längsachse des Rohrs.

Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt eine Lenkvorrichtung damit nicht erst vor, wenn die Vorrichtung geeignet ist, eine Umlenkung der Vorrichtung aus der Längsachse des Rohrs hinaus zu erreichen. Vielmehr genügt die Geeignetheit zum Halten in der Richtung der Längsachse des Rohrs.

Diese Auslegung wird durch die weiteren Ausführungen des Klagepatents in Abschnitt [0019] gestützt, wo es heißt:

Die Lenkvorrichtung kann eine geeignete Umlenkungsvorrichtung umfassen [...]

bb)

Unter dem "Halten" in Zusammenhang mit der Lenkvorrichtung versteht das Klagepatent zwar ein "Mehr" im Vergleich zu einer bloßen Positionierung in der Mitte des Rohrs mit dem dünneren Innendurchmesser, wie es Merkmal 2.2.1 vorgibt. Nicht notwendig ist hingegen, dass die Lenkvorrichtung in der Lage ist, die Bearbeitungsvorrichtung in sämtlichen denkbaren Verbindungsbereichen mit winkligen Anordnungen jedweder Art zu steuern. Vielmehr überlässt es das Klagepatent dem Fachmann, je nach Ausgestaltung des Verbindungsbereichs eine taugliche Lenkvorrichtung zu konstruieren.

(1)

Dies folgt zunächst unmittelbar aus dem Anspruchswortlaut, der vorgibt, dass die Lenkvorrichtung die Gesamtvorrichtung während des Abtragens von Material an den Kanten des Lochs im Verbindungsbereich steuert. Der Verbindungsbereich wird hierbei dahingehend konkretisiert, dass er die Verbindung zwischen einem dickeren und einem dünneren Rohr umfasst. Eine bestimmte winklige Ausrichtung der beiden Rohre wird hingegen nicht vorgegeben. Dies entspricht den Ausführungen in Abschnitt [0010] der allgemeinen Beschreibung des Klagepatents, wo es heißt:

Das dünnere Rohr des Rohrsystems kann mit dem dickeren Rohr in jedem beliebigen Winkel verbunden werden, in der Regel jedoch in einem Winkel von 30-60 Grad, am besten in einem Winkel von 45 Grad.

(2)

Je nach Ausgestaltung des Verbindungsbereichs stellt das Klagepatent unterschiedliche Anforderungen an die Lenkvorrichtung, um ein sicheres Halten der Position im Verbindungsbereich zu gewährleisten. Bei einem Winkel von 45 Grad zwischen dem dickeren und dem dünneren Rohr, so wie es das in der Figurengruppe 4 dargestellte Ausführungsbeispiel zeigt, schlägt das Klagepatent die im Abschnitt [0019] des Klagepatents beschriebene zusätzliche Umlenkungsvorrichtung z.B. in Form eines Seils/Kabels und/oder eines Gewicht vor, um das im Abschnitt [0034] beschriebene unkontrollierte Drehen der Bearbeitungsvorrichtung zu verhindern. Hierbei handelt es sich allerdings um ein Ausführungsbeispiel, welches grundsätzlich nicht geeignet ist, den Schutzbereich eines Patentanspruchs einzuschränken (BGH, GRUR 2004, 1023 - bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).

In dem in der Figurengruppe 6 gezeigten Ausführungsbeispiel geht das dünnere Rohr in dem dickeren Rohr ohne winklige Verbindung gleichsam auf. Hier ist eine zusätzliche Umlenkungsvorrichtung für ein zuverlässiges Halten im Verbindungsbereich beim Abtragen von Material nicht notwendig, so dass diese folgerichtig in der betreffenden Figurengruppe nicht gezeigt ist.

(3)

Diese in Abschnitt [0019] und den genannten Ausführungsbeispielen offenbarte räumlichkörperliche Ausgestaltung der Lenkvorrichtung je nach Art des Verbindungsbereichs hat ihren Niederschlag ebenfalls in den Unteransprüchen 7 und 8 des Klagepatents gefunden, die spezielle Umlenkvorrichtungen, nämlich das bereits angesprochene Kabel und das Gewicht offenbaren. Eine Einschränkung des Hauptanspruchs auf derlei Ausgestaltungen lässt sich hieraus ohne weitere Anhaltspunkte nicht entnehmen (vgl. Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 11. Auflage 2019, Abschnitt A, Rn 24). Diese finden sich nicht in der Klagepatentschrift.

(4)

Dieses Verständnis wird zusätzlich gestützt durch die Ausführungen in Abschnitt [0030] des Klagepatents, wo es heißt:

Es ist anzumerken, dass, da die vorstehenden Teile 102 die Spindel 101 in dem Rohr zentrieren und die Drehachse der Spindel in der Richtung der Längsachse des Rohrs halten, die federnden vorstehenden Teile als die Lenkvorrichtung der Scheibe 201 dienen, die in dieser Ausführungsform die Vorrichtung zum Entfernen von Material ist.

Hier wird von den vorstehenden Teilen als Lenkvorrichtung gesprochen. Diese wäre zwar ausweislich der Figur 2a, auf die sich die betreffende Beschreibungsstelle bezieht, nicht in der Lage, die Bearbeitungsvorrichtung im Verbindungsbereich des Rohrs mit einem Winkel von 45 Grad zu halten, wohl aber in Verbindungsbereichen ohne Winkel oder mit lediglich einem geringen Gefälle des dünneren Rohrs.

Ferner lehrt diese Beschreibungsstelle den Fachmann, dass es sich bei der Lenkvorrichtung nicht um ein separates Bauteil handeln muss, sondern dass es sich bei der Lenkvorrichtung und den vorstehenden Teilen um ein und dasselbe Element handeln darf.

cc)

Unter Zugrundelegung dieser Auslegung verfügt die angegriffene Ausführungsform über eine anspruchsgemäße Lenkvorrichtung.

Die Schleifbänder der angegriffenen Ausführungsform sind in der Lage, diese innerhalb des dünneren Rohrs mittig zu positionieren und entlang der Längsachse des Rohrs zu halten. Sie sind ebenfalls - ausweislich des von der Kammer in der mündlichen Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Videos, vorgelegt als Anlage K 10 - in der Lage, im Verbindungsbereich eines dickeren und eines dünneren Rohrs Material im Kantenbereich des Lochs abzutragen, jedenfalls, wenn die beiden Rohre in einem nicht zu starken Winkel miteinander verbunden sind. Durch die Ausdehnung der Schleifbänder in der Längsachse der Bearbeitungsvorrichtung ist es möglich, die angegriffene Ausführungsform in den Verbindungsbereich hineinzuschieben, ohne dass es zu einem vom Klagepatent nicht gewünschten Verkippen und unkontrollierten Drehen der Vorrichtung kommt. Die Steuerung der Bearbeitungsvorrichtung in jeder denkbaren Variante eines Verbindungsbereichs ist, wie oben dargestellt, zur Merkmalsverwirklichung indes nicht notwendig.

e)

Merkmal 2.4, wonach die Bearbeitungsvorrichtung ein biegbares Momentübertragungsglied umfasst, ist ebenfalls verwirklicht.

Nach Abschnitt [0028] ist ein solches biegbares Drehmomentübertragungsglied beispielsweise ein Kabel.

Dass die angegriffene Ausführungsform über ein derartiges Kabel mit einem Motor verbunden ist, wird von den Beklagten zu Recht nicht in Abrede gestellt.

II.

Die Beklagten zu 1) und 3) verletzen das Klagepatent durch Anbieten und Inverkehrbringen der angegriffenen Ausführungsform im Inland sowie durch die Einfuhr zu diesen Zwecken.

Aufgrund der festgestellten Patentverletzung ergeben sich die zuerkannten Rechtsfolgen:

1.

Der Unterlassungsanspruch beruht auf Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG, da die Benutzung des Erfindungsgegenstandes im Inland ohne Berechtigung erfolgt. Die Verwirklichung einer Benutzungshandlung verursacht grundsätzlich Wiederholungsgefahr für alle in § 9 PatG, hier § 9 S. 2 Nr. 3, geschützten Handlungen (Voß/Kühnen in Schulte, PatG, 9. Aufl. 2014, § 139 Rn. 50). Der Antragswortlaut war allerdings an den Klagepatentanspruch anzupassen.

Die Haftung des Beklagten zu 2) folgt aus seiner Rolle als Geschäftsführer der Beklagten zu 1).

2.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz, der aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 2 PatG folgt. Als Fachunternehmen hätten die Beklagten die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB.

Da überdies durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten die Entstehung eines Schadens hinreichend wahrscheinlich ist, der durch die Klägerin aber noch nicht beziffert werden kann, weil sie den Umfang der rechtsverletzenden Benutzungshandlungen ohne ihr Verschulden nicht im Einzelnen kennt, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an der Feststellung der Schadensersatzverpflichtung anzuerkennen, § 256 ZPO.

3.

Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, ihren Schadensersatzanspruch zu beziffern, steht ihr gegen die Beklagten ein Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung im zuerkannten Umfang zu. Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsformen ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Rechnungslegungspflicht folgt aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 242, 259 BGB. Die Klägerin ist auf die Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt; die Beklagten werden durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.

Die Beklagten zu 1) und 2) haften insoweit als Gesamtschuldner.

4.

Die Klägerin kann die Beklagten zu 1) und 3) aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 3 PatG auf Rückruf patentverletzender Erzeugnisse in Anspruch nehmen.

5.

Der Vernichtungsanspruch nach Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 1 PatG greift ebenfalls im zuerkannten Umfang durch. Die Klägerin hat insoweit unbestritten vorgetragen, dass der Beklagten zu 3) die angegriffene nAusführungsformen von der Beklagten zu 1) unter Eigentumsvorbehalt nach Deutschland geliefert werden. Mithin liegt schlüssiger Vortrag zum Inlandsbesitz/-eigentum der Beklagten zu 1) und 3) vor, der von den Beklagten nicht bestritten wurde und mithin als zugestanden gilt.

III.

Das Verfahren wird nicht nach § 148 ZPO ausgesetzt.

1.

Nach § 148 ZPO kann das Gericht bei der Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens einen Rechtsstreit aussetzen. Die Vorgreiflichkeit ist aufgrund der angenommenen Verletzung des Schutzrechtes hinsichtlich des anhängigen Nichtigkeitsverfahrens gegeben. Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellt ohne Weiteres noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen. Die Patenterteilung ist auch für die (Verletzungs-) Gerichte bindend. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139?ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent nicht als Einwand im Verletzungsverfahren geführt werden. Jedoch darf dies nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits im Rahmen der nach § 148 ZPO zu treffenden Ermessenentscheidung ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen Nichtigkeitsklage nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 - Kurznachrichten; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.06.2015 - Az. I-2 U 64/14, S. 29 f.).

2.

Hier erfolgte der Rechtsbestandsangriff erst mit der Duplik und damit derart spät, dass dem Patentinhaber eine angemessene Erwiderung kaum möglich war. Dieser Umstand führt zwar nicht zu einer klassischen Verspätungssituation, ist aber bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 11. Auflage 2019, Abschnitt E Rn 724 m.w.N.).

3.

Die technisch nicht fachkundig besetzte Kammer kann nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass in dem als Anlage B 6 vorgelegten Katalog eine Bearbeitungsvorrichtung mit sämtlichen Merkmalen des geltend gemachten Klagepatentanspruchs 11 unmittelbar und eindeutig offenbart ist.

a)

Von einer Veröffentlichung des betreffenden Dokuments vor dem Prioritätszeitpunkt ist allerdings unter Berücksichtigung des Copyright-Vermerks ("September 2007") auszugehen.

In Bezug auf einen Copyright-Vermerk besteht der Erfahrungssatz, dass ein solcher Vermerk auf ein Erscheinen des Werks alsbald nach Drucklegung hindeutet (BGH, MMR 2018, 228 - Verfahren zur Übertragung ressourcenbezogener Information zwischen drahtlosen Kommunikationsvorrichtungen). Dieser Erfahrungssatz wird gestützt durch den Umstand, dass der Katalog mit "Product Catalog 2008-2009 betitelt ist. Dies spricht ebenfalls dafür, dass es zu einer Veröffentlichung vor dem Prioritätsdatum des 29.04.2009 kam.

Die Klägerin hat diesen Erfahrungssatz nicht durch konkreten Sachvortrag erschüttert. Es ist mithin von einer Veröffentlichung im September 2007 auszugehen.

b)

Eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung sämtlicher Merkmale des Klagepatentanspruchs 11 kann die Kammer hingegen nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Die Beklagten beziehen sich insoweit auf die Seiten 68 und 69 des betreffenden Katalogs und die dortige Beschreibung des Produkts "X".

Insbesondere fehlt es an einer Offenbarung von Merkmal 2.4, dem biegbaren Drehmomentübertragungsglied. Nach dem Vortrag der Beklagten lese der Fachmann das betreffende Merkmal gleichsam mit. Allerdings rotieren die von der Beklagten herangezogenen "X" nach der auf den Seiten 68 und 69 des Katalogs befindlichen Produktbeschreibung mit 5.000 - 25.0000 Umdrehungen pro Minute. Das Klagepatent schlägt in seiner Beschreibung in Abschnitt [0028] 4.000-1.000 Umdrehungen pro Minute vor. Nach dem Vortrag der Klägerin, dem die Beklagten insoweit nicht hinreichend entgegengetreten sind, können derartig hohe Drehzahlen nur über steife Gestänge übertragen werden und nicht über biegbare Drehmomentübertragungsglieder wie Kabel. Jedenfalls fehlt es der technisch nicht fachkundig besetzten Kammer an einer entsprechenden Eindeutigkeit der Offenbarung.

4.

Die von den Beklagten vorgelegte Entgegenhaltung B 7 umfasst einen Produktkatalog mit dem Copyright-Vermerk "gültig ab 1. Januar 2009" und ist mithin, wie oben dargelegt, als prioritätsälteres Dokument im Rahmen der Neuheitsprüfung zu würdigen.

Die Beklagte bezieht sich in ihrem Vortrag auf die auf Seite 57 gezeigten Rohrreinigungswerkzeuge und dort auf den Kettenschleuderkopf, welcher die folgende, der Entgegenhaltung entnommene Ausgestaltung aufweist:

Die technisch nicht fachkundig besetzte Kammer kann allerdings nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass dieser Kettenschleuderkopf Mittel zum Abtragen von Material aus dem Verbindungsbereich des Rohrsystems im Sinne von Merkmal 2.2 aufweist und dass er über eine dem Merkmal 2.3 entsprechende Lenkvorrichtung verfügt.

Das betreffende Werkzeug dient der Rohrreinigung und wird (vgl. Seite 58 der Anlage B 7) mit Drehzahlen von 270-340 Umdrehungen pro Minute betrieben. Für die technisch nicht fachkundig besetzte Kammer fehlt es insoweit an einer hinreichend eindeutigen Offenbarung dahingehend, dass dieses Werkzeug überhaupt in der Lage ist, Material aus dem Kantenbereich des Rohrsystems abzutragen. Denn schließlich dürfte es bei Werkzeugen zur Rohrreinigung unerwünscht sein, dass diese Material von der Innenseite des Rohrs abtragen. Zu einer entsprechenden Eignung des betreffenden Werkzeugs fehlt insoweit weiterer substantiierter Vortrag der Beklagten.

Gleiches gilt für die eindeutige Offenbarung einer klagepatentgemäßen Lenkvorrichtung. Allein aus der oben eingeblendeten Abbildung des Kettenschleuderkopfes lässt sich nicht eindeutig entnehmen, dass seine Längsausdehnung derart groß ist, dass er teilweise in den Verbindungsbereich des Rohrsystems hineingeschoben werden kann, ohne zu verkippen. Hierzu fehlt ebenfalls substantiierter Vortrag der Beklagten.

5.

Die als Anlagen B 4 und B 5 vorgelegten Einspruchsschriftsätze waren bei der Prüfung einer etwaigen Aussetzung nicht zu berücksichtigen. Gleiches gilt für den Vortrag in dem Parallelverfahren 4a O 38/19. Die Beklagten haben eigenständig und aus sich heraus verständlich zum Rechtsbestandsangriff vorzutragen, worauf sie schon in der prozessleitenden Verfügung hingewiesen worden sind. Die Bezugnahme auf Anlagen sowie die Beantragung einer Aktenbeiziehung ersetzen keinen eigenen Sachvortrag. Der entsprechende Vortrag war gerade auch im Hinblick auf das späte Vorbringen nicht zu berücksichtigen.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO. Auf Antrag der Klägerin waren Teilsicherheiten festzusetzen.

Streitwert: 250.000,00 EUR