BGH, Beschluss vom 18.12.2019 - XII ZB 445/18
Fundstelle
openJur 2020, 1217
  • Rkr:
Tenor

Die Rechtsbeschwerden gegen den Beschluss des 11. Zivilsenats und Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 24. August 2018 werden auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 4 und 5 zurückgewiesen.

Wert: 3.000 €

Gründe

I.

Die Beteiligten zu 4 und 5 erstreben als ehemalige Pflegeeltern die Übertragung der Pflegschaft für das betroffene Kind.

Das betroffene Kind wurde im April 2008 geboren und lebte zunächst mit seinem älteren Halbbruder im Haushalt der allein sorgeberechtigten Kindesmutter. Beide Kinder wurden 2009 in Obhut genommen und zunächst in Bereitschaftspflegefamilien gegeben. Mit Beschluss vom 30. September 2009 entzog das Amtsgericht Fürth der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge, die Vertretung gegenüber Schulen, Kindergärten und therapeutischen Einrichtungen sowie das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen für beide Kinder und bestellte das zuständige Jugendamt zum Ergänzungspfleger. Das Kind wurde im Oktober 2009 den Beteiligten zu 4 und 5 als Pflegeeltern anvertraut.

Die Beteiligten zu 4 und 5 haben im vorliegenden Verfahren am 2. September 2015 die Übertragung der Pflegschaft auf sich beantragt. Im Januar 2016 wurde das Kind durch das Jugendamt aus der Pflege der Beteiligten zu 4 und 5 herausgenommen und in eine Bereitschaftspflegefamilie gegeben. Seit Mai 2016 wird es in einer Wohngruppe betreut. Im Hinblick auf das seinerzeit von Amts wegen eingeleitete Hauptsacheverfahren zur Frage der Rückführung des Kindes ist das vorliegende Verfahren zunächst zum Ruhen gebracht worden. Im Verfahren zur Klärung der Rückführung trafen die Beteiligten nach Einholung eines Sachverständigengutachtens eine Vereinbarung, nach der das betroffene Kind seinen gegenwärtigen Aufenthalt beibehalten und nicht zu den Beteiligten zu 4 und 5 zurückgeführt werden soll. Daneben wurden regelmäßige Umgangskontakte zwischen diesen und dem Kind vereinbart.

Die Beteiligten zu 4 und 5 haben sodann das in jenem Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten in Zweifel gezogen und die Fortsetzung des vorliegenden Verfahrens beantragt, in dem ein Verfahrensbeistand für das Kind bestellt worden ist. Das Amtsgericht hat das nunmehr beteiligte Jugendamt (Beteiligter zu 2) zum Ergänzungspfleger bestellt und den Antrag der Beteiligten zu 4 und 5 zurückgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihre Beschwerden mangels Beschwerdebefugnis verworfen. Dagegen richten sich deren zugelassene Rechtsbeschwerden.

II.

Die Rechtsbeschwerden bleiben ohne Erfolg.

1. Die Rechtsbeschwerden sind zulässig. Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 4 und 5 für die Rechtsbeschwerden ergibt sich bereits daraus, dass ihre Rechtsmittel in der Beschwerdeinstanz ohne Erfolg geblieben sind (vgl. Senatsbeschlüsse vom 25. Januar 2017 - XII ZB 438/16 - FamRZ 2017, 552 Rn. 5 mwN zur Verwerfung der Erstbeschwerde und vom 5. November 2014 - XII ZB 117/14 - FamRZ 2015, 249 Rn. 4 mwN zur Zurückweisung der Erstbeschwerde).

2. Die Rechtsbeschwerden sind unbegründet. Das Oberlandesgericht hat die Erstbeschwerden zu Recht mangels Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 4 und 5 verworfen.

a) Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ergibt sich eine Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 4 und 5 als ehemalige Pflegeeltern insbesondere nicht aus § 59 Abs. 1 FamFG, weil es an einer Rechtsbeeinträchtigung fehle. Aus einem berechtigten Interesse nach § 1887 Abs. 2 BGB lasse sich nicht auf ein rechtliches Interesse schließen. Zwar sei Pflegeeltern aus Art. 19 Abs. 4 GG das Recht zu eröffnen, eine richterliche Kontrolle der Entscheidung des Rechtspflegers herbeizuführen. Aus der Verfassung sei aber keine Verpflichtung herzuleiten, darüber hinausgehend in jedem Fall einen Rechtsmittelzug zu eröffnen.

Die tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft sei als Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt. Pflegeeltern fielen zudem in den Schutzbereich des Familienlebens gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zwischen ihnen und dem Kind eine familienähnliche Beziehung bestehe. Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG sei allerdings bei einem Auseinanderfallen von Entscheidungszuständigkeit und persönlicher Bindung noch nicht verletzt, weil hierfür eine unmittelbare Rechtsverletzung erforderlich sei. Auch eine verfassungskonforme Auslegung, die etwa zu einer Beschwerdeberechtigung der Pflegeltern führen könne, sei nicht geboten, zumal die Interessen des Kindes durch den bestellten Verfahrensbeistand gewahrt würden.

b) Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind Pflegeeltern nicht berechtigt, Beschwerde gegen eine die elterliche Sorge für das Pflegekind betreffende Entscheidung des Familiengerichts einzulegen (Senatsbeschlüsse vom 25. August 1999 - XII ZB 109/98 - FamRZ 2000, 219 f. und vom 11. September 2003 - XII ZB 30/01 - FamRZ 2004, 102).

An dieser Rechtsprechung ist auch mit Blick auf das seit September 2009 geltende Verfahrensrecht festzuhalten. Wie der Senat bereits entschieden hat, genügt selbst das Recht der Großeltern auf Beachtung ihrer nahen Verwandtenstellung bei der Auswahl des Vormunds grundsätzlich nicht, um die Beschwerdeberechtigung nach § 59 Abs. 1 FamFG zu begründen (Senatsbeschlüsse vom 26. Juni 2013 - XII ZB 31/13 - FamRZ 2013, 1380 Rn. 12 ff. und vom 2. Februar 2011 - XII ZB 241/09 - FamRZ 2011, 552 Rn. 9). Weil dies auch für den Fall einer bestehenden sozialfamiliären Beziehung zwischen Großeltern und Kind gilt (Senatsbeschluss vom 2. Februar 2011 - XII ZB 241/09 - FamRZ 2011, 552 Rn. 15 f.), kann es sich für Pflegeeltern, die als solche im Unterschied zu Großeltern nicht mit dem Kind verwandt sind, nicht anders verhalten.

Auch die Verfassung gebietet dem Gesetzgeber nicht, einen Rechtsmittelzug einzurichten (BVerfG FamRZ 2014, 1435 Rn. 32; vgl. auch BVerfG FamRZ 2014, 1841 Rn. 28). Er ist von Verfassungs wegen weder durch den Justizgewährungsanspruch noch durch Art. 101 Abs. 1 GG gezwungen, nahen Verwandten gegen die durch das Gericht getroffene Auswahl des Vormunds einen Rechtsbehelf zur Verfügung zu stellen. Das Grundgesetz sichert im Bereich des Art. 19 Abs. 4 GG wie auch in dem des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs die Eröffnung des Rechtswegs. Die Garantie einer gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeit gegen behauptete Rechtsverletzungen gewährleistet jedoch keinen Rechtsweg über mehrere Instanzen hinweg (BVerfG FamRZ 2014, 1435 Rn. 32). Im Übrigen lässt sich die Annahme eines subjektiven Rechts auf Berücksichtigung bei der Vormundauswahl durch das Bundesverfassungsgericht schon deshalb nicht auf Pflegeltern übertragen, weil hierfür neben der familiären Beziehung ein nahes Verwandtschaftsverhältnis bestehen muss.

In Anbetracht der bewussten gesetzgeberischen Entscheidung ist auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 59 Abs. 1 FamFG im Sinne der Rechtsbeschwerde nicht möglich, weil eine solche sich gegen den Willen des Gesetzgebers richten würde (vgl. Senatsurteil vom 24. Juni 2009 - XII ZR 161/08 - FamRZ 2009, 1477 Rn. 28 mwN; aA OLG Karlsruhe FamRZ 2013, 1665, 1666 für bestimmte Fallkonstellationen). Die Wahrnehmung der Interessen des Kindes durch die Pflegeltern sieht das Gesetz nicht vor, eine § 303 Abs. 2 FamFG entsprechende Regelung ist für Kindschaftsverfahren nicht vorgesehen. Zur Wahrung der Rechte des Kindes genügt die Beteiligung der - in einzelnen Bereichen weiterhin sorgeberechtigten - Kindesmutter und ist dem Kind zudem ein Verfahrensbeistand bestellt worden.

bb) Zwar kann die Beziehung zwischen Pflegeeltern und Kind sowohl unter den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG (BVerfG FamRZ 1989, 31, 32 f. mwN) wie auch unter den Schutz des Familienlebens im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK fallen (EGMR FamRZ 2012, 429). Dieser Schutz gründet sich indessen jeweils auf die gelebte soziale Familie und kann daher nur deren (Fort-)Bestand gewährleisten. Dem wird bereits durch die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung des faktischen Familienlebens als Bestandsschutz im Wege der Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 200, 86 = FamRZ 2014, 543 Rn. 21 f. mwN) oder der Rückführung (vgl. Senatsbeschluss vom 16. November 2016 - XII ZB 328/15 - FamRZ 2017, 208 Rn. 15) hinreichend Rechnung getragen. Die mit der - rechtlichen - Pflegerbestellung von den Beteiligten zu 4 und 5 erstrebte Einräumung sorgerechtlicher Befugnisse würde hingegen über die Rechte einer fortbestehenden, aus Pflegeeltern und Kindern bestehenden sozialen Familie hinausgehen und ließe sich allein aus dem sozialen Familienleben folglich nicht mehr rechtfertigen.

Aus der Rechtsstellung der Beteiligten zu 4 und 5 folgt mithin allenfalls ein Bestandsschutz im Hinblick auf die gelebte soziale Familie. Über die in diesem Rahmen zu gewährleistende Rückführung des Kindes ist vorliegend bereits ein entsprechendes Verfahren geführt worden. Dieses wurde im Einvernehmen der Beteiligten zu 4 und 5 mit dem Ergebnis beendet, dass das Kind in seiner gegenwärtigen Betreuungsstätte verbleibt.

Dose Klinkhammer Nedden-Boeger Guhling Krüger Vorinstanzen:

AG Erlangen, Entscheidung vom 12.04.2018 - 51 F 1490/10 (2) -

OLG Nürnberg, Entscheidung vom 24.08.2018 - 11 WF 901/18 -