OLG Hamm, Beschluss vom 18.09.2019 - 32 SA 57/19
Fundstelle
openJur 2020, 969
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 24 C 34/19

Eine Gerichtsstandbestimmung gem. § 36 Abs.1 Nr. 6 ZPO kommt regelmäßig nicht in Betracht, wenn die Klage mangels Zustellung an den Beklagten noch nicht rechtshängig ist. In diesem Fall kann ein Verweisungsbeschluss des zuerst angerufenen Gerichts aufzuheben und die Sache unter Ablehnung einer Zuständigkeitsbestimmung an dieses Gericht zurückzugeben sein.

Tenor

Der Senat lehnt - unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Hamm vom 20.06.2019 - eine Zuständigkeitsbestimmung zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab.

Die Sache wird zur weiteren Sachbehandlung an das Amtsgericht Hamm zurückgegeben

Gründe

I.

Der Rechtsstreit liegt dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor.

Dem Rechtsstreit liegt - soweit für das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren von Belang - im Kern folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit Klageschrift vom 29.04.2019 hat der in I wohnhafte Kläger vor dem Amtsgericht Hamm Klage gegen die in X ansässige Beklagte - gestützt auf §§ 826, 249 ff. BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung - u.a. auf Zahlung von 3.673,78 € zzgl. Nebenforderungen erhoben. Die Klageschrift ist der Beklagten bislang nicht zugestellt worden.

Der Kläger erwarb am 09.09.2014 bei der Firma M Automobile in L zum Kaufpreis von 17.300 € einen Z mit einem Dieselmotor xx , der seinem Vorbringen nach mit einer sog. Abschaltsoftware ausgestattet ist. Der Kaufvertrag wurde am Sitz des Verkäufers in L geschlossen, wo der Kläger ausweislich der Anlage K 3 nach einer geleisteten Anzahlung bei Abholung am 12.09.2014 auch den restlichen Kaufpreis in Höhe von 17.000 € beglich.

Mit allein an den Kläger gerichteter Verfügung vom 27.05.2019 hat das Amtsgericht Hamm mit näherer Begründung darauf hingewiesen, dass es mit Blick auf die in L erfolgten Erfüllungshandlungen örtlich unzuständig sein dürfte. Zugleich hat es um Stellungnahme gebeten, ob Verweisung an das Amtsgericht Kassel, hilfsweise das Amtsgericht Wolfsburg beantragt werde.

Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 14.06.2019 hat der Kläger darauf verwiesen, dass Ort des Schadenseintritts sein Wohnort sei. Hilfsweise hat er die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Kassel beantragt.

Ohne Anhörung der Beklagten hat sich das Amtsgericht Hamm sodann mit dem aus dem Kläger bekannt gemachten Beschluss vom 20.06.2019 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Kassel "abgegeben". Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des vorgenannten Beschlusses Bezug genommen (Bl. 119 f. d.A.).

Das Amtsgericht Kassel hat den Kläger mit Verfügung vom 01.07.2019 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Übernahme des Verfahrens abzulehnen, da das Amtsgericht Hamm zuständig sei. Mit allein ihm bekannt gemachtem Beschluss vom 18.07.2019 hat es sodann die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt, sich seinerseits für örtlich unzuständig erklärt und die Sache an das Amtsgericht Hamm zurückgegeben. Dieses sei gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig, weil sich dort der Wohnort des Klägers befinde. Wegen der Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den vorbezeichneten Beschluss Bezug genommen (Bl. 126 f. d.A.)

Das Amtsgericht Hamm wiederum hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 29.07.2019 zum Zwecke der Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 ZPO dem Oberlandesgericht Hamm vorgelegt (Bl. 129 ff. d.A.).

Der Senat hat beide Parteien mit Verfügung vom 09.08.2019 angehört (Bl. 135 d.A.).

II.

Der Senat lehnt eine Entscheidung zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab, da die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO derzeit nicht vorliegen.

1.

Zwar ist das Oberlandesgericht Hamm gemäß § 36 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit berufen. Danach wird, wenn das höhere gemeinschaftliche Gericht der an dem Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte der Bundesgerichtshof ist, das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste, an dem Kompetenzkonflikt beteiligte Gericht gehört (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss v. 28.10.2013, 1 W 67/03; Zitat nach Juris). Vorliegend war das im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm gelegene Amtsgericht Hamm zuerst mit der Sache befasst.

2.

Allerdings liegen die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im Ergebnis (noch) nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist das zuständige Gericht zu bestimmen, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

a) Das Amtsgericht Hamm hat den Rechtsstreit vor Klagezustellung und ohne Anhörung der Beklagten mit Beschluss vom 20.06.2019 an das Amtsgericht Kassel "abgegeben". Das Amtsgericht Kassel hat durch allein dem Kläger bekannt gemachten Beschluss vom 18.07.2019 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, sich ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Hamm zurückgegeben. Das Amtsgericht Hamm hat daraufhin den Rechtsstreit mit Beschluss vom 29.07.2019 dem Oberlandesgericht Hamm zum Zwecke der Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt.

b) Der Anwendungsbereich des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist allerdings nur eröffnet, wenn sich mehrere Gerichte in einem rechtshängigen Verfahren durch rechtskräftige (unanfechtbare) Entscheidung für örtlich, sachlich oder funktionell unzuständig erklärt haben, eines der beteiligten Gerichte aber in Wahrheit zuständig ist (zum Ganzen: Schultzky in Zöller, ZPO 32. Aufl., § 36 Rn 32 m.w.N.). Die Unzuständigkeitserklärung muss in einem "Rechtsstreit" ergangen sein, was i.d.R. Rechtshängigkeit der Streitsache (§§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO) voraussetzt; bloße Anhängigkeit genügt grundsätzlich nicht (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 05.03.1980, IV ARZ 8/80, NJW 1980, 1281, juris; Senat, Beschl. v. 22.04.2016, I-32 SA 26/16, juris; Schultzky in Zöller, ZPO 32. Aufl., § 36 Rn 36 m.w.N.).

Rechtshängigkeit ist vorliegend nicht erkennbar. Die Akte enthält keinen Zustellungsnachweis und keinen Anhaltspunkt dafür, dass eines der beteiligten Amtsgerichte eine Zustellung veranlasst hat; die veranlassten Hinweise, Verfügungen und Beschlüsse richten sich jeweils ausdrücklich nur an die Klägerpartei. Ein Fall, in dem die Zuständigkeitsbestimmung ausnahmsweise schon vor Rechtshängigkeit getroffen werden kann, ist nicht ersichtlich. Dies wird zum Beispiel in einem Kompetenzkonflikt zwischen Mahngerichten angenommen oder wenn sonst eine baldige Beilegung des Zuständigkeitsstreits nicht erwartet werden kann (vgl. zum Ganzen: Schultzky in Zöller, ZPO 32. Aufl., § 36 Rn 36 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).

c) Da das Amtsgericht Kassel schon mangels vorheriger Gewährung rechtlichen Gehörs für die Beklagtenpartei an die formlose Abgabe durch das Amtsgericht Hamm nicht gebunden ist und die Übernahme ablehnt, wird die Sache erneut dem Amtsgericht Hamm vorgelegt. Dieses mag die Klageschrift zunächst zustellen und ggf. danach und nach rechtlichem Gehör der Beklagtenseite förmlich über seine Zuständigkeit entscheiden. Auf die ständige Rechtsprechung des Senates zu den Verfahren der vorliegenden Art wird vorsorglich hingewiesen, u.a. auf den Beschluss vom 09.05.2019, I-32 SA 21/19. Danach kann es - in vergleichbaren Fällen - für die Frage der örtlichen Zuständigkeit darauf ankommen, wo die Erfüllungshandlungen i.S.v. § 362 Abs. 1 BGB vorgenommen worden sind. Beruhen diese auf einem mehraktigen Geschehen wie beispielsweise einer vom Geschädigten an einem Ort in Auftrag gegeben Überweisung, die die beauftragte Bank an einem anderen Ort ausgeführt hat, liegt auch an dem Ort, an dem der Geschädigte vermögensmindernd tätig geworden ist, ein die Zuständigkeit im Sinne von § 32 ZPO begründender Erfolgsort. Dass es in derartigen Fällen mehrere Erfolgsorte geben kann, an denen nach Wahl des Geschädigten geklagt werden kann, ist aufgrund der derzeitigen Rechtslage hinzunehmen (vgl. § 35 ZPO).

Zu den Erfüllungshandlungen hat der Kläger vorliegend bislang nicht näher vorgetragen. Der Vertragsurkunde (Anlage K 3) ist zu entnehmen, dass der Kaufvertrag am 09.09.2014 in L geschlossen, dort am gleichen Tag auch eine Anzahlung i.H.v. 300 € gezahlt und der restliche Kaufpreis i.H.v. 17.000 € bei Abholung am 12.09.2014 beglichen worden ist. Dementsprechend könnte ein Vermögensschaden in L eingetreten und somit dort auch der Erfolgsort i.S.v. § 32 ZPO anzunehmen sein können. Ob zudem auch ein Erfolgsort in I anzunehmen ist, wird das Amtsgericht zu prüfen haben, nachdem die Akte wieder bei ihm eingegangen und die Klage zugestellt worden ist.

d) Dass der Senat die Parteien auf die im Streitfall fehlenden Voraussetzungen des

§ 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im Vorfeld dieses Beschlusses nicht ausdrücklich hingewiesen hat, hindert die Rückgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Hamm, da den Parteien hierdurch - mangels Entscheidung in der Sache - kein Nachteil entsteht.

3.

Auch die Voraussetzungen des vom Amtsgericht Hamm in seinem Vorlagebeschluss in Bezug genommenen § 36 Abs. 1 Nr. 5 ZPO liegen - ersichtlich - nicht vor, weil diese Norm nur anwendbar ist, wenn in einem "Rechtsstreit" (dazu bereits oben) sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben, woran es ganz offensichtlich fehlt. Schließlich kommt auch eine andere Variante aus dem Katalog des § 36 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.