LG Kleve, Urteil vom 12.12.2014 - 140 Ks-199 Js 199/14-3/14
Fundstelle
openJur 2020, 932
  • Rkr:
Tenor

Die Angeklagten werden wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von jeweils

12 Jahren

verurteilt. Sie haben die Kosten des Verfahrens und der Nebenklage sowie die notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu tragen.

§§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB

Gründe

Hinweis: Auf die Revision des Nebenklägers hat der Bundesgerichtshof (3 StR 242/15) dieses Urteil aufgehoben und an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Am 13. Juni 2016 wurden die Angeklagten sodann durch die 5. große Strafkammer (Schwurgericht) des Landgerichts Kleve (150 Ks 1/15) wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.

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I. Rechtliche Würdigung

Die Angeklagten haben aufgrund des hier festgestellten Sachverhalts den Tatbestand des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) verwirklicht. Sie haben in bewusstem Zusammenwirken auf der Grundlage eines gemeinsam gefassten Tatplans (§ 25 Abs. 2 StGB) das Tatopfer C angegriffen und durch insgesamt 44 Messerstiche tödlich verletzt.

Die Angeklagten handelten vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft. Sie können sich nicht auf Notwehr zur Abwehr eines von C ausgehenden rechtswidrigen Angriffs (vgl. § 32 StGB) berufen, weil ein derartiger Angriff nicht vorlag. Die Schuldfähigkeit war bei beiden Angeklagten in vollem Umfang erhalten.

Das Tatgeschehen kann dagegen nicht, wie es noch der Anklage geschehen ist, als Mord bewertet werden, den die Angeklagten aus niedrigen Beweggründen begangen haben (vgl. § 211 Abs. 2 StGB).

Zwar geht die Kammer davon aus, dass die Angeklagten C töten wollten, um sich einer Person, die sie als ständige Bedrohung empfanden, zu entledigen. Die Ängste, die den Angeklagten P3 im Zusammenhang mit der Person Cs über Jahre hinweg begleitet haben und die auch für den Angeklagten P2 nicht ausgeschlossen werden können und die die Angeklagten dazu gebracht haben, C als Verursacher der Furcht endgültig zu beseitigen, stellen jedoch keine niedrigen Beweggründe dar. Für die Bewertung als niedrig sind die in der Rechtsgemeinschaft als sittlich verbindlich anerkannten Anschauungen maßgeblich, wobei vom Standpunkt des unverbildeten Betrachters auszugehen ist. Danach muss sich die Motivation der Tat nicht nur als verwerflich darstellen, sondern auf tiefster Stufe stehen und als besonders verachtenswert erscheinen; dabei ist die Niedrigkeit nach den Gesamtumständen der Tat zu beurteilen (Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Eser, StGB, 29. Auflage, § 211 Rn. 18a mit weiteren Nachweisen).

Gemessen an diesen Maßstäben erfolgte die Tötung Cs nicht aus niedrigen Beweggründen. Das Tatopfer war spätestens nach der Scheidung seiner Ehe mit der Schwester der Angeklagten für diese und die übrigen Mitglieder ihrer Familie mehrfach als gewaltbereite und gewalttätige Person in Erscheinung getreten. Diese Wahrnehmung Cs beruhte nicht auf Vorstellungen, die jeder tatsächlichen Grundlage entbehrten und daher - vor allem von den Angeklagten - ohne Weiteres als falsch zu erkennen waren. Die Wahrnehmung Cs hatte für die Angeklagten vielmehr durchaus reale Hintergründe. Noch während der bestehenden Ehe mit x P hatte C seine Ehefrau zwei Mal körperlich misshandelt und war dafür bestraft worden, wobei er beim zweiten Mal seine Ehefrau mit einer scharfen Schusswaffe bedroht hatte, um sie dazu zu bewegen, eine Strafanzeige zurückzunehmen, die sie gegen C wegen Körperverletzung erstattet hatte. Selbst nach der Scheidung der Ehe kam es zu Ereignissen, die von den Angeklagten als angstauslösend erlebt wurden; der Angeklagte P3 fühlte sich von C verfolgt und wendete sich hilfesuchend an den Zeugen U2, in dessen Wohnung er Zuflucht fand. Im Jahr 2008 kam es zu dem Anschlag auf x P, der Gegenstand des Urteils der Kammer vom 16.10.2008 war. Während der Haft beging C eine Körperverletzung gegen xy, der zur Verwandtschaft der Angeklagten zählt. Auch nach seiner Entlassung aus der Haft löste C bei den Angeklagten und anderen Familienmitgliedern Ängste aus, die so weit gingen, dass sich die Angeklagten nicht mehr unbefangen in der Öffentlichkeit bewegten. Schließlich belegt der von der Zeugin P geschilderte Vorfall zu Beginn des Jahres 2014, dass C auch noch zehn Jahre nach der Scheidung von x P und sechs Jahre nach dem Anschlag auf x P nicht ohne tatsächlichen Hintergrund als Bedrohung empfunden wurde.

Die vor diesem Hintergrund erfolgte Tötung Cs geschah nicht aus Motiven, die auf sittlich tiefster Stufe stehen und daher als besonders verwerflich anzusehen sind. Sie erscheinen der Kammer als psychologisch nachvollziehbar und beruhen nicht auf einer Gesinnung, wie sie in den in der ersten Gruppe des § 211 Abs. 2 StGB ausdrücklich umschriebenen Mordmerkmalen (Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier) zum Ausdruck kommt oder vergleichbar ist. Die Angeklagten haben die Tat nicht rücksichtslos allein zur Befriedigung eigener Bedürfnisse begangen und sich dabei auch nicht von einem übersteigerten oder gar triebhaften Eigennutz leiten lassen, gegenüber dem das Leben des Tatopfers absolut degradiert wird.

Die Tat kann auch nicht deshalb als Mord beurteilt werden, weil die Angeklagten heimtückisch gehandelt haben (§ 211 Abs. 2 StGB). Heimtückisch handelt, wer eine zum Zeitpunkt des Angriffs bestehende Arg- und Wehrlosigkeit bewusst zur Tat ausnutzt (vgl. Fischer, StGB, 61. Auflage, § 211 Rn. 34 mit weiteren Nachweisen). Die Angeklagten haben die Überraschung Buluts und eine darauf möglicherweise beruhende Arglosigkeit jedenfalls nicht ausgenutzt. Sie sind dem Tatopfer offen in feindlicher Absicht entgegengetreten. Zuvor hatten sie, was von den Zeugen B und Da bemerkt worden war, C durch die Fensterwand des Supermarkts beobachtet und keine Anstalten gemacht, sich vor C zu verbergen...

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