LG Bonn, Urteil vom 18.09.2015 - 9 O 234/15
Fundstelle
openJur 2020, 890
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger beantragte im Januar 1991 bei der Lebensversicherungs-AG der X, der Rechtsvorgängerin der Beklagten, zu der Versicherungsnummer ... den Abschluss einer Lebensversicherung. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten übersandte dem Kläger den Original-Versicherungsschein vom 15.07.1991. Der Kläger nahm zum Versicherungsbeginn am 01.07.1991 die Beitragszahlungen auf.

Der Kläger leistete in der Folge Versicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 59.348,90 EUR. Mit Schreiben vom 13.05.1994 widersprach der Kläger zum 01.07.1994 der dynamischen Erhöhung. Unter dem 30.03.1998 kündigte der Kläger das Versicherungsvertragsverhältnis, "nahm diese Kündigung jedoch wieder zurück", so dass das Versicherungsverhältnis fortgesetzt wurde. Mit Schreiben vom 10.04.2013 beantragte der Kläger die Beitragsfreistellung.

Die jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärte unter dem 25.06.2013 namens und in Vollmacht des Klägers den Widerruf nach § 8 VVG 1990 sowie hilfsweise die Kündigung des Versicherungsvertrages. Die Beklagte erkannte die Kündigung zum 01.07.2013 an und zahlte einen Betrag von 69.700,70 EUR an den Kläger aus.

Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe aufgrund des Widerrufs die Auszahlung der gesamten von ihm geleisteten Versicherungsbeiträge zuzüglich Zinsen zu; nach der - unstreitigen - Auszahlung des Rückkaufswertes habe er daher noch Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen (d.h. Zinsen) in Höhe der Klageforderung (Berechnung Seite 3, 7 ff. der Klageschrift, Anlage K3). Es sei nicht erkennbar, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten dem Kläger überhaupt eine Widerrufsbelehrung erteilt habe. Der Kläger könne sich an das Antragsformular nicht erinnern und wisse nicht, ob er vor über 20 Jahren eine Durchschrift des Antrages erhalten habe.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 64.028,06 EUR nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit 11.04.2014 zu bezahlen.

2. die Beklagte zu verurteilen, an die C AG, Z ..., ...# A, Schadennummer $ ...-...$$-...-... außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.753,94 EUR und an den Kläger in Höhe von 500,00 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, ihre Rechtsvorgängerin habe den Kläger ausweislich des Antragsformulars ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt. Im Übrigen seien das Widerspruchsrecht sowie etwaige Ansprüche des Klägers auch verwirkt. Die Beklagte beruft sich zudem auf die Einrede der Verjährung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Die Beiträge sind von der Beklagten nicht nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zu erstatten. Sie sind durch den Kläger nicht ohne rechtlichen Grund, sondern in Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtung zur Beitragszahlung gezahlt worden.

Der Vertrag kam im Juli 1991 zustande, indem der Kläger der Beklagten einen entsprechenden Versicherungsantrag schickte und die Beklagte diesen Antrag durch Übersendung des Versicherungsscheines annahm. Dieser Rechtsgrund ist nicht durch den Widerspruch vom 25.06.2013 entfallen, weil ein etwaiges Widerspruchsrecht des Klägers zu diesem Zeitpunkt bereits verwirkt war (§ 242 BGB). Ob der Kläger eine Widerrufsbelehrung erhalten hat und ob diese den gesetzlichen Vorgaben entsprach, kann hier deshalb dahinstehen.

Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigen auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Palandt-Grüneberg, 72. Auflage 2013, § 242 Rn. 87 m.w.N.). Entscheidend sind insoweit die Umstände des Einzelfalles.

Zu berücksichtigen ist hier zunächst der Sinn und Zweck des § 8 Abs. 4 VVG 1990. Diese Vorschrift sollte dem Versicherungsnehmer eine Überlegungsfrist dergestalt einräumen, dass er noch nach Abgabe der Willenserklärung, mit der er sich vertraglich bindet, diese überdenken und sich gegebenenfalls ohne Angabe von Gründen von ihr lösen kann. Strukturell ähnelt § 8 Abs. 4 VVG 1990 damit den schon damals europarechtlich vorgegebenen Widerrufsrechten bei Haustür- oder Verbraucherkreditgeschäften, welche auf Versicherungsverträge nicht anwendbar waren. § 8 Abs. 4 VVG 1990 stellt sich somit als Ausfluss des Verbraucherrechts dar. Der Verbraucherschutz sollte dadurch gewährleistet werden, dass der Verbraucher ein unkompliziertes Gestaltungsrecht erhält, mit dem er sich von einem möglicherweise voreilig geschlossenen Vertrag folgenlos lösen kann. Diese Bedeutung des Widerrufsrechtes hat der Bundesgerichtshof jüngst betont, indem er festgestellt hat, dass einer Verwirkung des Widerrufsrechtes eine fehlende oder fehlerhafte Belehrung über dieses Recht entgegenstehen kann (BGH, IV ZR 76/11, Urteil vom 07. Mai 2014, Rn. 39 - juris).

Der von § 8 Abs. 4 VVG 1990 intendierte Verbraucherschutz ist jedoch nur ein Element im Rahmen der Gesamtwürdigung, ob das Recht, welches diese Vorschrift verleiht, verwirkt ist (OLG Köln, 20 U 156/14, Urteil vom 12. Dezember 2014). Ihm steht der Schutz des berechtigten Vertrauens des Versicherers in den Bestand des Versicherungsvertrages gegenüber. Vor diesem Hintergrund kommt dem Zeitablauf nach Vertragsschluss und dem Verhalten des Versicherungsnehmers während dieser Zeit besondere Bedeutung zu. Denn je mehr Zeit vergeht und je deutlicher der Versicherungsnehmer durch sein Verhalten signalisiert, an dem geschlossenen Vertrag festhalten zu wollen, umso mehr verblasst der Zweck des Widerrufsrechtes als verbraucherrechtliches Vertragslösungsrecht (OLG Köln, 20 U 156/14, Urteil vom 12. Dezember 2014).

Hier ist der Versicherungsvertrag im Juli 1991 abgeschlossen und 22 Jahre lang (bis zum 01.07.2012) von dem Kläger durchgehend bedient worden. Im Jahr 1994 dokumentierte er seinen Willen, an dem geschlossenen Vertrag festzuhalten, indem er der geplanten dynamischen Erhöhung widersprach. Eine im Jahr 1998 ausgesprochene Kündigung nahm der Kläger explizit wieder zurück, woraufhin der Vertrag beanstandungsfrei weiter durchgeführt wurde. Der Kläger bestätigte noch durch den Antrag auf Beitragsfreistellung vom 10.04.2013 ausdrücklich seinen Vertragsbindungswillen. Die Beklagte konnte und durfte sich daher darauf einrichten, dass der Kläger an dem Versicherungsvertrag festhalten und dass dieser somit Bestand haben würde. Daher ist die Kammer unter Würdigung aller Umstände dieses Falles der Auffassung, dass vorliegend das Widerrufsrecht des Klägers verwirkt ist.

II.

Da dem Kläger der von ihm verfolgte Hauptanspruch nicht zusteht, kann er auch nicht den Ersatz seiner außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

Streitwert: 64.028,06 EUR

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Landgericht Bonn statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Landgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Landgericht Bonn, Wilhelmstr. 21, 53111 Bonn, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.