VG Münster, Beschluss vom 23.01.2020 - 8 L 1221/19
Fundstelle
openJur 2020, 887
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller.

2. Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Der - sinngemäße - Antrag der Antragsteller,

die aufschiebende Wirkung der Klage 8 K 3072/19 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 3. Dezember 2019 anzuordnen,

hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist zulässig, insbesondere nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO statthaft. Denn die Klage gegen die Abschiebungsandrohung als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung hat kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung, § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 112 JustG NRW.

Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten der Antragsteller aus. Das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Verfügung überwiegt das Interesse der Antragsteller, vorläufig von einer Vollziehung verschont zu bleiben. Nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erweist sich die Ordnungsverfügung als offensichtlich rechtmäßig.

Gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besitzt.

Diese Voraussetzungen liegen vor. Denn die den Antragstellern erteilten Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 2 AufenthG sind mit Ablauf des 27. März 2018 kraft Gesetzes gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erloschen. Seitdem werden die Antragsteller lediglich geduldet. Hierbei handelt es sich nicht um einen Aufenthaltstitel im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG.

Auch die Abschiebungsandrohung nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist offensichtlich rechtmäßig. Soweit sich die Antragsteller in der Antragsbegründung auf krankheitsbedingte Ausreisehindernisse sowie auf einen etwaigen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis berufen, handelt es sich hierbei um die Geltendmachung von Abschiebungsverboten bzw. Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung, die nach § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dem Erlass der Abschiebungsandrohung nicht entgegen stehen.

Soweit der Antrag der Antragsteller in Anwendung des § 88 VwGO aufgrund ihres Vorbringens dahin gehend ausgelegt wird, dass diese hilfsweise beantragen,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, vorläufig von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegenüber den Antragstellern abzusehen,

hat ein solcher Antrag - unabhängig davon, ob eine solche Auslegung aufgrund des eindeutigen Wortlauts in der Antragsschrift zulässig wäre - ebenfalls keinen Erfolg.

Er ist jedenfalls unbegründet. Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch auf einen für sie bestehenden Abschiebungsschutz nicht glaubhaft gemacht, § 123 Abs. 1, 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO.

Die Abschiebungsvoraussetzungen nach § 58 AufenthG i.V.m. § 50 AufenthG liegen vor. Die Antragsteller sind vollziehbar ausreisepflichtig, weil sie keinen Aufenthaltstitel besitzen, § 50 AufenthG. Grundlage der beabsichtigten Abschiebung der Antragsteller ist die Abschiebungsandrohung in Ziffer 1 der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 3. Dezember 2019.

Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach dem hier allein in Betracht kommenden § 60a Abs. 2 AufenthG. Danach ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung folgt insbesondere nicht aufgrund der vorgetragenen Reiseunfähigkeit des Antragstellers zu 1).

Ein inlandbezogenes Ausreisehindernis in Form der Reiseunfähigkeit ist anzunehmen, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers unmittelbar durch die Ausreise bzw. Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon voraussichtlich wesentlich verschlechtern wird. Wegen des Maßstabs ist eine durch die Ausreise eintretende Gesundheitsverschlechterung jedenfalls dann nicht mehr zumutbar, wenn dadurch konkrete erhebliche Gefahren für die Gesundheit des Ausländers von einem Gewicht einzutreten drohen, dass sie gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG einer Abschiebung entgegenstünden. Soweit sich unterhalb dieser Maßstabsschwelle durch die Ausreise oder Abschiebung eine Gesundheitsverschlechterung einstellen sollte, hat sie der Ausländer grundsätzlich hinzunehmen. Dabei sind die geltend gemachten Erkrankungen und eine etwa zu befürchtende Verschlechterung nur hinsichtlich des Vollzugs der Abschiebung als solcher in den Blick zu nehmen. Eine mit der Erkenntnis der Aussichtslosigkeit eines Bleiberechts für Deutschland und einer bevorstehenden Rückkehr in das Heimatland einhergehende Gefährdung bzw. Verschlechterung des Gesundheitszustandes führt für sich genommen regelmäßig nicht auf eine Reiseunfähigkeit. Indem das Aufenthaltsgesetz ebenso wie zuvor das Ausländergesetz die Abschiebung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht (vgl. § 58 AufenthG), nimmt es in diesem Zusammenhang vielfach zu erwartende Auswirkungen auf den gesundheitlichen und insbesondere auf den psychischen Zustand der Betroffenen in Kauf und lässt diese nur beim Vorliegen besonderer Umstände, die durch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ihre Begrenzung erfahren, als Abschiebungsverbote gelten.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. September 2004 - 18 B 2014/04 - und vom 4. November 2005 - 18 B 94/05; jeweils zitiert nach juris.

Bei einer psychischen Erkrankung, wie sie hier in Rede steht, kann von einer Reiseunfähigkeit als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis außer in Fällen einer Flugreise- bzw. Transportuntauglichkeit im engen Sinne nur ausgegangen werden, wenn entweder im Rahmen einer Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung des Ausländers droht, der auch nicht durch ärztliche Hilfen oder in sonstiger Weise wirksam begegnet werden kann, oder wenn dem Ausländer unmittelbar durch die Abschiebung bzw. als unmittelbare Folge davon sonst konkret eine erhebliche und nachhaltige Verschlechterung des Gesundheitszustands droht, die allerdings - in Abgrenzung zu zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten - nicht wesentlich (erst) durch die Konfrontation des Betreffenden mit den Gegebenheiten im Zielstaat bewirkt werden darf. Ferner kann ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis aufgrund einer (auch psychischen) Erkrankung vorliegen, wenn dem Ausländer bei seiner Ankunft im Zielstaat eine Gefährdung im vorgenannten Sinne droht, weil es an einer erforderlichen, unmittelbar nach der Ankunft einsetzenden Versorgung und Betreuung fehlt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. August 2008 - 18 B 538/08 -, zitiert nach juris, Rn. 17 ff.

Dies zugrunde gelegt, hat der Antragsteller zu 1) eine Reiseunfähigkeit nicht glaubhaft gemacht. Das von dem Antragsteller zu 1) vorgelegte Attest vom 10. Dezember 2019, welches mangels Unterzeichnung nicht einmal den Verfasser erkennen lässt, gibt im Wesentlichen allein wieder, welche Beschwerden und Symptome der Antragsteller zu 1) im Rahmen seiner erstmaligen Vorstellung am 10. Dezember 2019 vorgetragen hat, ohne diese fachärztlich zu bewerten. Warum der Verfasser des Attestes zu dem Ergebnis kommt, es werde "nach der Abschiebung höchstwahrscheinlich Suizid im Rahmen einer psychotischen Dekompensation durchgeführt", ist vor allem vor dem Hintergrund, dass zuvor nur "latent suizidale Gedanken" von dem Antragsteller zu 1) angegeben worden seien sowie allein eine "Suizidneigung" diagnostiziert wurde, nicht nachvollziehbar und wird auch von dem Verfasser lediglich festgestellt, ohne dies weiter zu begründen.

Unabhängig davon ist eine Reiseunfähigkeit selbst dann nicht glaubhaft gemacht, wenn tatsächlich bei dem Antragsteller zu 1) eine akute Suizidgefahr bestehen sollte. Denn eine Abschiebung der Antragsteller wird nur nach Vornahme entsprechender Vorsorgemaßnahmen durchgeführt werden. Insofern hat der Antragsgegner bereits in seiner Antragserwiderung mitgeteilt, er werde eine ärztliche und polizeiliche Begleitung der Abschiebungsmaßnahme vom Aufgriff an bis zur Übergabe am Zielflughafen, eine Inempfangnahme durch (notfall)medizinisches Personal am Zielflughafen und ggf. die Mitgabe eines Medikamentendepots, sofern durch den maßnahmebegleitenden Arzt für erforderlich erachtet, organisieren. Der Antragsgegner teilte zudem fernmündlich mit, dass eine Abschiebung ohne vorherige Zusicherung dieser Maßnahmen durch die Botschaft nicht erfolgen werde. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner hiervon abweichend die Abschiebung der Antragsteller durchführen wird, bevor eine entsprechende Bestätigung der Maßnahmen vorliegt, sind nicht ersichtlich.

Eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG folgt unter Beachtung der Ausstrahlungswirkung des Art. 19 Abs. 4 GG und unabhängig davon, ob ein solcher Anspruch im Rahmen des § 123 VwGO zu verfolgen wäre, auch nicht aus dem Umstand, dass die Antragstellerinnen zu 3) und 4) einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hätten. Ein solcher folgt insbesondere nicht aus § 25a Abs. 1 AufenthG. Es fehlt bereits am Nachweis eines erfolgreichen vierjährigen Schulbesuchs, § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Die angekündigte Übersendung der Schulzeugnisse der Antragstellerinnen zu 3) und 4) ist nicht erfolgt. Zudem kann eine positive Integrationsprognose im Sinne des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG nicht festgestellt werden. Im Übrigen wird auf die Ausführungen des Antragsgegners in dem Bescheid vom 7. November 2019, mit dem der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt wurde, verwiesen, denen die Antragsteller bis zum Zeitpunkt der Entscheidung trotz Ankündigung in dem hierzu anhängigen Verfahren 8 K 2976/19 nicht entgegengetreten sind.

Sonstige zu einer tatsächlichen oder rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung führende Gründe im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Die mit Antragsschrift angekündigte weitere Antragsbegründung ist auch zwei Wochen nach erfolgter Akteneinsicht nicht eingegangen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG.

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