OLG Koblenz, Beschluss vom 11.03.2014 - 2 Ws 100/14
Fundstelle
openJur 2020, 20343
  • Rkr:
Tenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 9. Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 19. Dezember 2013, soweit dadurch sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Bewährungswiderrufsbeschluss des Amtsgerichts Koblenz vom 9. August 2013 als unzulässig verworfen wurde, wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Amtsgerichts Koblenz vom 28. Juni 2012, das seit demselben Tag rechtskräftig ist, wegen eines im Frühjahr 2011 zum Nachteil seines Wohnungsnachbarn S. begangenen Diebstahls unter Einbeziehung der durch Urteil desselben Gerichts vom 5. Juli 2011 (wegen Diebstahls geringwertiger Sachen) gegen ihn erkannten Freiheitsstrafe von fünf Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe setzte das Gericht auf die Dauer von drei Jahren zur Bewährung aus. Es unterstellte den Beschwerdeführer der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers und machte ihm zur Auflage, einen Geldbetrag von 500 € in monatlichen Raten von je 50 € ab dem 15. August 2012 an die Staatskasse zu zahlen. Am 8. November 2012, 3. Januar 2013 und 7. März 2013 gingen drei Ratenzahlungen zu je 50 € bei der Gerichtszahlstelle ein.

Nachdem die Staatsanwaltschaft Koblenz im Juni 2013 den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen Nichterfüllung der Bewährungsauflage beantragt hatte, der Verurteilte zu dem auf den 26. Juni 2013 bestimmten Anhörungstermin nicht erschienen war und sich auch nicht schriftlich geäußert hatte, widerrief das Amtsgericht Koblenz durch Beschluss vom 9. August 2013 die durch Urteil vom 28. Juni 2012 bewilligte Strafaussetzung. Der Beschluss wurde dem Verurteilten am 13. August 2013 durch Einlegung in den zu seiner Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt.

Am 9. September 2013 erschien der Verurteilte auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Koblenz und unterzeichnete eine Erklärung, wonach er gegen den Widerrufsbeschluss sofortige Beschwerde einlegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, bei seiner Heimkehr von der Nachtschicht am selben Morgen habe er einen Umschlag mit dem Widerrufsbeschluss vor seiner Haustür vorgefunden. Sein Nachbar S. habe ihm daraufhin erklärt, er habe den Brief aus dem Briefkasten genommen, zwischen seine Unterlagen gelegt und dann vergessen, ihm diesen auszuhändigen. Er habe seit zwei Monaten (wieder) eine Arbeitsstelle und wolle die nächste Rate bezahlen, sobald er am 17. September 2013 sein neues Gehalt habe.

Mit am 13. November 2013 durch Einlage in den zu seiner Wohnung gehörenden Briefkasten zugestelltes Anschreiben der Berichterstatterin der Beschwerdekammer des Landgerichts Koblenz vom 6. November 2013 wurde dem Verurteilten Gelegenheit zur Glaubhaftmachung seines Wiedereinsetzungsvorbringens, insbesondere Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung seines Nachbarn S., binnen einer Woche gegeben. Nachdem der Verurteilte darauf nicht reagiert hatte, verwarf die 9. Strafkammer des Landgerichts Koblenz durch Beschluss vom 19. Dezember 2013 seine sofortige Beschwerde gegen den Bewährungswiderrufsbeschluss wegen Verfristung und seinen Wiedereinsetzungsantrag wegen fehlender Glaubhaftmachung als unzulässig. Der Beschluss wurde dem Verurteilten am 17. Januar 2014 mit der Rechtsmittelbelehrung, dass gegen die Versagung der Wiedereinsetzung sofortige Beschwerde statthaft ist, zugestellt.

Am 23. Januar 2014 erschien der Verurteilte abermals auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Koblenz und unterzeichnete eine am 24. Januar 2014 bei dem Landgericht Koblenz eingegangene Erklärung, wonach er gegen den Beschluss vom 19. Dezember 2013 sofortige Beschwerde einlegt. Zur Begründung führte er aus, er habe über Wochen versucht, seinen Nachbarn S. zu erreichen, damit dieser seine Angaben bestätige. Seine Anrufe in Krankenhäusern und die Befragung von Bekannten seien ergebnislos geblieben. Im November oder Dezember habe er dann die von der Polizei versiegelte Wohnungseingangstür seines Nachbarn bemerkt, der mehrere Tage lang tot in der Wohnung gelegen haben solle. Sein Nachbar könne deshalb nicht mehr bezeugen, dass er ihm den Widerrufsbeschluss zu spät übergeben habe. Er wolle nach wie vor der Bewährungsauflage nachkommen.

II.

1. Die gemäß § 46 Abs. 3 StPO gegen die den Wiedereinsetzungsantrag verwerfende Entscheidung statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie wahrt die Schriftform des § 306 Abs. 1 Alt. 2 StPO (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., Einl. 132, 133 m.w.N.) und ging auch innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO bei dem Landgericht Koblenz ein.

2. Das Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Strafkammer hat den Wiedereinsetzungsantrag im Ergebnis zu Recht als unzulässig verworfen.

a) Der Bewährungswiderrufsbeschluss des Amtsgerichts Koblenz vom 9. August 2013 ist dem Verurteilten ordnungsgemäß zugestellt worden. Ausweislich der bei den Akten befindlichen, ordnungsgemäß ausgestellten Zustellungsurkunde vom 13. August 2013 ist dem Verurteilten an diesem Tag der Bewährungswiderrufsbeschluss gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 180 ZPO durch Einlegung in den zu seiner Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt worden. Als öffentliche Urkunde begründet diese gemäß §§ 182 Abs. 1 Satz 2, 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Die Beweiskraft erstreckt sich demzufolge auch darauf, dass der Postzusteller die Sendung am 13. August 2013 in einen zur Wohnung des Verurteilten gehörenden Briefkasten eingeworfen hat (Senat, Beschluss vom 19.03.2012 - 2 Ws 122/12; OLG Frankfurt NStZ-RR 2010, 349; BVerfG NJW 1992, 225; NJW-RR 2002, 1008). Der nach § 418 Abs. 2 ZPO zulässige Gegenbeweis ist hier nicht geführt. Aus dem bei den Akten befindlichen Bericht der Bewährungshelferin vom 7. März 2013 ergibt sich zwar, dass der Verurteilte sich den Briefkasten mit seinem Nachbarn teilt, der ihm die für ihn bestimmte Post (Schreiben der Bewährungshelferin) vermutlich nicht immer ausgehändigt habe. Eine Ersatzzustellung in einen Gemeinschaftsbriefkasten ist aber wirksam, wenn dieser eine eindeutige Zuordnung zum Adressaten ermöglicht, der Adressat typischerweise seine Post über diese Einrichtung erhält und der Kreis der Mitbenutzer überschaubar ist (BGH NJW 2011, 2440; Senat a.a.O. m.w.N.). Durch die Anforderungen des § 180 Satz 1 ZPO an die Empfangseinrichtungen, in die das zuzustellende Schriftstück eingelegt werden darf, soll insbesondere zur Wahrung des rechtlichen Gehörs gewährleistet werden, dass der Adressat mit hinreichender Sicherheit in die Lage versetzt wird, den Inhalt der Sendung auch tatsächlich zur Kenntnis zu nehmen. Die Bereitstellung und Ausgestaltung einer Vorrichtung zum Postempfang liegt indessen in der Sphäre und Eigenverantwortung des Adressaten. Er verfügt deshalb über einen Spielraum, darüber zu entscheiden, welches Maß an Sicherheit gegen den Verlust von Sendungen die von ihm gewählte Einrichtung bieten soll. Entscheidet er sich für eine Variante, die einzelne Risiken nicht ausschließt, muss er sich hieran insbesondere bei einer förmlichen Zustellung auch zu seinem Nachteil festhalten lassen, solange die Vorrichtung insgesamt in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist (BGH a.a.O.).

b) Der Wiedereinsetzungsantrag des Verurteilten entspricht nicht den gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 44, 45 StPO.

a) Das ist allerdings nicht deshalb der Fall, weil es an der gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO erforderlichen Glaubhaftmachung des Hinderungsgrunds fehlt. Für die Zulässigkeit des Antrags könnte hier ausnahmsweise das eigene Vorbringen des Antragstellers genügen. Denn er hat schlüssig dargelegt, dass ihm aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, jedwede Glaubhaftmachung unmöglich ist (Meyer-Goßner a.a.O. § 45 Rn. 9 m.w.N.; OLG Koblenz, Beschluss vom 24.09.2009 - 1 SsBs 95/09). Aus dem vom Senat beigezogenen Todesermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Koblenz 2011 UJs 4860/14 ergibt sich, dass die Angaben des Verurteilten zum Tod seines Nachbarn S. zutreffend sind. Dieser ist am 10. Dezember 2013 tot in seiner Wohnung aufgefunden worden. Er war zuletzt zwei bis drei Wochen zuvor lebend vom Vermieter gesehen worden.

b) Das Antragsvorbringen des Verurteilten genügt indes nicht den inhaltlichen Voraussetzungen. Der Antrag muss nicht nur Angaben über die versäumte Frist und den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses, sondern auch über den Hinderungsgrund enthalten. Vorzutragen ist stets ein Sachverhalt, der ein der Wiedersetzung entgegenstehendes Verschulden ausschließt (BGH StraFo 2013, 458; NStZ-RR 1999, 33; BGHR StPO § 45 Abs 2 Tatsachenvortrag 2 und 5; OLG Koblenz, Beschlüsse vom 07.12.2010 - 1 Ws 563, 564/10, vom 14.02.2006 - 2 Ws 96/06 - und vom 09.07.2004 - 1 Ws 413/04; OLG Hamm, Beschluss vom 17.01.2013 - 3 Ws 3/13, juris; NZV 2009, 158; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996, 169; VRS 85, 342; OLG Köln NStZ-RR 2009, 112; KG StraFo 2007, 244; NZV 2002, 47; Meyer-Goßner a.a.O. § 45 Rn. 5). Der Antragsteller muss alle Tatsachen so vollständig vortragen, dass ihnen - als wahr unterstellt - die unverschuldete Verhinderung des Antragstellers ohne weiteres entnommen werden kann. Erforderlich ist hierzu eine genaue Darstellung der Umstände, die für die Beantwortung der Frage bedeutsam sind, wie und aufgrund welcher Umstände es zu der Versäumung der Frist gekommen ist (OLG Hamm, Beschluss vom 17.001.2013 - 3 Ws 3/13, juris; NZV 2009, 158; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996, 169, jeweils m.w.N.). Diesen Anforderungen wird das Antragsvorbringen nicht gerecht. Die Antragsbegründung hätte sich zumindest dazu verhalten müssen, wie die Post aus dem Gemeinschaftsbriefkasten entnommen wird, ob und gegebenenfalls wie sie auf die Mietparteien verteilt wird, in welchem Umfang es in der Vergangenheit bereits dazu gekommen ist, dass S. dem Antragsteller Post vorenthalten hat, und ob und gegebenenfalls welche Vorkehrungen der Verurteilte vor diesem Hintergrund getroffen hat, um sicherzustellen, dass ihn die für ihn bestimmten Postsendungen künftig zuverlässig erreichen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 17.001.2013 - 3 Ws 3/13, juris; OLG Frankfurt NStZ-RR 2010, 349). Zu Ausführungen, aus welchen Gründen es ausgeschlossen sein soll, dass eigene fehlende Sorgfalt für die Fristversäumung ursächlich ist, bestand umso mehr Veranlassung, als der Verurteilte sich bereits im Februar 2013 gegenüber der Bewährungshelferin darauf berufen hatte, ihre Anschreiben vermutlich deshalb nicht erhalten zu haben, weil er sich einen Briefkasten mit seinem Nachbarn teile und dieser ihm die Post offensichtlich nicht immer ausgehändigt habe. Sollte dies zutreffen, hätte für den Verurteilten bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt Veranlassung bestanden, durch Anbringen eines eigenen Briefkastens für Abhilfe zu sorgen, was er seiner Bewährungshelferin im Februar 2013 auch zugesagt, aber offensichtlich über Monate nicht umgesetzt hat. Auf das Anschreiben des Senatsvorsitzenden vom 20. Februar 2014, durch das ihm Gelegenheit gegeben wurde, ergänzende Angaben zu den näheren Umständen zu machen, hat der Verurteilte nicht reagiert.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.