VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2019 - A 11 S 2108/18
Fundstelle
openJur 2020, 34437
  • Rkr:

Im Falle leistungsfähiger, erwachsener Männer ohne Unterhaltsverpflichtung und ohne bestehendes familiäres oder soziales Netzwerk sind bei der Rückkehr aus dem westlichen Ausland in Kabul die hohen Anforderungen der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs 5 und 7 AufenthG weiterhin nicht erfüllt, sofern nicht besondere, individuell erschwerende Umstände festgestellt werden können; dies gilt auch für sogenannte "faktische Iraner" (Fortführung der Senatsrechtsprechung, Urteile vom 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - und vom 12.12.2018 - A 11 S 1923/17 -).

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. Juli 2018 - A 3 K 547/17 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots hinsichtlich Afghanistans.

Der Kläger ist nach eigenen Angaben ein in der Provinz Kunduz geborener afghanischer Staatsangehöriger vom Volk der Tadschiken. Das Jahr seiner Geburt hat er abwechselnd mit 1995 (im Asylantrag) und 1999 (bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) angegeben. Er hat außerdem einen nach seinen Angaben gefälschten afghanischen Aufenthaltstitel vorgelegt, in dem das Geburtsjahr 1994 eingetragen ist. Er sei im November 2015 in das Bundesgebiet eingereist. Am 20. Juni 2016 stellte er einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 5. Dezember 2016 gab der Kläger im Wesentlichen an, Afghanistan im Alter von fünf Jahren verlassen und seitdem im Iran gelebt zu haben. Er sei dort bei seinem Onkel in Karadsch aufgewachsen. Er wisse nicht, woher er in Afghanistan komme und kenne seine Eltern nicht; er habe keine Erinnerung an sie, nicht an Afghanistan oder an Sonstiges. Er wisse auch nicht, wie und weshalb er in den Iran gekommen sei. Sein Onkel habe ihm verboten, nach seinen Eltern zu fragen. Der Kläger vermute, dass den Onkel finanzielle Interessen geleitet hätten. Der Kläger sei nur vier Jahre in der Schule gewesen und habe danach arbeiten müssen. Das ganze Geld, das er verdient habe, habe er dem Onkel geben müssen. Er habe als Schneider gearbeitet. An seiner Arbeitsstätte habe er die meiste Zeit verbracht, gegessen und getrunken. Einen Teil des Einkommens habe er behalten dürfen. Er vermute, dass seine Eltern tot seien. Der Onkel sei als Hausmeister in einem Gebäude tätig gewesen, habe aber auch mit Rauschgift gehandelt. Der Onkel habe vom Kläger verlangt, Rauschgift zu verkaufen, was dieser aber verweigert habe. Bereits ab dem Zeitpunkt, zu dem er nicht mehr die Schule habe besuchen dürfen, habe der Kläger den Iran verlassen wollen. Klar sei das gewesen, als der Onkel vom Kläger verlangt habe, Rauschgift zu verkaufen; da sei der Kläger wohl zwölf Jahre alt gewesen. Auf Nachfrage gab der Kläger weiter an, aus dem Dorf Chahrdareh in der Provinz Kunduz zu stammen und nannte die Namen seiner Eltern. Mehr wisse er nicht. Nach Deutschland sei er gereist, weil der Onkel den Kläger aufgefordert habe, Rauschgift zu verkaufen und zu stehlen. Auch habe er Angst vor der Polizei gehabt, weil er im Iran keinen legalen Aufenthalt gehabt habe. Der Onkel habe ihn telefonisch bedroht, weil der Kläger ohne Erlaubnis gegangen sei. In Afghanistan kenne er niemanden, zu dem er gehen könne.

Durch Bescheid vom 10. Januar 2017, dem Kläger zugestellt am 13. Januar 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf die Anerkennung als Asylberechtigter sowie den Antrag auf subsidiären Schutz ab. Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihm die Abschiebung nach Afghanistan oder einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung festgesetzt.

Hiergegen erhob der Kläger mit am 16. Januar 2017 beim Verwaltungsgericht Stuttgart eingegangenem Schriftsatz Klage (A 3 K 547/17). Zur Begründung führte er aus, dass er weder in den Iran noch nach Afghanistan zurückkehren könne. In Afghanistan habe er nach seinem fünften Lebensjahr nicht mehr gelebt. Dort sei sein wirtschaftliches Existenzminimum nicht gewährleistet. Er könne insbesondere nicht in seine Heimatprovinz zurück, weil dort die Taliban herrschten. Er sei völlig auf sich allein gestellt. Bei seiner Anhörung vor dem Verwaltungsgericht gab der Kläger ergänzend an, dass er gesund sei. Seine Klage nahm er in der mündlichen Verhandlung teilweise zurück und beantragte nur noch die Feststellung von Abschiebungsverboten.

Das Verwaltungsgericht stellte das Verfahren mit Urteil vom 16. Juli 2018 ein, soweit die Klage zurückgenommen worden war, und wies im Übrigen die Klage ab. Abschiebungsverbote lägen weder nach § 60 Abs. 5 AufenthG noch nach § 60 Abs. 7 AufenthG vor. Zwar seien die Grundversorgung schlecht und die Arbeitslosigkeit hoch. Jedoch drohe Rückkehrern nicht generell ein menschenunwürdiges Leben ohne Sicherung des Existenzminimums. Es sei nicht ersichtlich, dass es arbeitsfähigen, jungen und gesunden Männern unmöglich sei, sich durch Gelegenheitsarbeiten eine Existenzgrundlage zu sichern. Der Kläger sei zwar möglicherweise auf sich allein gestellt. Jedoch sei er gesund und grundsätzlich arbeitsfähig. Jedenfalls durch eine Tagelöhnerarbeit in Kabul könne er sich das Existenzminimum sichern.

Auf den Zulassungsantrag des Klägers vom 29. August 2018 hat der Senat die Berufung durch Beschluss vom 17. September 2018, zugestellt am 24. September 2018, zugelassen, soweit die Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots abgewiesen worden ist.

Der Kläger hat die Berufung unter Stellung eines Berufungsantrags mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2018, eingegangen am selben Tag, begründet. Eine Rückkehr nach Afghanistan könne sich der Kläger nicht vorstellen, da er keinerlei Bindungen dorthin habe und daher sein Überleben gefährdet sei. In Kabul herrschten außergewöhnliche humanitäre Umstände. Die Nahrungsmittelversorgung sei auf einem besorgniserregenden Niveau. Es herrsche eine schwere Nahrungsmittelunsicherheit, welche etwa 46 % der Rückkehrer treffe. Die meisten Rückkehrer müssten für Unterkunft und Sachleistungen auf Verwandte zurückgreifen. Der Kläger sei aber faktischer Iraner ohne familiäres Netzwerk in Afghanistan. Er sei besonders gefährdet. Zwar könne man dem Kläger mit Blick auf seine Tätigkeit im Iran als Schneider eine gewisse Arbeitstüchtigkeit nicht absprechen. Jedoch sei fraglich, ob bei der vom Onkel aufgebauten Abhängigkeit bzw. Hörigkeit von einer sonstigen Lebenstüchtigkeit des Klägers die Rede sein könne. Nach Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers deute vieles darauf hin, dass der Kläger nicht einmal wisse, wie er eine Wohnung oder Arbeit finden solle. Es sei mit erheblichen Integrationsschwierigkeiten zu rechnen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. Juni 2018 - A 3 K 547/17 - zu ändern, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass ein nationales Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG bezüglich Afghanistan vorliegt, und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 10. Januar 2017 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zwar gebe es Bevölkerungsteile, die Schwierigkeiten bei der Versorgung hätten. Insbesondere mittellose Rückkehrer müssten häufig ein Leben am Rande des Existenzminimums führen. Jedoch könne nicht für alle Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, denen es in Kabul oder in Afghanistan insgesamt an Beziehungen fehle, angenommen werden, dass die schlechten Rahmenbedingungen generell und bei allen diesen Rückkehrern ganz außerordentliche individuelle Umstände darstellten. Dass Rückkehrer generell das Existenzminimum nicht sichern könnten, sei nicht bekannt.

Der Senat hat den Kläger im Rahmen der am 26. Juni 2019 durchgeführten mündlichen Verhandlung informatorisch angehört. Zum Inhalt der Anhörung wird auf das Protokoll des Verhandlungstermins Bezug genommen.

Die im Protokoll der mündlichen Verhandlung genannten Erkenntnismittel wurden zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Dem Senat liegen die verfahrensbezogenen Akten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie die des Verwaltungsgerichts vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf diese Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg und ist zurückzuweisen.

Dem Kläger kommt der mit der Berufung noch geltend gemachte Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nicht zu. Die insoweit ablehnende Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

I.

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK auf Grund der schlechten humanitären Bedingungen in Afghanistan besteht nicht. Denn die rechtlichen Voraussetzungen hierfür (1.) sind unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse in Afghanistan insgesamt und derjenigen in Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung (2.) sowie in Ansehung der persönlichen Situation des Klägers nicht erfüllt (3.).

1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein.

a) Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht.

Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können eine Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen.

Vgl. dazu bereits VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 4 sowie insbesondere auch juris Rn. 71 m. w. N.; BVerwG, Beschluss vom 08.08.2018 - 1 B 25/18 -, juris Rn. 9; Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 - 9 LB 93/18 -, juris Rn. 45; Bay. VGH, Urteil vom 08.11.2018 - 13a B 17.31918 -, juris Rn. 19; OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3930/18.A -, juris Rn. 97 ff.

Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger, nicht staatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will.

EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 und vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681.

Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch als Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein, wenn ganz außerordentliche individuelle Umstände hinzutreten. Es sind also im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK nicht nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtigungsfähig, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, sondern auch "nichtstaatliche" Gefahren auf Grund prekärer Lebensbedingungen, wobei dies aber nur in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen in Betracht kommt.

BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 - 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1167, Rn. 24 f.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 5 sowie insbesondere auch juris Rn. 79 ff.; Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 - 9 LB 93/18 -, juris Rn. 47; EGMR, Urteile vom 02.05.1997 - 146/1996/767/ 964 - (D./Vereinigtes Königreich), NVwZ 1998, 161; vom 27.05.2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334; vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland) - NVwZ 2011, 413; vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 und vom 13.10.2011 - 10611/09 - (Husseini/Schweden), NJOZ 2012, 952; Bay. VGH, Urteil vom 08.11.2018 - 13a B 17.31918 -, juris Rn. 20; OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3930/18.A -, juris Rn. 104.

Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil vom 13. Dezember 2016

- 41738/10 - (Paposhvili/Belgien), NVwZ 2017, 1187 Rn. 187 und 189,

aber nunmehr ausdrücklich wiederholt auf die allgemeinen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung hinweist, auf deren Hintergrund die besondere Lage des Betroffenen zu beurteilen ist, wird hinreichend deutlich, dass außergewöhnliche individuelle Umstände bzw. Merkmale auch solche sein können, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden. Auch in einem solchen Fall kann ausnahmsweise ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu bejahen sein, wenn die Abschiebung zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Betroffenen führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte.

VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris.

Bei entsprechenden Rahmenbedingungen können schlechte humanitäre Verhältnisse eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führt. Hierbei sind indes eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und nicht zuletzt die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen usw.

Vgl. dazu ausführlich BayVGH, Urteil vom 23.03.2017 - 13a B 17.30030 -, BeckRS 2017, 113717; dieser auch bereits in seinen Urteilen vom 21.11.2014 - 13a B 14.30285 -, BeckRS 2015, 41010 und - 13a B 14.30284 -; dort jeweils eingehend zur Bejahung von § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen bezüglich Familien mit minderjährigen Kindern wegen der Rahmenbedingungen in Afghanistan (m. w. N.).

Vorliegend sind allein die hohen Anforderungen der letztgenannten Fallgestaltung maßgeblich, da die hier unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK relevanten humanitären Verhältnisse in Afghanistan keinem Akteur zuzuordnen sind, sondern auf einer Vielzahl von Faktoren beruhen, darunter die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung, Umweltbedingungen wie Klima und Naturkatastrophen sowie die Sicherheitslage. Es ist nicht festzustellen, dass der afghanische Staat, die in Afghanistan aktiven internationalen Streitkräfte oder ein sonstiger (etwa nichtstaatlicher) Akteur die maßgebliche Verantwortung hierfür trügen, insbesondere, dass etwa die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten würde.

Ebenso OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3930/18.A -, juris Rn. 108; so auch schon VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, juris Rn. 108 sowie auch anknüpfend an die vorgenannte Entscheidung: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/12 -, juris.

b) Sowohl die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch diejenige des Bundesverwaltungsgerichts

EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f. und BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167

machen deutlich, dass ein sehr hohes Schädigungsniveau erforderlich ist, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK "zwingend" sind. So hat das Bundesverwaltungsgericht in der Vergangenheit, als es die allgemeine Lage in Afghanistan als nicht ausreichend ernst für die Feststellung einer Verletzung des Art. 3 EMRK eingestuft hat, die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation betont.

BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, insb. Leitsatz 3; vgl. auch Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 - 9 LB 93/18 -, juris Rn. 51; BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 19.

Dabei lässt sich aber - schon nach der Gesetzessystematik - der nationale Maßstab für eine Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, der zur Rechtfertigung der Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG geboten ist, nicht auf die in § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK getroffene Regelung übertragen. Da die Sachverhalte nicht vergleichbar sind, sind die ggf. erhöhten Anforderungen an eine ausreichende Lebensgrundlage im Fall einer internen Schutzalternative gemäß § 3e AsylG ebenfalls nicht übertragbar.

BVerwG, Beschluss vom 08.08.2018 - 1 B 25.18 -, juris Rn. 13 (zum Maßstab des § 60 Abs. 7 AufenthG); VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris Rn. 180; Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 - 9 LB 93/18 -, juris Rn. 51; BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 19.

Ein Zusammenhang zwischen Art. 3 EMRK und § 3e AsylG besteht lediglich dergestalt, dass für den Fall, dass die Situation am vermeintlichen Schutzort einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellte, dieser Schutzort den Anforderungen des § 3e AsylG nicht genügen würde.

Vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 85 m. w. N.

c) Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr ("real risk") erforderlich, d. h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen, denen eine hinreichende Tatsachengrundlage fehlt, gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss danach aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein.

EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681; Entscheidung vom 22.09.2009 - 30471/08 - (Abdolkhani und Karimnia/Türkei), InfAuslR 2010, 47; Urteil vom 17.07.2008 - 25904/07 - (NA./Vereinigtes Königreich), juris; Urteil vom 28.02.2008 - 37201/06 - (Saadi/Italien), NVwZ 2008, 1330 Rn. 140; vom 27.05.2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334 sowie Urteil vom 06.02.2001 - 44599/98 - (Bensaid/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2002, 453; vgl. auch Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 - 9 LB 93/18 -, juris Rn. 52; OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3930/18.A -, juris Rn. 43.

Um eine tatsächliche Gefahr und also auch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verletzung in den von Art. 3 EMRK geschützten Rechten annehmen zu können, bedarf es keiner überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts.

EGMR, Urteil vom 28.02.2008 - 37201/06 - (Saadi/Italien), NVwZ 2008, 1330 Rn. 140.

Erforderlich, aber auch ausreichend ist danach die tatsächliche Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung, was dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht.

BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, NVwZ 2011, 51 Rn. 22.

Dies bedeutet auch, dass ein gewisser Grad an Mutmaßung dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent sein muss und es hier daher nicht um den eindeutigen, über alle Zweifel erhabenen Beweis gehen kann, dass der Betroffene im Falle seiner Rückkehr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre.

EGMR, Urteil vom 09.01.2018 - 36417/16 - (X/Schweden) Rn. 50; vgl. auch Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 - 9 LB 93/18 -, juris Rn. 52.

Um von dem Schicksal anderer auf das Bestehen einer tatsächlichen Gefahr für einen Einzelnen, im Falle seiner Rückkehr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein, zu schließen, bedarf es jedenfalls ähnlich wie bei dem Konzept der Gruppenverfolgung, das vom Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. entwickelt worden ist

vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83,216,

und das auch im internationalen Flüchtlingsrecht in sehr ähnlicher Weise Anwendung findet,

siehe Hathaway/Foster, The Law of Refugee Status, 2nd Ed. 2014, S. 169 ff.

einerseits einer Gruppe von Personen, bei denen sich ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK bereits feststellen lässt, sowie andererseits der Überzeugung, dass der betroffene Einzelne mit diesen Personen die Merkmale teilt, die für den Eintritt der Umstände, die zu einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung führen, maßgeblich waren.

d) Des Weiteren ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die - wie hier - nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet.

BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, Leitsatz 2 und EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681, Rn. 265, 301, 309; Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 - 9 LB 93/18 -, juris Rn. 53; Bay. VGH, Urteil vom 08.11.2018 - 13a B 17.31918 -, juris Rn. 21; siehe auch OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3930/18.A -, juris Rn. 45.

Dieser Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung ist hier Kabul, wohin die seit Ende 2016 aus Deutschland durchgeführten Abschiebeflüge nach Afghanistan ausnahmslos führten.

Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.10.2018 - A 11 S 316/17 -, juris Rn. 202 f. (m. w. N.).

Unter Berücksichtigung der landesweiten Lebensverhältnisse in Afghanistan und gerade derjenigen in Kabul sowie der persönlichen Situation des Klägers ergibt sich, dass diese Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK nicht erfüllt sind.

2. Die relevanten Lebensverhältnisse in Afghanistan und die Situation von Rückkehrern gestalten sich wie folgt:

Afghanistan hat insgesamt etwa 27 bis 34 Millionen Einwohner.

Vgl. dazu Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018), S. 276: mehr als 34,1 Millionen; UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, April 2018, S. 11: zwischen 29,7 und etwa 33,3 Millionen; vgl. auch "the world fact book" - Afghanistan auf https://www.cia.gov/ für Juli 2017 geschätzt 34,124,811 Einwohner; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees - Mai 2017 -, S. 55: mindestens 31,5 Millionen; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 18/Rn. 48: mindestens 30 Millionen; Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization - Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, April 2017, S. 2: 29.724.323; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 8/Rn. 30: 27 bis 32 Millionen.

Über 40 % der Bevölkerung sind unter 15 Jahre, zwei Drittel unter 25 Jahre alt.

Samuel Hall, Urban displaced youth in Kabul - mental health matters, Juni 2016, S. 7.

Geprägt wird das Leben der Menschen im Land - auch unter Berücksichtigung der vom Kläger noch benannten Erkenntnismittel - von einer schwierigen wirtschaftlichen Situation und Versorgungslage

vgl. hierzu im Einzelnen VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.10.2018 - A 11 S 316/17 -, juris Rn. 211-286 (m. w. N.),

außerdem von prekären humanitären Gegebenheiten

vgl. hierzu im Einzelnen VGH Bad.-Württ., a. a. O., Rn. 287-301 (m. w. N.),

sowie von einer anhaltend schlechten Sicherheitslage

vgl. hierzu im Einzelnen VGH Bad.-Württ., a. a. O., Rn. 301-320 (m. w. N.).

Rückkehrer aus dem westlichen Ausland - freiwillig Zurückgekehrte, aber auch Abgeschobene - sind zusätzlichen Risiken ausgesetzt. Sie sehen sich dem generellen Verdacht gegenüber, ihr Land und ihre religiöse Pflicht verraten zu haben.

Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4, je m. w. N.; vgl. auch UNHCR-Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan, 30.08.2018, S. 110, insb. Fn. 674.

Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird vermehrt dahin wahrgenommen, der Zurückkehrende habe sich der europäischen Kultur und dem Lebensstil angepasst. Es herrscht die Erwartung, der Betroffene werde entsprechendes (Fehl-)Verhalten auch in Afghanistan weiter an den Tag legen, etwa außereheliche Beziehungen, Alkohol- und Drogenkonsum und alle möglichen Varianten von Apostasie. Schon entsprechende Gerüchte können ausreichen, um staatliche Verfolgung, jedenfalls aber Selbstjustiz bis hin zur Bestrafung mit dem Tod - auch durch Angehörige - wegen des vermeintlichen Bruchs kultureller und religiöser Normen auszulösen.

Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 7 ff. m. w. N., dies., Asylmagazin 2017, 82 (83); Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 22. Januar 2016 zu Afghanistan: Situation einer ledigen Mutter der Hazara-Ethnie in Kabul, 22.01.2016, S. 9 f.; zum Risiko der vermeintlichen "Kontamination" durch die westliche Lebensweise: Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. S. 4 f./Rn. 13 und dies., Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 19/Rn. 49; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male "Westernised" returnees to Kabul, August 2017, S. 29 ff. m. w. N.

Die Unterstützung durch Angehörige und Familie - soweit vorhanden - ist darüber hinaus des Öfteren eingeschränkt, weil die Rückkehr nach Afghanistan als Ausdruck des Versagens trotz des vermeintlich leichten Lebens im Westen verstanden wird und gleichzeitig der Verdacht schwelt, der Zurückkehrende habe womöglich eine schwere Straftat in Europa begangen. Denn nach einer in Afghanistan weit verbreiteten Auffassung schiebt Europa nur Straftäter ab, weshalb ein Abgeschobener im vermeintlich regellosen Europa ein schweres Verbrechen verübt haben müsse.

Stahlmann, Gutachten 2018, S. 301 und dies. Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 9; zum Stigma des Versagens auch Naber, Asylmagazin 2016, 3 (7) und auch Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male "Westernised" returnees to Kabul, August 2017, S. 35 sowie S. 36 zur Assoziation der Rückkehr mit Kriminalität, je m. w. N.

Außerdem kann einer Unterstützung durch die Familie entgegenstehen, dass diese erhebliche Mittel aufgewendet oder sogar Geld geliehen hat, um die Reise zu finanzieren. Neben dem Vorwurf, der Zurückkehrende habe die erwartete (Versorgungs-)Leistung nicht erbracht, droht auch die Rückforderung durch Kreditgeber, mit der Folge, dass ein Rückkehrer seiner Familie nicht willkommen, sondern "bestenfalls" nur eine Belastung für diese ist.

Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male "Wester-nised" returnees to Kabul, August 2017, S. 38 und 41.

Des Weiteren wird als Gefahr beschrieben, dass die Taliban die Flucht als ein Verhalten werten, mit dem man sich ihrem Machtanspruch entziehen will. Nachvollziehbar erscheint angesichts dessen, dass von Seiten der Taliban das Interesse bestehen soll, zur allgemeinen Abschreckung diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die sich ihnen entzogen haben.

Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4 ff., je m. w. N.; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male "Westernised" returnees to Kabul, August 2017, S. 33 f. m. w. N.

Entsprechend wird die ohnehin allgemein übliche Überprüfung der Biographie der Rückkehrer durch das neue soziale Umfeld noch sorgfältiger als üblich vorgenommen, da sie wegen ihrer Flucht grundsätzlich verdächtigt werden, sich persönlicher Verfolgung entzogen zu haben - sei es durch militante Gruppierungen oder Privatpersonen.

Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 5, m. w. N.; ähnlich Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male "Westernised" returnees to Kabul, August 2017, S. 40 und 43 m. w. N. vgl. auch S. 35 m. w. N. zur Problematik der Diskriminierung/Entlassung bei Bekanntwerden eines vorangegangenen Aufenthalts im westlichen Ausland.

Zudem wird angesichts des - grob verzerrt und übersteigert wahrgenommenen - Reichtums in Europa ("Jeder Europäer ist (Euro-)Millionär") in Afghanistan oft davon ausgegangen, dass Rückkehrer während ihrer Zeit im Westen zu Wohlstand gekommen sind. Sowohl sie selbst als auch ihre Familien laufen daher Gefahr, Opfer von Entführungen zu werden, die lebensbedrohlich sein können, insbesondere wenn nicht gezahlt wird oder werden kann. Das gleiche gilt für bekanntgewordenen Kontakt mit Ausländern.

Stahlmann, Gutachten 2018, S. 321 ff.; dies, ZAR 2017, 189 (198); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 10 f., je m. w. N.; Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 6 f./Rn. 18 sowie Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 20/Rn. 52; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male "Westernised" returnees to Kabul, August 2017, S. 29 f. und S. 40, je m. w. N.

Schließlich berichten Rückkehrer von Problemen mit Behörden oder Sicherheitskräften, insbesondere, weil sie als anders aussehend wahrgenommen werden, weil sie keine Tazkira haben, aber auch, weil sie als Sicherheitsrisiko empfunden werden, da sie mangels Ausbildung und mangels Chancen auf Arbeit als potentielle Drogenhändler oder durch bewaffnete regierungsfeindliche Kräfte leicht zu rekrutierende Personen gesehen werden.

Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male "Westernised" returnees to Kabul, August 2017, S. 18.

Andererseits können Rückkehrer - anders als die übrige Bevölkerung - von Unterstützungsmaßnahmen profitieren.

Zusammenfassend hierzu: Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 6 f. und Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male "Westernised" returnees to Kabul, August 2017, S. 19 bis 29.

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet in Deutschland verschiedene Rückkehrhilfen an. Unterstützung in Gestalt von Geldzahlungen können afghanische Rückkehrer, die sich freiwillig in ihr Heimatland zurückbegeben, über zwei Programme des IOM erlangen.

Hierzu im Einzelnen: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.04.2018 - A 11 S 1729/17 -, juris Rn. 285 ff.

Auch von Seiten der afghanischen Regierung gibt es Unterstützungsprogramme für Rückkehrer aus Europa. Im April 2015 hat die afghanische Regierung zunächst eine Hohe Kommission für Migration gegründet und im November 2016 dann ein gesondert auf die Belange von Rückkehrern gerichtetes Komitee (Displacement and Returnees Executive Committee). Dessen Funktion ist es, eine Strategie zur Koordination von humanitären und Entwicklungsprogrammen festzulegen sowie die Entwicklung von Richtlinien zur Unterstützung (u.a.) von Rückkehrern. Dabei geht es nicht nur um die finanzielle Unterstützung des Einzelnen. Damit die Rückkehrer nicht als gescheitert und unfähig zur Leistung des von ihnen erwarteten Beitrags erscheinen, ist auch die finanzielle Unterstützung des familiären bzw. sozialen Umfelds angedacht. Der Ansatz ist allerdings kritisiert worden, etwa weil er die örtliche Korruption nicht berücksichtige.

Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male "Westernised" returnees to Kabul, August 2017, S. 28, dort auch zu Unterstützungsangeboten für das Umfeld bzw. die Gemeinschaft der Rückkehrer ("a more community-oriented financial support").

Die derzeit von Seiten der afghanischen Regierung gewährten Hilfen umfassen die Bereiche der Arbeitsvermittlung, des rechtlichen Beistands sowie Fragen von Grund, Boden und Obdach. Die Unterstützung wird nicht von einer einzelnen Institution gewährt, vielmehr muss der Rückkehrer selbst die Initiative ergreifen und sich an die jeweils zuständige Stelle wenden - etwa an das Arbeitsministerium -, wenn er Hilfe bei der Arbeitssuche erhalten will. Rückkehrer aus Europa berichten, dass sie nur wenig Unterstützung in irgendeiner Art erhalten hätten, mit Ausnahme einer zweiwöchigen Unterbringung durch die Regierung.

Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 7; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male "Westernised" returnees to Kabul, August 2017, S. 28.

Schließlich gibt es lokale nichtstaatliche Organisationen, die freiwillige und abgeschobene Rückkehrer unterstützen, etwa IPSO (International Psychosocial Organisation) und AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation). IPSO ist eine in Deutschland ansässige Organisation mit psychosozialen Unterstützungsangeboten (Selbsterfahrungsgruppen, Übungen zum Leben in Afghanistan, Eins-zu-Eins-Beratung, Malen und Handarbeit), deren kostenlose Beratungsangebote von etwa der Hälfte der aus Deutschland rückgeführten Personen in Anspruch genommen werden. AMASO gewährt Rückkehrern - vorwiegend aus nordischen Ländern - die Möglichkeit einer Unterkunft für mehr als zwei Wochen. Außerdem bietet eine örtliche Anwaltskanzlei (freiwilligen) Rückkehrern aus Norwegen ihre Dienstleistungen an. Etablierte Koordinationsmechanismen zur Sicherstellung der benötigten Unterstützung für alle Rückkehrer oder zu deren Gleichbehandlung scheint es allerdings insgesamt nicht zu geben.

Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 7, dort auch S. 10 zu AMASO und IPSO; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male "Westernised" returnees to Kabul, August 2017, S. 28 f., dort auf S. 53 auch ausführlicher zu IPSO sowie auf S. 64 ausführlicher zur AMASO, dort auch zur Betreuung eines aus Deutschland abgeschobenen, bei einem Bombenanschlag verletzten Rückkehrers; zu IPSO siehe auch Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 31.05.2018 - Stand: Mai 2018, S. 26.

Eine weitere Unterstützungsleistung können Rückkehrer zudem in Form einer kurzfristigen Unterbringung erlangen. Die IOM bot bis ins Jahr 2017 hinein eine vorübergehende Unterkunft für höchstens zwei Wochen in einem sogenannten Empfangszentrum (Jangalak reception centre) an.

Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 9.

An dessen Stelle sorgt inzwischen die Aga Khan Development Foundation für die Sicherstellung von Wohnraum in den ersten 14 Tagen nach der Ankunft, und zwar im Spinzar-Hotel in der Stadtmitte von Kabul.

VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.10.2018 - A 11 S 316/17 -, juris Rn. 359 f. (m. w. N.); Stahlmann, Gutachten 2018, S. 237 f.

Für Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung lassen sich teilweise Unterschiede und Besonderheiten im Vergleich zu den allgemeinen Feststellungen zu den Lebensverhältnissen in Afghanistan erkennen.

Vgl. hierzu im Einzelnen VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.10.2018 - A 11 S 316/17 -, juris Rn. 362-390 (m. w. N.).

3. Ausgehend von den Verhältnissen in Afghanistan insgesamt sowie insbesondere in der Stadt Kabul als End- bzw. Ankunftsort einer Abschiebung gelangte der Senat nicht zu der Überzeugung, dass im Falle des Klägers nach den dargelegten Maßstäben ein ganz außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem humanitäre Gründe seiner Abschiebung im Sinne von Art. 3 EMRK zwingend entgegenstehen.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats

vgl. zuletzt VGH Bad.-Württ., Urteile vom 12.12.2018 - A 11 S 1923/17 -, juris Rn. 104 ff., und vom 12.10.2018 - A 11 S 316/17 -, juris; zuvor etwa auch Urteil vom 09.11.2017 - A 11 S 789/17 -, juris,

dass im Falle leistungsfähiger, erwachsener Männer ohne Unterhaltsverpflichtung und ohne bestehendes familiäres oder soziales Netzwerk bei der Rückkehr aus dem westlichen Ausland in Kabul die hohen Anforderungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht erfüllt sind, sofern nicht besondere, individuell erschwerende Umstände festgestellt werden können. Dem entspricht die aktuelle Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte

vgl. OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3930/18.A -, juris Rn. 198 ff.; Bay. VGH, Beschluss vom 29.04.2019 - 13a ZB 19.31492 -, juris Rn. 6; Sächs. OVG, Urteil vom 18.03.2019 - 1 A 348/18.A -, juris Rn. 68 ff.; Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 - 9 LB 93/18 -, juris Rn. 55 ff.; siehe auch OVG des Saarlandes, Beschluss vom 20.05.2019 - 2 A 194/19 -, juris Rn. 11.

Der Senat vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass die Bedingungen im Land einschließlich der Risiken für Rückkehrer aus dem westlichen Ausland generell ganz außerordentliche individuelle Umstände darstellen und damit die hohen Anforderungen für eine Verletzung des Art. 3 EMRK trotz fehlenden Akteurs erfüllen. Denn das Schicksal eines solchen Rückkehrers - wie des hiesigen Klägers - lässt sich nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit dahingehend prognostizieren, dass eine Abschiebung nach Kabul zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung namentlich des Gesundheitszustandes des Betroffenen führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte.

Dies gilt auch im vorliegenden Fall ebenso allgemein (a) wie unter Berücksichtigung individueller Besonderheiten des Klägers (b).

a) Zwar ist die Lage in Kabul prekär. Sowohl die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen als auch die humanitären Umstände und die Sicherheitslage sind schlecht. Zudem sind Afghanistan und insbesondere Kabul gerade auch in jüngster Zeit mit der Rückkehr einer Vielzahl von Menschen aus dem benachbarten und westlichen Ausland konfrontiert.

Obwohl die Situation für Rückkehrer nach alledem schwierig ist, stellt sie sich nicht für alle Betroffenen gleichermaßen problematisch dar. Bestimmte, vulnerable Gruppen wie etwa Familien mit jüngeren Kindern, alleinstehende Frauen, Kranke oder ältere Menschen sind in besonderem Maße gefährdet. Gleiches gilt für Menschen, die als Rückkehrer - typischerweise aus den benachbarten Staaten Iran und Pakistan - häufig in den informellen Siedlungen Kabuls untergekommen und dort nach jüngeren Erhebungen in großer Zahl von gravierender Nahrungsmittelunsicherheit betroffen sind.

EASO, Country of Origin Information Report - Afghanistan Security Situation Update, May 2018, S. 33.

Die insoweit erhobenen Daten lassen sich auf die hier relevante Personengruppe alleinstehender männlicher Rückkehrer allerdings nur eingeschränkt übertragen.

Vgl. hierzu im Einzelnen VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.10.2018 - A 11 S 316/17 -, juris Rn. 397 ff. (m. w. N.).

Dass die Existenzsicherung oder gar das Überleben für sämtliche Rückkehrer im vorstehenden Sinne nicht gewährleistet wäre, lässt sich insbesondere für Rückkehrer aus dem westlichen Ausland auch sonst nicht generell feststellen. Dies gilt zumal, da beispielsweise mit Unterstützung der IOM seit dem Jahr 2003 insgesamt 15.041 Personen aus verschiedenen Ländern Europas (darunter das Vereinigte Königreich, Norwegen, die Niederlande, Deutschland, Schweden, Dänemark, Frankreich, Belgien und Österreich) freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Allein im Jahr 2016 unterstützte die IOM 6.864 Personen bei ihrer freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan, davon über 3.000 aus Deutschland. Die meisten Rückkehrer (78 % oder 5.382) waren dabei junge Männer, von denen wiederum ein erheblicher Anteil zwischen 19 und 26 Jahren alt war (2.781) oder sogar Jugendliche mit bis zu 18 Jahren (2.101). Die Zahl der zurückgekehrten Familien wird mit 733 angegeben.

Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male "Westernised" returnees to Kabul, August 2017, S. 16; Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 2; UN General Assembly Security Council, The si-tuation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 10.

Neben diesen zahlreichen freiwilligen Rückkehrern gab und gibt es Abschiebungen aus Europa. So wurden im Zeitraum zwischen Oktober 2016 und April 2017 insgesamt 176 Personen aus Europa nach Afghanistan abgeschoben, darunter 106 aus Deutschland, von denen wiederum auch einige keine Verwandten in Kabul oder teilweise auch im gesamten Land hatten.

Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 3 ff.

Von Ende Dezember 2016 bis einschließlich September 2018 wurden insgesamt 366 Personen aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben.

VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.10.2018 - A 11 S 316/17 -, juris Rn. 406.

Obwohl diese Rückkehrer sich - wie dargestellt - in Afghanistan vielen Belastungen gegenübersehen und die Situation im Land äußerst schwierig ist, sind den umfangreichen Erkenntnismitteln zur Lage in Afghanistan keine Informationen zu entnehmen, aus denen geschlossen werden könnte, allein der Umstand einer Rückkehr aus dem westlichen Ausland bei fehlenden Netzwerken vor Ort stehe einer Existenzsicherung in Afghanistan bzw. in Kabul (auch nur auf niedriger Stufe) entgegen. Zwar gibt es vereinzelte Rückkehrerberichte, die die oben geschilderte Bandbreite von Problemen betreffen. Erfahrungsberichte oder Schilderungen dahin, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer ohne Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern sowie kinderlose Ehepaare in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären, liegen hingegen nicht vor.

Wenn die Sachverständige Stahlmann in einem Gutachten für den Senat im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt ist, dass sich von ihr beschriebene und bereits oben näher dargelegte spezifische Risiken für Rückkehrer aus dem westlichen Ausland in konkreten Fallbeispielen bestätigt fanden,

VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.10.2018 - A 11 S 316/17 -, juris Rn. 408 ff.

ändert dies an dem vorgenannten Befund nichts. Schon aufgrund der geringen Zahl ihrer Beispiele lässt dies nicht den Schluss zu, dass derart schwerwiegende Folgen jeden Rückkehrer oder auch nur eine weit überwiegende Zahl an Rückkehrern treffen werden. Erst recht erlaubt dies nicht den weiteren Schluss auf die Folge, dass den Betreffenden damit stets auch der Zugang zu sozialen Netzwerken, daraus folgend dann auch zu Wohnung und Arbeit sowie jeder Art von Existenzsicherung verwehrt wäre. Diese Feststellungen wären aber erforderlich, um von dem Schicksal anderer auf die tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen Behandlung für den Kläger schließen zu können.

Im Ergebnis vermag der Senat zwar schwerwiegende Nachteile bei Unterkunfts- und Arbeitssuche auch weiterhin nicht in jedem Fall auszuschließen. Die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Situation konkret auch im Falle des Klägers realisieren würde - dass also auch der Kläger entsprechend erkannt würde, jedenfalls aber dass er infolge dessen tatsächlich keinen Zugang zu einer auch nur einfachen Unterkunft haben würde oder vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen wäre -, lässt sich allerdings nicht zur Überzeugung des Senats feststellen. Ferner lässt sich daher erst recht nicht zur Überzeugung des Senats feststellen, dass solche Nachteile in der Konsequenz das notwendige Maß zur Feststellung einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung erreichen könnten. Dies gilt schon deshalb, weil sich bereits keine hinreichend große Gruppe feststellen lässt, bei der die Lebensbedingungen nicht mit den Vorgaben aus Art. 3 EMRK vereinbar wären.

b) Dies gilt auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers. Denn die den Erkenntnismitteln zu entnehmenden Schicksale von Rückkehrern sind zu unterschiedlich, um in der konkreten Situation des Klägers - auch unter Würdigung der o. g. Risiken - zu der Überzeugung zu gelangen, dass die nach den oben dargestellten Maßstäben engen Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots erfüllt sind.

Eine individuelle Verfolgung in Afghanistan macht der Kläger nicht geltend. Doch auch seine persönliche und familiäre Situation begründet kein Abschiebungsverbot, da in der Person des Klägers keine individuell erschwerenden Umstände vorliegen, die für ihn eine reale Gefahr begründen, bei seiner Rückkehr nach Kabul einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein. Gefahrerhöhende Umstände, die etwa in einer realen Verfolgungsgefahr des Klägers gesehen werden könnten, hat der Kläger nicht geschildert. Dabei kann dahinstehen, ob das, was der Kläger hinsichtlich seiner Familiengeschichte vorgetragen hat, glaubhaft ist; die Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung durch den Senat hat insofern freilich kein eindeutiges Bild ergeben. Jedenfalls führten die Umstände selbst dann, wenn sie sich so, wie vom Kläger behauptet, tatsächlich zugetragen hätten, nicht zu einem Abschiebungsverbot. Die Beziehung des Klägers zu seinem im Iran lebenden Onkel führt nicht zu einer Gefahr für den Kläger in Afghanistan. Dass der Kläger dort nach seinen Angaben über kein familiäres oder sonstiges soziales Netzwerk verfügt, das ihm die Ankunft in dem Land, in dem er den größten Teil seines Lebens nicht gewesen sei, erleichtern könnte, lässt ebenfalls nicht auf eine relevante Gefahr schließen. Der Kläger ist ein leistungsfähiger, erwachsener Mann; nach seinen divergierenden Angaben ist er mindestens 19 bzw. 20 Jahre alt. Er hat im Iran in einer Schneiderei gearbeitet. Er hat nach seinem Vortrag im Wesentlichen selbständig seine Ausreise aus dem Iran und die Reise in die Bundesrepublik organisiert. Er sei sogar in der Lage gewesen, von dem geringen Lohn, den er in der Schneiderei verdient habe, so viel zurückzulegen, dass er, zusammen mit weiteren Summen, die hohen Kosten der Reise von etwa 5.000,- Dollar zahlen konnte. Das deutet auf ein nicht unerhebliches Maß an Selbständigkeit, Organisationsgabe und Durchsetzungsfähigkeit hin. Dieses Bild setzt sich mit Blick auf den bisherigen Aufenthalt des Klägers in Deutschland fort: Er hat in beachtlichem Maße Deutsch gelernt, wovon sich der Senat bei der Anhörung des Klägers überzeugen konnte. Er arbeitet in einem Schnellrestaurant an der Kasse, wo er in ständigem Kundenkontakt steht und den damit verbundenen Anforderungen ausgesetzt ist. Diesbezügliche Probleme hat der Kläger nicht geschildert. Er lebt nach seinen Angaben gemeinsam mit einer weiteren Person in einer Wohnung, er organisiert seinen Alltag und seine Lebensführung selbständig. Er hält für die Zukunft einen weiteren Schulbesuch für möglich, wünscht sich aber vorrangig eine Ausbildung zum Schaffner oder Friseur. All dies belegt eine hinreichende Lebenstüchtigkeit, die es dem Kläger auch unter erschwerten Bedingungen zumutbar macht, sich eine Existenz in Afghanistan aufzubauen.

Nichts anderes gilt mit Blick darauf, dass sich der Kläger selbst als "faktischen Iraner" beschreibt, der Afghanistan im Alter von fünf Jahren verlassen, seitdem im Iran gelebt und daher keinerlei Beziehungen mehr zu Afghanistan habe. Trotz bestehender Unterschiede zwischen den Verhältnissen im Iran und in Afghanistan ist nicht ersichtlich, dass es einem im Iran aufgewachsenen afghanischen Staatsangehörigen grundsätzlich nicht oder sehr viel schwerer als anderen Rückkehrern ohne Netzwerke möglich wäre, in Afghanistan sein Überleben zu sichern (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.10.2018 - A 11 S 316/17 -, juris Rn. 435).

II.

Ein nationales Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt hier ebenfalls nicht vor. Liegen die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.

Zwar sind allgemeine Gefahren - also auch die die Bevölkerung insgesamt treffenden (schlechten) Lebensbedingungen in einem Land - gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen und begründen demnach grundsätzlich kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Eine Ausnahme liegt aber bei einer extremen Gefahrenlage vor, welche sich wiederum auch aus den den Ausländer erwartenden Lebensbedingungen ergeben kann. So können die im Zielstaat herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage einen Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise begründen, wenn bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage vorläge. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden.

Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde.

Dazu u.a. BVerwG, Urteile vom 13.06.2013 - 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1489 Rn. 12 f.; vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, juris Rn. 38.; vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 -, NVwZ 2012, 451 Rn. 20; vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, NVwZ 2012, 240 Rn. 22 f. und vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, juris Rn. 14 f.; vgl. zudem BVerwG, Beschluss vom 08.08.2018 - 1 B 25.18 -, juris Rn. 13, zum insoweit gegenüber § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK strengeren Maßstab des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG; ferner auch BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, Rn. 28 zu den unterschiedlichen rechtlichen Maßstäben von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (§ 60 Abs. 2 AufenthG a.F.) sowie auch Art. 3 EMRK einerseits und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG andererseits.

Im Fall des Klägers besteht keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit aus individuellen Gründen. Insbesondere bestehen bei ihm keine individuellen Besonderheiten, etwa gesundheitlicher Art. Auch aus den dargestellten, schlechten Lebensverhältnissen in Afghanistan lässt sich ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht begründen. Denn die beschriebenen hohen Anforderungen, aus denen wegen einer extremen Gefahrenlage ausnahmsweise ein solches Abschiebungsverbot hergeleitet werden könnte, liegen nicht vor. So vermögen die - fraglos schlechten - Lebensverhältnisse vorliegend schon keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen (s. o.). Dass gerade der Kläger als leistungsfähiger, erwachsener Mann, im Falle einer Rückkehr alsbald sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde, vermag der Senat danach nicht festzustellen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.