OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.12.2019 - 9 A 2267/17
Fundstelle
openJur 2020, 721
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 14 K 6532/15
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 18. Juli 2017 wird zugelassen, soweit Abfallentsorgungsgebühren in Höhe des im erstinstanzlichen Verfahren streitig gebliebenen Teilbetrags von 99,11 Euro für das Gebührenjahr 2015 angefochten sind.

Der weitergehende Antrag auf Zulassung der Berufung betreffend Abfallgebühren für die Jahre 2013 und 2014 wird abgelehnt.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

Die Berufung ist gemäß §124a Abs.4 Satz4 und Abs.5 Satz2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des §124 Abs.2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist dargelegt ist und vorliegt. Das ist hier hinsichtlich des Gebührenjahres 2015 der Fall (dazu I.), nicht hingegen hinsichtlich der beiden Gebührenjahre 2013 und 2014 (dazu II.).

I. Der Antrag ist zuzulassen, soweit das Gebührenjahr 2015 Gegenstand des Verfahrens ist und noch eine Restgebühr von 99,11 Euro im Streit steht. Insoweit hat die Klägerin hinreichend dargelegt, dass i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils in Bezug auf den Änderungsgebührenbescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2015 bestehen.

Die Beklagte hat die Klägerin für ein auf ihrem von zwei Personen bewohnten Grundstück zur Verfügung gestelltes 60l-Abfallgefäß zu Gebühren von 297,32 Euro gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der hier maßgeblichen Satzung über die Abfallgebühren in der Stadt Köln vom 21. Dezember 2011 in der Fassung der 3. Satzung zur Änderung der Satzung über die Abfallgebühren in der Stadt L. vom 17. Dezember 2014 (Abfallgebührensatzung - AbfGS -) herangezogen.

Nach § 1 Abs. 1 Sätze 4, 6 und 7 der AbfGS bestimmen sich die festzusetzenden Gebühren nach einem modifizierten Volumenmaßstab, der auf die Größe des in Anspruch genommenen Restmüllgefäßes abstellt. Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 der Satzung über die Abfallentsorgung in der Stadt L. vom 15. Dezember 2010 in der Fassung der 4. Satzung zur Änderung der Abfallsatzung vom 17. Dezember 2014 (Abfallsatzung - AbfS -) ist für jedes Grundstück – vorbehaltlich der nur für Ein-Personen-Grundstücke geltenden und deshalb hier nicht einschlägigen Ausnahmeregelung in § 8 Abs. 4 Satz 2 AbfS – mindestens ein Abfallbehälter mit einem Volumen von 60 l / 70 l vorzuhalten.

Die Klägerin beruft sich darauf, dass sie nach § 8 Abs. 2 Unterabs. 2 AbfS nur ein Mindestgefäßvolumen von 40 Litern und Woche (2 x 20 l pro Person/Woche bei Nutzung von Papiertonne und/oder Gelber Tonne) vorhalten müsste, was 2/3 des Volumens des hier bereit gestellten 60 l-Restmüllgefäßes entspricht. Dabei handelt es sich um die kleinste in der Abfallsatzung vorgesehene Behältergröße.

Die Verpflichtung der Klägerin, trotzdem einen 60 l-Behälter in Anspruch nehmen zu müssen und die damit verbundenen Gebühren von 297,32 Euro zu tragen, führt – proportional gerechnet – zu einer hier allein noch streitigen Gebührenmehrbelastung von 99,11 Euro.

Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die mit der Verpflichtung zur Inanspruchnahme eines 60 l-Gefäßes trotz eines für den Haushalt der Klägerin nur anzunehmenden Mindestvolumens von 40 l pro Woche verbundene Mehrbelastung abgabenrechtlich hinnehmbar sei, begegnet Zweifeln.

Die bei der Ermittlung der Gebühr zu Grunde gelegte Wahrscheinlichkeit, dass hier bei einem "Zwei-Personen-Grundstück" das Abfallvolumen in Form des 60 l-Behälters dem Maß der Inanspruchnahme entspricht, könnte bereits auf Grund der satzungsrechtlichen Regelung des Mindestvolumens in groben Maße gestört sein. Die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG erscheint zumindest ernsthaft als möglich. Zwar ist dem Satzungsgeber in den Grenzen des Willkürverbotes weitgehende Gestaltungsfreiheit zuzugestehen. Ob er im Einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, ist angesichts dessen nicht zu prüfen. Das gilt auch für die das Abgabenrecht beherrschende Ausprägung des Art.3 Abs.1 GG als Grundsatz der Abgabengerechtigkeit. Durchbrechungen des Gleichheitssatzes aufgrund von Typisierung und Pauschalierung können – insbesondere bei der Regelung von Massenerscheinungen – unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse im jeweiligen Entsorgungsgebiet durch Erwägungen der Verwaltungsvereinfachung und -praktikabilität gerechtfertigt sein, solange die durch jede typisierende Regelung entstehende Ungerechtigkeit noch in einem angemessenen Verhältnis zu den erhebungstechnischen Vorteilen der Typisierung steht. Der Grundsatz der Typengerechtigkeit gestattet dem Normgeber, bei der Gestaltung abgabenrechtlicher Regelungen in der Weise zu verallgemeinern und zu pauschalieren, dass an Regelfälle eines Sachbereichs angeknüpft wird und dabei die Besonderheiten von Einzelfällen außer Betracht bleiben. Dieser Grundsatz vermag die Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte indessen nur so lange zu rechtfertigen, als nicht mehr als 10v.H. der von der Regelung betroffenen Fälle dem "Typ" widersprechen, auf den die Maßstabsregelung zugeschnitten ist, die Auswirkungen auf die Betroffenen nicht erheblich sind und Schwierigkeiten – insbesondere verwaltungspraktischer Art – bestehen, die Härten zu vermeiden.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 3.Dezember 2012 - 9 A 2646/11 -, NWVBl. 2013, 259, juris Rn. 38 ff.; zu Abfallgebühren vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. November 2011 - 9 B 41.11 -, juris Rn. 2.

Selbst wenn im vorliegenden Fall die Gruppe der Zwei-Personen-Grundstücke unter 10 % aller Veranlagungsfälle zu Abfallentsorgungsgebühren liegen sollte, was im Berufungsverfahren ggf. aufzuklären wäre, führt dieser Umstand nur dann zur Unbeachtlichkeit der Störung des Gleichgewichts, wenn die Auswirkungen nicht erheblich wären und es – insbesondere aus verwaltungspraktischen Gründen – schwierig wäre, die in dem Missverhältnis liegende Härte zu vermeiden. Es spricht bereits Einiges dafür, dass die Mehrbelastung unter Berücksichtigung der Relation zwischen dem zugewiesenen (60 l) und dem benötigten Abfallvolumen (40 l) in ihrer absoluten Höhe von knapp 100 Euro pro Jahr nicht unerheblich ist. Überdies dürfte auch die letzte Voraussetzung nicht gegeben sein. Das Volumen der Abfallbehälter und die damit verbundenen Gebühren können entweder den satzungsrechtlichen Vorgaben angepasst werden oder es könnte auch auf einen längeren Abfuhrrhythmus gewechselt werden. Der von den Parteien angenommene Vergleichsvorschlag des 15. Senats in der Fassung vom 12. Dezember 2018 in dem Verfahren 15 A 2330/17 zeigt, dass es Möglichkeiten gibt, das satzungsrechtlich vorgegebene Mindestvolumen und die Abfallentsorgungsgebühr in Einklang zu bringen. Dazu dürfte es allerdings kaum ausreichen, dass Eigentümern benachbarter Grundstücke nach § 8 Abs. 5 AbfS auf gemeinsamen schriftlichen Antrag Abfallbehälter zur gemeinsamen Benutzung zur Verfügung gestellt werden können. Ob diese Möglichkeit dem einzelnen Eigentümer eines von zwei Personen bewohnten Grundstücks zur Verfügung steht, hängt – wie der vorliegende Fall zeigt – von der Bewohnerstruktur des Nachbargrundstücks, dem Nutzerverhalten der Nachbarn und nicht zuletzt vom Willen des benachbarten Anschlusspflichtigen ab. Dies stellt die Wirksamkeit der hier maßgeblichen Gebührenregelungen in Frage.

2. Im Übrigen hat der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung betreffend die Gebührenjahre 2013 und 2014, soweit hier noch streitig, keinen Erfolg.

Die Berufung ist insoweit nicht wegen der allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne von §124 Abs.2 Nr.1 VwGO zuzulassen.

Das Verwaltungsgericht hat die zunächst gegen den Änderungsbescheid vom 19.Oktober 2015 in der Gestalt des Bescheides vom 25. November 2015 erhobene Klage betreffend das Jahr 2013 insgesamt als zurückgenommen bzw. erledigt angesehen und das Verfahren insoweit eingestellt; betreffend das Jahr 2014, soweit hier noch 55,64 Euro streitig gewesen sind, hat es die Klage abgewiesen. Die hiergegen erhobenen Rügen greifen nicht durch.

Für das Gebührenjahr 2013 gilt Folgendes: Die Beklagte hat die mit Gebührenbescheid vom 31. Juli 2013 festgesetzte und bestandskräftig gewordene Abfallentsorgungsgebühr von 151,63 Euro durch hier angefochtenen Bescheid vom 19. Oktober 2015 um 95,64 Euro auf 247,27 Euro erhöht. Davon hat die Klägerin mit ihrer Klage zunächst 103,82 Euro angefochten (soweit mehr als 143,45 Euro festgesetzt worden sind). Durch Abänderungsbescheid vom 25. November 2015 hat die Beklagte die Jahresgebühr 2013 um 63,76 Euro reduziert und die Klägerin vor der mündlichen Verhandlung die Klage betreffend 2013 in Höhe von 31,88 Euro zurückgenommen. Nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen und der teilweisen Klagerücknahme standen danach rechnerisch noch 8,18 Euro im Streit. In der mündlichen Verhandlung hat die anwaltlich vertretene Klägerin einen Klageantrag ausweislich des Terminsprotokolls nur in Bezug auf die Gebührenjahre 2014 und 2015 gestellt.

Mit der Rüge, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht nicht über den zuletzt streitig gebliebenen Teilbetrag der Gebührenfestsetzung für 2013 entschieden, sind weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils noch ein zur Zulassung der Berufung führender Verfahrensmangel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat in Bezug auf das Gebührenjahr 2013 kein Urteil getroffen, sondern lediglich einen (deklaratorischen) Einstellungsbeschluss. Selbst wenn dieser fehlerhaft gewesen sein sollte, führt die hier erhobene Rüge nicht zur Zulassung der Berufung gegen ein insoweit nicht ergangenes Urteil. Denn eine etwaige Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Tatbestandes eines Urteils kann nicht mit einer Rüge des Verfahrensmangels, sondern nur mittels eines fristgebundenen Antrags auf Berichtigung des Tatbestands gemäß § 119 VwGO geltend gemacht werden; entsprechendes gilt für einen Antrag auf Urteilsergänzung gemäß § 120 VwGO, wenn ein nach dem (dann ggf. korrigierten) Tatbestand von einem Beteiligten gestellter Antrag bei der Entscheidung ganz oder zum Teil übergangen ist.

Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 22. November 1979 - 7 B 146.78 -, juris Rn. 11 m.w.N.; Beschluss vom 16. November 1992 - 11 B 65.92 -, Buchholz 310 § 158 VwGO Nr. 6, juris Rn. 5.

Von den Möglichkeiten der §§119, 120 VwGO hat die Klägerin indessen keinen Gebrauch gemacht.

Für das Gebührenjahr 2014 gilt Folgendes: Das Verwaltungsgericht hat hierzu u.a. ausgeführt, dass es für das Veranlagungsjahr 2014 auf die von den Beteiligten in den Vordergrund gestellte Frage, ob die Klägerin die Gebühren für den 60 Liter-Behälter nur zur Hälfte oder zu zwei Dritteln schulde, nicht an komme, weil sie schon als Gesamtschuldnerin herangezogen werden könne, wenn es sich bei der 60 l-Tonne um eine sog. „Nachbartonne“ im Sinne von § 8 Abs. 5 AbfS gehandelt hätte. Aber selbst wenn die Beklagte die Klägerin nur anteilig hätte heranziehen wollen (vgl. § 1 Abs. 7 AbfGebS) – so das Verwaltungsgericht –, wäre die erfolgte Anknüpfung an die Personenzahl statt an die Anzahl der Grundstücke nicht zu beanstanden. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Klägerin für ihr Grundstück ein Mindestvolumen für Restmüll für zwei Personen (40 l) habe vorhalten müssen, was zwei Dritteln des Volumens des 60 l-Behälters entsprochen habe.

Das hiergegen gerichtete Antragsvorbringen ist nicht geeignet, die Richtigkeit dieser die Entscheidung selbständig tragenden Ausführungen in Frage zu stellen. Die Klägerin vertritt insoweit die Auffassung, dass die Aufteilung der gesamtschuldnerisch geschuldeten Gebühren im Innenverhältnis gemäß § 1 Abs. 7 AbfGebS nach der Anzahl der benachbarten Grundstücke zu erfolgen habe, solange die Anzahl der Bewohner der Grundstücke dieselbe sei. Wenn aber– wie im vorliegenden Fall – ihr Grundstück von zwei Personen genutzt werde und das Nachbargrundstück nur von einer Person, sei die Regelung des § 8 Abs. 4 Unterabs. 2 AbfS vorgreiflich, wonach die Mindestausstattung für ein zu veranlagendes Grundstück von einem Abfallbehälter mit 60 l/70 l Fassungsvermögen auf Antrag auf 30 l reduziert werde. Letzteres sei seit dem Tod des Nachbarn T. im Mai 2013 der Fall gewesen. Dem ist schon im Ansatz nicht zu folgen. Ein Fall des §8 Abs. 4 Unterabs. 2 AbfS liegt hier gerade wegen der Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 5 AbfS nicht vor. Es geht nicht darum, dass die Grundstücksnachbarin einen Abfallbehälter mit nur 30 l nutzen wollte, sondern entsprechend der Ausnahmereglung des § 8 Abs. 5 AbfS eine "Nachbartonne" mit 60 l Volumen in Anspruch genommen hat. Damit haben die Nachbarin und die Klägerin von der satzungsrechtlich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, dass drei Personen grundstücksübergreifend einen 60 l-Behälter unter Einhaltung des Mindestvolumens von 20 l pro Person und Woche nutzen konnten und die Beklagte mit Blick auf § 1 Abs. 7 AbfGS die Klägerin zu 2/3 der Abfallgebühr für einen 60 l-Behälter veranlagt hat.