LG Dortmund, Urteil vom 02.11.2017 - 4 O 136/15
Fundstelle
openJur 2020, 689
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag i. H.v. 15.000,00 € (i. W.: fünfzehntausend Euro) sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i. H.v. 1.789,76 € jeweils nebst Zinsen i. H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 10.7.2015 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche aus der fehlerhaften Behandlung von 25.03.2014 resultierenden materiellen Schäden der Vergangenheit und Zukunft sowie die nicht vorhersehbaren immateriellen Zukunftsschäden zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen/übergegangen sind.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 83 %, die Beklagte zu 17 %.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i. H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin, geboren am 00.00.0000, macht gegen die Beklagte Ansprüche auf ein angemessenes Schmerzensgeld, Feststellung der weiteren Ersatzpflicht sowie Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus der Behandlung ab dem 25.03.2014 geltend.

Am benannten Datum befand sich die Klägerin mit Freundinnen auf dem Weg zum Dortmunder Fußballstadion. Sie klagte plötzlich über starke Schwindelgefühle sowie Übelkeit und Erbrechen. Die Freundinnen riefen eine in der Nähe des Stadions anwesende Notärztin herbei. Sie wiesen diese auch darauf hin, dass die Klägerin im Jahr 2008 einen Schlaganfall erlitten hatte. Daraufhin stellte die Notärztin die Erstdiagnose "V. a. Re-Apoplex" und vermerkte dies auch im zugehörigen Notarztprotokoll (Anl. K3).

Die Klägerin wurde sodann mit dem Notarztwagen in das Haus der Beklagten verbracht und in der Notaufnahme durch die diensthabende HNO-Ärztin untersucht, die die konsiliarische Untersuchung durch einen Neurologen anordnete. Bildgebende Befunde (CT oder MRT) wurden nicht erstellt. Es wurde ein benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel diagnostiziert. Die Klägerin wurde in die HNO-Klinik der Beklagten verlegt und erhielt das Medikament Vomex.

An den folgenden beiden Tagen hielten Übelkeit und Schwindel bei der Klägerin an. Sie wurde am 28.03.2014 aus dem Haus der Beklagten mit der Empfehlung entlassen, einen niedergelassenen HNO-Arzt aufzusuchen.

Am 29.03.2014 brachte der Ehemann der Klägerin, der Zeuge E1, diese in das W1-Hospital in O2, weil - so behauptet die Klägerin - sie immer noch unter Schwindelgefühlen gelitten und sich bei ihr ein unsicheres Gangbild gezeigt habe. In O2 wurde ein linksseitiger Kleinhirninfarkt festgestellt. Die Klägerin verblieb bis zum 09.04.2014 in stationärer Behandlung in O2. Im Anschluss daran kam die Klägerin bis zum 20.06.2014 zwecks Rehabilitation in die P1 Klinik W2.

Die Klägerin behauptet das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers. Sie sei bereits mit dem Verdacht auf einen Schlaganfall in das Haus der Beklagten eingeliefert worden und die dortigen Ärzte hätten auch Kenntnis von ihrem Schlaganfall im Jahr 2008 gehabt. Gleichwohl habe keine angemessene Untersuchung stattgefunden. Die Untersuchung sei sehr kurz ausgefallen und auch nur durch eine HNO-Ärztin durchgeführt worden. Insbesondere sei ein neurologisches Konzil ausgeblieben; auch die Nichterhebung einer lichtbildgebenden Befundung sei fehlerhaft. Es stelle eine unzureichende Befunderhebung dar, weswegen es zu fehlerhaften Diagnosen und zu einer fehlerhaften Überweisung der Klägerin in die HNO-Klinik gekommen sei.

Auch in der HNO-Klinik hätten trotz ihrer anhaltender Beschwerden sowie der - laut Dokumentation unstreitigen - Mitteilung des Ehemannes über ihre Sprachstörungen keine neurologischen Untersuchungen stattgefunden. Trotz dieses Hinweises und auch der wiederholten Äußerung, dass man Angst vor einem erneuten Schlaganfall habe, sei der anwesende (Assistenz-)Arzt zu dem Schluss gekommen, ein solcher liege nicht vor und werde auch nicht drohen. Er versprach für den folgenden Tag eine CT-Untersuchung, die jedoch ausblieb. Sie hätte auf die hauseigene Stroke-Unit verlegt werden müssen. Wäre die bekannte Persistenz der Beschwerden hinreichend gewürdigt und einer entsprechenden Befunderhebung zugeführt worden, hätte unschwer festgestellt werden müssen, dass ein umgehendes und spezifisches Behandlungserfordernis bestand.

Noch heute leide sie unter leichten Sprachstörungen. Ihre Konzentrationsfähigkeit sei stark beeinträchtigt und ihre Fähigkeit, angestrengt und zielstrebig zu denken, sei weitestgehend eingeschränkt. Auch ihre Belastbarkeit sei eingeschränkt. Sie leide unter einem chronischen Drehschwindel, der aufgrund einer ständigen Sturzgefahr ihren Alltag zusätzlich erschwere. Hinzu kämen motorische Defizite im Bereich der linken Körperhälfte, insbesondere sei die Kraft in den Händen stark gemindert, so dass sie Gegenstände nicht mehr sicher und fest halten könne. Dass sie einen Grad der Behinderung von 40 habe, sei ebenfalls auf Funktionsstörungen nach einem mehrmaligen Schlaganfall zurückzuführen. Dasselbe gelte für die erforderlichen neurologischen und ergotherapeutischen Behandlungen.

All dies hätte verhindert werden können, wenn sie im Haus der Beklagten sofort anständig untersucht und sodann auf die vorhandene Stoke-Unit verbracht und dort überwacht worden wäre.

Um ihre Unannehmlichkeiten und Beeinträchtigungen zu kompensieren, sei nach ihrer Ansicht ein Schmerzensgeld i.H.v. 63.000 € angemessen; zudem macht sie einen immateriellen Vorbehalt geltend, weil nach ihrer Behauptung weitere Revisionsbehandlungen zu erwarten seien und sie insbesondere auch einer höheren Gefahr für neuerliche Schlaganfälle ausgesetzt sei. Ferner begehrt sie die Feststellung der Ersatzpflicht für einen Verdienstausfall für die Vergangenheit und die Zukunft, einen fiktiven Haushaltsführungsschaden für Vergangenheit und Zukunft sowie weitere materielle Schäden für die Vergangenheit und Zukunft.

Unstreitig forderte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 29.09.2014 zur Anerkennung der Haftung dem Grunde nach unter Fristsetzung bis zum 30.10.2014 auf. Hierauf erfolgte seitens der Beklagten keine Reaktion.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Festsetzung der Höhe nach in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf den zuerkannten Betrag seit dem 31.10.2014,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche aus der fehlerhaften Behandlung resultierenden materiellen Schäden der Vergangenheit und Zukunft, sowie die nicht vorhersehbaren immateriellen Zukunftsschäden zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen und/oder übergegangen sind,

3. die Beklagte zu verurteilen, sie von den nach dem RVG nicht konsumierten außergerichtlichen Kosten bei ihren Prozessbevollmächtigten i.H.v. 3.109,64 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.10.2014 freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, der Befund der behandelnden HNO-Ärztin - in Seitenlage jeweils zum unten liegenden Ohr rotierender Nystagmus - sei typisch für einen gutartigen Lagerungsschwindel. Eine noch am Abend durchgeführte komplette neurologische Untersuchung habe einen unauffälligen Befund ergeben. Daher sei ein Schädel-CT nicht indiziert gewesen. Ein solches hätte zu dem Zeitpunkt auch keinen pathologischen Befund angezeigt. Insoweit sei die Vorgehensweise - Empfehlung einer HNO-ärztlichen Weiterbehandlung - lege artis und die Verdachtsdiagnose vertretbar und nicht zu beanstanden gewesen.

Auch in der weiteren Diagnostik habe sich keine tonaudiometrische Hörstörung ergeben. Vielmehr habe die Lage- und Lagerungsprüfung abgebrochen werden müssen, weil der Klägerin übel gewesen sei. Ein Nystagmus habe weder bei dieser Untersuchung noch bei einer Videonystagmographie mit Wasserkalorisation am 28.03.2014 festgestellt werden können.

Der Klägerin sei es im Verlauf der stationären Aufnahme besser gegangen. Insbesondere die vor der Entlassung durchgeführte Untersuchung habe keine auffälligen Befunde ergeben. Weder bei der Aufnahme der Klägerin habe ein Schlaganfall vorgelegen oder gedroht, noch während der Zeit ihres Aufenthalts. Ein solcher sei auch während der stationären Behandlung nicht aufgetreten. Selbst für den Fall, dass sofort nach Einlieferung der Klägerin ein solcher diagnostiziert worden wäre, hätte sich an der Behandlung nichts geändert, weil der Infarkt wegen der Lokalisation, des Ausmaßes der Symptome und des Zeitfensters für eine interventionelle Behandlung nicht infrage gekommen wäre, sondern lediglich eine Beobachtung in der neurologischen Klinik stattgefunden hätte. Dies hätte am Verlauf des Schlaganfalls nichts geändert.

Größe und die Lokalisation des Kleinhirninfarktes zeigten auch, dass es zu keinem bleibenden neurologischen Defizit bei der Klägerin komme.

Zu den Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Die Kammer hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 02.11.2017 persönlich angehört. Ferner hat die Kammer Beweis erhoben durch Vernehmung des Ehemannes der Klägerin, des Zeugen E1, und durch Einholung zweier schriftlicher Sachverständigengutachten, zum einen eines HNO-Gutachtens des D1 (Bl. 93 ff. der Akte) und zum anderen eines neurologischen Gutachtens des D2 (Bl. 137 ff. der Akte). Beide Sachverständigen haben ihre Gutachten in der mündlichen Verhandlung erläutert. Zu den Einzelheiten wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung (Bl. 293 ff. der Akte) verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig. Insbesondere liegt ein besonderes Feststellungsinteresse der Klägerin i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO vor, da nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass für die Zukunft ein Verdienstausfallschaden, ein Haushaltsführungsschaden und/oder weitere materielle und immaterielle Schäden auf die Klägerin zukommen könnten.

Die Klage ist aber nur teilweise begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes aus §§ 280, 630a, 253 BGB sowie §§ 823 ff. BGB, da die Behandlung der Klägerin am 25.03.2014 im Hause der Beklagten fehlerhaft erfolgt ist.

Hiervon ist die Kammer aufgrund der überzeugenden und nachvollziehbaren Feststellungen der Sachverständigen D1 und D2, denen sich die Kammer in vollem Umfang anschließt, überzeugt. D1 ist Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und Direktor der Universitäts-Hals-Nasen-Ohrenklinik E4; D2 ist Arzt für Neurologie, Psychotherapie, spezielle Schmerztherapie und manuelle Medizin und ferner Leiter des Klinikbereichs Neurologie mit klinischer Neurophysiologie und interdisziplinärer Schmerztherapie des Psychiatrischen Fachkrankenhauses C1. Beide Sachverständige verfügen daher sowohl über fundiertes theoretisches Wissen als auch über eine umfassende praktische Erfahrung. Die Ausführungen der Sachverständigen beruhen auf einer gründlichen Aufarbeitung der Behandlungsunterlagen. D2 hat die Klägerin auch selbst untersucht und mit ihr eine Vielzahl von psychologischen Tests durchgeführt. Dadurch wurden sämtliche für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen Fragen gutachterlich beantwortet und im Rahmen der Anhörung beider Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung noch einmal erörtert.

Mit dem Sachverständigen D1 geht die Kammer zunächst davon aus, dass die erste HNO-ärztliche Untersuchung nicht fehlerhaft erfolgt ist. Die HNO-Ärztin im Hause der Beklagten hat alle notwendigen Befunde erhoben und die erforderlichen Untersuchungen durchgeführt. Insbesondere hat die behandelnde HNO-Ärztin gesehen, dass bei der Klägerin ein zentrales Problem vorliegen könnte. Sie hat sodann - noch am selben Tag der Einlieferung der Klägerin - ein neurologisches Konsil angefordert. Dies ergibt sich aus der Dokumentation, mag der Klägerin die nachfolgende Untersuchung durch die Neurologin auch nicht erinnerlich sein. Da die Klägerin nicht als Schwindelpatientin eingeliefert wurde, sondern bereits aus dem Notarztprotokoll der Verdacht auf einen Schlaganfall ersichtlich war, der sich durch die HNO-ärztliche Untersuchung auch nicht ausräumen ließ, entsprach dies dem erforderlichen Vorgehen.

Einen Behandlungsfehler sehen beide Sachverständigen jedoch in der Behandlung durch die Neurologin im Haus der Beklagten. Die Behandlung durch die Neurologin erfolgte zu spät, § 630h Abs. 5 S. 2 BGB. Die Neurologin untersuchte die Klägerin erst 90 Minuten nachdem die HNO-Ärztin die neurologische Untersuchung angeordnet hatte. Gerade bei Patienten mit dem Verdacht auf einen Schlaganfall ist eine zeitnahe Behandlung unerlässlich, um die Folgeschäden möglichst gering zu halten; das Zeitfenster für die Einleitung einer in diesem Fall indizierten Lyse-Behandlung liegt bei 3 bis 4,5 Stunden. Als die Neurologin die Klägerin untersuchte, war das Zeitfenster für die Lyse-Behandlung aber bereits geschlossen. Auch D1 hat sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung der Auffassung von D2 angeschlossen, dass die neurologische Untersuchung nicht rechtzeitig war. Ob die verspätete Hinzuziehung auf einem organisatorischen Verschulden der Beklagten beruht oder einem Verschulden der HNO-Ärztin bei der Übermittlung des Konsilwunsches oder der angeforderten Neurologin kann im Verhältnis zur Beklagten dahinstehen, da diese für eigene Versäumnisse wie für die ihrer Mitarbeiter haftet.

Wäre eine rechtzeitige und ordnungsgemäße Untersuchung durch einen Neurologen durchgeführt worden, so hätten sich bei der Klägerin Ausfallerscheinungen gezeigt, die auf ein zentrales Problem hingedeutet hätten. Mit dem Sachverständigen D2 geht die Kammer davon aus, dass der Kleinhirninfarkt bereits vor der Anlieferung der Klägerin im Haus der Beklagten vorlag. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass der Infarkt im Krankenhaus in O2 gesehen werden konnte, was im Rückschluss bedeutet, dass er mindestens 24 bis 48 Stunden zurückliegen musste. Außerdem war es vor der Einlieferung zu einem einschneidenden Ereignis gekommen, während in den Folgetagen der Zustand der Klägerin gleichbleibend schlecht blieb. Dass die Beschwerden in diesen Tagen leicht fluktuierten, war der Lage des Infarktes im Kleinhirn geschuldet und deutet nicht auf nachträgliche Verschlechterungen bzw. einen Infarkt erst während des stationären Aufenthaltes hin.

Auch der Umstand, dass die später hinzugezogene Neurologin keine Auffälligkeiten festgestellt hat, lässt keine Zweifel an den Ausführungen des Sachverständigen D2 aufkommen, dass sich im Rahmen einer rechtzeitigen konsiliarischen Untersuchung Auffälligkeiten gezeigt hätten. Denn die spätere Untersuchung durch die Neurologin ist unvollständig und grob fehlerhaft erfolgt. Da erforderliche Tests und Lagerungsversuche nicht dokumentiert sind, obwohl die Dokumentation aus medizinischen Gründen notwendig gewesen wären, muss die Kammer mit dem Sachverständigen davon ausgehen, dass diese nicht durchgeführt wurden (§ 630 h Abs. 3 BGB). Die Beklagte behauptet auch keine weitergehenden Untersuchungen. Da tatsächlich ein Kleinhirninfarkt vorgelegen hatte, hat der Sachverständige keine Zweifel gelassen, dass sich bei einer ordnungsgemäßen und rechtzeitigen Untersuchung Auffälligkeiten gezeigt hätten.

Hieraus hätte sich ein reaktionspflichtiges Ergebnis ergeben. Es hätte zunächst eine CT-Untersuchung veranlasst werden müssen. Obwohl man den noch "frischen" Infarkt in einem CT nicht hätte erkennen können, wäre es gleichwohl fehlerhaft gewesen, keine bildgebenden Befunde zu erheben, weil diese zum Ausschluss einer Blutung - im Wege der Kontraindikation - notwendig gewesen waren. Es hätte sich gezeigt, dass keine Blutung vorgelegen hat. Sodann wäre die Einleitung einer Lyse-Behandlung bei der Klägerin angezeigt gewesen.

Die Kammer hat die Frage der Lysebehandlung mit dem Sachverständigen eingehend erörtert. Der Indikation einer solchen hätten hier weder der vorhergehende Schlaganfall noch die Aspirin-Gabe noch die Symptomatik der Klägerin entgegengestanden. Denn der erste Schlaganfall der Klägerin lag bereits so lange zurück, dass eine Vernarbung des Hirngewebes eingetreten und dadurch keine Blutung zu befürchten war. Die Aspiringabe führte ebenfalls zu keiner wesentlichen Erhöhung der Blutungsgefahr. Und gerade bei Kleinhirninfarkten ist eine Lysebehandlung angezeigt, weil man immer mit einer Verschlechterung rechnen muss, da für das anschwellende Hirngewebe wenig Platz verbleibt, und die Lysebehandlung zu positiven Ergebnissen führt. Nur bei einer schweren Symptomatik - die hier nicht vorlag - wäre eine Lysebehandlung kontraindiziert gewesen. Der Sachverständige D2 hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er das Unterlassen einer Lysebehandlung nach Feststellung der neurologischen Ausfälle und Ausschluss einer Blutung als grob fehlerhaft ansieht. Die Studienlage in den letzten 15 Jahren spricht eindeutig für eine Verbesserung der Prognose.

Soweit der Sachverständige D2 - wie zuvor dargestellt - bei der tatsächlich durchgeführten neurologischen Untersuchung und auch im weiteren Verlauf der Behandlung Versäumnisse bejaht, weil auf die weiter bestehenden Beschwerden der Klägerin nicht in adäquater Weise reagiert wurde, kann die Bewertung dieser Versäumnisse dahinstehen. Denn selbst bei adäquater Behandlung hätte sich an der Therapie nichts geändert. Bereits im Zeitpunkt der tatsächlichen Untersuchung durch die Neurologin war das Zeitfenster für die Lyse geschlossen und somit eine solche Therapie nicht mehr möglich. Auch durch eine vorzeitige Umstellung der Medikamente, wie sie später im Krankenhaus in O2 erfolgt ist, hätte keine Besserung erreicht werden können. Zwar meint der Sachverständige D2 , dass man die Klägerin in ihrer Not und ihrer Angst nicht hätte alleine lassen dürfen. Die Kammer kann aber insoweit keinen schmerzensgeldrelevanten Schaden feststellen. Denn der Ehemann der Klägerin hat bekundet, dass seine Ehefrau sich gut versorgt fühlte - wenn er persönlich auch anderer Auffassung war. Durch die Versäumnisse ist weder ein körperlicher Schaden entstanden noch ein greifbar seelischer.

Maßgeblich ist daher für die Kammer allein die nicht rechtzeitige Erstuntersuchung durch einen Neurologen. Infolge dessen, dass hier Befunde durch den Neurologen nicht rechtzeitig erhoben wurden und der unterbliebene Befund mit hinreichender Sicherheit ein reaktionspflichtiges Ergebnis erbracht hätte, und ferner eine Nichtreaktion auf diesen Befund sich als grob fehlerhaft erwiesen hätte, greift eine Beweislastumkehr zugunsten der Klägerin (§ 630 h Abs. 5 S. 2 BGB). Wie der Sachverständige D2 ausgeführt hat, ist der Verlauf äußerst glimpflich gewesen. Dennoch geht er unter Hinweis auf die Studienlage davon aus, dass die Chance auf eine vollständige Rehabilitation nach Durchführung einer Lyse-Therapie deutlich höher ist als ohne Durchführung einer solchen Behandlung. Daher konnte er trotz der insgesamt sehr guten Genesung der Klägerin auch nicht ausschließen, dass eine Lyse-Therapie zur weiteren Besserung der Restschäden und Restbeschwerden geführt hätte.

Nicht als Folge der unterlassenen Befunderhebung und Behandlung ist jedoch anzusehen, dass die Klägerin Konzentrationsprobleme beklagt, die auch ihr Ehemann als Zeuge bestätigt hat. Der Sachverständige D2 hat mit der Klägerin eine Vielzahl an Testungen über mehrere Stunden durchgeführt und die Krankenunterlagen hinsichtlich der bereits vorliegenden Folgen nach dem Schlaganfall im Jahr 2008 ausgewertet. Dabei hat er festgestellt, dass die Intelligenz der Klägerin im unteren Normbereich liegt. Bereits nach dem ersten Schlaganfall klagte sie über eine verminderte kognitive Belastbarkeit mit einer Besserung nach einem Jahr. Kognitive Störungen, die durch den Schlaganfall am 25.03.2014 hervorgerufen worden sein könnten, hat der Sachverständige nicht feststellen können. Dies erklärt sich bereits daraus, dass eine Narbe im Kleinhirnbereich nicht zu kognitiven Beeinträchtigungen führt. Die Klägerin hat im Übrigen die Testungen über mehrere Stunden ohne Probleme durchgehalten. Soweit die Klägerin dennoch über eine kognitive Ermüdung klagt, die auch ihr Ehemann, als Zeuge befragt, bestätigt, ist diese durch andere Erkrankungen und Umstände erklärlich. Abgesehen von der Adipositas leidet die Klägerin an einem Schlafapnoe-Syndrom mittelschweren Grades, das nicht im Zusammenhang mit dem Infarkt steht. Dieses führt zu einer Tagesmüdigkeit. Ferner nimmt sie das Medikament Betahistin ein, das beide Sachverständige übereinstimmend als unwirksam ansehen und das zu Müdigkeit führt. Der Klägerin ist schon seit dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen D2 bekannt, dass das Medikament nur Nebenwirkungen hat und für ihre Beeinträchtigung ungeeignet ist. Wenn sie dennoch - wenn auch ärztlich beraten - das Medikament nicht absetzt, können die darauf beruhenden Beeinträchtigungen jedenfalls nicht als Dauerfolge dem Schadensereignis zugerechnet werden, sondern nur als vorübergehende Beeinträchtigung, weil sie irrig eine Zeitlang die Medikamenteneinnahme aufgrund ihrer Schwindelproblematik für angezeigt hielt.

Auch hinsichtlich der verlangsamten Sprechgeschwindigkeit kann die Kammer mit dem Sachverständigen D2 keine dauerhafte Verschlechterung feststellen. Wie auch der Ehemann bestätigt hat und sich aus dem Krankenunterlagen ergibt, lag bereits nach dem ersten Schlaganfall eine Sprachproblematik vor. Soweit sich diese zwischenzeitlich durch den frischen zweiten Infarkt wieder verstärkt hatte, hat sie sich erneut zurückgebildet.

Als Dauerschäden infolge des Schlaganfalls sind deshalb nur leichte Störungen der Feinmotorik an den Fingern der linken Hand verblieben sowie mehrmals am Tag auftretende kurze phobische Reaktionen mit zentralem Schwindel - dies insbesondere beim Aufstehen aus dem Sitzen - sowie eine leichte Angstsymptomatik ohne psychiatrischen Befund. Es liegt kein behandlungsbedürftiger Dauerschwindel vor. Die bei der Klägerin noch vorliegende gelegentliche Unsicherheit beeinträchtigt sie nicht wesentlich beim Gehen oder der sonstigen Bewältigung des Alltags. Zwar sollte sie wegen ihres Schwindels Leitern nicht besteigen. Davon abgesehen sieht der Sachverständige D2 keine Beeinträchtigungen in der Haushaltsführung; so ist die Klägerin durchaus in der Lage, schwere Sachen zu heben, mag auch der Ehemann ihr nach seinen Angaben dabei zur Hilfe kommen. Aber auch der Aussage des Ehemannes hat die Kammer entnehmen können, dass die Klägerin in der Lage ist, den Haushalt zu führen.

Was die Erwerbsfähigkeit angeht, erachtet der Sachverständige den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 40 als großzügig bemessen. Der Schwindel und die Störungen der Feinmotorik hindern die Klägerin nicht, ihrer ursprünglichen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Im Wege stehen nur die Konzentrationsstörungen, die nicht infarktbedingt sind.

Soweit der Ehemann, als Zeuge befragt, angab, dass sich der Zustand der Klägerin insgesamt im Vergleich zum Zustand vor dem ersten Schlaganfall erheblich verschlechtert habe, kann dies die Kammer durch die zahlreichen vom Sachverständigen D2 durchgeführten Tests nicht als bestätigt ansehen. Vielmehr liegen nur in wenigen Teilbereichen weitere Beeinträchtigungen vor, die durch eine rechtzeitige Behandlung hätten verhindert werden können.

Nach allem hält die Kammer den titulierten Betrag von 15.000,00 € für ausreichend, um die Klägerin für ihre Leidenszeit, die erlittenen Schäden und die noch bestehenden Folgen zu entschädigen und insoweit der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion zu entsprechen, § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Zahlung eines über diesen Betrag hinausgehenden Schmerzensgelds ist nicht angezeigt.

Darüber hinaus hat die Klägerin einen Anspruch auf Feststellung der Pflicht zum weiteren Ersatz der materiellen Schäden und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden sowie auf Erstattung der vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten nach §§ 280, 630a BGB bzw. §§ 823 ff. BGB. Auf die obigen Darlegungen wird verwiesen. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind in Höhe einer 2-fachen Gebühr nebst Auslagenlagenpauschale und MWSt nach einem Streitwert von 20.000,00 € berechtigt.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Ein Zinsbeginn zum 31.10.2014 war nicht begründet, weil die geltend gemachten Ansprüche im Schreiben des klägerischen Vertreters vom 29.09.2014 noch nicht hinreichend bestimmt und konkretisiert dargelegt wurden. Damit war der in diesem Schreiben geltend gemachte Anspruch so zumindest noch nicht durchsetzbar, folglich konnte diesbezüglich auch noch kein Verzug eintreten (vgl. Palandt/Grüneberg, 75. Aufl. 2016, § 286 Rn. 9).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.