LG Köln, Beschluss vom 18.05.2017 - 31 O 58/16
Fundstelle
openJur 2020, 662
  • Rkr:
Tenor

I.

Das Verfahren wird gemäß § 148 ZPO ausgesetzt.

II.

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung des der Artikel 7 und 9 der VERORDNUNG (EU) Nr. 1007/2011 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 27. September 2011 über die Bezeichnungen von Textilfasern und die damit zusammenhängende Etikettierung und Kennzeichnung der Faserzusammensetzung von Textilerzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 73/44/EWG des Rates und der Richtlinien 96/73/EG und 2008/121/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 272/6 vom 18.10.2011)

folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Ist Artikel 7 Abs. 1 VERORDNUNG (EU) Nr. 1007/2011 dahingehend auszulegen, daß zwingend eine Klarstellung zu erfolgen hat, daß es sich um ein reines, ausschließlich aus einer Faser bestehendes Textilerzeugnis handelt?

2.

Ist die Verwendung eines der drei in Artikel 7 VERORDNUNG (EU) Nr. 1007/2011 genannten Zusätze "100 %", "rein" oder "ganz" zwingend oder handelt es sich nur um eine Option für solche Erzeugnisse aber nicht um eine Verpflichtung?

3.

Gilt die Verpflichtung nach Artikel 9 Abs. 1 VERORDNUNG (EU) Nr. 1007/2011, auf dem Etikett oder der Kennzeichnung von Textilerzeugnissen die Bezeichnung und den Gewichtsanteil aller im Erzeugnis enthaltenen Fasern anzugeben, auch für reine Textilerzeugnisse, wie sie unter Artikel 7 VERORDNUNG (EU) Nr. 1007/2011 fallen?

Gründe

I.

1.

Die Parteien streiten um Kennzeichnungspflichten im Rahmen der Bewerbung und des Vertriebs von Textilerzeugnissen.

Die Beklagte wirbt für Textilprodukte wie nachfolgend wiedergegeben:

(Es folgt eine 10-seitige Darstellung)

Der Kläger beanstandete das Internetangebot der Beklagten wegen Verstoßes gegen §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 3, 4 Nr. 11 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (im Folgenden UWG) in der bis zum 10.12.2015 geltenden Fassung bzw. §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 3, 3 a UWG in der ab dem 10.12.2015 geltenden Fassung in Verbindung mit Artikel 5 Abs. 1, Artikel 9 Abs. 1, Artikel 16 Abs. 1 der VERORDNUNG (EU) Nr. 1007/2011 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 27. September 2011 über die Bezeichnungen von Textilfasern und die damit zusammenhängende Etikettierung und Kennzeichnung der Faserzusammensetzung von Textilerzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 73/44/EWG des Rates und der Richtlinien 96/73/EG und 2008/121/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (im Folgenden: Textilkennzeichnungsverordnung).

Gegen die Beklagte ist am 05.07.2016 Versäumnisurteil ergangen (Bl. 30 ff. d.A.). Gegen dieses Versäumnisurteil hat sie mit Schriftsatz vom 25.07.2016 (Bl. 60 ff. d.A.) Einspruch eingelegt. Über den Einspruch gegen das Versäumnisurteil ist am 31.01.2017 mündlich verhandelt worden. Mit Verfügung der Kammer vom 16.03.2017 sind die Parteien darauf hingewiesen worden, daß die Kammer beabsichtigt, eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union im Vorabentscheidungsverfahren zu richten. Den Parteien ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Mit Beschluß der Kammer vom 19.04.2017 ist die mündliche Verhandlung nach § 156 ZPO wiedereröffnet worden.

2.

§ 4 Nr. 11 UWG in der bis zum 10.12.2015 geltenden Fassung sah vor:

§ 4 Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen

Unlauter handelt insbesondere, wer

[...]

11. einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.

§ 4 Nr. 11 UWG a.F. ist durch § 3 a UWG n.F. ersetzt worden.

§ 3 a UWG n.F. sieht vor:

§ 3a Rechtsbruch

Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

§ 8 UWG sieht vor:

§ 8 Beseitigung und Unterlassung

(1) Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch auf Unterlassung besteht bereits dann, wenn eine derartige Zuwiderhandlung gegen § 3 oder § 7 droht.

(2) Werden die Zuwiderhandlungen in einem Unternehmen von einem Mitarbeiter oder Beauftragten begangen, so sind der Unterlassungsanspruch und der Beseitigungsanspruch auch gegen den Inhaber des Unternehmens begründet.

(3) Die Ansprüche aus Absatz 1 stehen zu:

1.

jedem Mitbewerber;

2.

rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, wenn sie insbesondere nach ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande sind, ihre satzungsmäßigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen tatsächlich wahrzunehmen und soweit die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührt;

3.

qualifizierten Einrichtungen, die nachweisen, dass sie in der Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes oder in dem Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. L 110 vom 1.5.2009, S. 30) eingetragen sind;

4.

den Industrie- und Handelskammern oder den Handwerkskammern.

(4) Die Geltendmachung der in Absatz 1 bezeichneten Ansprüche ist unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. In diesen Fällen kann der Anspruchsgegner Ersatz der für seine Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen verlangen. Weiter gehende Ersatzansprüche bleiben unberührt.

(5) § 13 des Unterlassungsklagengesetzes ist entsprechend anzuwenden; in § 13 Absatz 1 und 3 Satz 2 des Unterlassungsklagengesetzes treten an die Stelle der dort aufgeführten Ansprüche nach dem Unterlassungsklagengesetz die Ansprüche nach dieser Vorschrift. Im Übrigen findet das Unterlassungsklagengesetz keine Anwendung, es sei denn, es liegt ein Fall des § 4a des Unterlassungsklagengesetzes vor.

II.

Die Entscheidung hängt von der Frage ab, ob und in welcher Weise Artikel 7 Abs. 1 Textilkennzeichnungsverordnung im vorliegenden Fall auf das Werbeangebot der Beklagten anwendbar ist.

1.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dienen Bestimmungen, der Textilkennzeichnungsverordnung, welche die Kennzeichnung von Textilprodukten regeln, dem Schutz der Verbraucher und stellen damit Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 3a UWG, § 4 Nr. 11 UWG a.F. dar (vgl. BGH, Urteil vom 24.03.2016 - I ZR 7/15, BeckRS 2016, 13951; OLG Hamm, Beschluss vom 20. Februar 2014 - 4 W 19/14, juris Rn. 11; LG Köln, MMR 2015, 259; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 34. Aufl., § 3a Rn. 1.194 und 1.211; MünchKomm.UWG/Schaffert, 2. Aufl., § 4 Nr. 11 Rn. 206 und 220 mwN).

Artikel 9 Textilkennzeichnungsverordnung sieht vor:

"Multifaser-Textilerzeugnisse

(1) Auf dem Etikett oder der Kennzeichnung von Textilerzeugnissen werden die Bezeichnung und der Gewichtsanteil aller im Erzeugnis enthaltenen Fasern in absteigender Reihenfolge angegeben."

Artikel 7 Textilkennzeichnungsverordnung sieht vor:

"Reine Textilerzeugnisse

(1) Nur Textilerzeugnisse, die ausschließlich aus einer Faser bestehen, dürfen den Zusatz "100 %", "rein" oder "ganz" auf dem Etikett oder der Kennzeichnung tragen.

Für andere Textilerzeugnisse dürfen diese oder ähnliche Formulierungen nicht verwendet werden."

2.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Textilkennzeichnungsverordnung sehe für solche "Reinen Textilerzeugnisse" nicht die Pflicht vor, diese mit "rein" oder "ganz" als Zusatz zu bezeichnen, sondern stelle lediglich klar, daß nur "reine Textilerzeugnisse" diese Zusätze führen dürften. Dies sei eine Option nur für diese Erzeugnisse. Artikel 7 Textilkennzeichnungsverordnung bezeichne diese Zusätze aber nicht als zwingend, ihre Verwendung sei keine Verpflichtung.

3.

Der Kläger ist demgegenüber der Auffassung, eine Klarstellung, daß es sich um ein reines Textilerzeugnis handele habe zwingend zu erfolgen. Es dürfe lediglich zwischen den drei Darstellungsalternativen "100 %" oder "rein" oder "ganz" gewählt werden. Die Angabe des Nettogewichts im Vomhundertsatz bzw. die Angabe "rein" oder "ganz" dürften aber nicht gänzlich fehlen. Die Verpflichtung nach Artikel 9 Textilkennzeichnungsverordnung, daß Gewichtsanteile der in einem Erzeugnis verwendeten textilen Fasern angegeben werden, gelte auch für Erzeugnisse, die nur aus einer Faser bestehen. Der Zusatz "rein" dürfe auch nicht neben "100 %", sondern nur an dessen Stelle verwendet werden. Unzulässig sei die Angabe "100 % reine Baumwolle (vgl. Lange/Quednau, Kommentar zur europäischen Textilkennzeichnungsverordnung, Art. 7 2., S. 74), aber auch "nur Baumwolle" oder schlicht "Baumwolle" ohne weitere Angaben.

4.

Aus dem Wortlaut der Bestimmungen in Artikel 7 und Artikel 9 Textilkennzeichnungsverordnung lässt sich keine eindeutige Auslegung ableiten. Dies gilt auch mit Blick auf die englische und französische Sprachfassung.

Die Formulierung "Nur Textilerzeugnisse, die ausschließlich aus einer Faser bestehen dürfen...[...]" legt den Schluß nahe, daß keine Verpflichtung statuiert werden soll, sondern lediglich eine Möglichkeit zur Verwendung der drei besonders werbeträchtigen, weil Reinheit versprechenden Zusätze "100 %", "rein" oder "ganz" gegeben werden soll. Systematisch vermitteln die Überschriften von Artikel 7 Textilkennzeichnungsverordnung: "Reine Textilerzeugnisse" und Artikel 9: "Multifaser-Textilerzeugnisse", daß sich die jeweilige Bestimmung in ihrem Anwendungsbereich ausschließlich auf diese benannten Faserzusammensetzungen beschränkt. Es ist aus dem Wortlaut und der Stellung der Bestimmungen zueinander nicht ersichtlich, daß Artikel 9 als Generalnorm zu verstehen sei, die auch den Anwendungsbereich von Artikel 7 mitumfasst. Andererseits würde dies bedeuten, daß "Reine Textilerzeugnisse" grundsätzlich überhaupt keiner Kennzeichnungspflicht unterliegen würden, sondern lediglich eine Option dazu besteht. Dies erschiene aus Gründen einer Irreführungsgefahr für den Verbraucher bedenklich. Aus Gründen des Verbraucherschutzes ist jedoch nicht ersichtlich, weshalb bei Textilerzeugnissen, die ausschließlich aus einer Faser bestehen, die drei vorgesehenen Zusätze nicht auch miteinander kombiniert werden sollten (Beispiel: "100 % reine Baumwolle"). Die Kammer neigt dazu, für reine Textilerzeugnisse keine Verpflichtung zur ausschließlichen Kennzeichnung mit wahlweise einem der Zusätze "100 %", "rein" oder "ganz" anzunehmen. Die aufgeworfenen Fragen sind im Streitfall entscheidungserheblich. Davon hängt ab, ob das ergangene Versäumnisurteil in vollem Umfang aufrechterhalten werden kann.