VG Köln, Urteil vom 17.12.2019 - 7 K 4083/18
Fundstelle
openJur 2020, 356
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der am 00.00.1975 geborene und zu 50 % schwerbehinderte Kläger war seit dem 01.12.2004 bei der Beigeladenen in deren Importlager in G. als Lagerarbeiter beschäftigt.

Unter dem 31.03.2017 beantragte die Beigeladene beim Integrationsamt des Beklagten die Zustimmung zur ordentlichen betriebsbedingten Kündigung des Klägers. Sie begründete dies damit, dass ihre Gesellschafterversammlung am 03.03.2017 den Entschluss gefasst habe, den Betrieb in G. aus wirtschaftlichen und strukturellen Gründen zum 30.06.2017 aufzugeben. Für den Kläger bestehe keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit. Die Kündigung sei zum 30.06.2017 beabsichtigt.

Mit Schreiben an die Beigeladene vom 23.05.2017 bestätigte der Beklagte den Eintritt der Zustimmungsfiktion gemäß § 89 SGB IX a.F. Die Zustimmung zur Kündigung gelte daher gemäß § 88 Abs. 5 Satz 2 SGB IX a.F. als erteilt.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Eine vollständige Betriebsstilllegung habe nicht stattgefunden. Die Beigeladene errichte im Rheinhafen von L. ein neues Importlager, in dem rund 300 Arbeitnehmer beschäftigt werden sollten. 9 Mitarbeiter aus G. seien nach L. versetzt worden. Bei einer Sozialauswahl sei er - der Kläger - nicht zu kündigen gewesen. Dem trat die Beigeladene entgegen. Das Lager in G. sei stillgelegt; es würden nur noch geringfügige Restarbeiten durchgeführt. Im Rahmen einer Massenentlassungsanzeige nach § 17 des Kündigungsschutzgesetzes sei allen in G. beschäftigten Arbeitnehmern gekündigt worden. Einen Zusammenhang mit der Schwerbehinderung des Klägers habe seine Kündigung nicht. Das neue Zentrallager in L. werde nicht von ihr betrieben. Eine Versetzung von Mitarbeitern von G. nach L. habe nicht stattgefunden.

Die Kündigung des Klägers durch die Beigeladene erfolgte zum 30.11.2017.

Die erhobene Kündigungsschutzklage wies das Arbeitsgericht L1. 0it Urteil vom 10.01.2018 - 0 xx 0000/00 - ab. In den Entscheidungsgründen ist u.a. ausgeführt, dass zwischen den Beteiligten mittlerweile unstreitig sei, dass das Lager in G. jedenfalls zum 31.08.2017 tatsächlich stillgelegt sei. Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem freien Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen der Beigeladenen bestehe nicht. Der Kläger habe diesbezüglich nichts vorgetragen. Auf das neue Lager in L. komme es nicht an. Es gehöre nicht zum Unternehmen der Beigeladenen. Der Kündigungsschutz sei nicht konzernbezogen. Der Arbeitgeber sei nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer in dem Betrieb eines anderen Unternehmens unterzubringen. Dies ergebe sich schon daraus, dass dies einen Wechsel des Vertragspartners auf Arbeitgeberseite voraussetze. Eine Sozialauswahl sei entbehrlich gewesen, weil allen Arbeitnehmern gekündigt worden sei.

Die hiergegen eingelegte Berufung nahm der Kläger nach ausführlicher Erörterung in der mündlichen Verhandlung des Landesarbeitsgerichts vom 15.11.2018 zurück.

Zuvor wies der Widerspruchsausschuss des Beklagten den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 23.05.2017 mit Widerspruchsbescheid vom 25.04.2018 als unbegründet zurück.

Der Kläger hat am 30.05.2018 die vorliegende Klage erhoben, mit der er sich gegen die Bestätigung der Zustimmungsfiktion wendet. Er wiederholt und vertieft das Vorbringen aus dem arbeitsgerichtlichen Verfahren. Arbeitnehmer aus dem Lager G. seien angefragt worden, ob sie in dem neuen Lager In L. arbeiten wollten. Damit habe die Beigeladene freiwillig eine Sozialauswahl getroffen und sich dementsprechend gebunden. Bei einer Betriebsversammlung seien die Arbeitnehmer aufgefordert worden, sich für das neue Lager zu melden. Insoweit habe ein Teil-Betriebsübergang nach § 613 a BGB stattgefunden. Die Mitarbeiter in G. seien befragt worden, wer bereit sei, mit nach L. zu gehen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 23.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2018 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Zustimmung zur ordentlichen betriebsbedingten Kündigung zu versagen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die getroffene Ermessensentscheidung sei rechtsfehlerfrei. Da der Betrieb insgesamt stillgelegt worden sei, bedürfe es keiner Überprüfung einer Sozialauswahl.

Die Beigeladene bestreitet, dass sie Arbeitnehmern aus G. angeboten habe, bei einem Schwesterunternehmen in L. zu arbeiten. Dies habe auch das Landesarbeitsgericht so gesehen und darauf hingewiesen, dass weder eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit noch eine Verpflichtung zur Sozialauswahl bestanden habe.

Sie beantragt ebenfalls,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie des Verfahren ArbG L1. - 0 xx 0000/00 - und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des beklagten Landschaftsverbandes Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig.

Der Klage dürfte das Rechtsschutzinteresse noch nicht allein deshalb zu versagen sein, weil der Kläger vor dem Landesarbeitsgericht die Berufung gegen das klageabweisende arbeitsgerichtliche Urteil zurückgenommen hat. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn die Fortsetzung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nach Rücknahme des Rechtsmittels im arbeitsgerichtlichen Verfahren dem Kläger keinen rechtlichen Vorteil mehr verschaffen kann. Dies folgt aus § 7, 1. Halbsatz des Kündigungsschutzgesetzes. Hiernach gilt eine Kündigung als von Anfang an rechtswirksam, wenn ihre Rechtsunwirksamkeit nicht rechtzeitig geltend gemacht wird. Dies gilt nach allgemeiner arbeitsrechtlicher Auffassung auch dann, wenn eine Kündigungsschutzklage zunächst erhoben, später aber zurückgenommen wird. Die Klagerücknahme bewirkt rückwirkend auf den Tag des Zugangs der Kündigung deren Rechtswirksamkeit. Hieran kann auch eine nachträgliche Aufhebung der Zustimmungserklärung durch das Verwaltungsgericht nichts ändern. Nach Abschluss des arbeitsgerichtlichen Verfahrens ergibt diese Aufhebung nur dann rechtlich Sinn, wenn der schwerbehinderte Mensch Restitutionsklage vor dem Arbeitsgericht entsprechend § 580 Nr. 7 lit. b ZPO erheben und so effektiven Rechtsschutz gegen die Kündigung erlangen kann. Dies setzt aber eine arbeitsgerichtliche Entscheidung voraus, an der es fehlt, wenn die Klage vor dem Arbeitsgericht zurückgenommen wurde.

Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 20.11.2014 - 13 K 546/14 -; BayVGH, Beschluss vom 28.11.2008 - 12 BV 06.3422 -; BAG, Urteil vom 02.03.2006 - 2 AZR 53/05 -; Hiava, Zweigleisiger Rechtsschutz gegen die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers, jurisPR-ArbR 9/2015 Anm. 6.

Hat der Arbeitnehmer jedoch nicht die Kündigungsschutzklage, sondern die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zurückgenommen, verbleibt das Substrat einer Restitutionsklage in Form der arbeitsgerichtlichen Entscheidung.

Die Klage ist jedoch nicht begründet, da der Beklagte rechtsfehlerfrei den Eintritt der Zustimmungsfiktion festgestellt hat und die Zustimmung zur Kündigung nach § 89 Abs. 1 SGB IX a.F. hätte erteilt werden müssen. Der Bescheid vom 23.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2018 ist folglich rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Gemäß § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IX a.F. erteilt das Integrationsamt die Zustimmung bei Kündigungen in Betrieben und Dienststellen, die nicht nur vorübergehend eingestellt oder aufgelöst werden, wenn zwischen dem Tag der Kündigung und dem Tag, bis zu dem Gehalt oder Lohn gezahlt wird, mindestens drei Monate liegen (sog. Muss-Zustimmung). Es ist zwischen den Beteiligten spätestens seit dem arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht mehr streitig, dass der Lagerbetrieb der Klägerin in G. endgültig stillgelegt ist. Die Weiterbeschäftigung des Klägers auf einem anderen Arbeitsplatz wäre nur dann in Betracht zu ziehen gewesen, wenn es sich um einen Arbeitsplatz in einem anderen Betrieb oder einer anderen Dienststelle desselben Arbeitgebers gehandelt hätte. Ein solcher Arbeitsplatz stand aber schon deshalb nicht zur Verfügung, weil das Zentral-Importlager in L. - ebenso unstreitig - nicht von der Beigeladenen, sondern einem konzernverbundenen Unternehmen betrieben wurde. Ein Weiterbeschäftigungsanspruch innerhalb des Konzerns besteht grundsätzlich auch für Schwerbehinderte nicht,

vgl. BAG, Urteil vom 23.11.2004 - 2 AZR 24/04 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 21.10.2011 - 13 K 2550/11 - (zu § 18 BEEG),

denn es fehlt an einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Betrieb desselben Arbeitgebers.

Diese Umstände waren bereits Gegenstand der Erörterung vor dem Landesarbeitsgericht. Aus schwerbehindertenrechtlicher Sicht ist ihnen nichts hinzuzufügen. Insbesondere begründet der - hier unterstellte - Umstand, dass im Rahmen der Massenentlassung einzelne Arbeitnehmer befragt wurde, ob sie bereit seien "mit nach L. " zu gehen. Hiermit ist nichts für einen Teil-Betriebsübergang oder eine Sozialauswahl dargetan, ungeachtet der Frage, ob diese Umstände in Zusammenhang mit der Zustimmungsentscheidung berücksichtigungsfähig wären.

Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffende Begründung des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2018 verwiesen, der sich das erkennende Gericht in vollem Umfang anschließt, § 117 Abs. 5 VwGO.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, weil sie einen Klageabweisungsantrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,

2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,

3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

Statt in Schriftform können die Einlegung und die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) erfolgen.

Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.

Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.

Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.

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