OLG Hamm, Urteil vom 12.11.2018 - 3 U 33/18
Fundstelle
openJur 2020, 305
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 22.02.2018 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin abgeändert.

Die Klage wird auch in Bezug auf den Beklagten zu 2) abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die im Jahr 1963 geborene Klägerin ließ sich am 18. und 21.03.2013 die natürlichen Augenlinsen durch bifokale Kunstlinsen ersetzen. Operateur war jeweils der Beklagte, ein niedergelassener Augenarzt (erstinstanzlich: Beklagter zu 2). Die Operationen fanden in den Räumlichkeiten der erstinstanzlichen Beklagten zu 1 statt. Ziel der Operationen war die Beseitigung der erheblichen Kurzsichtigkeit der Klägerin bei gleichzeitiger Bewahrung der Nahsicht. Nach den Operationen klagte die Klägerin über erhebliche Sehprobleme, insbesondere beim nächtlichen Autofahren. Es schlossen sich mehrere Folgeeingriffe an. Am 08.12.2015 erfolgte schließlich ein Austausch der linken Bifokallinse gegen eine Monofokallinse im Pkenhaus A.

Die Klägerin hat erstinstanzlich Behandlungsfehlervorwürfe und Aufklärungsrügen erhoben. Sie hat ein Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 35.000 €, die Rückzahlung von 4.962 € Operationshonorar sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend gemacht. Ferner hat sie die Feststellung der Einstandspflicht der beiden erstinstanzlichen Beklagten für weitere materielle und immaterielle Schäden begehrt.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands und zur näheren Darstellung der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klägerin und den Beklagten persönlich angehört und ein augenärztliches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H eingeholt. Sodann hat es den Beklagten verurteilt, 6.000 € Schmerzensgeld und weitere 4.962 € (Operationshonorare) an die Klägerin zu zahlen, ferner hat es die Einstandspflicht des Beklagten für weitere materielle und immaterielle Schäden festgestellt. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Tenor des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landgericht, soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Ein Behandlungsfehler des Beklagten sei nicht feststellbar, insbesondere seien die Operationen vom 18. und 21.03.2013 medizinisch (relativ) indiziert gewesen. Eine Haftung des Beklagten ergebe sich aber unter dem Aspekt einer unzureichenden Aufklärung. Aufgrund der nur relativen Operationsindikation seien hohe Anforderungen an die Aufklärung zu stellen. Es stehe nicht fest, dass der Beklagte die besondere Problematik des Sehens im Dunkeln, vor allem beim Autofahren, thematisiert habe. Unter Berücksichtigung der beruflichen Tätigkeit der Klägerin hätte, so das Landgericht, das Risiko eines Verlusts der Nachtfahrfähigkeit ausdrücklich angesprochen werden müssen. Der Einwand der hypothetischen Einwilligung greife nicht durch. Bei der Schmerzensgeldbemessung sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin bis zu dem linksseitigen Linsenaustausch vom 08.12.2015 unter Halos und Problemen beim Kontrastsehen gelitten habe und nicht nachtfahrfähig gewesen sei. Außerdem seien die Folgeeingriffe vom 24.06.2013, 19.08.2013 und 08.12.2015 zu berücksichtigen. Das ebenfalls im Dezember 2015 festgestellte Makulaschichtforamen wirke nicht schmerzensgelderhöhend, da ein Kausalzusammenhang zu den rechtswidrigen Operationen nicht feststellbar sei, auch nicht gemäß § 287 ZPO. Das für die Operationen vom 18. und 21.03.2013 gezahlte Honorar müsse der Beklagte zurückzahlen, da die Operationen rechtswidrig gewesen seien und die Klägerin den Operationen bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht zugestimmt hätte. Eine Vorteilsanrechnung sei nicht veranlasst, da das erklärte Ziel der Klägerin, nämlich die Freiheit von Sehhilfen, nicht eingetreten sei. Der Feststellungsantrag sei wegen der Möglichkeit künftiger Schäden begründet. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten müsse der Beklagte nicht erstatten, da ihm gegenüber keine vorgerichtliche Anwaltstätigkeit stattgefunden habe.

Hiergegen richten sich die wechselseitigen Berufungen der Parteien.

Die Klägerin verfolgt ihre erstinstanzlichen Schlussanträge gegen den Beklagten (nicht aber gegen die erstinstanzliche Beklagte zu 1) vollumfänglich weiter.

Die Klägerin macht geltend, dass die Indikation der Operationen vom 18. und 21.03.2013 weiterhin nicht plausibel sei, insbesondere im Hinblick auf ihre berufliche Tätigkeit, die mit vielen Autofahrten bei Dunkelheit verbunden sei.

Die Klägerin meint, dass das Landgericht das Schmerzensgeld zu niedrig bemessen habe. Das Makulaschichtforamen und die Trockenheit des linken Auges seien Folge der Operationen. Aber auch ohne diese Folgen müsse das Schmerzensgeld höher ausfallen. Die Beeinträchtigung sei weiterhin erheblich, zudem und vor allem sei ihre Angst vor einer künftigen Verschlechterung zu berücksichtigen.

Die Klägerin vertritt die Ansicht, dass der Beklagte auch für die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hafte. Das an die erstinstanzliche Beklagte zu 1 adressierte Schreiben sei an den Beklagten weitergeleitet worden. Die Haftpflichtversicherung des Beklagten habe sich für diesen gemeldet.

Mit Schriftsatz vom 04.10.2018 hat die Klägerin noch vorgetragen, dass sie am 06.03.2013 bei der Voruntersuchung 20 Minuten lang in einem abgedunkelten Raum gesessen habe und nichts habe erkennen können. Dieser Umstand sei ärztlicherseits nicht weiter abgeklärt worden.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils unter Aufrechterhaltung des Urteils im Übrigen den Beklagten nach den Schlussanträgen erster Instanz zu verurteilen;

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen;

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Der Beklagte rügt, dass die Feststellung eines Aufklärungsdefizits durch das Landgericht überraschend gewesen sei. Das Landgericht habe sich insoweit über die Aussagen des Beklagten und über die eindeutige Bewertung des Sachverständigen, dass die Aufklärung "vorbildlich" gewesen sei, hinweggesetzt. Zudem habe das Landgericht die Beweisangebote des Beklagten (Zeuginnen Z und T) übergangen.

Der Beklagte macht geltend, dass sich das Risiko, nicht mehr im Dunkeln Auto fahren zu können, bei der Klägerin gar nicht realisiert habe.

Der Beklagte meint, dass das Landgericht auch den Einwand der hypothetischen Einwilligung zu Unrecht zurückgewiesen habe. Die entsprechenden Ausführungen im angefochtenen Urteil hätten keine Grundlage im protokollierten Vorbringen der Klägerin.

Mit Schriftsatz vom 01.08.2018 hat der Beklagte mitgeteilt, dass die von ihm zum Beweis der Aufklärung benannte Zeugin Z verstorben sei.

Der Senat hat die Parteien persönlich angehört, die Zeugin T zur Aufklärung vernommen und den Sachverständigen Prof. Dr. H ergänzend befragt. Wegen der Ergebnisse wird auf den Berichterstattervermerk (BEV) vom 14.11.2018 zum Senatstermin vom 12.11.2018 Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Die ebenfalls zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Beklagten führt hingegen zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur vollständigen Klageabweisung.

Die Klägerin hat keine vertraglichen oder deliktischen Ansprüche gegen den Beklagten aus der streitgegenständlichen Behandlung. Insbesondere kann sie weder ein Schmerzensgeld noch die Rückzahlung der für die Operationen vom 18. und 21.03.2013 gezahlten Honorare verlangen.

1. Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass kein Behandlungsfehler des Beklagten festgestellt werden kann.

a) Die Operationen vom 18. und 21.03.2013 waren medizinisch - wenn auch nur relativ - indiziert.

Der Sachverständige hat bereits erstinstanzlich plausibel dargelegt, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Implantation von Multifokallinsen im Fall der Klägerin wegen der beidseitigen Myopie und Presbyopie und dem Wunsch der Klägerin, sowohl bei der Fernsicht als auch beim Lesen ohne Sehhilfe auszukommen, erfüllt waren (S. 14 f. des Gutachtens vom 27.07.2016, S. 13 des Protokolls zum Termin vom 30.11.2017).

Soweit die Klägerin einwendet, dass sie noch gar nicht alterssichtig gewesen sei, hat das Landgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klägerin vor den Operationen bereits Gleitkontaktlinsen trug. Zudem hat der Sachverständige im Senatstermin überzeugend dargelegt, dass schon wegen des Alters der Klägerin von einer Presbyopie auszugehen war (S. 5 BEV). Dass die Klägerin aufgrund ihrer deutlichen Myopie vor den Operationen vermutlich noch ohne Sehhilfe lesen konnte, ändert nichts an der Presbyopie, also dem weitgehenden Verlust der Nahanpassungsfähigkeit des Auges mittels Akkommodation. Nach einer LASIK-Operation oder der Implantation von Monofokallinsen zur Myopie-Korrektur hätte die Klägerin eine Lesebrille benötigt, was sie nicht wünschte.

Der Senat folgt an dieser Stelle wie auch in den anderen medizinischen Fachfragen der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. H. Dieser konnte die an ihn gerichteten Fragen im Senatstermin klar und schlüssig beantworten, nachdem er bereits zuvor überzeugende schriftliche und mündliche Ausführungen gemacht hatte. An der theoretischen Befähigung und praktischen Erfahrung des Sachverständigen besteht kein Zweifel.

b) Entgegen der Ansicht der Klägerin stellte ihre berufliche Tätigkeit, die nach ihrer Darstellung mit häufigen Autofahrten in der Dunkelheit einhergeht, keine Kontraindikation dar. Die entsprechende Einschätzung des Sachverständigen (S. 5 BEV) ist plausibel. Zwar bestand ein gewisses Risiko, dass die Multifokallinsen dauerhaft zu erheblichen Problemen beim nächtlichen Autofahren führen würden. Es ist jedoch Sache des Patienten zu entscheiden, ob er ein solches Risiko eingehen will. Ob die Klägerin hinreichend über das Risiko aufgeklärt wurde, ist an dieser Stelle nicht maßgeblich.

c) Auch der präoperative Mesotest, der ein deutlich reduziertes Kontrastsehen bei Dämmerung ergab, stand der Implantation von Multifokallinsen dem Sachverständigen zufolge nicht entgegen (S. 5 BEV). Es sprach alles dafür, dass das schlechte Kontrastsehen wesentlich von einer Trübung der natürlichen Linsen herrührte, wohingegen künstliche Linsen klar sind (S. 6 BEV). Es war folglich nicht zu erwarten, dass es zu einer Addition der präoperativen Probleme und der prinzipbedingten Nachteile der Multifokallinsen - hier: Kontrastminderung durch zwei sich überlagernde Bilder - kommen würde.

d) Andere Behandlungsfehler macht die Klägerin in der Berufungsinstanz nicht mehr geltend und sind nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch nicht ersichtlich.

2. Entgegen dem angefochtenen Urteil waren die Operationen vom 18. und 21.03.2013 auch nicht wegen eines Aufklärungsmangels rechtswidrig. Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Beklagte die Klägerin hinreichend über die unerwünschten Nebenwirkungen und die Risiken der Implantation von Multifokallinsen aufklärte.

a) Nach Angaben der Klägerin litt diese nach den Operationen unter ausgeprägten Halos um Lichtquellen herum und einem stark reduzierten Kontrastsehen bei Gegenlicht, das sie auch als Blendung beschreibt. Diese Erscheinungen störten die Klägerin insbesondere beim nächtlichen Autofahren. Die Klägerin rügt, dass die präoperative Aufklärung zum Thema Halos verharmlosend gewesen sei. Auf Probleme beim nächtlichen Autofahren, Blendungen und ein reduziertes Kontrastsehen habe der Beklagte überhaupt nicht hingewiesen.

b) Demgegenüber hat der Beklagte im Senatstermin erklärt, dass er vor der Implantation von Multifokallinsen immer darauf hinweise, dass es zu Halos, Blendungen und einer Reduktion des Kontrastsehens komme. Er sage den Patienten auch, dass es gerade beim Autofahren in der Dunkelheit zu besonderen Problemen kommen könne.

Die Angaben des Beklagten waren glaubhaft. Der Beklagte hat dem Senat den Eindruck eines besonnenen, sorgfältigen und gewissenhaften Arztes vermittelt, dem eine vollständige Aufklärung seiner Patienten wichtig und selbstverständlich ist. Für die Glaubwürdigkeit des Beklagten spricht noch, dass er offen einräumte, das Ergebnis des Mesotests möglicherweise nicht mit der Klägerin besprochen zu haben. Da der Senat von einer ständigen, ausnahmslos praktizierten Aufklärungsübung des Beklagten überzeugt ist, kommt es nicht darauf an, inwieweit sich der Beklagte noch an die konkreten Gespräche mit der Klägerin erinnert.

Die Zeugin T war nicht bei der Aufklärung der Klägerin anwesend. Sie hat jedoch bestätigt, dass der Beklagte vor der Implantation von Multifokallinsen speziell über Kontrastverlust und Halos aufkläre und auch stets das Thema Autofahren bei Dunkelheit anspreche.

Die Angaben der persönlich angehörten Klägerin im Termin erschüttern die Überzeugung des Senats nicht. Die Klägerin hat erklärt, dass der Beklagte zwar über unvermeidliche Halos ("Heiligenscheine") um Lichtquellen herum gesprochen, aber auch gesagt habe, dass das Gehirn diese mit der Zeit wegrechne. Über das Kontrastsehen, Blendungen und das nächtliche Autofahren habe der Beklagte überhaupt nicht gesprochen. Dies hält der Senat für ausgeschlossen, zumal der

Beklagte - sachlich zutreffend - erklärt und betont hat, dass Halos, Blendungen und Kontrastminderungen für ihn zwingend miteinander verknüpft seien und gerade beim nächtlichen Autofahren Probleme bereiten könnten. Zudem besteht ein Widerspruch zwischen der Angabe der Klägerin, Blendungen seien in der Aufklärung kein Thema gewesen, und ihrer Angabe vor dem Landgericht, dass sie nach dem Gespräch mit dem Beklagten zu einer Bekannten mit Multifokallinsen gefahren sei und diese auf "das Blenden und die Halos" angesprochen habe. Die Erklärung der Klägerin, sie habe sich vor dem Landgericht "vielleicht falsch ausgedrückt", überzeugt nicht. Es stellt sich auch die Frage, weshalb die Klägerin mit ihrer Bekannten über Halos sprach, wenn sie aufgrund der Angaben des Beklagten davon ausging, dass ihr Gehirn diese ohnehin mit der Zeit "wegrechne". Möglicherweise kann sich die Klägerin heute nicht mehr an den gesamten Aufklärungsinhalt erinnern, was verständlich wäre. Demgegenüber ist es plausibel, dass der Beklagte genaue Auskunft geben kann, da er sich auf eine ständige Aufklärungsübung stützen kann.

Der Umstand, dass die von der Klägerin unterzeichnete Einverständniserklärung keine konkreten Angaben zu den hier fraglichen Nebenwirkungen und Risiken enthält, steht der Überzeugung des Senats ebenfalls nicht entgegen. Der Erklärung kommt keine wesentliche negative Indizwirkung zu. Sie enthält im Wesentlichen nur die pauschale Angabe, dass über "mögliche Komplikationen und Nebenwirkungen" gesprochen worden sei. Die konkrete Benennung des Risikos "Verlust des Auges" ist offensichtlich nicht abschließend und lässt daher nicht den Schluss zu, dass andere Risiken und Nebenwirkungen nicht besprochen worden seien.

c) Die Aufklärung durch den Beklagten war inhaltlich ausreichend, insbesondere nicht verharmlosend. Dabei ist dem Landgericht im Ausgangspunkt darin zuzustimmen, dass erhöhte Anforderungen an die Aufklärung zu stellen sind. Die Implantation der Multifokallinsen ist zwar nicht als Schönheitsoperation zu werten, sie war aber auch keineswegs medizinisch notwendig.

Der Sachverständige hat die vom Beklagten geschilderte Aufklärung bereits vor dem Landgericht als "vorbildlich" bewertet. Entsprechend hat er sich auch im Senatstermin geäußert (S. 5 BEV).

Der Einschätzung des Sachverständigen ist aus juristischer Sicht zuzustimmen:

Insbesondere war es richtig und geboten, dass der Beklagte die Halos, Blendungen und Kontrastverluste nicht als Risiken, sondern als notwendige Begleiterscheinungen der Multifokalkonstruktion darstellte (S. 2 BEV), wofür im Übrigen auch die Aufklärungsdokumentation vom 06.03.2013 in der Karteikarte des Beklagten spricht

("Hallos erklärt, Kontrastsehen red."). Dass der Beklagte nach eigenen Angaben darüber aufklärt, dass sich die Patienten in der Regel an die besagten Erscheinungen gewöhnen, ist nicht zu beanstanden. Eine solche Auskunft entspricht der Einschätzung des Sachverständigen. Ob die Gewöhnung auf einem "Wegrechnen" durch das Gehirn beruht, kann dahinstehen, wie das Landgericht in anderem Zusammenhang zutreffend ausgeführt hat (S. 9 f. UA). Dass die Probleme im Ausnahmefall auch von Dauer sein können, teilt der Beklagte nach eigener, auch insoweit glaubhafter Darstellung seinen Patienten mit (S. 5 des Protokolls zum Kammertermin, S. 2 f. BEV). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Zeugin T glaubhaft bekundet hat, die Patienten würden auch darüber aufgeklärt, dass bei anhaltenden Problemen im Extremfall ein Austausch der Multifokallinsen nötig sein könne (S. 4 BEV).

Entgegen der Ansicht des Landgerichts hat der Beklagte auch hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass speziell beim nächtlichen Autofahren gravierende Probleme auftreten können. Seine Angaben im Senatstermin waren auch insoweit glaubhaft (S. 3 BEV). Sie waren auch nicht neu, vielmehr hat der Beklagte bereits vor dem Landgericht ausdrücklich erklärt, dass er das Nachtfahren als mögliches Problem im Gespräch mit der Klägerin thematisiert habe. Ob im Rahmen der Aufklärung über die Zeiten der Außendiensttätigkeit der Klägerin gesprochen wurde, kann dahinstehen. Es genügt, dass der Beklagte jedenfalls allgemein über das Problem der Nachtfahrtüchtigkeit sprach. Es war Sache der Klägerin, hieraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, da sie naturgemäß selbst wusste, wann sie beruflich Auto fahren muss. Ob der Beklagte auch darauf hinwies, dass die Nachtfahrfähigkeit im Extremfall komplett verloren gehen kann, und ob eine entsprechende Aufklärungspflicht bestand, kann dahinstehen. Ein derartiges Risiko hat sich nämlich im Fall der Klägerin nicht verwirklicht. Sie hat im Senatstermin eingeräumt, dass sie mit den Multifokallinsen weiter auch in der Dunkelheit Auto gefahren ist, wenn auch unter Schwierigkeiten.

Es ist entgegen der Rüge der Klägerin auch nicht erkennbar, dass der Beklagte die Größe der zu erwartenden Halos verharmlost hätte. Auch wenn der Beklagte mit Daumen und Zeigefinger einen Lichtkreis symbolisiert haben sollte, wäre dies nicht zu beanstanden. Wie groß die Halos erlebt bzw. eingeschätzt werden, ist individuell verschieden und hängt naturgemäß auch von der Objektentfernung ab. Dementsprechend behauptet die Klägerin, dass die von ihr wahrgenommenen Halos um Autoscheinwerfer herum über einen Meter groß seien, während eine Kerze (bzw. eine Kerzenflamme) lediglich die Größe eines Zwei-Euro-Stücks habe (S. 7 BEV).

Eine realistische präoperative Visualisierung des zu erwartenden Linseneffekts war nach der plausiblen Darstellung des Sachverständigen weder möglich noch geboten (S. 16 des Protokolls zum Kammertermin).

Der Senat ist schließlich auch nicht davon überzeugt, dass die Klägerin unter keinen Umständen bereit war, ihre - beruflich bedeutsame - Nachtfahrtüchtigkeit zu riskieren. Somit kann nicht der Umkehrschluss auf eine insoweit fehlende Aufklärung gezogen werden. Vielmehr steht fest, dass die Klägerin das fragliche Risiko zur Erreichung des Behandlungsziels in Kauf nahm oder verdrängte, wohl in dem - ex ante durchaus begründeten - Vertrauen, dass sie sich an die Nebeneffekte der Multifokallinsen gewöhnen würde. Zu bedenken ist auch, dass die Multifokallinsen im Extremfall - wie im Fall der Klägerin geschehen, allerdings nur linksseitig - gegen Monofokallinsen ausgetauscht werden können, was das Risiko relativiert. Nach dem Gesagten ist der Senat im Übrigen davon überzeugt, dass eine noch intensivere Aufklärung über die Risiken und Nebenwirkungen der Multifokallinsen nichts an der Entscheidung der Klägerin geändert hätte, sodass insoweit auch der Einwand der hypothetischen Einwilligung durchgriffe.

d) Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, sie sei nicht darüber aufgeklärt worden, dass Objekte im Zwischenbereich zwischen den beiden Fokuspunkten der Linsen - insbesondere bei wenig Licht - nicht scharf zu erkennen seien, etwa die Instrumente im Auto. Die Klägerin hat sich unstreitig für Linsen mit einem Nahfokuspunkt in "Leseentfernung" (etwa 35 cm) entschieden. Sie nahm dafür bewusst in Kauf, für die Arbeit am Computer eine Brille zu benötigen. Folglich war der Klägerin bekannt, dass es einen Unschärfebereich zwischen den beiden Fokuspunkten der Linsen geben würde.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV.

Eine Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.

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