LG Münster, Beschluss vom 29.03.2019 - 10 KLs-45 Js 2/16-13/17
Fundstelle
openJur 2020, 84
  • Rkr:
Tenor

Das Verfahren wird eingestellt.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der dem Angeklagten darin erwachsenen notwendigen Auslagen.

Gründe

Das Verfahren ist nach § 206a StPO einzustellen, da aufgrund der dauerhaften Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten ein Verfahrenshindernis besteht.

Für die Verhandlungsfähigkeit im strafprozessualen Sinne genügt es grundsätzlich, dass der Angeklagte die Fähigkeit hat, in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen (BGH, Beschlüsse vom 04. Dezember 2012 - 4 StR 405/12 -, juris, 8. Februar 1995 - 5 StR 434/94, BGHSt 41, 16, 18, und vom 20. April 2004 - 1 StR 14/04,).

Nach diesem Maßstab ist bei dem Angeklagten eine dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit gegeben.

Ausweislich des im Zwischenverfahren eingeholten medizinischen Gutachtens des Sachverständigen vom 22.03.2018 erlitt der Angeklagte im Jahre 1999 einen Hinterwandmyokard-Infarkt, nach dessen Behandlung eine koronare Zweigefäßerkrankung fortbestand. Aufgrund einer Progression dieser Erkrankung erfolgte sodann im Jahre 2004 eine Bypass-Operation. Im Jahre 2010 folgte die Erstdiagnose einer Arrhytmia absoluta bei Vorhofflimmern. Seither ist der Angeklagte auf die Einnahme blutverdünnender Medikamente angewiesen. Infolge dieser Herzerkrankungen besteht bei dem Angeklagten eine schwergradige Herzinsuffizienz fort, welche im Rahmen des internistisch/geriatrischen Zusatzgutachtens vom 09.02.2018 von dem Sachverständigen R1 als schwergradige Herzinsuffizienz NYHA Grad III mit erhöhtem pulmonal arteriellen Druck sowie einer unteren Einfluss-Stauung näher differenziert wurde. Zudem besteht bei dem Angeklagten seit Jahren eine chronische Niereninsuffizienz, deren Ausprägung im Rahmen des internistisch/geriatrischen Zusatzgutachtens bei 20%-iger Ausscheidungsrate einer normalen Nierenleistung als Stadium IV qualifiziert wurde.

Aufgrund dieser Erkrankungen hat der Sachverständige P in seinem Gutachten vom 22.03.2018 die körperliche Belastbarkeit des Angeklagten als deutlich gemindert bewertet und ist von einer eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten ausgegangen. Der Sachverständige gab bezüglich der anstehenden Hauptverhandlung die Empfehlung ab, die Dauer der Verhandlungstermine auf maximal 2 Stunden und die Häufigkeit der Termine auf maximal 2 Verhandlungstermine wöchentlich zu begrenzen. Zudem sollten dem Angeklagten aufgrund seiner längeren Anfahrt von seinem Wohnort jeweils vor und nach einem Verhandlungstermin Ruhe-/Erholungspausen von jedenfalls einer Stunde zu ermöglichen sein.

Die Kammer hat die Einschätzung des Sachverständigen geteilt und ist dessen Empfehlungen im Rahmen der Hauptverhandlung nachgekommen. Der Angeklagte wurde mit einem medizinischen Fahrdienst zu den Hauptverhandlungsterminen verbracht. Jeweils vor und nach den Sitzungsterminen wurde dem Angeklagten eine Ruhepause von jeweils einer Stunde ermöglicht. Der Sachverständige P überprüfte den Gesundheitszustand des Angeklagten vor jedem Hauptverhandlungstermin und war bei den Hauptverhandlungsterminen durchgängig anwesend.

Unter diesen Rahmenbedingungen nahm der Angeklagte mit Beginn vom 06.11.2018 an insgesamt sechs Hauptverhandlungsterminen teil. Am sechsten Verhandlungstag, dem 22.11.2018, wurde die Verhandlung durch die Kammer bereits nach einer Stunde abgebrochen, da der Angeklagte für die Kammer sichtbar dem Verhandlungsinhalt nicht mehr folgen konnte. Dies wurde durch den Sachverständigen P bestätigt, der mitteilte, dass der Angeklagte verwirrt sei und eine örtliche Orientierung nicht mehr gegeben sei.

Am 27.11.2018 erschien der Angeklagte nicht zum Hauptverhandlungstermin. Die Verteidiger des Angeklagten überreichten dem Gericht ein Attest des Hausarztes, R2, in welchem eine Reise- und Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten attestiert war. Die Kammer beauftragte den Sachverständigen P sodann mit der erneuten Begutachtung des Angeklagten. Im Gutachten vom 09.12.2018 legte der Sachverständige dar, dass der Angeklagte am 03.12.2018 in das L-Hospital in N verbracht worden sei. Der Angeklagte habe sich in einem deutlich reduzierten Allgemeinzustand befunden. Aufgrund der bestehenden chronischen Herzinsuffizienz sei es zu einer Flüssigkeitsansammlung im Bauchraum gekommen. Es sei ausschließlich eine symptomatische Therapie möglich. Hierbei werde dem Körper Flüssigkeit entzogen, damit sich die Flüssigkeitsansammlungen wie Ödeme, freie Flüssigkeit im Bauchraum und Pleuraergüsse wieder zurückbilden können. Gerade bei hohem Alter der Patienten sei dieser medikamentöse Flüssigkeitsentzug jedoch mit Bedacht durchzuführen, da hiermit erhebliche andere Behandlungsrisiken, wie z.B. eine Exikose mit der Folge eines Delirs verbunden seien. Dies würde vorliegend noch dadurch verkompliziert, dass bei dem Angeklagten eine höhergradige Niereninsuffizienz vorbestehe, welche ihrerseits den kardialen Effekt einer pathologischen Flüssigkeitsansammlung verstärke. Es sei jedoch nicht auszuschließen, dass die stationäre Behandlung des Angeklagten zu einer Wiederherstellung des Gesundheitszustandes führen könne, wie er vor Beginn der Hauptverhandlung bestand.

Aufgrund des durch den Sachverständigen dargelegten Gesundheitszustandes des Angeklagten hat die Kammer die Hauptverhandlung am 13.12.2018 ausgesetzt.

Unter dem 19.02.2019 erstatte der Sachverständige P ein weiteres Gutachten. Hierin führt er aus, dass dem Angeklagten im Rahmen der stationären Therapie 12 l Wasser entzogen worden seien. Am Ende der stationären Behandlung sei der Angeklagte sodann am 21.01.2019 unter Verordnung einer dauerhaften Sauerstoffgabe entlassen worden. Die bereits vorhandene Herzinsuffizienz habe sich verschlechtert und sei nun mit NYHA Stufe IV zu klassifizieren. Die NYHA-Grad Einteilung sehe insgesamt 4 Einteilungsgrade vor. Eine Herzinsuffizienz NYHA-Grad IV beschreibe eine schwergradige Herzinsuffizienz, die mit Beschwerden bei allen körperlichen Aktivitäten sowie auch in Ruhe einhergehe. Aufgrund der so verschlechterten kardialen Situation des Angeklagten sei eine Entlassung nicht in das häusliche Umfeld, sondern in ein Pflegeheim erfolgt.

Am 09.02.2019 sei der Angeklagte aufgrund einer erneuten kardialen Dekompensation wieder stationär in das L-Hospital in N verbracht worden. Im Rahmen der Exploration habe der Angeklagte sowohl eine zeitliche als auch eine örtliche Orientierungseinschränkung gezeigt. Er habe weder das aktuelle bestehende Jahr, den Monat oder den Wochentag angeben können. Das Gespräch sei immer wieder durch atemerschöpfungsbedingte Pausen des Angeklagten unterbrochen worden. Insgesamt lasse sich eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Angeklagten feststellen, welche auf die Verschlechterung der bereits bestehenden Herzinsuffizienz zurückzuführen sei. Diese hochgradige Herzinsuffizienz habe zur Folge, dass eine maximal eingeschränkte körperliche Mobilität, eine vorzeitige Erschöpfung bei jeglicher körperlicher Beanspruchung, eine objektivierbare sowie auch subjektiv deutlich empfundene Ruhe- und Belastungsdyspnoe sowie eine deutlichere geistige Ermüdung mit Reduktion von Wachheit, Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeitsspanne bestehe. Bei dem derzeitigen Gesundheitszustand des Angeklagten sei von einer Verhandlungsfähigkeit nicht auszugehen. Weiter führt der Sachverständige aus, dass von einer wesentlichen Verbesserung des Gesundheitszustandes des Angeklagten nicht ausgegangen werden könne. Die bestehende Herzinsuffizienz sei nicht reversibel, da sie in einer organischstrukturellen Schwächung des Herzmuskels ihre Ursache hat. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass diese hochgradige Herzinsuffizienz dauerhaft fortbestehen werde.

Nach diesen überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, welchen sich die Kammer nach eigener Prüfung anschließt, steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass eine dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit gegeben ist. Aufgrund der dargestellten körperlichen und geistigen Einschränkungen ist es dem Angeklagten nicht mehr möglich, dem Inhalt der Hauptverhandlung zu folgen und seine Interessen vernünftig wahrzunehmen. Ebenso ist die Kammer aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen davon überzeugt, dass der Gesundheitszustand des Angeklagten, der zu dessen Verhandlungsunfähigkeit führt, sich nicht verbessern wird, da die Grunderkrankung nicht therapierbar ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO. Es war vorliegend nicht gem. § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon abzusehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen. Da die Schuld des Angeklagten nicht gerichtlich festgestellt wurde, ist die Ermessensentscheidung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO nur dann eröffnet, wenn nach weitgehender Durchführung der Hauptverhandlung bei Eintritt des Verfahrenshindernisses ein auf die bisherige Beweisaufnahme gestützter erheblicher Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei Fortführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen würden (BGH, NStZ 2000, 330).

Vorliegend ist eine weitgehende Durchführung der Hauptverhandlung nicht erfolgt. Vielmehr trat das Verfahrenshindernis bereits nach 6 Verhandlungstagen ein. Nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme steht nur sicher fest, dass der Angeklagte in dem der Anklageschrift zugrundeliegenden Zeitraum tatsächlich im Konzentrationslager Stutthof als Wachmann eingesetzt war. Dies hat der Angeklagte in seiner Einlassung bestätigt. Allein dieser Umstand rechtfertigt jedoch die Annahme eines erheblichen Tatverdachtes hinsichtlich der angeklagten Beihilfe zum Mord nicht. Welche konkreten Tätigkeiten der Angeklagte im Rahmen dieses Einsatzes ausüben musste, von welchen Umständen er Kenntnis hatte oder aber haben musste und auf welchen Posten er konkret eingesetzt war, steht zum Zeitpunkt des Eintritts des Verfahrenshindernisses nicht fest. Bei Hinwegdenken des vorliegenden Verfahrenshindernisses wäre demzufolge eine Verurteilung nach dem gegenwärtigen Stand der Beweisaufnahme mit Sicherheit nicht zu erwarten gewesen.

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