OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.11.2019 - 19 A 3477/18.A
Fundstelle
openJur 2019, 38124
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 1 K 5088/17.A
Tenor

Die Anträge werden abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Gründe

Der Senat entscheidet über die Anträge auf Berufungszulassung sowie Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungszulassungsverfahren durch den Berichterstatter, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§§ 87a Abs. 2 und 3, 125 Abs. 1 VwGO).

Der Prozesskostenhilfeantrag für das Verfahren zweiter Instanz ist unbegründet. Der Berufungszulassungsantrag hat aus den nachfolgenden Gründen keine hinreichende Erfolgsaussicht (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO wegen des geltend gemachten Verfahrensmangels der Verletzung rechtlichen Gehörs zuzulassen. Ein Gehörsverstoß liegt nicht vor.

I. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO verschafft zum einen den Verfahrensbeteiligten ein Recht darauf, sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zweckentsprechend und erschöpfend zu erklären sowie Anträge zu stellen. Er verpflichtet zum anderen das Gericht, das entscheidungserhebliche Vorbringen und die Anträge der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und für seine Überzeugungsbildung in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder in Nichtberücksichtigung wesentlichen Vorbringens der Beteiligten haben.

Vgl. Neumann/Korbmacher, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 138 Rn. 104 ff. mit zahlreichen Nachweisen.

Das Gebot rechtlichen Gehörs gebietet dabei nicht, dass sich das Gericht in seinen schriftlichen Entscheidungsgründen mit jeder Einzelheit ausdrücklich und in ausführlicher Breite auseinander setzt. Deshalb müssen, um eine Versagung rechtlichen Gehörs festzustellen, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.

Vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 -, BVerfGE 86, 133, juris, Rn. 35 f.; Beschluss des Zweiten Senats vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, BVerfGE 115, 166, juris, Rn. 56; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Mai 2017 - 2 BvR 1107/16 -, juris, Rn. 19; BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 2011 - 10 B 38.11 -, juris, Rn. 2 m. w. N.

Ob das Verwaltungsgericht hingegen dem Vortrag eines Beteiligten die richtige Bedeutung zugemessen und die richtigen Folgerungen daraus gezogen hat, ist keine Frage des rechtlichen Gehörs, sondern der Tatsachen- und Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 VwGO.

Vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 2. Dezember 1969 - 2 BvR 320/69 -, BVerfGE 27, 248, juris, Rn. 9; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Dezember 2006 - 2 BvR 722/06 -, BVerfGK 10, 41, juris, Rn. 23 m. w. N.

Fehler bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung gehören indes nicht zu den in § 138 VwGO genannten und in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Bezug genommenen Verfahrensfehlern.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 26. September 2016 - 5 B 2.16 D -, juris, Rn. 17, vom 1. März 2016 - 1 B 30.16 -, juris, Rn. 9, vom 28. Juni 2013 - 5 B 79.12 -, juris, Rn. 12; Buchheister, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 132 Rn. 92 (Sept. 2018) m. w. N.

Im Übrigen setzt die schlüssige Rüge, das rechtliche Gehör sei verletzt worden, regelmäßig die substantiierte Darlegung dessen voraus, was der Beteiligte bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgetragen hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre.

BVerwG, Beschlüsse vom 28. März 2013 - 4 B 15.12 -, juris, Rn. 14 m. w. N.

II. Nach diesen Maßstäben ist ein Gehörsverstoß nicht dargetan.

Der Kläger macht geltend, ihm sei in der mündlichen Verhandlung nicht ausreichend Gelegenheit und Zeit zum Vortrag seiner gesundheitlichen Schwierigkeiten gegeben worden. Hätte ausreichend Zeit bestanden, wäre es ihm auch möglich gewesen, zur Überzeugung des Gerichts einzelne politisch motivierte Aktionen zu erläutern und insgesamt genauere Angaben zu machen. Was genau er jedoch bezogen auf seine Fluchtgründe vorgetragen haben wollte, wird aus dem Zulassungsvorbringen nicht im Ansatz ersichtlich. Seine Äußerung, er hätte zu seinen Fluchtgründen näher vortragen können, steht gänzlich unverbunden zu der konkreten Würdigung des Verwaltungsgerichts bezogen auf sein vorgebliches Verfolgungsschicksal und ist somit unsubstantiiert.

Zudem fehlt es an Darlegungen dazu, weshalb das vom Verwaltungsgericht angeblich nicht ermöglichte Vorbringen für die Entscheidungsfindung relevant gewesen sein soll. Das Verwaltungsgericht hat die Abweisung der Klage selbstständig tragend darauf gestützt, dass es dem Kläger - selbst bei Außerachtlassung der Richtigkeit seines Asylvorbringens - möglich und zumutbar sei, sich einer etwaigen staatlichen Verfolgung im Rückkehrfall dadurch zu entziehen, dass er seinen Aufenthalt an einen anderen, ausreichend weit von seinem Heimatort entfernten Ort verlagere, etwa nach Abuja, und sich insbesondere nicht in den fünf mehrheitlich von der Igbo-Ethnie bewohnten Bundesstaaten "Biafra" im südöstlichen Landesteil niederlasse (S. 4 des Urteilsabdrucks). Stützt die Vorinstanz ihre Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbstständig tragende Begründungen, kann das Rechtsmittelgericht ein zulassungsbedürftiges Rechtsmittel nur zulassen, wenn der Rechtsmittelführer gegen jede der tragenden Begründungen mindestens einen Zulassungsgrund darlegt und dieser Grund auch vorliegt. Bezogen auf diesen Begründungsstrang hat der Kläger indes keine durchgreifenden Zulassungsgründe geltend gemacht.

Ferner bleibt offen, wieso es dem im Klageverfahren anwaltlich vertretenen Kläger nicht möglich gewesen sein soll, seine Darstellungen mit entsprechenden Beweisantritten zu untermauern. Der Zulassungsantrag macht hierzu keine nachvollziehbaren Ausführungen. Es kann mithin nicht festgestellt werden, dass der Kläger alle ihm zumutbaren Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen.

Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2017 - 2 B 84.16 -, juris, Rn. 23.

Schließlich ist ein Gehörsverstoß auch nicht vor dem Hintergrund der erstmals mit dem Zulassungsantrag vorgebrachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers und dem Hinweis auf ein daraus folgendes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dargelegt. Zwar mögen im allgemeinen Berufungszulassungsrecht bei der Prüfung, ob der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) vorliegt, auch solche nach materiellem Recht entscheidungserheblichen und von dem jeweiligen Kläger erstmals innerhalb der Zulassungsbegründungsfrist vorgetragenen Tatsachen zu berücksichtigen sein, die vom Verwaltungsgericht nur deshalb im Zeitpunkt seiner Entscheidung außer Betracht gelassen wurden, weil sie von den Beteiligten nicht vorgetragen und mangels entsprechender Anhaltspunkte auch nicht von Amts wegen zu ermitteln gewesen waren.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Juni 2002 - 7 AV 1.02 -, Buchholz 310 § 124b VwGO Nr. 1, juris, Rn. 6 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 18. Juni 2014 - 12 A 898/14 -, juris, Rn. 13 ff. m. w. N.; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 124 Rn. 86 und 91 m. w. N.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils können jedoch nach § 78 Abs. 3 AsylG die Zulassung der Berufung hier nicht begründen. Darüber hinaus zeigt der Zulassungsantrag nicht auf, wieso der Kläger seine - ausweislich seines schriftsätzlichen Vorbringens im Rahmen des Zulassungsverfahrens - bereits seit 2016 bekannte gesundheitliche Beeinträchtigung weder gegenüber dem Bundesamt noch vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht hat. Nicht zuletzt datiert die erst mit dem Zulassungsantrag vom 30. August 2018 vorgelegte ärztliche Bescheinigung bereits vom 9. April 2018 und damit mehr als drei Monate vor der mündlichen Verhandlung vom 20. Juli 2018.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).