LAG Köln, Urteil vom 21.04.1994 - 5 Sa 102/94
Fundstelle
openJur 2019, 38045
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 6d Ca 446/93

1) Wird ein Arbeitnehmer, nachdem ihm der Arbeitgeber während eines Gesprächs über mögliche Unregelmäßigkeiten (Unterschlagungen einer Verkäuferin) ohne rechtfertigenden Grund das Verlassen des Raumes verwehrt und mit der Hinzuziehung der Polizei gedroht hat, hierdurch zur Unterzeichnung eines Schuldanerkenntnisses über einen Betrag von ca. 124.ooo,— DM veranlaßt, so kann er diese Erklärung gemäß § 123 BGB wirksam anfechten.

2) Ob das Schuldanerkenntnis wegen seiner ungewöhnlich stark belastenden Wirkung als Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke auch als sittenwidrig anzusehen ist (vgl. BVerfG, DB 1993, S. 2580) kann offenbleiben.

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 25.11.93 - 6d Ca 446/93 - abgeändert.

Es wird festgestellt, daß der Beklagten gegen die Klägerin kein Anspruch aus dem notariell beurkundeten Schuldanerkenntnis des Notars Dr. Z in D vom 16.12.92 (Urkundennummer / ). zusteht.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Ansprüche der Beklagten aus einem notariell beurkundeten Schuldanerkenntnis vom 16.12.1992.

Die Klägerin war seit 1982 bei der Beklagten als Grillverkäuferin an einem Imbißstand beschäftigt. Zuletzt arbeitete sie werktäglich als Halbtagskraft von 7.00 Uhr bis 13.oo Uhr am Grillstand. Die Beklagte hatte zum 1.11.1992 die Preise im sogenannten Fast-Food-Bereich angehoben. Anfang Dezember wurde bei der Ertragskontrolle in diesem Bereich für den Grillhähnchenverkauf ein drastischer Absatzrückgang und ein Inventurmanko von 465 Hähnchen festgestellt. Da die Beklagte hieraus auf Unterschlagungen im Grillverkaufskassenbereich schloß, wurde der Bereich in der Zeit vom 7.12. bis einschließlich 12.12.1992 per Videokamera observiert.

Am Morgen des 16.12.1992 gegen 8.2o Uhr wurde die Klägerin in das Marktleiterbüro der Beklagten gebeten, in dem die Mitarbeiter der Beklagten B , T und Th von der Geschäftsleitung der Beklagten, ferner der Detektiv Herr S und die Verwaltungsmitarbeiterin N anwesend waren. Der Klägerin wurde bei diesem Gespräch nach Vorführung der Videoaufzeichnungen vorgehalten, daß sie die entstandenen Verluste im Grillhähnchenverkauf durch Unterschlagungen herbeigeführt habe. Nachdem die Klägerin zunächst nach Vorführungen der Videoaufnahme erklärt hatte, sie sehe sich dies nicht weiter an und wolle gehen, wurde ihr von seiten der Beklagten erklärt, daß man sie nicht ohne weiteres gehen lasse, man werde jetzt die Polizei benachrichtigen und Strafanzeige erstatten. Nach dem Inhalt der von der Beklagten vorgelegten Strafanzeige vom 1.3.1993 hatte zu diesem Zweck Herr T bereits mit der Polizei D telefonisch Kontakt aufgenommen. Daraufhin erklärte die Klägerin, daß sie regelmäßig Geld in der beschriebenen Art und Weise an sich genommen habe. Sie habe all das Geld, von dem die Rede war, entwendet. Im weiteren Verlauf dieses Gesprächs unterzeichneten beide Parteien eine Aufhebungsvereinbarung vom 16.12.1992, mit der unter Ziffer 1 das bestehende Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen zum 16.12.1992 aufgehoben wird. Unter Ziffer 7 erklären beide Parteien, daß "keine weiteren gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeits-/Anstellungsverhältnis sowie aus seiner Beendigung bestehen ..."

Anschließend wurde die Klägerin von Herrn Th und Herrn S aus dem Gebäude geführt und mit einem Kraftwagen zu dem Notar Dr. Z in D gefahren, wo sie gegen 11.oo Uhr eintrafen. Da für diese Zeit kein Termin vereinbart war, mußten sie etwa 2o Minuten warten. Bei der notariellen Verhandlung wurde die Klägerin mehrfach von dem Notar Dr. Z über die Bedeutung des Schuldanerkenntnisses und die Möglichkeit der sofortigen Vollstreckung aufgeklärt. Sodann Unterzeichnete die Klägerin das zwischen den Parteien vorliegend umstrittene notarielle Schuldanerkenntnis. Danach erkennt sie an, der Beklagten einen Betrag in Höhe von DM 123.862,5o zu schulden. Der fällige Betrag soll vom Zeitpunkt des Anerkenntnis an mit 14 % jährlich verzinst werden, ferner unterwirft sich die Klägerin wegen des vorstehenden Betrages nebst Zinsen der Beklagten gegenüber der sofortigen Zwangsvollstreckung aus der Urkunde in ihr gesamtes Vermögen.

Einzelheiten des Gesprächsverlaufs - und Inhalts im Büro der Beklagten sowie beim Notar Dr. Z sind zwischen den Parteien teilweise umstritten.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 23.12.1992 gegenüber der Beklagten das Schuldanerkenntnis ange fochten und diese Anfechtung darauf gestützt, daß sie zur Abgabe der Unterschrift genötigt worden sei.

Die Klägerin hat beim Arbeitsgericht entsprechende Feststellungsklage erhoben und vorgetragen, sie habe mehrfach verlangt einen Anwalt sprechen zu dürfen, dies sei ihr verwehrt worden, als sie Anstalten zum Gehen gemacht habe, habe ihr der Detektiv S die Tür versperrt. Den Inhalt der ihr vorgeführten Videofilme habe sie nicht bewußt wahrgenommen. Schließlich habe sie ihre einzige Chance, dem Ort, an dem sie festgehalten wurde, und dem Zugriff der Männer zu entkommen, darin gesehen, einfach alles zuzugeben, was ihr vorgeworfen worden sei. Auch nach Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages sei ihr seitens der Beklagten auf die Frage, ob sie jetzt endlich gehen dürfe, barsch geantwortet worden, die Angelegenheit sei noch lange nicht erledigt, da anschließend von der Beklagten telefoniert worden sei habe sie befürchtet, es werde nun doch die Polizei benachrichtigt und sie werde in kürzester Zeit verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Stattdessen sei sie von Herrn Th und Herrn S zu dem Notar Dr. Z. gefahren worden. Auch hier habe die Klägerin gefürchtet, daß jeden Augenblick die Polizei Vorfahren würde, um sie zu verhaften. Die Klägerin habe schließlich die notarielle Urkunde unterzeichnet, um endlich nach Hause gehen zu können.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, Ansprüche der Beklagten seien bereits wegen der Erklärung unter Ziffer 7 der Aufhebungsvereinbarung nicht gegeben, im übrigen sei sie rechtswidrig durch Gewalt und durch Drohung zur Abgabe der Schuldanerkenntniserklärung veranlaßt worden, weswegen sie dieses wirksam angefochten habe.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, daß der Beklagten gegen die Klägerin kein Anspruch aus dem notariell beurkundeten Schuldanerkenntnis vom 16.12.92, Urkundenrollen-Nr. / des Notars Dr. Z in D zusteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat den Vortrag der Klägerin zum Vorwurf der Nötigung oder Drohung zurückgewiesen. Aus den gefertigten Video-Aufzeichnungen ergebe sich eindeutig, daß ausschließlich die Klägerin Verkäufe nicht oder nicht vollständig registriert habe, den hieraus resultierenden Überzahlungsbetrag aus dem Kundengeld an sich genommen und vereinnahmt und nach Dienstschluß nicht abgerechnet habe, so daß die Kasse immer bis auf Minimaldifferenzen gestimmt habe. Nachdem die Klägerin in dem Gespräch am 16.12.1992 die Vorwürfe, einen Schaden in Höhe von ca. DM 124.000,-- verursacht zu haben, zunächst empört zurückgewiesen habe, seien ihr die Videoaufnahme vorgeführt worden. Als aufgrund der Videoaufnahmen die Geldmanipulation offensichtlich geworden sei, habe die Klägerin plötzlich erklärt, dies sehe sie sich nicht weiter an, sie gehe jetzt, worauf ihr erklärt worden sei, man werde jetzt die Polizei benachrichtigen und sie nicht ohne weiteres gehenlassen. Daraufhin habe die Klägerin plötzlich eindringlich darum gebeten, keine Polizei ins Haus zu holen und unter Tränen die vorgenommen Geldunterschlagungen gestanden. Hierbei habe sie ungefragt erklärt, daß sie vor 4 Jahren zusammen mit ihrem Mann für etwa DM 38.000,— Möbel gekauft habe, die mit monatlich DM 51o,— abzuzahlen seien, auch sei Geld für den Kauf eines Autos verwendet worden. Ihr Mann zahle ihr kein Haushaltsgeld und vertrinke regelmäßig alles. Nach diesem Geständnis sei die Klägerin erleichtert und offensichtlich froh gewesen, daß alles vorbei gewesen sei. Der Klägerin sei nunmehr eröffnet worden, daß das Arbeitsverhältnis sofort beendet werde und daß sie mit einer Sperrfrist beim Arbeitsamt zu rechnen habe. Ferner werde Strafanzeige erstattet, auch habe die Klägerin den entstandenen Schaden wieder gutzumachen. Sie habe die Möglichkeit, den ermittelten Fehlbetrag durch notarielles Schuldanerkenntnis anzuerkennen, was nicht zuletzt wegen der bestehenden Vertrauensschadenversicherung notwendig sei. Andernfalls müsse die Forderung auf dem Prozeßwege eingeklagt werden mit der dann zu erwartenden Öffentlichkeitswirkung. Hierauf habe die Klägerin sich aus freien Stücken und nach kurzer Überlegungszeit für das notarielle Schuldanerkenntnis entschieden. Die Klägerin sei daraufhin freiwillig zum Notar Dr. Z. mitgefahren und sei auch dort nochmals mehrfach ausführlich belehrt worden.

Hinsichtlich der Ausgleichsklausel im Aufhebungsvertrag hat die Beklagte vorgetragen, diese Klausel habe sich nur auf unmittelbare Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, nicht aber auf die Höhe des entstandenen Schadens bezogen. Die Schadenshöhe ergebe sich aus den nachweisbaren Differenzbeträgen für den Zeitraum vom 1.2. bis 10.12.1992, in dem ein Verlust von 3.35o Stück als Bestandsdifferenz bei den Grillhähnchen ermittelt worden sei entsprechend einem Wert von DM 26.828,—. Da man die Bestandsdifferenz nicht weiter habe zurückermitteln können, bei der Klägerin jedoch bereits am 17.12.1988 ein Betrag von DM 15o,— unter der Grillverkaufskasse gefunden worden sei, wobei es sich angeblich um Privatgeld gehandelt habe, habe die Beklagte davon ausgehen müssen, daß die Klägerin bereits zum damaligen Zeitpunkt Geld unterschlagen habe. Für die Ermittlung des Gesamtschadens sei daher ein Zeitraum von 47,5 Monaten angesetzt worden, ausgehend vom 1.1.1989 bis 10.12.1992. Daraus ergebe sich ein Gesamtschadensbetrag aus fortgesetzten Unterschlagungen in Höhe von DM 121.362,5o. Hinzu kämen DM 2.5oo,— Observierungskosten.

Das Arbeitsgericht hat durch ein am 25.11.1993 verkündetes Urteil die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt. Zur Begründung hat es im wesentliche ausgeführt, die Klägerin habe zwar schlüssig zum Anfechtungstatbestand gemäß § 123 BGB vorgetragen, sie habe jedoch nicht die geeigneten Beweise für die von ihr im einzelnen geschilderten Zwangs-, Streß- und Nötigungssituationen, die die Beklagte ausdrücklich bestritten habe, angetreten.

Das arbeitsgerichtliche Urteil ist der Klägerin am 5.1.1994 zugestellt worden. Hiergegen richtet sich die am 31.1.1994 beim Landesarbeitsgericht schriftlich eingelegte Berufung, die die Klägerin am 23.2.1994 wie folgt begründet hat: Die von ihr erklärte Anfechtung werde aufrechterhalten. Vorsorglich benennt sie zum gesamten Geschehen am 16.16.1992 die von der Beklagten in der ersten Instanz benannten Zeugen B , K , S , T und Th gegenbeweislich. Aus dem gesamten Sachverhalt und den Umständen einschließlich der Festsetzung des Streitwertes ergebe sich, daß die Beklagte die Klägerin zur Abgabe der Erklärung genötigt haben müsse, wenn man sich nicht einseitig am Sachvor- trag der Beklagten orientiere.

Der Verwertung der von der Beklagten durchgeführten Videoaufzeichnungen müsse wegen des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin widersprochen werden, darüber hinaus lasse sich aus den Videofilmen die Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe sich Geld in die Tasche gesteckt, nicht nachweisen. Die Beklagte habe es demgegenüber in der Vergangenheit unterlassen, geeignete Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten einzusetzen. Soweit Fehlmengen aufgetreten seien, hätten diese von der Beklagten genauer untersucht und mögliche Schwachstellen überprüft werden müssen, statt der Klägerin den Verlust durch Hochrechnung ohne Prüfung auf andere Fehlerquellen zuzuordnen. Als mögliche andere Fehlerquellen komme in Betracht, daß weder bei Dienstbeginn noch bei der Ablösung der Klägerin der Warenbstand überprüft worden sei, so daß die Klägerin keine Kenntnis des an die Beklagte gelieferten Warenumfangs hatte. Ferner werde nicht kontrolliert, wieviel Ware vom Grillstand an das im Haus der Beklagten betriebene Restaurant weitergegeben werden, der Kassenbestand werde nicht mit dem Warensortiment verglichen, auch habe die Beklagte sich auf den Verlust von Hähnchen bzw. Hähnchenteilen beschränkt, obwohl eine Vielzahl anderer Waren angeboten und verkauft worden sei.

Hinsichtlich der von der Klägerin behaupteten Nötigung weist die Klägerin auf den Inhalt der Strafakten beim Amtsgericht Düren - 4o LS 5o JS 395/93 - 223/93, in der die Zeugin N unter anderem bekundet habe, der Klägerin sei, als sie aufstehen und gehen wollte, durch Herrn S der Weg versperrt worden.

Allein aufgrund der Höhe des von der Beklagten verlangten Schadensersatzes sei davon auszugehen, daß die Klägerin zur Abgabe ihrer Erklärung bei dem Notar genötigt worden sein müsse, da ein vernünftiger und objektiver Dritter einen Schadensersatzanspruch in dieser Höhe zu keinem Zeitpunkt anerkannt hätte. Dies spreche dafür, daß die Klägerin bei Unterzeichnung des Schuldanerkenntnisses nicht in der Lage gewesen sei, die Situation vernünftig zu beurteilen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, daß der Beklagten gegen die Klägerin keine Ansprüche aus dem notariell beurkundeten Schuldanerkenntnis, Dr. Z vom 16.12.1992, Urkunden-Nr. / , zustehen .

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit der Berufungserwiderung verteidigt sie die angefochtene Entscheidung unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Die Klägerin habe aus freien Stücken ein notarielles Schuldanerkenntnis über knapp DM 124.000,— unterzeichnet. Die von der Klägerin zitierte Aussage im Strafverfahren belege nur, daß die Klägerin aus einer von ihr selbst provozierten Situation habe Kapital schlagen wollen. Die Klägerin sei lediglich daran gehindert worden, die Büroräume zu verlassen, nachdem sie die Unterschlagungen habe einräumen müssen. Hierzu seien jedoch die Mitarbeiter der Beklagten, die im Rahmen der Selbsthilfe ein Festhalterecht bis zum Eintreffen der Polizei gehabt hätten, berechtigt gewesen. In diesem Verhalten könne daher keine Nötigungshandlung erblickt werden. Das Dringen der Klägerin, unter keinen Umständen die Polizei zu rufen, zeige sehr deutlich, daß die Klägerin nach wie vor die Situation unbeeinträchtigt habe erfassen können. Die Klägerin sei zu keinem Zeitpunkt gezwungen worden, irgendwelche Erklärungen abzugeben, sondern habe selbst aus freien Stücken über ihre finanzielle Notlage berichtet.

Selbst wenn man unterstelle, daß die Situation in den Büroräumen einen solchen Druck erzeugt habe, daß sie nicht mehr gewußt habe was sie tat bzw. sich bedroht gefüllt habe, so wäre dies für die Abgabe des Schuldanerkenntnisses bei dem Notar Dr. Z nicht mehr bedeutsam, da zwischen dem Gespräch in dem Büroräumen und der Abgabe des Schuldanerkenntnisses eine längere Zeitspanne gelegen habe. Auch von Herrn Dr. Z - sei sie mehrfach auf die Bedeutung des Schuldanerkenntnisses angesprochen und des öfteren gefragt worden, ob sie eine Erklärung dieses Inhaltes abgeben wolle.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen ergänzend Bezug benommen.

Gründe

Die nach dem Beschwerdewert an sich statthafte Berufung der Beklagten ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, somit zulässig. In der Sache hat sie Erfolg. Die Feststellungsklage der Klägerin ist zulässig und begründet.

Ein Feststellungsinteresse der Klägerin im Sinne von § 256 ZPO ergibt sich daraus, daß die Beklagte sich nach dem Inhalt ihres Schreibens vom 3o.12.1992 und ihrer Einlassung im vorliegenden Verfahren eines Anspruchs gegen die Klägerin aus dem notariellen Schuldanerkenntnis vom 16.12.1992 berühmt.

Ansprüche aus dem notariellen Schuldanerkenntnis vom 16.12.1992 stehen der Beklagten jedoch nicht zu.

I. Ob das Schuldanerkenntnis bereits als Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, nichtig ist, § 138 Abs. 1, 2 BGB, konnte die Berufungskammer dahingestellt lassen. Auch kann es offenbleiben, ob die Geltendmachung der Ansprüche aus dem Schuldanerkenntnis eine zulässige Rechtsausübung im Sinne von § 242 BGB darstellt.

Das Bundesarbeitsgericht hat in der Entscheidung vom 3o.9.1993 - 2 AZR 268/93 - (DB 1994, S. 279) zur Frage der Unwirksamkeit von Aufhebungsverträgen der Auffassung widersprochen, dem Arbeitnehmer im Wege der Rechtsfortbildung ein gesetzlich nicht geregeltes Rücktritts- oder Widerrufsrecht zu gewähren, wenn die Auflösungsvereinbarung in der Weise zustande gekommen ist, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zu einem Gespräch gebeten hat, ohne ihm das Thema des Gesprächs mitzuteilen und ohne ihm eine angemessene Bedenkzeit oder ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einzuräumen. Dem folgt auch die Berufungskammer.

Andererseits kommt bei der Konkretisierung und Anwendung von Generalklauseln wie § 138 und § 242 BGB eine Inhaltskontrolle zur grundrechtlichen Gewährleistung der Privatautonomie in Art. 2 Abs. 1 GG bei solchen Verträgen oder Rechtsgeschäften in Betracht, die einen der beiden Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sind (BVerfG, Beschluß vom 19.10.1993 - 1 BvR 567/89 - und lo44/89 - DB 1993, S. 258o). Eine solche ungewöhnlich starke Belastung ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die eine Partei eine Verpflichtung übernimmt, die ihre wirtschaftlichen Verhältnisse weit übersteigt und bei der leicht feststellbar ist, daß sie voraussichtlich bis an ihr Lebensende nicht in der Lage sein wird, sich aus eigener Kraft von der übernommenen Schuldenlast zu befreien. Diese Voraussetzung ist hier ohne weiteres gegeben, da nicht ersichtlich ist, daß die Klägerin über Einkünfte verfügt, die sie in die Lage versetzen, allein die in dem Schuldanerkenntnis vereinbarten Zinsen von 14 % oder ca. DM 17.ooo,— jährlich, geschweige denn die Hauptforderung von über DM 124.ooo,- jemals abtragen oder auch nur reduzieren zu können.

Darüber hinaus bestand in der Verhandlung vom 16.12.1992, die schließlich zu dem notariellen Schuldanerkenntnis geführt hat, ein erhebliches Verhandlungsungleichgewicht: Zum einen waren auf seiten der Beklagten 6 Personen an der Verhandlung beteiligt, während die Klägerin diesen 6 Personen allein gegenüberstand, die Klägerin wurde darüber hinaus unvorbereitet mit ohne ihr Wissen gefertigten Videoaufzeichnungen und dem Vorwurf von Unterschlagungen in einer ungewöhnlichen Höhe konfrontiert, während die Beklagte ihrerseits den Fehlbestand zuvor im einzelnen, wie die von ihr hierzu überreichten Unterlagen belegen, sogar auf Stellen hinter dem Komma genau ermittelt hatte. Das Verhandlungsungleichgewicht kommt auch darin zum Ausdruck, daß diese von der Beklagten ermittelten Zahlen letztlich ungeprüft in das Schuldanerkenntnis der Klägerin Eingang gefunden haben, da darin die Beträge der Höhe nach in vollem Umfang anerkannt worden sind, obwohl die Klägerin ihrerseits nach dem Vorbringen der Beklagten einen Sachverhalt geschildert hat, aus dem sich für Möbel- und Autokauf ein erheblich geringerer Unterschlagungsbetrag plausibel ableiten ließe. Darüber hinaus sind die von der Beklagten zur Schadenshöhe ermittelten Zahlen in mehrfacher Hinsicht anfechtbar: Die Beklagte räumt selbst ein, daß sie die Bestandsdifferenz nur bis zum 1.2.1992 zurückverfolgen konnte, für die Zeit davor ist sie dagegen auf bloße Schätzungen angewiesen, wobei es mehr als fraglich ist, ob der Fehlbetrag aus 1992 ohne weiteres auf die davorliegenden Jahre übertragen werden kann. Abgesehen davon hat die Beklagte mögliche andere Ursachen für die Bestandsdifferenzen - natürlicher Warenschwund, verdorbene oder nicht verkaufte Ware, an das Restaurant abgegebene Grillware - in keiner Weise berücksichtigt, sondern die gesamte von ihr ermittelte Bestandsdifferenz der Klägerin angelastet. Dies beruht wiederum offensichtlich auf dem einseitigen Interesse der Beklagten, wegen der bestehenden Vertrauensschadensversicherung, auf die sie selbst hinweist, den Anteil der Unterschlagungen an den Bestandsdifferenzen möglichst hoch zu rechnen, da natürliche und sonstige Bestandsdifferenzen von dieser Versicherung nicht gedeckt sind.

Ob all diese im vorliegenden Fall zusammenkommenden Gesichtspunkte, die jedenfalls in ihrem Zusammenwirken in auffälliger Weise die Vertragsparität beeinträchtigen, bereits zu einer Qualifizierung des von der Klägerin getätigen Rechtsgeschäfts als sittenwidrig führen können, muß nicht abschließend entschieden werden, da jedenfalls die Klägerin das Schuldanerkenntnis rechtswirksam angefochten hat, §§ 123, 143 BGB.

2. Auch ein sittenwidriges Rechtsgeschäft kann angefochten werden, die Bestimmungen der §§ 138 und 123 BGB sind nebeneinander anwendbar (BAG, aaO; BGH AP Nr. 33 zu § 123 BGB). Vorliegend hat die Beklagte nach der Überzeugung des Berufungsgerichts die Klägerin durch die Drohung, die Kriminalpolizei zu benachrichtigen und hinzuzuziehen, zu der Abgabe des Schuldanerkenntnisses letztlich veranlaßt. Dies steht aufgrund des Sachverhalts fest, soweit er unstreitig ist, ohne daß es der vom Arbeitsgericht für erforderlich gehaltenen Beweisaufnahme bedürfte. Denn die Beklagte hat selbst in Übereinstimmung mit dem Vorbringen der Klägerin vorgetragen, daß die Klägerin zunächst nach Ansicht der Videoaufzeichnungen Zeichnungen erklärt hat, sie sehe sich dies nicht weiter an und wolle gehen. Nach dem Inhalt der von beiden Parteien in der Berufungsinstanz zitierten Aussage N . hat ihr daraufhin Herr S den Weg versperrt, die Beklagte hat erklärt, daß man die Klägerin nicht ohne weiteres gehen lassen werde, man werde die Polizei benachrichtigen und Strafanzeige erstatten. Erst daraufhin habe die Klägerin eindringlich darum gebeten, keine Polizei ins Haus zu holen und die umfangreichen Unterschlagungen eingeräumt. Daß die Beklagte ernsthaft die Absicht hatte, die Polizei hinzuzuziehen, ergibt sich aus der von ihr gefertigten Strafanzeige vom 1.3.1993, wonach Herr T bereits mit der Polizei D telefoniert habe, worauf die Klägerin erschienen sei und die Unterschlagungen zugegeben habe. Auch im Zusammenhang mit dem von der Klägerin geforderten Schuldanerkenntnis hat die Beklagte selbst mit Schriftsatz vom 1.7.1993 (Bl. 4) vorgetragen, die Klägerin könne folglich von einer Strafanzeige ausgehen, auch wenn man "jetzt auf das Hinzuziehen von Polizeibeamten verzichte" die Klägerin habe das akzeptiert und habe sich bereit erklärt, mit zum Notar zu gehen. Auch aus dem Inhalt der bereits erwähnten Strafanzeige vom 1.3.93 ergibt sich, daß die Einschaltung der Polizei von der Beklagten als Mittel eingesetzt worden ist, die Klägerin zu veranlassen, die ihr vorgeworfenen Unterschlagungen zuzugeben Auf Seite 3 dieser Anzeige heißt es am Schluß - nach Schilderung, daß die Klägerin die Unterschlagungen und auch den von der Beklagten ermittelten Schadensbetrag nicht bestritten hat: "Die Einschaltung der Polizei hatte sich damit erübrigt".

Die Drohung mit der Hinzuziehung der Polizei war im konkreten Fall - entgegen der von der Beklagten hierzu in der Berufungserwiderung vertretenen Auffassung - rechtswidrig. Die Beklagte war keineswegs im Rahmen der Selbsthilfe befugt, die Klägerin bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten. Ein solches Festhalterecht bestand insbesondere nicht nach § 127 Abs. 1 StPO, dies schon deswegen nicht, weil die Klägerin nicht "auf frischer Tat betroffen" worden war, vielmehr die ihr vorgeworfenen Taten nach dem Vorbringen der Beklagten in der Vergangenheit begangen hatte. Darüber hinaus fehlte es auch an den weiteren Voraussetzungen dieser Bestimmung, da die Klägerin weder der Flucht verdächtig war noch ihre Identität nicht sofort festgestellt werden konnte. Das Festhalten einer Person mit der Androhung der Hinzuziehung der Polizei zum Zweck der weiteren Aufklärung einer Straftat oder der Herbeiführung eines Geständnisses ist jedenfalls im Rahmen von § 127 Abs. 1 StPO nicht gerechtfertigt. War hiernach die Nötigung der Klägerin zum Bleiben unter Androhung der Hinzuziehung der Polizei eine rechtswidrige Drohung, so ist weiter davon auszugehen, daß die Klägerin hierdurch unmittelbar veranlaßt worden ist, Unterschlagungen zuzugeben und letztlich das Schuldanerkenntnis zu unterzeichnen. Der ursächliche Zusammenhang zwischen Drohung und Willenserklärung setzt voraus, daß der Bedrohte durch die Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung "bestimmt" worden ist. Hierbei ist allein subjektiv zu prüfen, ob der Bedrohte beeinflußt worden ist, auf die objektive Erheblichkeit der Bedrohung ist nicht abzustellen. Danach ist der Kausalzusammenhang zu verneinen, wenn die Erklärung aus eigener Überlegung abgegeben worden ist, auch wenn sich der Erklärende in einer Zwangslage befunden hat (BGH WPM 1974, S. lo23; MK-Kramer, § 123 BGB Rdnr. 4o). Darauf, ob der Drohende hinsichtlich der Umstände, welche die Widerrechtlichkeit begründen, gutgläubig ist, kommt es nicht an (MK-Kramer aaO, Rdnr. 39).

Von der Ursächlichkeit des Verhaltens der Beklagten, die der Klägerin zunächst das Verlassen des Büros verwehrt und die Hinzuziehung der Polizei angedroht hat, und der anschließenden Einräumung von Unterschlagung durch die Klägerin ist nach dem Gesamtzusammenhang auszugehen. Insbesondere die Schilderung der Beklagten, daß die Klägerin "eindringlich" darum gebeten hat, keine Polizei ins Haus zu holen, dann "unter Tränen" Unterschlagungen gestanden hat, nachdem die Beklagten bereits bei der Polizei angerufen und dadurch ihrer Drohung, diese hinzuzuziehen, Nachdruck verschafft hatte, zeigt, daß die Klägerin allein oder doch ganz überwiegend unter dem Eindruck der Drohung mit der Polizei zu ihren Erklärungen veranlaßt worden ist. Dies gilt zunächst für das Eingeständnis der Unterschlagungen und deren Höhe im Büro der Beklagten. Auch für den weiteren Gesprächsverlauf ist davon auszugehen, daß die Zwangslage fortbestanden hat, weil sich die Klägerin angesichts des Umstands, daß sie sich 6 Personen der Beklagten allein gegenübersah, keinerlei berechtigte Hoffnungen machen konnte, sich vor dem von der Beklagten letztlich gewünschten und gesteuerten Abschluß der Gespräche wieder frei bewegen zu können. Wenn die Beklagte selbst mit Schriftsatz vom 19.5.1993 (auf Bl. 6 oben) vorträgt, daß bei einem Abbruch des Gesprächs, falls die Klägerin "keine Kooperationsbereitschaft mehr gezeigt hätte", dann wohl "die Polizei hinzugezogen worden" wäre, räumt sie selbst ein, daß die durch die Drohung mit der Hinzuziehung der Polizei entstandene Zwangslage weiter fortbestanden hat. Dies gilt aber auch für die sich unmittelbar an das Gespräch der Beklagten anschließende; Fahrt mit 2 Personen der Beklagten im PKW zum Notar, die dort verbrachte Wartezeit und anschließende Unterzeichnung des Schuldanerkenntnisses durch die Klägerin: Die Klägerin konnte, wie die Beklagte auch selbst einräumt, nicht damit rechnen, daß die Beklagte sie aus der entstandenen Zwangslage entlassen würde, bevor die Klägerin das von ihr verlangte Schuldanerkenntnis abgegeben hätte.

Nach alledem war die Klägerin zur Anfechtung nach § 123 BGB auch im Hinblick auf die mit dem Schuldanerkenntnis abgegeben Verpflichtungserklärung berechtigt, diese Anfechtung hat sie mit Schreiben vom 23.12.1992 erklärt, so daß das Schuldanerkenntnis als von Anfang an nichtig anzusehen ist, §§ 142 i.V.m. 143, 123 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

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