OLG Hamm, Beschluss vom 19.09.2019 - 1 Ws 495/19
Fundstelle
openJur 2019, 37756
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 15 StVk 4047/18

1. Für den Fall einer Aussetzung der Vollstreckung des Restes der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung und des gleichzeitigen Eintritts einer Führungsaufsicht wegen der vollständigen Vollstreckung einer zeitigen Freiheitsstrafe ist es aus Gründen der Übersichtlichkeit und Transparenz geboten, im Einzelnen konkret zu bestimmen, welche Weisungen dem Verurteilten nach § 56c StGB im Rahmen der Bewährung und welche ihm - strafbewehrt oder nicht strafbewehrt nach § 145a StGB - gemäß § 68b StGB im Rahmen der Führungsaufsicht bzw. nach beiden Vorschriften erteilt werden sollen.

2. In Bezug auf eine Weisung, sich nach der Entlassung "umgehend" in der Dienststelle der für ihn zuständigen Bewährungshilfe persönlich vorzustellen, ist es erforderlich, eine konkrete Frist zu bestimmen. Auch ist die konkrete Ausgestaltung der Kontakthaltungspflicht des Verurteilten zu dem Bewährungshelfer gemäß § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 7 StGB betreffend die Art der Kontakthaltung, den zeitlichen Abstand und den Ort, wo sich der Verurteilte zu melden hat, vom Gericht klar zu bestimmen. Auch die Frequenz der Probandentermine muss seitens des Gerichts festgelegt werden. Lediglich die nähere zeitliche Ausgestaltung der einzelnen Termine kann dem Bewährungshelfer überlassen bleiben.

3. Bei einer Weisung betreffend die Meldung eines Wohnungswechsels nach § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 8 StGB ist es notwendig, das Merkmal "unverzüglich" durch eine bestimmte Frist zu ersetzen.

4. Bei einer in Zusammenhang mit einer Abstinenzweisung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB erteilten Weisung, sich Suchtmittelkontrollen ohne körperlichen Eingriff zu unterziehen, muss das Gericht die zentralen Modalitäten der Kontrollen in Bezug auf deren Höchstzahl bzw. Frequenz, die Art der Kontrollen, die konkrete Stelle, die die Tests durchzuführen und auszuwerten hat, und die Kostentragungspflicht selbst festlegen.

5. Auch für eine auf § 68b Abs. 2 StGB gestützte (nicht strafbewehrte) Weisung, an einer forensischen Nachsorge teilzunehmen, muss das Gericht ausreichend bestimmte Vorgaben zur organisatorischen Ausgestaltung machen, und zwar neben der konkret zu bezeichnenden Einrichtung und der Höchstdauer der Teilnahme auch zur Zielrichtung der Therapie und der Kostentragungspflicht.

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die 15. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe

I.

Die 15. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld (im Weiteren: Strafvollstreckungskammer) hat durch den angefochtenen Beschluss den Rest der durch Urteil des Landgerichts - Schwurgericht - Dortmund vom 27. Februar 1986 gegen den Verurteilten verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe gemäß §§ 57a, 57 StGB mit Wirkung zum 02. September 2019 zur Bewährung ausgesetzt und zugleich angeordnet, dass nach vollständiger Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem weiteren Urteil des Landgerichts Dortmund vom 29. Oktober 2012 mit der Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft Führungsaufsicht eintritt, die nicht entfällt. Die Dauer der Bewährungs- und der Führungsaufsichtszeit hat die Strafvollstreckungskammer einheitlich auf fünf Jahre festgesetzt, den Verurteilten der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt und ihm zudem mehrere Weisungen erteilt, u.a. eine Abstinenzweisung und die Weisung, in einer näher bezeichneten Einrichtung des betreuten Wohnens der Diakonie in C Wohnung zu nehmen.

Dagegen hat die Staatsanwaltschaft Dortmund unter dem 24. Juli 2019 rechtzeitig sofortige Beschwerde eingelegt, nachdem ihr durch Mitteilung der Leiterin der Justizvollzugsanstalt D vom 19. Juli 2019 bekannt geworden war, dass der Verurteilte am 12. Juli 2019 im Rahmen eines Langzeitausgangs von der Polizei in C in angetrunkenem Zustand in einer Gaststätte in C angetroffen worden war und die Diakonie infolgedessen die Zusage für die Aufnahme in die betreute Wohneinrichtung zurückgenommen hatte. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, angesichts des nachträglich bekannt gewordenen Verstoßes gegen die Abstinenzweisung und der zurückgezogenen Zusage der Diakonie C sei keine stabile Entlassungssituation gegeben und die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der lebenslangen Freiheitsstrafe könne unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm ist der sofortigen Beschwerde beigetreten und hat unter dem 16. August 2019 beantragt, wie beschlossen.

Dazu hat sich der Verurteilte durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 28. August 2019 geäußert.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Dortmund hat in der Sache zumindest vorläufig Erfolg.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 16. August 2019 u.a. ausgeführt:

"Für eine Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung müssen nach § 57a Abs. 1 Nr. 3 StGB u.a. die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB vorliegen, so dass die Aussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden können muss. Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts das Verhalten des Verurteilten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind (§§ 57 Abs. 1 Satz 2, 57a Abs. 1 Satz 2 StGB). Dabei sind die zu erwartenden Wirkungen des erlittenen Vollzugs und die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen, wobei an die günstige Prognose umso strengere Anforderungen zu stellen sind, je höher das Gewicht der bedrohten Rechtsgüter ist, die bei einem möglichen Rückfall verletzt würden (Fischer, StGB, 66. Aufl., § 57 Rdnr. 12 m.w.N.). Eine solche günstige Prognose liegt im vorliegenden Falle aus den umfassend und zutreffend ausgeführten Gründen der Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 05.08.2019, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, sowie vor dem Hintergrund der ergänzenden Stellungnahme der Leiterin der Justizvollzugsanstalt D vom 19.07.2019 (Bl. 1119 ff. VH) namentlich aufgrund des nachträglich bekannt gewordenen Alkoholkonsums des Verurteilten am 12.07.2019 nach derzeitigem Erkenntnisstand fern, zumal dieses Verhalten gegen die vom Landgericht Bielefeld - freilich noch nicht rechtskräftig - verhängte Abstinenzweisung verstößt. Insoweit handelt es sich allerdings um erhebliche neue Umstände, die einer Klärung bedürfen, so dass ausnahmsweise in Abweichung von § 309 StPO statt der Ablehnung der Strafaussetzung durch das Beschwerdegericht eine Zurückverweisung an das untere Gericht angezeigt erscheint (zu vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 309 Rdnr. 9 m.w.N.).

Daher ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Bielefeld zurückzuverweisen."

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an und hat dementsprechend in Ausnahme von § 309 Abs. 2 StPO von einer eigenen abschließenden Sachentscheidung im Beschwerdeverfahren abgesehen.

Die Aufhebung der Entlassungsanordnung zieht den vorläufigen Wegfall des Eintrittes der Führungsaufsicht nach sich.

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich noch auf Folgendes hin:

1.

Für den Fall einer (erneuten) Aussetzung der Vollstreckung des Restes der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung ist es aus Gründen der Übersichtlichkeit und Transparenz geboten, im Einzelnen konkret zu bestimmen, welche Weisungen dem Verurteilten nach § 56c StGB im Rahmen der Bewährung und welche ihm - strafbewehrt oder nicht strafbewehrt nach § 145a StGB - gemäß § 68b StGB im Rahmen der Führungsaufsicht bzw. nach beiden Vorschriften erteilt werden sollen.

2.

In Bezug auf eine Weisung, sich nach der Entlassung "umgehend" in der Dienststelle der für ihn zuständigen Bewährungshilfe persönlich vorzustellen, ist nach Ansicht des Senats aus Gründen der Bestimmtheit erforderlich, eine konkrete Frist zu bestimmen (z.B. "spätestens am Werktag, der auf den Entlassungstag folgt"). Gleichfalls ist die konkrete Ausgestaltung der Kontakthaltungspflicht des Verurteilten zu dem Bewährungshelfer gemäß § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StGB betreffend die Art der Kontakthaltung (z.B. persönlich), der zeitliche Abstand (z.B. einmal im Monat) und der Ort, wo sich der Verurteilte zu melden hat (z.B. Dienststelle des Bewährungshelfers), vom Gericht klar zu bestimmen (vgl. dazu: Kinzig, in Schönke/Schröder, 30. Aufl., StGB, § 68b Rn. 12 m.w.N.). Auch die Frequenz der Probandentermine muss seitens des Gerichts bestimmt werden. Denn in die Handlungsfreiheit des Verurteilten eingreifende Regelungen dürfen dem Bewährungshelfer nicht vorbehalten bleiben, sondern sind vom Gericht selbst vorzunehmen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 11. Februar 2014 zu III - 1 Ws 40/14 und vom 10. November 2015 zu III - 1 Ws 493/15 -, jeweils m.w.N.). Lediglich die nähere zeitliche Ausgestaltung der einzelnen Termine kann dem Bewährungshelfer überlassen bleiben.

3.

Sollte (erneut) eine Weisung betreffend einen Wohnungswechsel nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 StGB erteilt werden, ist es unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgebotes (vgl. § 68b Abs. 1 Satz 2 StGB) notwendig, das Merkmal "unverzüglich" durch eine bestimmte Frist (z.B. "binnen drei Werktagen") zu ersetzen (vgl. Senat, Beschluss vom 07. Mai 2019 zu III-1 Ws 152+153/19; Kinzig, in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 68 b Rn. 13 und 14 - jeweils m.w.N.).

4.

In Bezug auf die in Zusammenhang mit einer Abstinenzweisung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB enthaltene Weisung, sich Suchtmittelkontrollen ohne körperlichen Eingriff zu unterziehen - vgl. Ziff. 6. lit d) und e) des angefochtenen Beschlusses -, muss das Gericht zur Einhaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes die zentralen Modalitäten der Kontrollen selbst festlegen (Kinzig, in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 68 b Rn. 14 a), und zwar nicht nur in Bezug auf deren Höchstzahl bzw. Frequenz (z.B. quartalsmäßig viermal im Jahr), sondern auch betreffend die Art der Kontrollen (z.B. Multidrogenspeicheltest, Atemalkoholmessung, Urinkontrolle), die konkrete Stelle, die die Tests durchzuführen und auszuwerten hat, und - unter Berücksichtigung von Verhältnismäßigkeits- und Zumutbarkeitserwägungen - die Kostentragungspflicht (vgl. Kinzig, in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 68 b Rn. 14 a und zu all dem Senat, Beschluss vom 07. Mai 2019 zu III-1 Ws 152+153/19).

Soweit die Strafvollstreckungskammer in Ziff. 6. lit. e) des angefochtenen Beschlusses die Weisung ausgesprochen hat, an Suchtmittelkontrollen "mitzuwirken", ist aus Sicht des Senats insoweit ferner eine klarstellende Konkretisierung notwendig, was damit genau gemeint ist.

5.

Für eine üblicherweise gemäß § 68b Abs. 2 StGB zu treffende (nicht strafbewehrte) Weisung, an einer - näher bezeichneten - forensischen Nachsorge teilzunehmen, gilt das Bestimmtheitsgebot zwar nicht so strikt wie betreffend eine strafbewehrte Weisung nach Abs. 1 Satz 1 des § 68b StGB, dennoch muss das Gericht auch insoweit ausreichend bestimmte Vorgaben zur organisatorischen Ausgestaltung machen, und zwar neben der konkret zu bezeichnenden Einrichtung und der Höchstdauer der Teilnahme auch zur Zielrichtung der Therapie und der Kostentragungspflicht (vgl. zu all dem Kinzig, in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 68b Rn.22 m.w.N.).