VG Köln, Beschluss vom 24.10.2019 - 12 L 1942/19
Fundstelle
openJur 2019, 37515
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wurde am 00.00.1991 in Douar Rdinate geboren und ist marokkanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 09.04.2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 22.04.2015 einen Asylantrag. Dieses Verfahren wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 19.10.2016 bestandskräftig eingestellt. Gleichzeitig wurde der Antragsteller aufgefordert, das Bundesgebiet zu verlassen, und ihm die Abschiebung nach Marokko angedroht, wenn er der Ausreiseaufforderung in der ihm gesetzten Frist von 30 Tagen nicht nachkomme. Die Wiedereinreisesperre wurde auf 30 Monate ab Abschiebung befristet. Der Antragsteller gab bis heute insgesamt 6 verschiedene Namen, 6 verschiedene Geburtsdaten, 2 verschiedene Geburtsorte und 3 unterschiedliche Staatsangehörigkeiten an. Er trat mehrfach strafrechtlich in Erscheinung und wurde 11 mal verurteilt. Mit anwaltlichem Schreiben vom 10.07.2019 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, da er keinen Pass habe und Vater des deutschen, am 00.00.2018 geborenen Jungen O. sei. Es werde vor dem Familiengericht Köln Klage auf Vaterschaftsanfechtung geführt werden, weil die Eintragung eines anderen Mannes als Vater falsch sei.

Nachdem dem Antragsteller im Rahmen der Anhörung Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Ausweisung gegeben worden war, wies ihn die Antragsgegnerin mit der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung vom 22.08.2019 aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1), ordnete insoweit die sofortige Vollziehung an (Nr. 2) und befristete die Dauer der Wiedereinreisesperre auf 3 Jahre (Nr. 3).

Der nicht anwaltlich vertretene Antragsteller hat am 19.09.2019 die Klage 12 K 5676/19 erhoben und den vorliegenden Eilantrag gestellt, zu deren Begründung er vorträgt, er habe einen deutschen Sohn, der im Jahr 2018 in Köln geboren worden sei. Nach seiner Inhaftierung habe er vergeblich versucht, Kontakt mit seinem Kind bzw. der Kindsmutter aufzunehmen, und daraufhin eine Rechtsanwältin beauftragt, um ihn hinsichtlich der Regelung des Umgangsrechts und der Anerkennung der Vaterschaft zu vertreten. Ihm sei mitgeteilt worden, dass ein Vaterschaftstest ca. 1.200 € koste, die er nicht aufbringen könne. Zum Schutz des Eltern-Kind-Verhältnisses sei es erforderlich, dass er in der Bundesrepublik Deutschland bleiben dürfe.

II.

1. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil der Antragsteller bis heute keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht und dadurch seine Bedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht hat, vgl. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 117 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 ZPO.

2. Der Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen,

hat keinen Erfolg.

Soweit der Eilantrag sich auf Ziffer 1 der angefochtenen Ordnungsverfügung bezieht, ist er unbegründet.

Die Antragsgegnerin hat das besondere öffentliche Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung des Antragstellers in einer den formalen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden, d.h. individuell auf den vorliegenden Fall bezogenen Weise begründet. Insoweit ist zwar die Begründung, der Antragsteller erfülle die Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, ebenso falsch wie der Verweis auf die verfassungsmäßige Ordnung und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gemäß dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 07.05.2003 (1 S 254/03). Weder erfüllt der Antragsteller den Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG noch ist hier die vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg gemäß dem damals geltenden § 8 Abs. 1 Nr. 4 AuslG in Bezug genommene freiheitliche demokratische Grundordnung bzw. Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland einschlägig. Das ist hier aber schon deshalb unschädlich, weil die Antragsgegnerin im Übrigen darauf abgestellt hat, dass es für die Allgemeinheit ein unerträglicher Zustand wäre, wenn der Antragsteller mit seiner derzeitigen Einstellung gegenüber den geltenden Gesetzen im Bundesgebiet während eines (in der Hauptsache) Jahre andauernden Rechtsstreits weiterhin Straftaten begehen könne. Insoweit ist es unerheblich, ob der Antragsteller im Bundesgebiet verbleibt oder - wovon die Antragsgegnerin ausgeht - der Antragsteller ins Bundesgebiet wieder einreist.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage gegen einen Verwaltungsakt wiederherstellen bzw. anordnen, wenn die vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes vorerst verschont zu bleiben, einerseits und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung andererseits zugunsten des Antragstellers ausfällt.

Diese Abwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 22.08.2019 erweist sich hinsichtlich der Ausweisung in Ziffer 1 nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, BVerwGE 157, 325-356, Rn. 18, juris.

Die Ausweisung des Antragstellers aus dem Bundesgebiet gemäß Nr. 1 der Ordnungsverfügung vom 22.08.2019 findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Aufenthalt des Antragstellers gefährdet gegenwärtig die öffentliche Sicherheit (a) und das Ausweisungsinteresse überwiegt das Bleibeinteresse (b).

a) Eine Ausweisung kann sowohl auf spezial- wie auch generalpräventive Gründe gestützt werden. Bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen ist eine von Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten eigenständig zu treffende Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der Schutzgüter eintreten wird, erforderlich.

Die Indizien, die für diese Prognose heranzuziehen sind, ergeben sich nicht nur aus dem Verhalten im Strafvollzug und danach. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 15.01.2013 - 1 C 10.12 -, Rn. 15 ff., vom 13.12.2012 - 1 C 20.11 -, Rn. 21, vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, Rn. 18, und vom 16.11.2000 - 9 C 6.00 -, Rn. 13 f.; BayVGH, Beschluss vom 10.04.2019 - 19 ZB 17.1535 -, Rn. 10 ( alle juris); BT-Drs. 18/4097, S. 49.

Nach diesen Maßgaben stellt der weitere Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar, da mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass er erneut erheblich straffällig und dabei sowohl die körperliche Unversehrtheit Dritter als auch fremdes Eigentum schädigen wird.

Nachdem der Antragsteller am 09.04.2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, begann er bereits kurze Zeit später, am 20.10.2015, strafrechtlich relevante Delikte zu begehen. So wurde der Antragsteller zu folgenden Strafen verurteilt:

Mit Urteil des Amtsgerichts Köln vom 30.10.2015 (000 XX 000/00) wegen am 24.10.2015 versuchten Diebstahls zu einer Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen,

mit Strafbefehl des Amtsgerichts Bergisch Gladbach (000 XX 00/00) vom 10.12.2015 wegen am 20.10.2015 begangenen Diebstahls zu einer Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen,

mit Strafbefehl des Amtsgerichts Hannover vom 26.02.2016 (000 XX 00/00) wegen am 19.11.2015 begangenen Diebstahls und Bedrohung zu einer Geldstrafe in Höhe von 45 Tagessätzen,

mit Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 15.04.2016 (000 XX 00/00) wegen am 10.04.2016 begangenen Diebstahls geringwertiger Sachen, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung zu 5 Monaten Freiheitsstrafe zunächst auf Bewährung,

mit Urteil des Amtsgerichts Bergisch Gladbach vom 09.06.2016 (00 XX 000/00) wegen am 14.06.2015 begangener gefährlicher Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung, Beleidigung und Beleidigung bei verminderter Schuldfähigkeit zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten zunächst auf Bewährung,

mit Strafbefehl des Amtsgerichts Walsrode vom 05.07.2016 (XX 000 XX 00000/00) wegen am 18.11.2015 begangener Beleidigung mit Diebstahl zu einer Geldstrafe in Höhe von 65 Tagessätzen,

mit Strafbefehl des Amtsgerichts Emmerich vom 23.09.2016 (0 XX 000/00) wegen am 17.08.2016 begangenen Erschleichens von Leistungen zu einer Geldstrafe in Höhe von 10 Tagessätzen,

mit Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 19.06.2017 (000 XX 000/00) wegen am 20.04.2016 begangenen Diebstahls zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen,

mit Urteil des Amtsgerichts Köln vom 10.08.2017 (000 XX 000/00) wegen am 04.06.2017 unerlaubten Erwerbens von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten,

mit Urteil des Amtsgerichts Köln vom 07.05.2018 (000 Ds 000/00) wegen am 05.11.2017 und 18.01.2018 innegehabten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten und

mit Strafbefehl des Amtsgerichts Köln von 10.07.2018 (000 XX 000/00) wegen am 10.04.2018 innegehabten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten auf Bewährung, die bis zum 15.08.2021 festgesetzt wurde.

Die Bewährung hinsichtlich der 5-monatigen und 8-monatigen Freiheitsstrafe wurde widerrufen. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zu 3 Monaten und 5 Monaten durch die Urteile des Amtsgerichts Köln vom 10.08.2017 und vom 07.05.2018 wurden nicht zur Bewährung ausgesetzt.

Strafrechtliche Verfahren wegen Delikten am 15.05.2017, 28.12.2017, 17.02.2018, 02.03.2018, 17.03.2018, 07.04.2018 und 20.07.2018 wurden gemäß § 154 StPO eingestellt. In Nordrhein-Westfalen trat der Antragsteller polizeilich wegen Betäubungsmitteldelikten insgesamt in 9 Fällen, wegen Hausfriedensbruchs in 2 Fällen und wegen Körperverletzung und Ladendiebstahls in 3 Fällen in Erscheinung.

Der Antragsteller war vom 26.04.2016 bis zum 09.06.2016 in Untersuchungshaft, vom 27.09.2016 bis 03.11.2016, vom 22.08.2017 bis zum 24.10.2017, vom 20.11.2017 bis zum 21.12.2017 wegen Ersatzfreiheitsstrafen, vom 20.07.2018 bis zum 15.08.2018 in Untersuchungshaft und vom 16.08.2018 bis heute zur Verbüßung von Freiheitsstrafen und Rest-Ersatzfreiheitsstrafen in Haft, die voraussichtlich regulär am 15.05.2020 enden wird.

Danach handelt es sich beim Antragsteller um einen intensiven Wiederholungstäter, den weder zur Bewährung ausgesetzte Haftstrafen noch verbüßte Haftstrafen von der weiteren Begehung von Delikten abgehalten haben. Dementsprechend vermochte auch die Justizvollzugsanstalt Remscheid für den Antragsteller vor dem Hintergrund seiner Gesamtentwicklung keine positive Sozial- und Legalprognose abzugeben.

Demgegenüber ist als positive Entwicklung des Antragstellers allenfalls seine bruchstückhafte Beherrschung der deutschen Sprache zu nennen. Andere positive Entwicklungen, die eine aktuelle Wiederholungsgefahr entfallen lassen könnten, sind nicht erkennbar. Vielmehr ist er bis heute auf Sozialleistungen angewiesen, die ihm aber offenbar nicht ausreichten, so dass er mehrfach Diebstähle begangen hat. Der Antragsteller hat sich zwar in der Untersuchungshaft insgesamt nicht schlecht geführt, fiel dort aber mehrfach wegen ungebührlichen Verhaltens, geringer Frustrationstoleranz und fordernden Verhaltens auf.

Es steht daher zu erwarten, dass der Antragsteller insbesondere im Fall dazu tretender schwieriger Lebenssituationen in alte Verhaltensmuster zurückfallen wird.

b) Ausgehend von einer gegenwärtigen Wiederholungsgefahr im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG fällt auch die gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmende Abwägung zu Lasten des Antragstellers aus.

Bei der Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG sind gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

Dieser Kriterienkatalog ist nicht abschließend. Es ist vielmehr geboten, auch die so genannten Boultif/Üner-Kriterien zur Anwendung zu bringen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zur Konkretisierung der Anforderungen aus Art. 8 Abs. 1, 2 EMRK im Hinblick gerade auf Ausweisungen in Folge einer strafrechtlichen Verurteilung entwickelt hat. Es sind dies: die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten, das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten und bei Einreise, der Charakter (rechtmäßig oder geduldet) und die Dauer des Aufenthalts in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll, die seit Begehung der Straftaten verstrichene Zeit und das Verhalten des Ausländers in dieser Zeit, insbesondere im Strafvollzug, die Staatsangehörigkeit aller betroffenen Personen, die familiäre Situation des Ausländers (z.B. Dauer der Ehe, tatsächliches bzw. intaktes Familienleben), die Kenntnis des Ehepartners von der Straftat bei Eingehen der familiären Beziehung, ob aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind und ggf. deren Alter, das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen ein Familienangehöriger voraussichtlich im Staat ausgesetzt wäre, in den der Ausländer ausgewiesen werden soll, die Belange und das Wohl der Kinder, die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielland sowie die Dauer des Aufenthaltsverbots.

Vgl. EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 - (Boultif), InfAuslR 2001,476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 - (Üner), NVwZ 2007,1279 = juris, Rn. 40, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 - (Maslov II), InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - 40601/05 - (Mutlag), InfAuslR 2010, 325 = juris, Rn. 54, vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06 - (Trabelsi), Rn. 55, juris und vom 22.01.2013 - Nr. 66837/11 - (E.), Rn. 29, juris.

Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich die Ausweisung des Antragstellers als rechtmäßig. Das Ausweisungsinteresse überwiegt das Bleibeinteresse und die Ausweisung ist verhältnismäßig.

Mit Blick auf die Typisierungen der §§ 54, 55 AufenthG wiegt im Fall des Antragstellers das Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG aufgrund der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten und gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG wegen nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstöße gegen Rechtsvorschriften schwer.

Demgegenüber liegt ein besonderes typisiertes Bleibeinteresse im Sinne von § 55 AufenthG in der Person des Antragstellers nicht vor. Auch verfügt der Antragsteller nicht über schutzwürdige familiäre und soziale Bindungen. Derzeit ist der Antragsteller im rechtlichen Sinne nicht Vater eines deutschen Kindes. Zudem hat der Antragsteller zu dem Kind bislang keinen Kontakt gehabt. Abgesehen vom Erwerb einiger Deutschkenntnisse hat der Antragsteller sich nicht in die hiesigen Lebensverhältnisse in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht eingegliedert.

Zum Zweck der Abwehr der vom Antragsteller ausgehenden Gefahr der Begehung weiterer einschlägiger Straftaten ist die Ausweisung des Antragstellers geeignet, erforderlich und auch angemessen im engeren Sinne.

Dem Antragsteller ist es zumutbar, nach Marokko zurückzukehren und sich dort eine Lebensgrundlage aufzubauen. Er ist ein junger gesunder Mann, hat die entsprechenden Sprachkenntnisse und ist immerhin im Nachbarland Algerien sozialisiert worden, wohin er nach seinen Angaben bereits im Alter von 3 Jahren mit seinen Eltern gezogen war.

Die in Nr. 3 der Ordnungsverfügung getroffene Entscheidung, die Sperrwirkung auf 3 Jahre zu befristen, geht mangels Erlasses eines Einreise- und Aufenthaltsverbots ins Leere und belastet deshalb den Antragsteller nicht. Seit dem 21.08.2019 ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, (von der Ausländerbehörde) ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist im Falle der Ausweisung das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Das hat die Antragsgegnerin im Tenor der streitbefangenen Ordnungsverfügung vom 22.08.2019 unterlassen.

Es kann auch nicht von einem konkludenten Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots bezüglich der Ausweisung ausgegangen werden. Ausweislich der zur Befristung gegebenen Begründung ist die Antragsgegnerin davon ausgegangen, dass "die Wirkung der Wiedereinreisesperre bezüglich der Ausweisung zu befristen" ist. Diese Ausführungen deuten eher auf ein nach Auffassung der Antragsgegnerin bereits existierendes Einreise- und Aufenthaltsverbot hin, ihnen ist aber kein bewusst eigenständiger Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots zu entnehmen. Dies ist aber seit der im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Ordnungsverfügung bereits geltenden Fassung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erforderlich.

Die im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19.10.2016 erlassene Abschiebungsandrohung ist insoweit von vornherein nicht einschlägig, weil nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG "gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung" ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, für das überdies mit § 11 Abs. 4 Satz 3 und Abs. 5a AufenthG spezielle Vorschriften existieren, die nicht im Fall einer Abschiebungsandrohung greifen. Außerdem kann der Ausländer einem Einreise- und Aufenthaltsverbot aufgrund einer Abschiebungsandrohung entgehen, indem er freiwillig aus dem Bundesgebiet ausreist. Eine solche Möglichkeit ist ihm im Fall eines Einreise- und Aufenthaltsverbots in Verbindung mit einer Ausweisung nicht eröffnet.

Auch bislang galt schon, dass bei Fehlen einer Entscheidung über ein Einreiseverbot im Zeitpunkt einer Abschiebung dies weder deren Rechtswidrigkeit noch die Rechtswidrigkeit einer Abschiebungsandrohung bewirkt, weil kein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Abschiebung und einem Einreiseverbot und kein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Abschiebungsandrohung und deren Vollzug einerseits und dem Einreiseverbot und dessen Befristung andererseits besteht. Vielmehr stellen die Rückkehrentscheidung und das befristete Einreiseverbot jeweils eigenständige Entscheidungen dar, die gesondert anfechtbar sind.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 21.08.2018 - 1 C 21.17 -, juris Rn. 22.

Nicht anderes gilt in Bezug auf eine Ausweisung. Auch sie ist eine eigenständige Entscheidung und damit ein eigenständiger Verwaltungsakt.

Auf die konkrete Länge der Frist von 3 Jahren kommt es nach allem nicht an, auch wenn dagegen keine rechtlichen Bedenken bestehen. Allerdings wird die Antragsgegnerin im Fall eines Erlasses eines Einreise- und Aufenthaltsverbots dieses gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

3. Die Entscheidung zum Streitwert beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG (Hälfte des gesetzlichen Auffangstreitwerts).

Rechtsmittelbelehrung

Ziffer 1 dieses Beschlusses ist unanfechtbar, § 146 Abs. 2 VwGO.

Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO - und der ERVV bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.

Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.

Die Beschwerde gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.

Die Beteiligten müssen sich bei der Einlegung und der Begründung der Beschwerde gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.

Gegen Ziffer 3 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Die Beschwerde ist schriftlich, als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.

Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt. Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.

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