SG Frankfurt am Main, Urteil vom 25.06.2013 - S 8 U 196/11
Fundstelle
openJur 2019, 37449
  • Rkr:
Tenor

1.

Der Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2011 wird aufgehoben.

2.

Es wird festgestellt, dass es sich bei dem Unfall des Klägers vom 7. Januar 2011 um einen Arbeitsunfall handelte.

3.

Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Verkehrsunfalls vom 07. Januar 2011 als Wegeunfall.

Der 1965 geborene Kläger war im Unfallzeitpunkt bei dem Unternehmen XY GmbH & Co. KG aus B-Stadt beschäftigt. Am Unfalltag wurde er von seinem Arbeitgeber aushilfsweise für einen Kollegen, der sich im Urlaub befand, in dem Lager des Unternehmens in ZS., Verteilerzentrum Rhein-Main, in D-Stadt eingeteilt. Sein Dienstbeginn wäre um 17:45 Uhr gewesen (Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 19. Januar 2011).

Gegen 17.15 Uhr befuhr der Kläger mit seinem blauen PKW Audi 100, amtliches Kennzeichen A BC 1234, die rechte der beiden Fahrspuren der B 43 von Bischofsheim in Richtung Rüsselsheim. In Höhe km 0,5 zog er unvermittelt nach links und kollidierte mit dem auf den linken Fahrstreifen in gleiche Richtung fahrenden PKW Mercedes E 290 TD, amtliches Kennzeichen D EF 567, des Herrn RA.. Hierdurch gerieten beide PKW über die Fahrstreifen der Gegenfahrbahn. Der Kläger erlitt hierdurch ein Schädel-Hirntrauma sowie eine Mittelgesichtsfraktur. Mit dem Rettungswagen wurde er in die Klinik und Poliklinik der Unfallchirurgie der Universitätsmedizin ZS. gebracht.

Mit Bescheid vom 24. Februar 2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfallereignisses vom 07. Januar 2011 als Arbeitsunfall ebenso ab wie einen Anspruch des Klägers auf Leistungen der Berufsgenossenschaft. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger hätte, um zu seiner Arbeitsstätte zu gelangen von der A 671 kommend an der Ausfahrt 6 die B 43 in Richtung ZS./D-Stadt nehmen müssen. Der Unfall des Klägers habe sich jedoch in entgegen gesetzter Richtung der B 43, nämlich zwischen Bischofsheim und Rüsselsheim ereignet. Für diese Wegewahl vorliegende betriebliche oder verkehrstechnische Gründe würden nicht angeführt und seien auch nicht erkennbar. Es sei deshalb davon auszugehen, dass die Gründe für das Zurücklegen dieses abweichenden Weges in der Person des Klägers gelegen hätten und daher Unfallversicherungsschutz auf diesem Abwege nicht bestanden habe.

Am 22. März 2011 ging bei der Beklagten der angeforderte Wegeunfall-Fragebogen des Klägers ein. Mit Schreiben vom 28. März 2011 bat die Sachbearbeiterin des Beklagten den Kläger mitzuteilen, ob dieser als Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. Februar 2013 anzusehen sei und bat um weitere Erläuterungen.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 31. März 2011 bestätigte der Bevollmächtigte des Klägers, dass der Fragebogen als Widerspruch zu werten sei und führte weiter zur Sache aus. In diesem Zusammenhang räumte er ein, dass der Kläger aufgrund des schweren Unfalles nur eingeschränkte Erinnerungen an den Vorfall habe. Der Kläger sei am Unfalltag von seiner Wohnung aus auf der A 66 in Richtung seines Arbeitsplatzes in D-Stadt gefahren. In Höhe Hochheim sei ein umfangreicher Stau gewesen, dessen Ende nicht absehbar gewesen sei. Da er nicht habe zu spät kommen wollen, sei er in Richtung Rüsselsheim abgefahren, um dort über die B 43 zur Arbeit zu kommen. Dabei müsse er einmal falsch abgebogen sein, weshalb es zu dem verhängnisvollen Wendemanöver gekommen sei.

Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2011 ab. Zur Begründung führte sie aus, der Widerspruch sei verfristet. Ungeachtet dessen habe die sachliche und rechtliche Überprüfung des angefochtenen Bescheides keine Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit ergeben. Der Widerspruch sei auch unbegründet.

Hiergegen richtet sich die am 17. November 2011 erhobene Klage. Der Kläger behauptet, er habe die A 66 genutzt und sei dann auf die A 671 gewechselt. Bei regnerischem Wetter und Dunkelheit sei er in die falsche Richtung auf die B 43 eingebogen. Dies habe er wohl bald bemerkt und gedacht, bei breiter Straße und wenig Verkehr wenden zu können.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Februar 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2011 zu verurteilen, das Verkehrsunfallereignis vom 07. Januar 2011 als Arbeitsunfall.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält nicht daran fest, dass der Widerspruch verfristet gewesen ist. Gleichwohl vertritt sie die Auffassung, die angegriffenen Bescheide seien rechtmäßig. Sie behauptet, es führe keine denkbare Wegevariante auf dem unmittelbaren Weg von der Wohnung des Klägers zur Arbeitsstätte über die B 43 in Fahrtrichtung Rüsselsheim an der Unfallstelle vorbei. Dabei sei aber bewiesen, dass der Kläger sich nicht auf dem unmittelbaren Weg zur Arbeit befunden habe.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig.

Sie ist trotz des vom Kläger mit Schriftsatz vom 16. November 2012 gestellten Leistungsantrages allein als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs.1 Nrn. 1 und 3 Sozialgerichtsgesetz <SGG> statthaft. Denn durch die angefochtenen Bescheide hat die Beklagte keine konkreten Entschädigungsleistungen, insbesondere nicht die Gewährung von Verletztengeld und Verletztenrente, versagt. Lehnt - wie hier - der Unfallversicherungsträger die Feststellung eines Arbeitsunfalls und deswegen die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, kann der betroffene Versicherte zulässigerweise allein im Rahmen einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage die Feststellung des Ereignisses als Arbeitsunfall und die Feststellung von Gesundheitsstörungen als dessen Folge gerichtlich geltend machen (vgl. z.B. BSG, Urteile vom 15. Februar 2005 - B 2 U 1/04 R -, zitiert nach juris Rn. 12; Urteil vom 13. Dezember 2005 - B 2 U 29/04 -, zitiert nach juris Rn. 10; Urteil vom 20. März 2007 - B 2 U 19/06 -, zitiert nach juris Rn. 9).

Ferner ist das gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 SGG erforderliche Vorverfahren ordnungsgemäß durchgeführt und der ablehnende Bescheid vom 24. Februar 2011 im Sinne von § 77 SGG nicht bindend geworden. Denn der Kläger hat - entgegen der Ausführung der Beklagen in dem Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2011 - durch die Übermittlung des Wegeunfall-Fragebogens am 22. März 2011 form- und fristgerecht, vgl. § 84 SGG, Widerspruch eingelegt. Dies ist zwischen den Beteiligten mittlerweile unstreitig.

Die Klage ist auch begründet.

Zu Unrecht hat die Beklagte die Anerkennung des Verkehrsunfallereignisses vom 07. Januar 2011 als Arbeitsunfall abgelehnt. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2011 ist rechtswidrig und daher aufzuheben. Bei dem Verkehrsunfallereignis vom 7. Januar 2011 hat es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt.

Nach § 7 Abs. 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten in Folge einer den Versichertenschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Versichert ist dabei nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit.

Der Versicherungsschutz auf dem Weg nach und von der Arbeitsstätte oder einer anderen versicherten Tätigkeit wird damit begründet, dass diese Wege nicht aus privaten Interessen, sondern wegen der versicherten Tätigkeit unternommen werden und somit eine Art Vor- oder Nachbereitungshandlung zur eigentlichen versicherten Tätigkeit darstellen.

Die in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gebrauchte Formulierung "zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit" kennzeichnet den sachlichen Zusammenhang des unfallbringenden Weges mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit. Dieser besteht, wenn der Weg wesentlich zu dem Zweck zurückgelegt wird, den Ort der Tätigkeit oder nach deren Beendigung im typischen Fall die eigene Wohnung zu erreichen. Die darauf gerichtete Handlungstendenz muss durch die objektiven Umstände bestätigt werden. Da der Gesetzgeber die Grundentscheidung "Versicherungsschutz auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit" in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII getroffen hat, ist von der Rechtsprechung nur zu klären, ob der Versicherte, als er verunglückte, einen solchen versicherten Weg zurückgelegt und in Folge dessen einen Gesundheitsschaden erlitten hat. Dieser Unfallschutz setzt voraus, dass der Weg mit der versicherten Haupttätigkeit zusammenhängt, weil er nur versichert ist, solange und soweit er eng mit der Aufnahme oder der Beendigung der Haupttätigkeit verbunden ist. Maßgebliches Kriterium hierfür ist, ob die an Hand objektiver Umstände zur beurteilende Handlungstendenz des Versicherten beim Zurücklegen des Weges darauf gerichtet war, die Haupttätigkeit aufzunehmen oder nach deren Beendigung in seinen Privatbereich zurückzukehren; denn nur dann hängt sein Handeln mit der versicherten betrieblichen Tätigkeit zusammen. Fehlt es an diesem Zusammenhang, ist das Zurücklegen des Weges auch dann keine versicherte Tätigkeit, wenn der Versicherte die selbe Strecke zurücklegt, die er als Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit gewöhnlich benutzt (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 02. Dezember 2008 - B 2 U 26/056 R -).

In Anwendung dieser Grundsätze liegt ein in Folge der versicherten Tätigkeit erlittener Verkehrsunfall und mithin ein Arbeitsunfall des Klägers vor.

Die Kammer ist davon überzeugt, dass sich der Kläger am frühen Abend des 07. Januar 2011 auf den gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII versicherten Weg zu seiner Arbeitsstelle im Verteilerzentrum Rhein-Main, in D-Stadt befand. Die Kammer stützt ihre Überzeugung zum einen auf die schriftlichen Angaben des Arbeitgebers in der Unfallanzeige vom 19. Januar 2011. Danach war der Kläger, der regelmäßig in der Zentrallogistik des Unternehmens in B-Stadt arbeitete, aushilfsweise für einen Kollegen, der sich im Urlaub befand, im Verteilerzentrum in D-Stadt eingesetzt. Ansonsten ereignete sich der Unfall nicht weit von seinem Einsatzort. Des weiteren deckt sich der Unfallzeitpunkt auch mit dem Arbeitsbeginn des Klägers um 17:45 Uhr. Schließlich wurden nach den Feststellungen des Polizeihauptkommissars P. im Beifahrerraum eine Tasche bzw. ein Rucksack mit einer noch warmen, gefüllten Thermoskanne gefunden (Vermerk vom 19.Januar 2011, Bl. 39-6 der Verwaltungsakte). Auch dies spricht in Zusammenhang mit den übrigen Indizien dafür, dass sich der Kläger auf dem Weg zur Arbeit befand.

Im Ergebnis ist die Kammer daher zunächst davon überzeugt, dass sich der Kläger am 7. Januar 2011 auf dem Weg zur Arbeit befand und auf diesem Weg unter Versicherungsschutz stand. Hiervon war letztlich auch die Beklagte zunächst ausgegangen. Entgegen der Auffassung der Beklagten konnte sich die Kammer nicht davon überzeugen, dass sich bis zu dem vom Kläger erlittenen Unfall daran etwas geändert haben soll.

Dass er zum Zeitpunkt des Unfalles gegen 17:15 Uhr die B 43 nicht mehr in Fahrtrichtung zu seinen Arbeitsplatz in D-Stadt, sondern in Richtung Rüsselsheim und damit in der Gegenrichtung fuhr, gebietet keine andere Sicht der Dinge. Die Kammer hält, die vom Kläger gegebene Begründung eines Abbiegefehlers für plausibel. Denn damit ließe sich sein (verkehrswidriges) und zum Unfall führendes Wendemanöver erklären.

Dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt auf dem Weg zu eigenwirtschaftlichen Verrichtungen war, wie die Beklagte meint, ist nicht erwiesen. Eine wegen der Umkehr vom Arbeitsweg in Betracht kommende Beendigung des Versicherungsschutzes (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2009, - B 2 U 26/07 R -) setzt voraus, dass der ursprüngliche Weg zum Ort der Tätigkeit aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen wird; erst hierdurch entfällt der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit und damit der Versicherungsschutz (vgl. BSG, Urteil vom 02. Dezember 2008 - B 2 U 17/07 R -). Damit liegt eine Änderung der Handlungstendenz in Richtung auf eine unversicherte private Tätigkeit nur dann vor, wenn sie einen klaren und damit objektivierbaren Ausdruck gefunden hat. Hierfür trägt die Beklagte die objektive Beweislast. Ist nämlich - wie hier - eine versicherte Tätigkeit als (anspruchsbegründende) Voraussetzung für einen Arbeitsunfall nachgewiesen, so handelt es sich bei der Unterbrechung oder Beendigung derselben um eine anspruchshindernde Tatsache, deren Nichterweislichkeit in Abweichung von der üblichen Beweislastverteilung zu Lasten des Unfallversicherungsträgers geht.

Nach dieser Maßgabe läst sich nicht feststellen, dass die Handlungstendenz des Klägers nicht mehr darauf gerichtet war, seine Arbeitsstätte in D-Stadt aufzusuchen. Im Gegenteil spricht aufgrund des Versuches des Klägers zu wenden und wieder in Fahrtrichtung zu seiner Arbeitsstätte zu kommen dafür, dass er weiterhin zu seiner Arbeitsstelle wollte.

Unabhängig davon vermag sich die Kammer aber auch nicht davon zu überzeugen, dass der Kläger den ursprünglichen Weg zum Ort der Tätigkeit aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen hat. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass Gründe für eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit des Klägers weder von Seiten der Beklagten vorgetragen geschweige denn nachgewiesen sind.

Nach alle dem war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

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