FG Kassel, Urteil vom 10.11.2014 - 2 K 936/08
Fundstelle
openJur 2019, 37247
  • Rkr:
Tenor

1.

Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom .2007 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 2008 wird die Beklagte verpflichtet, dem Kläger Kindergeld in gesetzlicher Höhe für die Pflegekinder L (geb. am .1994) und A (geb. am 1996) ab Antragstellung, das heißt ab 2007 bis zum .2008 (d.h. bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung) zu gewähren.

2.

Unter Aufhebung der Ablehnungsbescheide vom .2008 wird die Beklagte verpflichtet, dem Kläger Kindergeld in gesetzlicher Höhe für die Pflegekinder M (geb. am 1995) und D (geb. am 1990) zu gewähren, und zwar für D für den Zeitraum vom .2008 (wie beantragt) bis zum .2008 (d.h. bis zum Ende des Monats der Vollendung des 18. Lebensjahres) und für M für den Zeitraum vom .2008 (wie beantragt) bis zum .2013 (d.h. bis zum Ende des Monats der Vollendung des 18. Lebensjahres).

3.

Im Übrigen, d.h. soweit für das Pflegekind D Kindergeld für den Zeitraum vom .2009 bis einschließlich 2009 beantragt wurde, wird die Klage abgewiesen.

4.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

Mit der vorliegenden Klage wendet sich der Kläger zum einen gegen den Ablehnungsbescheid vom .2007 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom .2008. Mit dem Bescheid vom .2007 lehnte die beklagte Familienkasse den "Antrag auf Kindergeld vom .2007" bezüglich der Kinder L und A mit der Begründung ab, es handele sich nicht um ein Pflegekindschaftsverhältnis, sondern um eine Erziehungsstelle. Am .2007 war das Schreiben des früheren Bevollmächtigten des Klägers vom 2007 eingegangen, mit welchem er auf seinen vorangegangenen Kindergeldantrag vom .2007 (Eingang bei der beklagten Behörde: .2007) Bezug nahm. Das erkennende Gericht geht davon aus, dass die beklagte Behörde mit dem Ablehnungsbescheid vom .2007 auch über den zuvor gestellten Kindergeldantrag vom .2007 entschieden hat.

Zum anderen wendet sich der Kläger mit der zum Verfahren verbundenen Klage (vormals mit dem Az.: 2 K 1450/09) gegen die beiden Bescheide vom .2008, mit welchen die beklagte Behörde den Kindergeldantrag vom .2007 (s.o.) abgelehnt hatte. Über den hiergegen rechtzeitig eingelegten Einspruch hat die beklagte Behörde bis heute nicht entschieden. Die hierzu am .2009 unter dem Az.: 2 K 1450/09 erhobene Klage ist als Untätigkeitsklage i.S. des § 46 FGO erhoben worden. In den angefochtenen Bescheiden vom 2008 wird die Ablehnung des Kindergeldantrages ähnlich begründet wie in dem o.a. Bescheid vom .2007.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die vier im Tenor dieser Entscheidung aufgeführten Kinder bzw. Jugendlichen als Pflegekinder i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzuerkennen sind (so der Kläger) oder ob der Kläger diese zu Erwerbszwecken in seinen Haushalt aufgenommen hat (so die beklagte Behörde).

Der Kläger und seine Ehefrau nahmen die o.a. Kinder im Rahmen von sog. Erziehungsstellenverträgen mit dem in X ansässigen Verein Y in ihren Haushalt auf.

Über diesen Verein heißt es auf der Startseite von dessen homepage:

"Der Y-Verein, das ist sozial-diakonische Arbeit in der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, der .... seit dem Jahr .

Gegründet am ...., dem Tag ..., von der ... sowie weiteren Mitstreitern aus X, hat es sich der Verein von Anfang an zum Ziel gesetzt, sich für Kinder, Jugendliche, psychisch Kranke und ältere Menschen zu engagieren.

Im Laufe der Jahrzehnte erweiterte der Y-Verein e.V. sein pädagogisches und pflegerisches Angebot kontinuierlich in den Bereichen der Kinder-, Jugend-, Familien- und Altenhilfe sowie der Sozialpsychiatrie.

Heute leben in Hessen, Thüringen und Sachsen mehr als 700 Kinder und Jugendliche, die durch die Mitarbeitenden des Vereins betreut und versorgt werden. Kleine, überschaubare Systeme und Familien bieten ihnen ein verlässliches Beziehungsangebot. Zusätzlich entwickeln sich zunehmend aufsuchende und gemeindenahe Angebote in der Jugendarbeit und der Sozialarbeit an Schulen."

Zur Jugendhilfe heißt es auf der homepage:

"Der Y-Verein X bietet Eltern, Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen Hilfen zur Erziehung. Wir, die sozialpädagogische Kinder- und Jugendhilfe des Y- Vereins X, wollen junge Menschen in ihrer individuellen Entwicklung unterstützen und helfen, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Wir fördern die Stärken und Fähigkeiten jedes einzelnen, zeigen Wege auf, Konflikte zu bewältigen, stabilisieren sein Verhalten und vermitteln christliche Werte."

Die vollstationäre Hilfe wird wie folgt umrissen:

"Im Bereich der stationären Hilfen bieten wir jungen Menschen außerhalb ihrer eigenen Familie einen neuen Lebensort und bei Bedarf eine langfristige Lebensperspektive. Dieses umfassende Konzept der Lebensbegleitung vollzieht sich in Gruppen und Wohngemeinschaften. Dabei achten wir auf eine behagliche und familienähnliche Atmosphäre.

Die stationären Hilfen sind von uns unterschiedlich gestaltet. So werden zum Beispiel Kinder in bestehende Familien aufgenommen. Mädchen in besonderen Lebenssituationen leben in Mädchenwohngruppen. Kinder und Jugendliche mit einer psychischen Erkrankung finden eine neue Heimat in besonders intensiv betreuten Wohngruppen."

Speziell die Erziehungsstellen werden auf der homepage wie folgt umschrieben:

"Seit rund 20 Jahren unterhält der Y-Verein Erziehungsstellen in Hessen und angrenzenden Bundesländern. Erziehungsstellen sind professionell ausgewählte Familien, die Kindern und Jugendlichen in belastenden Lebenslagen den Bezugs- und Beziehungsrahmen einer Familie bieten:

Unsere Erziehungsstellen bieten Lebensorte für Kinder und junge Menschen, die kurz- oder langfristig nicht mehr in ihrer Familie leben können oder wollen. Oft kommen sie aus Familien in aktuellen oder chronifizierten Krisen.

Aufgrund der biographischen Erfahrungen in ihrer Herkunftsfamilie sind diese Kinder und jungen Menschen häufig bereits stark in ihrer Entwicklung beeinträchtigt und in jedem Fall in ihrer gesunden Entwicklung bedroht."

Im vorliegenden Streitfall haben sich der Kläger und seine Ehefrau als Erziehungsstelle für den Verein Y zur Verfügung gestellt. Sie dürfen nur für diesen Verein als Erziehungsstelle tätig werden. Sie sind nicht Angestellte des Vereins, sondern arbeiten freiberuflich.

Aus den vorliegenden inhaltsgleichen Verträgen vom .2005 zwischen dem Verein und dem Kläger und seiner Ehefrau in Bezug auf die Kinder L und A ergeben sich folgende für den Streitfall maßgeblichen Besonderheiten:

Die Eheleute S nehmen das Kind, das damals 9 Jahre alt war, in ihren Haushalt auf und betreuen und erziehen es in Übereinstimmung mit den pädagogischen Erkenntnissen, Methoden und Zielen der Konzeption der Erziehungsstellenarbeit des Vereins.

Sie nehmen auf Kosten des Vereins an Fortbildungsveranstaltungen teil, es wird ein Hilfeplan nach § 36 KJHG aufgestellt und fortgeschrieben.

Wesentliche Entscheidungen zur Lebensperspektivierung, wie z.B. die Einweisung in die Kinder- und Jugendpsychiatrie, Therapien, Verlegung, Entlassung und Ausbildungswechsel werden grundsätzlich mit dem Beratungsdienst des Vereins bzw. bei Abweichung vom Hilfeplan zusätzlich unter Einbeziehung des Jugendsamtes und der Sorgeberechtigten getroffen.

Anträge, insbesondere Mittelbewilligungen, erfolgen prinzipiell über den Verein.

Die Erziehungsstelle sorgt für entsprechende Schul- und Berufsausbildung und ist den Kindern bei Anträgen behilflich. Die in den Erziehungsstellen untergebrachten Personen werden vom Verein haftpflichtversichert.

Das Vertragsverhältnis endet, wenn die Personensorgeberechtigten ihr Einverständnis zur Maßnahme der Hilfe zur Erziehung gemäß § 33 Abs. 2 zurücknehmen oder wenn einer der Vertragspartner die Beendigung will oder wenn der Träger der öffentlichen Erziehungshilfe (zuständiges Jugendamt) eine andere Hilfeart für erforderlich hält.

Als finanziellen Ausgleich für ihre Erziehungsstellentätigkeit erhalten der Kläger und seine Ehefrau kein Honorar, sondern für ihren pädagogischen Einsatz ein Erziehungsgeld, das sie bei dem zuständigen Jugendamt zu beantragen haben. Ein Rechtsanspruch gegen den Verein besteht insoweit nicht.

Des Weiteren erhalten sie ein Pflegegeld für den Lebensunterhalt der Minderjährigen, das ebenfalls bei dem zuständigen Jugendamt zu beantragen ist. Gemäß § 39 Abs. 6 SGB VIII wird das Kindergeld, das die Erziehungsstelle zu beantragen hat, entsprechend vom Pflegegeld in Abzug gebracht. Auch insoweit besteht kein Anspruch gegen den Verein.

In 2008 beispielsweise erhielten der Kläger und seine Ehefrau ein Pflegegeld von monatlich € je Kind bis zum vollendeten 6. Lebensjahr, von € bis zum vollendeten 12. und von € bis zum vollendeten 13. Lebensjahr.

Zusätzlich wurden ein Erziehungsgeld von € je Kind und als Beitrag zur Altersversorgung monatlich € je Kind gezahlt (vgl. die Auflistung des Vereins auf Bl. 48 der Gerichtsakte).

Das Pflegegeld und das Erziehungsgeld wurden vom Jugendamt über den Verein gezahlt und von dort weitergeleitet an die Erziehungsstellen (vgl. die Auskunft des Vereins vom 2008, Bl. 47 der Gerichtsakten).

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blätter 99 bis 104 und 107 bis 112 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Nach Angaben des Klägers sind die Verträge bezüglich der übrigen Kinder im Wesentlichen inhaltsgleich.

Bezüglich des Kindes M hat der Landkreis Z mit Schreiben vom 2009 bestätigt, dass dieses Kind seit dem 2007 beim Kläger und seiner Ehefrau als Pflegeeltern untergebracht ist. Die Unterbringung sei auf Dauer ausgelegt, da eine Rückführung zu den Eltern, die sich beide in der ..Ausland ... befinden, nicht möglich sei. Die Abrechnung erfolge über den Verein Y, wo der Kläger und seine Ehefrau als Erziehungsstelle angebunden seien (vgl. Bl. 69 der Gerichtsakte). Wie sich aus dem Auskunftsschreiben des Vereins vom .2011 (vgl. Bl. 169 der Gerichtsakte) ergibt, wohnt M mittlerweile zehn Jahre beim Kläger und seiner Ehefrau (vgl. auch die Schreiben der Stadt Z auf Bler: 34, 35 der Gerichtsakte zum alten Az. 2 K 1450/09).

Ähnliche Bestätigungen liegen bezüglich D vor (vgl. Bler. 34, 36 der Gerichtsakte wie vor).

Aus dem Schreiben der Stadt B vom .2011 (Bler. 181, 182 der Gerichtsakte) wird nochmals deutlich, dass der Kläger und seine Ehefrau bezüglich des Kindes A Pflegegeld (Sachaufwand) und Erziehungsgeld im Rahmen einer Maßnahme nach § 33 SGB VIII erhalten haben, unter Abzug des hälftigen Kindergeldes.

Der Kläger vertritt die Auffassung, u.a. unter Bezug auf die vorgenannten Unterlagen, Bescheinigungen und Auskünfte, dass er und seine Ehefrau die Kinder als Erziehungsstelle im Rahmen von Maßnahmen nach § 33 SGB VIII in ihren Haushalt aufgenommen haben und daher als Pflegeeltern im kindergeldrechtlichen Sinne Anspruch auf Kindergeld haben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des klägerischen Vorbringens wird auf die eingereichten Schriftsätze und Unterlagen Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

1.

die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom .2007 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 2008 zu verpflichten, ihm Kindergeld in gesetzlicher Höhe für die Kinder L und A ab Antragstellung zu gewähren;

2.

die Beklagte unter Aufhebung der Ablehnungsbescheide vom .2008 zu verpflichten, ihm Kindergeld in gesetzlicher Höhe für das Kind M ab 2008 laufend und für das Kind D ab 2008 bis einschließlich 2009 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte macht die Unterscheidung im Wesentlichen davon abhängig, ob der Kläger die vier Kinder im Rahmen einer Maßnahme nach § 33 SGB VIII in seinen Haushalt aufgenommen hat - dann wären sie nach ihrer Auffassung Pflegekinder und der Kläger hätte einen Kindergeldanspruch - , oder ob die Haushaltaufnahme im Rahmen einer Maßnahme nach § 34 SGB VIII stattfand, dann hätte der Kläger nach Auffassung der Beklagten aus Erwerbsgründen gehandelt.

Soweit dabei der Verein Y in X, mit welchem der Kläger die "Erziehungsstellen-Verträge" abgeschlossen hat, mehrmals das Vorliegen einer Maßnahme nach § 33 SGB VIII bescheinigt hat, wie zum Teil auch mit der Sache befasste Dienststellen, lässt die Beklagte dies nicht gelten.

Unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 2.4.2009 (III R 92/06, BStBl II 2010, 345) meint die Beklagte, Erziehungsstellen seien eine Ausgestaltung der "sonstigen betreuten Wohnform" i.S. des § 34 Abs. 1 SGB VIII und damit grundsätzlich nicht kindergeldberechtigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der KG-Akten und der Gerichtsakten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist überwiegend begründet. Die vier streitbefangenen Kinder sind Pflegekinder, für die der Kläger grundsätzlich Kindergeld beanspruchen kann.

Die vormals unter dem Az. 2 K 1450/09 erhobene Untätigkeitsklage, die mit dem vorliegenden Verfahren verbunden wurde, war auch zulässig. Die 6-Monatsfrist wurde nicht unterschritten. Es gab auch keinen zureichenden Grund für die beklagte Behörde, mit der Einspruchsentscheidung weiter abzuwarten. Eine Entscheidung in der Sache 2 K 936/08 wäre verfahrensrechtlich nicht vorgreiflich oder bindend gewesen.

Das Gericht konnte deshalb beide Verfahren zur Sache entscheiden.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 EStG werden im Kindergeldrecht nur Kinder berücksichtigt, die die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 EStG erfüllen. Nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG gehören dazu auch Pflegekinder.

Dabei handelt es sich nach dem Klammerzusatz in § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG um Personen, mit denen der Betreuende durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinem Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht. Der Klammerzusatz stellt eine Legaldefinition dar. Die genannten Umstände sind Tatbestandsvoraussetzungen und keine erläuternden Ausführungen (BFH-Urteil vom 9. Februar 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739 [BFH 09.02.2012 - III R 15/09]).

Im Streitfall erfolgte die Haushaltsaufnahme der vier Kinder unstreitig für eine längere Dauer. L befand sich vom .2005 bis zum .2010, A vom .2005 bis in die Gegenwart, D vom .1998 bis zum 2009 und M seit .2004 bis in die Gegenwart im Haushalt des Klägers.

Die vier Kinder waren mit dem Kläger (und seiner Ehefrau) auch "durch ein familienähnliches Band verbunden".

Es muss eine familienähnliche Beziehung wie zu einem eigenen Kind (Eltern-KindBeziehung) vorliegen. Das Kind muss wie zur Familie gehörig angesehen und behandelt werden (BFH-Urteil vom 9. Dezember 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739 [BFH 09.02.2012 - III R 15/09]). Die Pflegeeltern müssen sämtliche wesentlichen Entscheidungen für das Kind treffen und für das Kind zu dem maßgeblichen Ansprechpartner und damit zu Ersatzeltern geworden sein (BFH-Urteil vom 7. September 1995 III R 95/93, BStBl II 1996, 63 [BFH 07.09.1995 - III R 95/93]). Es muss mit anderen Worten ein Aufsichts- Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und Kindern bestehen (BFH-Urteil vom 5. Oktober 2004 VIII R 69/02, BFH/NV 2005, 524 [BFH 05.10.2004 - VIII R 69/02]; BFH-Urteil vom 21. April 2005 III R 53/02, BFH/NV 2005, 1547 [BFH 21.04.2005 - III R 53/02]; BFH-Urteil vom 9. Dezember 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739 [BFH 09.02.2012 - III R 15/09]).

Hiervon geht das erkennende Gericht aus. Indiziell spricht für ein familienähnliches Band die lange Aufenthaltsdauer. Das Gericht nimmt es dem Kläger auch ab, dass die vier Kinder in seinem Haushalt wie eigene aufgenommen waren. Eine baldige Rückführung der Kinder zu ihren leiblichen Eltern war nicht vorgesehen, der Kontakt zu diesen war, wenn überhaupt noch vorhanden, sehr eingeschränkt.

Die Haushaltsaufnahme ist auch nicht zu Erwerbszwecken erfolgt. Insbesondere stehen das Pflegegeld und Erziehungsgeld, welches der Kläger und seine Ehefrau als Pflegeeltern gemäß § 39 SGB VIII erhalten, der Anerkennung des Pflegekindschaftsverhältnisses nicht entgegen.

Pflegegelder, die bei Aufnahme eines Kindes in eine Familie zur Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII geleistet werden, sollen den Unterhalt für das Kind einschließlich der Kosten für die Erziehung sicherstellen (§ 39 Abs. 1 SGB VIII). Die monatlichen Pauschalbeträge bemessen sich nach den tatsächlichen Kosten, soweit diese einen angemessenen Umfang nicht übersteigen (§ 39 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII). Im Pflegesatz ist kein pauschalierter Ersatz für Personal- und Sachkosten der Pflegefamilie enthalten (BFH-Urteil vom 23. September 1999 VI R 106/98, BFH/NV 2000, 448 [BFH 23.09.1999 - VI R 106/98]). Unbeschadet dessen, dass Pflegegelder nach § 33 SGB VIII auch einen Anreiz zur Aufnahme fremder Kinder schaffen sollen, sind sie nach ihrem Zweck und ihrer Bemessungsgrundlage kein nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen berechnetes Entgelt für Unterbringung und Betreuung, sondern lediglich Kostenersatz (BFH-Urteil vom 2. April 2009 III R 92/06, BStBl II 2010, 345 [BFH 02.04.2009 - III R 92/06]). Nur wenn den Pflegeeltern ein erheblich über den Pflegesätzen des zuständigen Jugendamts liegendes Pflegegeld gezahlt wird, kann davon ausgegangen werden, dass sie durch das Pflegegeld nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen für die Unterbringung und Betreuung entlohnt werden (BFH-Urteil vom 30. Juni 2005 III R 80/03, BFH/NV 2006, 262 [BFH 30.06.2005 - III R 80/03]).

Danach erhielt der Kläger lediglich Kostenersatz im Sinne des § 39 SGB VIII in Verbindung mit § 33 SGB VIII. Mangels eines nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen berechneten Entgelts für Unterbringung und Betreuung liegt keine Haushaltsaufnahme zu Erwerbszwecken vor.

Zu Unrecht vertritt die Beklagte die Auffassung, die Unterbringung der vier Kinder beim Kläger als Erziehungsstelle sei eine Maßnahme nach § 34 SGB VIII gewesen.

Die tatbestandliche Anknüpfung im Kindergeldrecht an die sozialrechtliche Einstufung, wie es der BFH in seinem Urteil vom 2.4.2009 (III R 92/06 a.a.O.) praktiziert hat, ist nicht für jeden Einzelfall handhabbar. Schwierigkeiten ergeben sich insbesondere dann, wenn von verschiedenen Behörden, Institutionen und Einrichtungen divergierende Einschätzungen vorliegen, wie im Streitfall. Auch wird aus dem BFH-Urteil nicht deutlich, wessen Einschätzung maßgeblich sein soll. Auch Behörden wie Jugendämter liegen nicht immer richtig mit ihrer Maßnahmequalifizierung, insbesondere seitdem die staatlichen Stellen bei der Jugendpflege und Erziehungshilfe immer mehr Mischformen der Betreuung zulassen bzw. selbst generieren, die sich nicht mehr eindeutig § 33 oder § 34 SGB VIII zuordnen lassen, wie zum Beispiel bei der Institution der "Erziehungsstelle", die im Gesetz gar nicht geregelt ist.

Diese Schwierigkeit der Abgrenzung hat schon die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter bei ihrer Tagung im Dezember 2002 in Würzburg erkannt und dabei im Protokoll zur besseren Abgrenzung folgendes festgehalten:

"Zur Abgrenzung zwischen § 33 i.V.m. § 44 und § 34 i.V.m. § 45 SGB VIII

Ein klassisches Unterscheidungskriterium stellt einerseits auf die Hilfe zur Erziehung in einer Familie und andererseits auf Hilfe zur Erziehung in einer Institution ab. Da das pädagogische Setting der Hilfen gemäß § 34 SGB VIII zunehmend familienähnlich gestaltet wird und sich Pflegefamilien in zunehmenden Maße auch besonders entwicklungsbeeinträchtigter Kinder annehmen, stellt sich die Frage, an welchen Merkmalen beide Hilfeformen abzugrenzen sind. Die gängige Definition, wonach unter Einrichtung im Sinne des § 45 SGB VIII eine auf eine gewisse Dauer angelegte Verbindung von sächlichen und persönlichen Mitteln zu einem bestimmten Zweck unter der Verantwortung eines Trägers zu verstehen ist, ihr Bestand und Charakter vom Wechsel der Personen, denen sie zu dienen bestimmt ist, weitgehend unabhängig ist, gilt anerkanntermaßen für alle Standardfälle als hinreichend praktikabel. Definitionen dieser Art scheinen jedoch dann zu versagen, wenn es durch die Praxis zu einer inhaltlichen Verschiebung in der Bedeutung der Einzeltatbestände kommt, also z. B. dann, wenn es, wie bei Verbundsystemen, mitunter lediglich zu einem rechtstheoretischen Trägerkonstrukt kommt, das eher die Züge einer Interessenvertretung trägt.

Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, Definitionsinhalte auf die konstitutiven Wesensmerkmale zu reduzieren. Solche unabdingbaren Merkmale sind bezogen auf:

Heim und sonstige betreute Wohnformen (§ 34 i.V.m. § 45 SGB VIII)

- Es ist eine Mindestplatzzahl vorgesehen (nur bei landesrechtlichen Vorgaben).

- Die Betreuung hat eine Orts- und Gebäudebezogenheit.

- Die Betreuung ist vom Wechsel der Betreuungspersonen unabhängig.

- Die Betreuung ist vom Wechsel der zu betreuenden jungen Menschen unabhängig.

- Die Betreuungskräfte stehen in einem Arbeitsverhältnis oder sonstigem weisungsgebundenen Verhältnis zum Träger.

- Der Träger hat Zugang zu den Räumlichkeiten.

- Es besteht ein organisatorischer Gesamtzusammenhang von Träger und Einrichtungen.

- Der Zweck der Einrichtung entspricht der Zielsetzung des § 34 SGB VIll.

Pflegestelle (§ 33 i.V.m. § 44 SGB VIII):

- Pflegeeltern sind die Betreuungs- und Bezugspersonen.

- Das Betreuungsverhältnis ist an ein bestimmtes Kind gebunden.

- Es besteht kein Anstellungsverhältnis oder ein sonstiges weisungsgebundenes Verhältnis zu einem Leistungsträger.

- Die Zahl der Pflegekinder ist nach oben begrenzt.

- Pflegeperson und Pflegekind leben im Privathaushalt der Pflegeperson."

Wichtig für die Abgrenzung ist nach dem Papier der Bundesarbeitsgemeinschaft auch die unterschiedliche Finanzierung:

"Finanzierung von Pflegestellen gem. § 33 SGB VIII

Bei der Finanzierung von Pflegestellen gem. § 33 SGB VIII zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zur Finanzierung von Hilfeformen im Rahmen des § 34 SGB VIII.

Die regelmäßigen finanziellen Leistungen beinhalten:

- die Pauschale für den laufenden Lebensunterhalt des Kindes (materielle Aufwendungen)

und

- die Pauschale für die Kosten der Erziehung (Erziehungsbeitrag).

Die Pauschalen können auf Tagessätze umgerechnet werden.

Hervorzuheben ist, dass der Erziehungsbeitrag kein Gehalt ist.

Die Pauschalbeträge für den laufenden Lebensunterhalt des Kindes werden gem. § 39 SGB VIII und entsprechenden Landesregelungen festgelegt und fortgeschrieben.

Im Einzelfall kann es geboten sein, über den Pauschalbetrag hinauszugehen (z. B. in Form eines Mietzuschusses). Zusätzliche Leistungen für Ferienmaßnahmen, Weihnachtszuschüsse, Nachhilfeunterricht usw. erhält die Pflegefamilie auf der Grundlage des § 39 Abs. 3 SGB VIII. Diese zusätzlichen Leistungen sollen sich am individuellen Bedarf orientieren und Raum für flexible, angemessene Einzelentscheidungen geben....

Finanzierung der familienähnlichen Formen nach § 34 SGB VIII

Für die familienähnlichen Formen nach § 34 SGB VIII (2.2.1 bis 2.2.3) kommt im Gegensatz zu den unter 2.1.1 und 2.1.2 dargestellten Formen ein völlig anderes Finanzierungssystem zur Anwendung.

Sie unterliegen dem Anwendungsbereich des § 78 a SGB VIII und somit gelten für sie die Regelungen der §§ 78 b bis 78 g SGB VIII (Abschluss von Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen).

Die Leistungsvereinbarung beinhaltet Inhalt, Umfang und Qualität der angebotenen Leistung auf der Basis der vom Einrichtungsträger erstellten Leistungsbeschreibung.

Mit der Qualitätsentwicklungsvereinbarung werden die Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung der Qualität des Leistungsangebots sowie geeignete Maßnahmen zur Gewährleistung der Qualität abgestimmt.

Die Entgeltvereinbarung umfasst differenzierte Entgelte für die Leistungsangebote und die betriebsnotwendigen Investitionen. Grundlage für die Entgeltvereinbarung sind die in der Leistungs- und Qualitätsentwicklung festgelegten Leistungs- und Qualitätsmerkmale.

Die Vereinbarungen sind von dem zuständigen örtlichen Träger der Jugendhilfe mit den Einrichtungsträgern zu schließen, die unter Berücksichtigung der Grundsätze der Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erbringung der Leistung geeignet sind.

Der Inhalt der Leistungs- und Entgeltvereinbarungen wird in § 78 c SGB VIII konkretisiert; für die Ausgestaltung der Leistungsvereinbarung werden Leistungsmerkmale beispielhaft aufgeführt.

Die in den Bundesländern abgeschlossenen Rahmenverträge nach § 78 f SGB VIII stecken den inhaltlichen Rahmen für die auf der örtlichen Ebene im Einzelnen abzuschließenden Vereinbarungen ab. Die Rahmenverträge dienen der örtlichen Ebene zur Orientierung beim Abschluss der Vereinbarungen; sie sollen auch zu einer weitgehend einheitlichen Handhabung dieses Finanzierungssystems beitragen."......

Diese Ausführungen zur Abgrenzung von § 33 und § 34 SGB VIII stimmen im Wesentlichen überein mit der gängigen Kommentierung zu SGB VIII (vgl. zum Beispiel Nellissen, 1. Auflage 2014, JurisPK-SGB VIII, Anmerkungen zu §§ 33, 34).

Legt man die vorgenannten Abgrenzungskriterien an die Verhältnisse im Streitfall an, so kommt man zu dem Ergebnis, dass der Kläger und seine Ehefrau auch materiell eine Erziehungsstelle i.S. des § 33 SGB VIII unterhalten haben. Die Unterbringung der Kinder war auf Dauer angelegt und personenbezogen, ausgerichtet auf die Familie. Es ging nicht um das Bereithalten einer sachlichen Organisation i.S. einer Einrichtung. Entsprechend war auch die Finanzierung geregelt. Das Gericht sieht keinerlei Hinweise auf eine Haushaltsaufnahme zu Erwerbszwecken.

Daran ändert nichts die anderslautende Auskunft der Stadt B vom .2010 (vgl. Bl. 133 der Gerichtsakten). Bereits mit Schreiben vom .2011 hat dieselbe Stadt eine konträre Auffassung vertreten (vgl. Bl. 181 der Gerichtsakten).

Nach allem war der Klage überwiegend im Rahmen der gestellten Anträge stattzugeben. Soweit es L und A betrifft, hat das Gericht als Antragstellung das Schreiben des vormaligen Bevollmächtigten vom .2007 gewertet und nicht, wie die Beklagte im Ablehnungsbescheid vom .2007, das am .2007 eingegangene Schreiben vom .2007. Letzteres war nach Auffassung des Gerichts kein neuer Antrag sondern eine Erinnerung an den zuvor gestellten Antrag vom .2007.

Die Wirkung dieses Urteils war im Falle der Geschwister L und A auf das Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, mithin bis zum .2008 beschränkt. Nach der Rechtsprechung des BFH kann das Gericht nur im Rahmen des Regelungsumfangs des Verwaltungsverfahrens die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide überprüfen (vgl. BFH-Urteil vom 4.8.2011, III R 71/10, BStBl II 2013).

Anders liegt es im Falle der Kinder M und D. Im früheren Verfahren 2 K 1450/09 fehlte es an einer Einspruchsentscheidung. Die Klage war als Untätigkeitsklage erhoben worden. Der Streitzeitraum ist daher grundsätzlich in die Zukunft nicht begrenzt durch eine letzte Verwaltungsentscheidung, was die Beklagte auch noch während des gerichtlichen Verfahrens jederzeit durch Erlass einer Einspruchsentscheidung hätte tun können, aber nicht getan hat.

Die vom Gericht vorgenommene Begrenzung beruht darauf, dass Kindergeld ohne zusätzliche Voraussetzungen (Kind in Ausbildung, ohne Ausbildungsplatz usw. siehe § 32 Abs. 4 EStG) nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gezahlt wird, auch bei Pflegekindern. Zudem ist die Annahme einer Pflegekindschaft über das Erreichen der Volljährigkeit hinaus nur unter noch schwierigeren Anforderungen zu erreichen (vgl. BFH-Urteil vom 9.2.2012, III R 15/09, BStBl II 2012, 739).

Über die Anspruchsvoraussetzungen für einen Kindergeldanspruch für ein über achtzehnjähriges Kind ist vorliegend gar nicht gestritten worden. Der Kläger hat hierzu nichts vorgetragen und auch nichts belegt. Das Gericht ist deshalb davon ausgegangen, dass darüber nicht zu entscheiden war. Insoweit ist der Kläger nicht gehindert, für ein über 18 Jahre altes Pflegekind einen Kindergeldantrag bei der beklagten Familienkasse zu stellen.

Da für das Kind D aber ausdrücklich über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus Kindergeld beantragt worden war, nämlich noch für die Monate und 2009, war die Klage insoweit abzuweisen, denn die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG und die Anforderungen des BFH-Urteils vom 9.2.2012 (III R 15/09 a.a.O.) waren nicht im Mindesten dargetan.

Da der Kläger nur in einem sehr geringen Umfang nicht obsiegt hat, waren der Beklagten die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.