Hessisches LAG, Urteil vom 15.10.2014 - 12 Sa 16/13
Fundstelle
openJur 2019, 37230
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 07. September 2012 - 8 Ca 1005/11 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten im Wege der Insolvenzanfechtung die Rückzahlung von der Schuldnerin geleisteter Beitragszahlungen.

Der Kläger ist der durch Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 10.12.2010 eingesetzte Insolvenzverwalter über das Vermögen der Fa. A (Schuldnerin) mit Sitz in B. Die Schuldnerin unterhielt ab dem 01.05.2001 einen baugewerblichen Betrieb, der bis zum 31.07.2004 und ab dem 01.04 2006 gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigte. Als solcher war sie zur Beitragszahlung an die Sozialkassen des Baugewerbes verpflichtet. Die Beklagte ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes und war bis ins Jahr 2010 nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.

Die Gemeinde B betrieb gegen die Schuldnerin ein Gewerbeuntersagungsverfahren (nach § 35 Abs. 1 GewO). In diesem Zusammenhang stand die Beklagte seit 2005 in regelmäßigem Informationsaustausch mit der Gemeinde B. Auf deren jeweilige Anfragen nach Beitragsrückständen teilte die Beklagte mit Schreiben vom 22.08.2005 (Bl. 13-14 d.A.) und vom 31.10.2005, dass das Beitragskonto der Schuldnerin durch Erstattungen und Zahlungen durch den Gerichtsvollziehers ausgeglichen wurde. Eigenzahlungen leistete die Schuldnerin für diesen Zeitraum nicht. Mit Schreiben vom 27.01.2007 (Bl. 16, 17 d.A.) unterrichtete die Beklagte darüber, dass die Rückstände des Beitragskontos sich für die Zeit von April 2006 bis einschließlich Dezember 2006 auf € 1.469,43 beliefen. Unter dem 12.07.2007 (Bl. 18, 19 d.A.) teilte die Beklagte schriftlich mit, dass der Saldo des Beitragskontos für den Zeitraum April 2006 bis Juni 2007 zuzüglich Zinsen auf € 2.498,71 angewachsen sei, dass man derzeit die Zwangsvollstreckung betreibe und dass im Rahmen des Verfahrens zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung eine Zahlungsvereinbarung nach § 900 Abs. 3 ZPO getroffen wurde. Eine erste daraus folgende Teilzahlung in Höhe von € 91,40 ging am 04.07.2007 bei der Beklagten ein. Im Weiteren teilte die Beklagte mit, dass sie bis zum 31.12.2007 mit einer weiteren Aussetzung des Gewerbeuntersagungsverfahrens bis zum 31.12. 2007 nicht einverstanden sei. Mit Schreiben vom 24.10.2007 (Bl. 20 d.A.) informierte die Beklagte über ein Anwachsen des Beitragssaldos auf € 2.257,69. Mit Schreiben vom 04.06.2008 (Bl. 21 d.A.) erfuhr die Gemeinde B, dass der Saldo des Beitragskontos auf € 4.593,74 angewachsen sei und mangels Eigenzahlungen weiter die Zwangsvollvollstreckung betrieben werde. Zu Gunsten der Schuldnerin wurden zu der Zeit nur die Erstattungsleistungen der Urlaubskasse für gezahlte Urlaubsentgelte und Überweisungen des Gerichtsvollziehers verbucht. Weiter informierte die Beklagte mit Schreiben vom 28.11.2008, 07.08.2009 sowie vom 01.04. 2010 (Bl. 22 - 24 d.A.) über die jeweilige Höhe des Beitragsrückstands. Dieser belief sich nach der letzten Mitteilung im Oktober 20009 auf € 1.825,01.

Im Zeitraum von 2007 bis zur Insolvenzeröffnung 2010 des Schriftwechsels erlangte die Beklagte von der Schuldnerin folgende Zahlungen: am 04.07.2007 € 91,40, am 18.12.2008 € 286,40, am 28.01.2009 € 2.639,58, am 17.03.2009 € 47,90, am 30.04.2009 € 143,90, am 27.07.2009 € 593,90 und zuletzt am 15.10.2009 € 143,90. Die Zahlungen in der Gesamthöhe von € 3.946,98 wurden alle über den Gerichtsvollzieher an die Beklagte ausgezahlt. Mit Schreiben vom 11.05.2011 erklärte der Kläger die insolvenzrechtliche Anfechtung der Zahlungen gemäß §§ 143 Abs.1 iVm. § 133 Abs. 1 InsO und forderte von der Beklagten deren Erstattung zu Gunsten der Schuldnerin.

Für den weiteren unstreitigen Sachverhalt, das streitige erstinstanzliche Vorbringen der Parteien sowie ihre Rechtsansichten und die vor dem Arbeitsgericht gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils verwiesen (Bl. 79 -81R d.A.).

Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat mit der Klage stattgebendem Urteil vom 07.09.2012 (8 Ca 1015/11) die Beklagte zur Zahlung des eingeklagten Betrages verurteilt. In der Begründung hat es ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Anfechtung gemäß § 133 InsO vorliegen. Zunächst seien die erfolgten Zahlungen aufgrund von Rechtshandlungen der Schuldnerin bewirkt worden. Das habe der Kläger schlüssig dargelegt, ohne dass die Beklagte dem erheblich entgegengetreten wäre. Dann hat es unter Anführung der Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Benachteiligungsabsicht der Schuldnerin bei ihren Rechtshandlungen bejaht. Dazu hat es festgestellt, dass die Schuldnerin bei Leistung der jeweiligen Zahlungen wusste, dass ihre Zahlungsunfähigkeit drohte, denn sie sei über Jahre hinweg nicht in der Lage gewesen, einen erheblichen Teil der fälligen Verbindlichkeiten nicht nur gegenüber der Beklagten zu bedienen. Das rechtfertige die Annahme einer Zahlungseinstellung. Dieselben Indizien rechtfertigten ebenfalls die Annahme, dass die Beklagte Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit sowie von der Gläubigerbenachteiligung hatte. Diese Vermutung sei aus dem Ausbleiben der Beitragszahlungen, ihrem ständigen Anstieg über eine längere Zeit hinweg und ihre dann nur teilweise Tilgung gerechtfertigt. Daraus lasse sich schließen, dass die Mittel weder zur Erfüllung seiner Forderungen und erst recht nicht mehr zur Befriedigung anderer Gläubiger ausreichen. Die Beklagte habe nach den gesamten Abläufen von erheblichen und andauernden Zahlungsschwierigkeiten der Schuldnerin ausgehen müssen. Dieser Vermutung sei die Beklagte nicht mit substantiiertem Vortrag entgegengetreten. Für die weitere Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bl. 81R - 87 d.A.)

Die Beklagte hat gegen das ihr am 06.12.2012 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts am 04.01.2013 beim Hessischen Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 20.02.2013 - am 20.02.2013 begründet.

Die Beklagte rügt die Annahme der drohenden Zahlungsunfähigkeit sowie der Gläubigerbenachteiligungsabsicht durch das Arbeitsgericht. Der Kläger habe zu beidem nicht substantiiert vorgetragen. Sie bestreitet, dass die Schuldnerin die Zahlungen an den Gerichtsvollzieher per Überweisung erbracht habe und dass im Zeitraum der Zahlungen Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin vorgelegen oder gedroht habe. Vermutet behauptet sie, dass die Schuldnerin jeweils an den im Geschäftslokal erschienen Gerichtsvollzieher geleistet habe. Sie weist darauf hin, dass es im Geschäftsbereich der Sozialkassen durchaus üblich sei, dass Betriebe lieber ihre bestehende Kreditlinie schonten und sich der kostengünstigeren Verzinsung ungeliebter Beitragszahlungen bis zur Zahlung an den Gerichtsvollzieher bedienten. Auch aus der Einleitung des Gewerbeuntersagungsverfahrens sei nicht auf eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zu schließen. Für dessen Einleitung gebe es die verschiedensten Gründe.

Zur Ergänzung des Berufungsvorbringens des Klägers wird auf die Berufungsbegründung vom 20.02.2012 und den Schriftsatz vom 04.02.2014 (Bl. 106-108 u. 135-137 d.A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des am 07.09.2012 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Wiesbaden - 8 Ca 1005/11 - die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt unter teilweiser Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens das arbeitsgerichtliche Urteil. Er behauptet weiter, dass den jeweiligen Auszahlungen des Gerichtsvollziehers an die Beklagte Überweisungen der Schuldnerin mit Angaben dazu, wie der Betrag auf die einzelnen Schuldner verteilt werden soll, vorausgegangen seien. Die Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit folge schon daraus, dass die Beklagte Kenntnis vom jahrelang betriebenen Gewerbeuntersagungsverfahren hatte und dass über Jahre hinweg Beitragsrückstände aufgelaufen seien, die erst im Wege der Zwangsvollstreckung, und auch dann nur teilweise, bezahlt wurden. Zugleich habe die Beklagte gewusst, dass die Schuldnerin noch weiter gewerblich tätig gewesen sei und deshalb damit gerechnet werden musste, dass weitere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen vorhanden seien.

Wegen des weiteren Berufungsvorbringens des Klägers wird auf die Berufungserwiderung vom 01.03.2013 und den Schriftsatz vom 18.02.2014 (Bl. 110 - 112 und 146-148 d.A.) Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist statthaft (§§ 8 ArbGG, 64 Abs. 1, 2 ArbGG). Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 517, 519, 520 Abs. 1, 3 ZPO).

Die Berufung bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg, da die Klage begründet ist. Dem Kläger steht ein Zahlungsanspruch gemäß §§ 133, 143 InsO zu. Die Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO sind für die einzelnen Teilzahlungen, die die Beklagte seit dem 04.07.2007 von der Schuldnerin erhalten hat, erfüllt.

Es liegt zunächst für jede einzelne Zahlung eine Rechtshandlung der Schuldnerin vor. Diese Rechtshandlungen fanden in den letzten 10 Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und mit dem Vorsatz, ihre Gläubiger zu benachteiligen (§ 140 InsO), statt. Der Beklagten war zumindest die drohende Zahlungsunfähigkeit seit der ersten vom Gerichtsvollzieher an sie weitergeleiteten Zahlung im Jahre 2007 auch bekannt. Die Kammer folgt zur weiteren Begründung den zutreffenden und überzeugenden Ausführungen des Arbeitsgerichts in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils, macht sie sich zu Eigen und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese Bezug (§ 69 Abs. 2 ArbGG, Bl. 81R - 87 d.A.). Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist lediglich Folgendes zu ergänzen:

Nach dem unstreitigen Sachverhalt sind die einzelnen, sich auf € 3.946,98 summierenden Zahlungen des Gerichtsvollziehers an die Beklagte als Rechtshandlungen der Schuldnerin anzusehen.

Nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 03.02.2011 - IX ZR 213/09 - ; Urt. v. 10.12.2009 - IX ZR 128/08 - ) ist auch eine im Rahmen oder aus Anlass einer Zwangsvollstreckung erfolgte Vermögensverlagerung anfechtbar, wenn dazu zumindest auch eine Rechtshandlung des Schuldners beigetragen hat, mag diese auch unter dem Druck oder zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erfolgt sein. So sind Teilzahlungen eines Schuldners, die dieser nach fruchtloser Zwangsvollstreckung im Rahmen einer Ratenzahlungsvereinbarung erbringt, wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung anfechtbar. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Der Kläger hat vor dem unstreitigen Hintergrund einer nach § 900 Abs. 3 ZPO bestehenden Vereinbarung zur Abwendung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung in der Berufungsinstanz ergänzend für jede Zahlung belegt, dass den Zahlungen des Gerichtsvollziehers u.a. an die Beklagte eine Überweisung der Schuldnerin an den Gerichtsvollzieher mit Vorgaben für die Verteilung von Teilbeträgen an verschiedenen Gläubiger zugrunde lag. Das zeigt, dass die Schuldnerin noch Handlungsspielraum hatte, weil sie selbst über ihr Konto verfügen konnte und nicht an den anwesenden Vollziehungsbeamten geleistet hat (BGH Urt. v. 10.12.2009 - IX ZR 128/08 Rz. 16).

2. Auch ist von der Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin auf Seiten der Beklagten auszugehen. Die Beklagte kann sich hier gegenüber den die Kenntnis bejahenden Ausführungen im arbeitsgerichtlichen Urteil nicht mit Erfolg darauf berufen, in ihrem Geschäftsbereich sei es üblich, dass Beitragsschuldner wegen der günstigeren Verzinsung lieber bis zur Zahlung an den Gerichtsvollzieher säumig bleiben und ihre Kreditlinie schonen; denn als Indiz ist hier nicht nur die schleppende Zahlungsmoral der Schuldnerin heranzuziehen, sondern des Weiteren der der Beklagten bekannte Umstand, dass die Schuldnerin seit Jahren einen wachsenden Berg unbeglichener Forderungen vor sich hergetragen, zur Abwendung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung eine Vereinbarung nach § 900 Abs. 3 ZPO mit dem Gerichtsvollzieher geschlossen und auf dieser Basis Teilbeträge an verschiedene Gläubiger gezahlt hat (BGH Urt. v. 01.07.2010 - IX ZR 70/08 Rz. 9 - ) Das macht mehr als deutlich, dass als Problem auf Seiten der Schuldnerin nicht nur eine schlechte Zahlungsmoral, sondern über Jahre die Unfähigkeit der Begleichung von Forderungen ihrer Gläubiger und die drohende Zahlungsunfähigkeit bestand. Mit der Einleitung des Verfahrens zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist eine Bedrohungsstufe für die Liquidität der Schuldnerin erreicht, die nicht mehr allein mit der üblichen schlechten Zahlungsmoral unwilliger Beitragsschuldner erklärt werden kann.

3. Der vom Arbeitsgericht bejahten Kenntnis der Beklagten von der Gläubigerbenachteiligung kann nicht entgegengehalten werden, dass der Kläger seinem Vortrag keine Gegenüberstellung von Verbindlichkeiten und Forderungen, Guthaben, Kreditlinien, verwertbarem Vermögen und Barmitteln zugrunde gelegt hat. Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH 18.03.2010 - IX ZR 57/09 Rz. 21) kann bei Kenntnis der zumindest drohenden Zahlungsunfähigkeit im Zeitpunkt des Erhalts der schuldnerischen Leistungen von einer Kenntnis der Beklagten als Anfechtungsgegner von der Gläubigerbenachteiligung nur ausgegangen werden, wenn sie Kenntnis von weiteren ungedeckten Verbindlichkeiten des Schuldners hatte oder sie mit dem Entstehen solcher Verbindlichkeiten rechnete. Von der Begründung solcher Verbindlichkeiten kann regelmäßig nur bei einem unternehmerisch tätigen Schuldner ausgegangen werden. Das ist hier der Fall. Zum Zeitpunkt aller Zahlungen unterhielt die Schuldnerin einen aktiven Gewerbebetrieb. Außerdem war der Beklagten als weiteres Indiz die Vereinbarung der Schuldnerin mit dem Gerichtsvollzieher gemäß § 900 Abs. 3 ZPO bekannt, die Teilzahlungen an verschiedene Gläubiger vorsah. Aus dem Jahre andauernden Gewerbeuntersagungsverfahren wusste sie zudem, dass offene Forderungen des Finanzamts bestanden.

Die Beklagte hat gemäß §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

Gründe für die Zulassung der Revision zum Bundesarbeitsgericht waren nicht ersichtlich.

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