Hessisches LSG, Urteil vom 21.05.2014 - L 6 AL 150/10
Fundstelle
openJur 2019, 37137
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 12. Juli 2010 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 25. Juli 2007 und des Widerspruchbescheids vom 16. Oktober 2007 verurteilt, dem Kläger Gründungszuschuss in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch des Klägers auf Gewährung eines Gründungszuschusses im Streit.

Der 1967 geborene Kläger, diplomierter Bauingenieur, meldete sich am 15. Mai 2007 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Vom 1. Juli 1995 bis 31. April 2007 war er bei der Firma C. A. GmbH & Co. KG Bauunternehmen beschäftigt. Komplementärin der C. A. GmbH & Co. KG (Amtsgericht Fritzlar xxx1) war die A. GmbH (Amtsgericht Korbach, xxx2), deren Geschäftsführer seit 2001 der Kläger war. Weiterer Geschäftsführer war Herr Dipl. Ing. D. A., der Vater des Klägers. Beide Geschäftsführer waren unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB alleinvertretungsberechtigt. Auf den Anstellungsvertrag vom 21. Juni 2001 (Blatt 33 ff. der Verwaltungsakte/Alg) und die Feststellungsbögen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Angehörigen (Blatt 25 ff. daselbst) sowie zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Geschäftsführers einer GmbH (Blatt 28 ff.) wird Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 6. März 2007 hatte das Amtsgericht - Insolvenzgericht - Fritzlar die vorläufige Verwaltung des Vermögens der Firma C. A. GmbH & Co. KG angeordnet und RA E. zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Auf den Beschluss wird Bezug genommen (Blatt 162 GA). Zum 1. Mai 2007 wurde sodann über das Vermögen der C. A. GmbH & Co. KG das Insolvenzverfahren durch Beschluss des Amtsgerichts Fritzlar zum Aktenzeichen xxx3 eröffnet. Bereits zuvor, mit Gesellschaftsvertrag vom 26. März 2007, hatten die Firma F. GmbH, vertreten durch den Kläger als Geschäftsführer, und die Ehefrau des Klägers G. A. als einzige Kommanditistin die Firma F. GmbH und Co. KG mit Sitz in A-Stadt gegründet und durch Beschluss vom 23. April 2007 geändert; auf die Beurkundung durch den Notar H. vom 23. April 2007 (xxx4 = Anlage zum Verfahren L 6 AL 149/10) sowie die Eintragungen in das Handelsregister A (xxx5) und B (xxx6) des Amtsgerichts Fritzlar wird Bezug genommen. Laut dem Bericht des Insolvenzverwalters E. vom 1. Juli 2007 an die Gläubigerversammlung wurde diese Firma unter Leitung des Klägers als Auffanggesellschaft gegründet, um den bisherigen Geschäftsbereich der Schuldnerin in kleinerem Umfang weiterzuführen. Im Bericht heißt es weiter: "Ich habe diese Firma nach Insolvenzeröffnung beauftragt, die vorhandenen Baustellen abzuräumen und die Maschinen und Geräte abzubauen und auf dem Betriebsgrundstück zusammenzufahren. Sie hat inzwischen einige Aufträge aquirieren und 8 Arbeitnehmer der Schuldnerin einstellen können. Ich kann deshalb feststellen, dass zumindest Teilbereiche der Schuldnerin gerettet werden konnten." Im Bericht ist ferner die Rede davon, dass die in Arbeit befindlichen Aufträge der Schuldnerin, ein Neubau im Bereich des Altenpflegezentrums J. e.V. in J-Stadt sowie ein Rohbau in BK-Stadt, K-Straße, in seinem Auftrag fertig gestellt worden seien und für die Masse so ein Betrag in einer Größenordnung von ca. 170.000 € habe realisiert werden können.

Um den Mitarbeitern der Schuldnerin eine Perspektive zu geben, hatte der Insolvenzverwalter mit der Firma L. GmbH/ R-Stadt deren Übernahme in eine Transfergesellschaft vereinbart. Der Kläger schloss mit der L. Beschäftigung-und Qualifizierungs-GmbH einen für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli 2007 befristeten Aufhebungs- und Transfer-Vertrag. Ausweislich Abschnitt 2 § 1, 3. Absatz war der Arbeitnehmer berechtigt, das Arbeitsverhältnis zwecks Aufnahme einer anderen versicherungspflichtigen oder selbstständigen Beschäftigung mit Tagesfrist zu kündigen. Auf den Vertrag wird Bezug genommen (Blatt 14 ff. Alg-Akte). Bereits am 14. Mai 2007 kündigte der Kläger sein Vertragsverhältnis zu der L. GmbH zum 15. Mai 2007.

Ausweislich eines von der Beklagten am 22. November 2007 zur Gerichtsakte gereichten Beratungsvermerks über eine persönliche Vorsprache des Klägers am 15. Mai 2007 beantragte dieser gleichzeitig mit dem Arbeitslosengeld unter Hinweis auf eine geplante Selbstständigkeit auch einen Gründungszuschuss und nahm das Angebot der Beklagten auf ein Vorcoaching gemäß § 10 SGB III an. Im Antrag auf Gründungszuschuss (GZ), Eingang bei der Beklagten am 29. Mai 2007, beziffert der Kläger den Arbeitsaufwand für seine zukünftige selbstständige Tätigkeit mit "ca. 50-60 Wochenstunden". Bereits am 2.Mai 2007 war die Gewerbeanmeldung der Firma F. GmbH und Co. KG beim Magistrat der Stadt A-Stadt und am 9. Mai 2007 deren Anmeldung zur Handwerksrolle mit dem Kläger als Betriebsleiter erfolgt. Laut Veränderungsmitteilung in der Alg-Akte (Blatt 89) wurde eine selbständige Tätigkeit von mehr als 15 Wochenstunden mit Beginn zum 17. Mai 2007 angezeigt. Auf Nachfrage der Beklagten teilte der Kläger mit Schreiben vom 11. Juni 2007 mit, eine Arbeitsaufnahme sei erst am 21. Mai 2007 erfolgt. Ausweislich eines Vermerks vom 6. Juni 2007 in der Alg-Akte (Blatt 88) waren die ehemaligen Mitarbeiter der Firma C. A. GmbH & Co. KG M-Stadt, K. N. und W. N., die in die Transfergesellschaft übernommen worden waren, an diesem Tage auf der Baustelle J. nicht nur mit Aufräumarbeiten, sondern auch mit weiteren Aufgaben, unter anderem der Anlage eines Regenwasserkanals befasst. Ebenso wurden Baufahrzeuge der Firma A. auf dem Gelände verwendet. Dem Vermerk zufolge erklärte der Kläger selbst auf Befragen, dass er ganztägig überwiegend noch mit der Abwicklung der Firma A. beschäftigt sei. Ausschreibungen usw. für die F. GmbH würden abends Zuhause gemacht.

Mit Bescheid vom 6. Juli 2007 lehnte die Beklagte den Alg-Antrag mit der Begründung ab, der Kläger übe eine mehr als kurzzeitige (mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende) selbstständige Tätigkeit aus. Deshalb sei er nicht arbeitslos und hätte keinen Leistungsanspruch. Der Kläger widersprach am 27. Juli 2007 mit dem Vorbringen, während der Ausübung seiner Tätigkeit für die Transfergesellschaft habe er teilweise Anspruch auf Transferkurzarbeitergeld gehabt. Da es sich bei beiden Entgeltersatzleistungen um solche des SGB III handele, sei durch seinen vorzeitigen Austritt aus der Transfergesellschaft zur Aufnahme seiner Existenzgründung kein vorwerfbares Verhalten zu sehen. Hätte er die Transferlaufzeit abgewartet, um sich sodann arbeitslos zu melden, um im Anschluss daran den Gründungszuschuss zu beantragen, hätte die Beklagte Mehrkosten gehabt. Die persönlichen Voraussetzungen für eine Bejahung des Anspruchs lägen vor. Er habe nach Antragstellung seine selbstständige Tätigkeit aufgenommen. Mit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit habe er den Eintritt seiner Arbeitslosigkeit vermieden. Die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit sei zwingende Voraussetzung für die Gewährung eines Gründungszuschusses. Seine seit dem 16. April 2007 ausgeübte selbstständige Tätigkeit könne keinesfalls die Ablehnung seines Antrags zur Folge haben. Diese Tätigkeit habe keine 15 Stunden wöchentlich umfasst, was durch die von ihm zur Verfügung gestellten Aufzeichnungen nachweisbar sei.

Durch Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück; auf die Begründung im Einzelnen wird Bezug genommen (Blatt 96 ff. Alg-Akte). Die fristgerecht eingelegte Klage wies das Sozialgericht Kassel (SG) mit Urteil vom 12. Juli 2010 ab. § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III bestimme, dass arbeitslos ein Arbeitnehmer ist, der nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit). Nach Abs. 3 der Vorschrift schließe die Ausübung einer Beschäftigung, selbstständigen Tätigkeit oder Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger (Erwerbstätigkeit) die Beschäftigungslosigkeit nicht aus, wenn die Arbeits- oder Tätigkeitszeit (Arbeitszeit) weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst. Nach Satz 2 würden Arbeitszeiten mehrerer Erwerbstätigkeiten zusammengerechnet. Zur Überzeugung des Gerichts sei der Kläger am 15. Mai 2007 nicht arbeitslos gewesen, da er Beschäftigungen in einem Umfang ausgeübt habe, welche Arbeitslosigkeit ausschlössen. Noch am 6. Juni 2007 habe der Kläger ausweislich des Vermerks vom 6. Juni 2007 erklärt, dass er noch zu diesem Zeitpunkt ganztägig überwiegend mit der Abwicklung der Firma A. beauftragt sei. Darüber hinaus habe er eingestanden, Ausschreibungen usw. für die Firma F. abends Zuhause vorzunehmen. Mithin habe der Kläger selbst eingestanden, zu einem Zeitpunkt, zu dem er arbeitslos gewesen sei, noch ganztägig - ohne Vertragsbindung - Tätigkeiten für die Firma L. verrichtet zu haben und darüber hinaus - in welchem Umfang auch immer - Tätigkeiten für seine neue Firma durchgeführt zu haben. Insoweit sei es folgerichtig, wenn der Kläger seinen Widerspruch damit begründe, dass er mit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit den Eintritt von Arbeitslosigkeit vermieden habe. Er selbst sei nämlich offenbar davon ausgegangen, zu keinem Zeitpunkt arbeitslos gewesen zu sein. Ihm sei es darum gegangen, einen Konstruktionsmodus aufzubauen, mit dem ihm die Gewährung von Gründungszuschuss ermöglicht worden wäre. Ausgehend hiervon sei das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger nach der Insolvenz der Firma C. A. GmbH & Co. KG zu keinem Zeitpunkt arbeitslos gewesen sei. Er habe mit dem Aufbau der Firma A. Bau GmbH & Co. KG konsequent und lückenlos das Familienunternehmen fortgeführt. Dies ergebe sich zum einen aus dem A. Bau Firmenportrait auf dem Internetauftritt der Firma mit folgenden Angaben: "Geschäftsführer A. blickt auf eine über 130 Jahre anhaltende Baugeschichte der vorhergehenden Familienfirma (von 1874) zurück. Der anfangs kleine Handwerksbetrieb des Urgroßvaters O. A. wuchs im Laufe der Jahre und überdauerte mehrere Generationen: O. A., P. A., C. A., D. A. Die Kompetenzen wurden durch die Generationen weitergegeben und verbessert. Vorwiegend war die Firma in den Bereichen Hochbau, Schlüsselfertigbau, Ingenieurbau, Sanierungsarbeiten und Instandhaltungen tätig. Die Firma A. Bau GmbH & Co. KG mit Geschäftsführer A., erweiterte die Kompetenzen und bietet heute u. a. mit A. Beratung Gebäude-, Energie- und Sanierungsberatungen an." Im Weiteren ergebe sich die lückenlose Fortsetzung der Tätigkeit aus dem Aufbau der Firma A. Bau GmbH & Co. KG sowie der A. Bau-Verwaltungs-GmbH. Letztere sei aus der Firma Q. GmbH mit Sitz in R-Stadt zum Aktenzeichen xxx7 hervorgegangen. Alleingesellschafterin sei die Mutter des Klägers, Frau S. A. gewesen. Seit 21. März 2007 - also vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die C. A. GmbH & Co. KG - sei der Kläger zum alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer bestellt worden. Der Sitz der Gesellschaft sei sodann nach A-Stadt verlegt, die Gesellschaft in F. GmbH umbenannt und § 2 des Gesellschaftsvertrages wie folgt neu gefasst worden: "Gegenstand des Unternehmens ist der Betrieb eines Bauunternehmens für die Durchführung von Hoch- und Tiefbauarbeiten, Schlüsselfertigbau, Sanierungsarbeiten und konstruktivem Ingenieurbau, Dienstleistungen und Beratungsleistungen sowie sonstige Dienstleistungen rund um die Erstellung von Bauwerken." Am 29. März 2007 hätten die F. GmbH sowie die Ehefrau des Klägers, Frau G. A., zur Eintragung in das Handelsregister die Firma F. GmbH & Co. KG angemeldet, deren Kommanditistin die Ehefrau des Klägers und deren Komplementärin die F. GmbH geworden seien. Die Gewerbeanmeldung sei am 2. Mai 2007 erfolgt. Somit sei der Kläger in der Lage gewesen, schon vor der Arbeitslosmeldung und unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die C. A. GmbH & Co. KG den Betrieb aufzunehmen. In welchem Umfang seine Tätigkeit hierbei für Abwicklungsarbeiten der insolventen Firma einerseits und andererseits für Vorbereitungshandlungen der neuen Firma bzw. der Übernahme von Aufgaben für die neue Firma ausmachten, habe das Gericht nicht näher klären müssen, da zur Überzeugung der Kammer in jedem Fall festgestanden habe, dass diese Aufgaben den Kläger in vollem Umfang in Anspruch genommen hätten. Dies werde durch zweierlei bestätigt: Erstens ergebe sich dies zur Überzeugung des Gerichts aus dem Widerspruch des Klägers, in dem dieser ausgeführt habe, mit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit den Eintritt seiner Arbeitslosigkeit vermieden zu haben. Zum Zweiten ergebe sich dies aus den Feststellungen, die der Mitarbeiter der Beklagten, Herr T. unter dem 6. Juni 2007 gefertigt habe. Noch im Juni 2007 habe der Kläger angegeben, mit Abwicklungsarbeiten für die L. Transfergesellschaft tätig gewesen zu sein und ebenfalls Aufgaben für die neue Firma wahrgenommen zu haben. Zur Überzeugung des Gerichts seien "alte" Aufgaben und "neue" Tätigkeiten so ineinander verschwommen, dass von einer wirtschaftlichen Einheit auszugehen sei. In jedem Fall habe es an der Beschäftigungslosigkeit des Klägers bezogen auf den 15. Mai 2007 gefehlt und diese sei durch Rechtskonstrukte auch nicht herzustellen, sondern müsse tatsächlich gegeben sein. Auf das Urteil im Einzelnen wird Bezug genommen (Blatt 73 ff. in L 6 AL 149/10). Die fristgerecht eingelegte Berufung betreffend den Anspruch auf Arbeitslosengeld ab 15. Mai 2007 wurde nach richterlichem Hinweis auf die fragliche Statthaftigkeit vom 25. Juli 2011 schließlich in der Einzelrichtersitzung des Senats vom 17. Juli 2013 zurückgenommen.

Durch Bescheid vom 25. Juli 2007 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung des GZ mit der Begründung ab, der Kläger habe keinen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III, so dass der beantragte Gründungszuschuss nicht gewährt werden könne. Hiergegen richtete sich der am 6. August 2007 erhobene Widerspruch. Durch Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung unter anderem aus, zwischen dem vorzeitigen Ausscheiden aus der Transfergesellschaft zum 15. Mai 2007 und der am gleichen Tag beginnenden selbstständigen Tätigkeit habe nicht mindestens 1 Tag Arbeitslosigkeit mit Arbeitslosengeldbezug gelegen. Bei einem nahtlosen Übergang in die Selbstständigkeit könne kein Gründungszuschuss gewährt werden. Die dagegen am 8. November 2007 beim SG mit der Begründung erhobene Klage, zumindest am 15. Mai 2007 seien die Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld erfüllt gewesen, wies das SG mit Urteil ebenfalls vom 12. Juli 2010 unter Bezugnahme auf sein Urteil zum Alg-Anspruch vom selben Tage ab. Die Voraussetzungen von § 57 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 3. Buch: Arbeitsförderung (SGB III) in der hier anzuwendenden Fassung seien nicht erfüllt, weil der Kläger durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit keine Arbeitslosigkeit beendet habe. Die Zustellung erfolgte am 16. Juli 2010.

Mit der am 13. August 2010 eingegangenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er sei zumindest am 15. Mai 2007 arbeitslos gewesen und habe sich bei seinem Verhalten und bei seinen Anträgen exakt an die ihm von den Mitarbeitern der Beklagten vorgeschlagene Vorgehensweise gehalten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 12. Juli 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 25. Juli 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2007 zu verurteilen, dem Kläger Gründungszuschuss in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt unter Bezugnahme auf die Akte zum Transfer-Kurzarbeitergeld (Kug) erwidernd vor, der Kläger habe mit E-Mail vom 25. Juni 2007 eine Aufstellung übermittelt, aus der hervorgehe, dass die darin aufgeführten Mitarbeiter zwischen dem 7. Mai 2007 und dem 31. Mai 2007 durchgehend mit Aufräumarbeiten und ab dem 21. Mai 2007 auch mit neuen Arbeiten befasst gewesen seien. Nach der Schilderung des Klägers habe es sich nur bei den Neuarbeiten und Tätigkeiten der Firma F. gehandelt, jedoch ergebe sich aus dem Bericht des Insolvenzverwalters vom 1. Juli 2007, dass dieser die Firmen F. und nicht ehemalige Mitarbeiter der A. GmbH mit den Aufräumarbeiten auf den vorhandenen Baustellen beauftragt habe. Somit habe es sich entgegen der Darstellung des Klägers bei allen ab dem 2. Mai 2007 ausgeführten Arbeiten um solche der F., mithin unter der Leitung des Klägers, gehandelt.

Vom Senat wurde der Kläger in einem Erörterungstermin am 21. März 2012 sowie in mündlicher Verhandlung vor dem Einzelrichter am 17. Juli 2013 und am 21. Mai 2014 vor dem Senat persönlich gehört. Auf die Niederschriften wird Bezug genommen. Ferner wurde eine Anfrage an den Insolvenzverwalter Rechtsanwalt E. gerichtet; auf die Verfügung vom 18. Juli 2013 sowie die Antwort vom 14. August 2013 wird Bezug genommen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und den der Verwaltungsakten betreffend Arbeitslosengeld und Gründungszuschuss sowie die Auszüge aus der Insolvenzakte und der Akte zum Kurzarbeitergeld Bezug genommen, der Inhalt der mündlichen Verhandlung war.

Gründe

Die statthafte sowie form- und fristgemäß eingelegte Berufung ist zulässig und begründet.

Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 57 SGB – Drittes Buch: Arbeitsförderung - in der ab 1. August 2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 -BGBl I 1706- (SGB III a.F.). Nach § 57 Abs. 1 SGB III a. F. haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf einen Gründungszuschuss (GZ). Gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 1 a SGB III wird ein GZ u.a. dann geleistet, wenn der Arbeitnehmer bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III hat.

Diese Voraussetzungen sind entgegen der Ansicht der Beklagten und der Annahme der Vorinstanz vorliegend erfüllt.

Der Kläger war arbeitslos. § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III bestimmt, dass arbeitslos ein Arbeitnehmer ist, der nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit). Nach Abs. 3 der Vorschrift schließt die Ausübung einer Beschäftigung, selbstständigen Tätigkeit oder Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger (Erwerbstätigkeit) die Beschäftigungslosigkeit nicht aus, wenn die Arbeits- oder Tätigkeitszeit (Arbeitszeit) weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst. Nach Satz 2 ebenda werden Arbeitszeiten mehrerer Erwerbstätigkeiten zusammengerechnet. Unter Anlegung dieses Maßstabs war der Kläger zumindest am 15. und 16. Mai 2007 arbeitslos. Dem steht zunächst das Urteil des SG, gegen welches der Kläger die Berufung wegen fehlender Statthaftigkeit zurückgenommen hat, nicht entgegen. Denn die dortigen Feststellungen betreffend die tatsächlichen Verhältnisse und rechtlichen Würdigungen binden den Senat nicht (vgl. dazu Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 10. Auflage, München 2012, § 141 Rdnr. 4).

Dreh- und Angelpunkt der Erwägungen des SG ist der Aktenvermerk über die Aussage, welche der Kläger am 6. Juni 2007 anlässlich der Außenermittlung des Mitarbeiters der Beklagten T. abgegeben haben soll. Eine Aussage über die konkreten Verhältnisse am Tag der Arbeitslosmeldung und danach lässt sich dem jedoch nicht entnehmen. Andererseits sind jedoch schon von ihrer Natur her auch die Auszüge aus seinem Outlook-Terminkalender nicht geeignet, die Version des Klägers zu bestätigen, und genauso wenig ist die Schilderung der Verhältnisse durch den Insolvenzverwalter Rechtsanwalt E. in seiner Stellungnahme vom 14. August 2013 geeignet, das Ausmaß der Tätigkeiten des Klägers am Tag seiner Arbeitslosmeldung und unmittelbar danach zu belegen, denn naturgemäß beschränkte sich dessen Wahrnehmung nur auf die für die Insolvenzabwicklung relevanten Kontakte, wie von ihm auch ausdrücklich vermerkt wurde.

Bei dieser Sachlage ist für den Senat von ausschlaggebender Bedeutung deshalb die Tatsache, dass der Kläger von Anfang an bei seiner Darstellung geblieben ist, er habe sich stets strikt an die Vorgaben gehalten, die ihm von den Mitarbeitern der Beklagten nahe gelegt wurden. Der Senat hat deshalb keinen Anlass zu Zweifeln an den auch im Senatstermin vom 21. Mai 2014 wiederholten Angaben des Klägers, er sei "vollkommen beschäftigungslos an diesen zwei Tagen gewesen", zumal die Kündigung bei der Firma L. und die Arbeitslosmeldung bei der Beklagten unter gleichzeitiger Beantragung von Arbeitslosengeld und Gründungszuschuss mit dem Verlust auf das Transferkurzarbeitergeld verbunden war, auf welches der Kläger ausweislich seiner Nachfragen im Juli 2007 offenbar dringend angewiesen war. Dieses Verhalten des Klägers passt nach Überzeugung des Senats auch deshalb vollkommen zur Behauptung des Klägers, er sei der von den Mitarbeitern der Beklagten selbst vorgeschlagenen Verfahrensweise gefolgt, weil ein Weiterbezug von Transferkurzarbeitergeld gemäß § 216 a Abs. 5 SGB III a.F. die Gewährung des Gründungszuschusses ausgeschlossen hätte. Ferner spricht hierfür auch die Tatsache, dass die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 21. Mai 2007 als Maßnahme der Freien Förderung der aktiven Arbeitsförderung gemäß § 10 SGB III die individuelle Integrationshilfe in Form des Coaching bewilligte. Diese normativen Vorgaben und das Verhalten des Klägers passen somit vollkommen schlüssig zur Darstellung der Geschehensabläufe durch ihn. Die weiteren Voraussetzungen, dass der Kläger nämlich im Übrigen diese Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme seiner selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit beendete, er einen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch hatte sowie bei Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit noch über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen verfügte, ferner er der Beklagten die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachgewiesen und seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der Erwerbstätigkeit dargelegt hat, sind vorliegend erfüllt und zwischen den Beteiligten insoweit auch nicht streitig.

Vor diesem Hintergrund war schon der Umstand, dass der Kläger unstreitig nach dem Bezug von Insolvenzgeld bis zum 14. Mai 2007 Transferkurzarbeitergeld gemäß § 216 b SGB III a.F. bezog, nach Auffassung des Senats geeignet, gemäß § 57 Abs. 2 SGB III a. F. den Anspruch auf Gründungszuschuss auszulösen, denn dabei handelte es sich nach Auffassung des Senats entgegen der Ansicht der Beklagten um einen "Anspruch auf Entgeltersatzleistung nach diesem Gesetz". Das gemeinsame Charakteristikum der in § 116 SGB III a.F. genannten Entgeltersatzleistungen, nämlich die Bemessung am vorherigen Verdienst, trifft nach der gesetzlichen Bezugnahme in § 216 b Abs. 10 SGB III a.F. auf die Berechnung des Kurzarbeitergelds ohne weiteres auch auf das Transferkurzarbeitergeld zu. Soweit die Beklagte ihre gegenteilige Ansicht hierzu auf eine Literaturmeinung (Niesel/Brand, SGB III, 5. Auflage 2010, §§ 47-57 Rz. 8) stützt, überzeugt dies den Senat nicht. Denn die in der Fundstelle geäußerte Begründung stellt erkennbar auf die Beschäftigungslosigkeit ab, welche aber bei dem dem Erhalt der Arbeitsplätze dienenden Kurzarbeitergeld (Kug) gerade nicht vorliegt. Im Unterschied dazu setzt das Transferkurzarbeitergeld gemäß § 216 b Abs. 2 SGB III a.F. einen dauerhaften Arbeitsausfall voraus, welcher nach der gesetzlichen Bestimmung vorliegt, wenn infolge einer Betriebsänderung im Sinne des § 216 Abs. 1 Satz 3 SGB III a. F. die Beschäftigungsmöglichkeiten für die Arbeitnehmer nicht nur vorübergehend entfallen. Die insolvenzbedingte Schließung der A. GmbH beinhaltete auch eine solche Betriebsbänderung im Sinne des § 111 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), denn es handelte sich um eine Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen (§ 111 Satz 3 Nr. 1. BetrVG). So betrachtet spricht die von der Beklagten herangezogene Literaturmeinung bei strikter Anwendung der Gesetzeslage also nicht für, sondern genau gegen die Ansicht der Beklagten.

Mit Rücksicht auf die Tatsache des inzwischen eingetretenen Geschäftserfolgs, der sich nicht zuletzt durch die Beschäftigung von gegenwärtig 35 Arbeitnehmern dokumentiert, würde sich der vorliegende Fall damit im Übrigen geradezu als Musterbeispiel einer gelungen aktiven Arbeitsförderung darstellen, wenn denn die Beklagte ihrer vom Gesetz geforderten Förderpflicht nachgekommen wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und die Nichtzulassung der Revision aus § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.

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