SG Frankfurt am Main, Urteil vom 02.09.2015 - S 22 EG 41/12
Fundstelle
openJur 2019, 37125
  • Rkr:
Tenor

1.

Der Bescheid des Beklagten vom 25.05.05 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.05 wird aufgehoben

2.

Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Erziehungsgeld für das 1. Lebensjahr des am 27.01.2005 geborenen Sohnes C. in gesetzlichem Umfang zu bewilligen.

3.

Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Streitig ist die Bewilligung von Erziehungsgeld im Hinblick auf den aufenthaltsrechtlichen Status der Klägerin.

Die Klägerin ist die Mutter des 2005 geborenen Sohnes C.

Sie ist staatenlos und als Kind staatenloser Eltern in der Bundesrepublik Deutschland geboren. Aufgrund ihrer Staatenlosigkeit ist sie im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis, die mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes zum 01.01.2005 als Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - fortgilt. Die Klägerin bezieht Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Mit Bescheid vom 25.05.2005 lehnte der Beklagte die beantragte Bewilligung von Erziehungsgeld für das 1. Lebensjahr des Sohnes ab, da die Klägerin nicht im Besitz eines nach § 1 Abs. 6 Bundeserziehungsgeldgesetz - BErzGG - - anspruchsbegründenden Aufenthaltstitels sei. Die in der Antragstellung zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - BverfG - vom 06.07.2004 (1 BvR 2515/95) beziehe sich auf § 1 Abs. 1a BErzGG in der Fassung von 1993; die Nachfolgeregelung des § 1 Abs. 6 BErzGG sei vom BVerfG ausdrücklich nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden. § 1 Abs. 6 BErzGG stelle daher weiter geltendes Recht dar. Die Überleitungsregelung des zum 01.01.2005 in Kraft getretenen AufenthG sehe vor, dass bereits erteilte Genehmigungen entsprechend dem ihrer Erteilung zu Grunde liegenden Sachverhalt bzw. Aufenthaltszweck umzudeuten seien, sofern die Klägerin eine vor dem 01.01.2005 ausgestellte Aufenthaltsgenehmigung nach dem Ausländergesetz besitze. Nach entsprechender Prüfung ergebe sich im Falle der Klägerin, dass sie weder einen der vorgenannten Aufenthaltstitel besitze noch eine Umdeutung zu einem in § 1 Abs. 6 BErzGG genannten Aufenthaltstitel vorgenommen werden könne. Sollte ein entsprechender Titel ausgestellt werden, werde die umgehende Vorlage und Antragstellung angeraten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - sei nicht der Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung entscheidend, sondern allein der Zeitpunkt der durch die Ausländerbehörde vollzogenen Ausstellung des Titels (Ausstellungsdatum), ab welchem ggfs. Erziehungsgeld gewährt werden könne.

Die Klägerin erhob am 24.06.2005 Widerspruch und verwies auf die bereits im Antrag angeführte Entscheidung des BVerfG vom 06.07.2004; hiernach sei davon auszugehen, dass die bestehende Gesetzeslage geändert werde, weshalb eine Aussetzung des Verfahrens angeregt werde.

Der Beklagte teilte hierauf mit Schreiben vom 07.07.2005 mit, dass die Aufenthaltsbefugnis der Klägerin für eine Anspruchsbegründung nach § 1 Abs. 6 BErzGG nicht ausreiche, der aufgrund der Geburt des Kindes am 27.01.2005 Anwendung finde. Es werde anheim gestellt, eine entsprechende Bescheinigung der Ausländerbehörde gemäß § 101 AufenthG vorzulegen, welchen Aufenthaltsstatus die Klägerin ab 01.01.2005 habe.

Die Klägerin verwies im weiteren Schreiben vom 12.07.2005 darauf, dass das BVerfG entschieden habe, dass die Annahme einer nicht dauerhaften Aufenthaltsprognose in Deutschland allein durch die Abgrenzung nach der formalen Art des Aufenthaltstitels nicht geeignet sei, das gesetzgeberische Ziel, Ausländer ohne dauerhafte Bleibeprognose vom Elterngeldbezug auszuschließen, zu erreichen. Hierdurch werde Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2005 aus den bereits genannten Gründen zurück. Die Klägerin sei im Besitz einer bis 12.10.2005 gültigen Aufenthaltsbefugnis; diese stelle einen nichtqualifizierten Aufenthaltstitel nach altem Recht dar. Ein Aufenthaltstitel nach neuem Recht sei nicht vorgelegt worden. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 6 BErzGG, der ab 01.01.2005 gelte, seien nicht erfüllt.

Am 20.12.2005 beantragte die Klägerin Erziehungsgeld für das 2. Lebensjahr des Kindes unter Vorlage einer Bescheinigung der Ausländerbehörde vom 06.06.2006 mit den bisher bekannten und genannten Angaben zum Aufenthaltsstatus (Aufenthaltsbefugnis bis 12.10.2005) sowie Kopie einer am 23.12.2005 ausgestellten und bis 22.12.2007 gültigen Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG mit der Nebenbestimmung: "Beschäftigung nur mit Genehmigung der Ausländerbehörde erlaubt. Selbständige Erwerbstätigkeit erlaubt".

Die Klägerin legte weiter Bescheinigung des Ordnungsamtes der Stadt A. vom 06.02.2006 vor, wonach die Klägerin seit dem 28.02.1998 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis sei, die seit 01.01.2005 aufgrund der Gesetzesänderung als Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG fortgelte.

Mit Bescheid vom 13.02.2006 lehnte der Beklagte auch die Gewährung von Erziehungsgeld für das 2. Lebensjahr des am xx.xx.2005 geborenen Sohnes ab aus den bereits in den früheren genannten Gründen, insbesondere des Fehlens der aufenthaltsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen.

Auch hiergegen erhob die Klägerin unter Verweis auf die bisherige Begründung am 20.02.2006 Widerspruch.

Unter dem 17.03.2006 teilte der Beklagte der Klägerin mit, die Entscheidung des Widerspruchs hinsichtlich des 2. Lebensjahres werde bis zur gerichtlichen Klärung des Anspruchs hinsichtlich des 1. Lebensjahres des Kindes zurückgestellt.

Das am 27.07.2005 eingeleitete Klageverfahren (S 22 EG 19/05), mit welchem die Klägerin ihr Begehren hinsichtlich des Anspruchs auf Erziehungsgeld für das 1. Lebensjahr des Kindes (Bescheid vom 25.05.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2005) weiterverfolgt, wurde mit Beschluss des Gerichts vom 30.09.2009 zum Ruhen gebracht wegen in der gegebenen Problematik ausstehender Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - und sodann durch den Beklagten wieder aufgerufen (S 22 EG 41/12).

Die Klägerin trägt nach Entscheidung des BVerfG vom 10.07.2012 - 1 BvL 2-4/10 und 1 BvL 3/11 - vor, das Gericht habe es in seiner Entscheidung vom 07.02.2012 (1 BvL 14/07) für zulässig erachtet, den Leistungsbezug auf Personen zu beschränken, die überhaupt rechtmäßig erwerbstätig sein könnten. Es habe sich allerdings nicht mit der Frage befasst, ob es verfassungsgemäß sei, an den Besitz einer entsprechenden Erlaubnis anzuknüpfen. Es sei kein sachlicher Grund erkennbar, diejenigen anders zu behandeln, die zwar nicht im Besitz einer Arbeitserlaubnis seien, denen eine solche jedoch ohne weiteres erteilt werden könne. So liege der Fall der Klägerin. Diese habe gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 BeschVerfV a. F. ohne Zustimmung und Prüfung der Bundesagentur nach § 39 Abs. 2 AufenthG eine Arbeitserlaubnis zur unselbständigen Erwerbstätigkeit erhalten können. Die Klägerin habe nur deswegen keine Arbeitserlaubnis beantragt, weil sie wegen der Betreuung der Kinder nicht habe arbeiten können. Eine selbständige Erwerbstätigkeit sei ihr gemäß der Aufenthaltsbefugnis ohnehin erlaubt gewesen. Die Argumentation des BSG im Urteil vom 30.09.2010 - B 10 EG 7/09 R - überzeuge insoweit nicht, als darin darauf abgestellt werde, ob der nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer einen entsprechenden Erlaubnistitel tatsächlich in der Hand halte, da er nach § 4 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nur dann eine Erwerbstätigkeit ausüben dürfe, wenn er im Besitz einer entsprechenden Berechtigung sei. Die Klägerin meint hingegen, eine Wahlfreiheit zwischen Kindererziehung und Berufstätigkeit bestehe hingegen auch dann, wenn zwar keine Arbeitserlaubnis vorliege, eine solche aber erteilt werden könne.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 25.05.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Erziehungsgeld für das 1. Lebensjahr des 2005 geborenen Sohnes C. in gesetzlichem Umfang zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und trägt im Übrigen vor, das BVerfG habe in seiner Entscheidung vom 10.07.2012 (1 BvL 2 - 4/ 10 und 3/11) § 1 Abs. 7 Nr. 3 b des Gesetzes zum Elterngeld und zur Elternzeit - Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) - und die vergleichbare Regelung zum Erziehungsgeld wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 und 3 Satz 1 GG für nichtig erklärt. Dies bedeute, dass § 1 Abs. 7 Nr. 3 b BEEG für die Anspruchsberechtigung nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer nicht mehr geprüft werden könne.

Damit hätten nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerinnen und Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG wegen eines Krieges in ihrem Heimatland oder nach den §§ 23 a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtige oder berechtigt habe, Anspruch auf Erziehungsgeld, wenn sie sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhielten.

Die Klägerin erhielt seit Januar 2005 Leistungen nach dem AsylbLG. Sie sei zur Geburt des Kindes 2005 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis gewesen, seit 23.12.2005 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG. Eine Beschäftigung sei nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde erlaubt gewesen. Die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Erziehungsgeld für das 1. Lebensjahr des Kindes lägen demnach auch nach der nunmehr geltenden Fassung des Gesetzes nicht vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Gründe

Die Klage ist zulässig und sachlich auch begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 25.05.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2005 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Bewilligung von Erziehungsgeld für das 1. Lebensjahr des 2005 geborenen Kindes, weil sie zu Beginn des Leistungszeitraumes im Besitz eines anspruchsbegründenden aufenthaltsrechtlichen Titels war.

Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 BErzGG in der Fassung vom 01.01.2007 bis 31.12.2008 (in der Fassung des Gesetzes vom 30.11.2000, BGBl. I 1638) hat Anspruch auf Erziehungsgeld, wer

1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,

2. mit einem Kind, für das ihm die Personensorge zusteht, in einem Haushalt lebt,

3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und

4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.

Die Anspruchsvoraussetzungen müssen bei Beginn des Leistungszeitraums vorliegen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 BErzGG).

Diese Anspruchsvoraussetzungen liegen bei der Klägerin unstreitig vor.

Streitig ist allein, ob die Klägerin im Bezugszeitraum im Besitz eines anspruchsbegründenden Aufenthaltstitels war.

Nach § 1 Abs. 6 BErzGG ist ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer nur anspruchsberechtigt, wenn er

1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt,

2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde

a) nach § 16 oder § 17 des Aufenthaltsgesetzes erteilt,

b) nach § 18 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden,

c) nach § 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs.3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt

oder

3. eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und

a) sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und

b) im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt.

(für nichtig erklärt gemäß Entscheidung des BVerfG vom 10.07.2012)

Die Kammer vertritt die Rechtsauffassung, dass die Klägerin zu Beginn des Bezugszeitraumes mit Geburt des Kindes im Besitz eines anspruchsbegründenden Aufenthaltstitels war, da sie im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis war, die einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - gleichstand bzw. gleichsteht und damit die Voraussetzungen gemäß § 1 Abs. 6 Ziffer 2c i. V. m. Ziffer 3 BErzGG erfüllt. Die Klägerin hält sich auch nach Ziffer 3 entsprechend mindestens seit drei Jahren zu Beginn des Bezugszeitraumes rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Die Kammer liest das zitierte Gesetz in § 1 Abs. 6 Ziffer 2c BErzGG dahingehend, dass wegen der Formulierung " es sei denn...." eine Aufenthaltserlaubnis mit der Berechtigung zur Erwerbstätigkeit nur dann erforderlich sei, wenn nicht eine Rückausnahme von diesem Grundsatz gemäß § 1 Abs. 6 Ziffer 2 a bis c gegeben ist. Dies ist jedoch vorliegend nach Ziffer 2 c und 3 a der Fall, ohne dass es wegen der Nichtigkeitserklärung hinsichtlich Ziffer 3 b durch die Entscheidung des BVerfG vom 10.07.2012 (1 BvL 2-4/10 und 3/11) noch auf die Erfüllung weiterer Voraussetzungen gemäß § 1 Abs. 6 Ziffer 3 b ankäme.

Der Klage war daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

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