SG Frankfurt am Main, Urteil vom 11.12.2015 - S 16 AS 1672/13
Fundstelle
openJur 2019, 37083
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) die Kosten für die Erneuerung des (Reise-) Passes des Klägers zu übernehmen hat.

Der 1951 geborene Kläger ist Staatsangehöriger der Republik Bosnien-Herzegowina und im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitels. Er bezieht seit Jahren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Zuletzt vor dem hier maßgeblichen Zeitpunkt bewilligte der Beklagte dem Kläger die SGB II-Leistungen durch Änderungsbescheid vom 5. August 2013 für die Zeit vom 1. Juli 2013 bis 31. Dezember 2013 in monatlicher Höhe von 714,97 € und berücksichtigte dabei den Regelbedarf mit 382 € sowie die Bedarfe für Unterkunft und Heizung mit 332,97 €.

Mit Schreiben vom 16. Oktober 2013 teilte der Kläger dem Beklagten mit, er benötige ein Darlehen in Höhe von 180 € für die Verlängerung seines "Passport" und gab an, das Ausweisdokument laufe am 29. Oktober 2013 ab. Die Mittel für die Erneuerung könne er nicht aufbringen, so dass ein unabweisbarer Bedarf vorliege. Insoweit bitte er um Gewährung eines kurzfristigen Darlehens. Er legte seinen Reisepass, ausgestellt von dem Generalkonsulat des Staates Bosnien-Herzegowina in C-Stadt am 21. Oktober 2008 vor.

Durch Bescheid vom 22. Oktober 2013 lehnte der Antragsgegner diesen Antrag mit der Begründung ab, die von dem Antragsteller beantragte Sonderleistung sei durch den gewährten Regelbedarf abgedeckt und stelle keinen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes dar.

Mit Schreiben vom 15. November 2013, welches bei dem Beklagten am 18. November 2013 eingegangen ist und welches dieser als Widerspruch gegen den vorgenannten Bescheid wertete, trug der Kläger vor, sein besonderer Bedarf bestehe aus den Passgebühren in Höhe von 130 €, der Ausländeramtsgebühr in Höhe von 60 € sowie den Fahrkosten nach D-Stadt und zurück. In D-Stadt angekommen habe er noch 1 Stunde Busfahrt bis zu seinem Geburtsort E., um sich dort persönlich die erforderlichen Dokumente ausstellen zu lassen (Geburtsurkunde, Staatsbürgerschaftsbescheinigung). Ohne diese Dokumente könne die bosnische Behörde in B-Stadt keinen Passport ausstellen. Dagegen werde ein Ersatzpassport weder bei der F. AG noch bei der H. Bank akzeptiert. Mit dem Ersatzdokument könne er kein Geld ausgezahlt erhalten und ein Ausweisersatz berechtige auch nicht zum Grenzübertritt. Dieser besondere Bedarf sei nicht ein einmaliger Bedarf, sondern trete mit Ablauf der Gültigkeit des Passes in längeren Intervallen immer wieder auf. Auch sei er nach dem AufenthG verpflichtet, einen gültigen Ausweis zu besitzen.

Am 18. November 2013 hat der Kläger bei dem hiesigen Gericht Klage erhoben und trägt ergänzend vor, auch der Beklagte verlange für eine Barauszahlung die Vorlage eines gültigen Ausweispapiers. Sein Passwort werde stets nur zeitlich befristet ausgestellt, längstens für 10 Jahre. Er habe in sein Heimatland fahren müssen, um die für die Ausstellung eines gültigen Passes notwendigen Dokumente zu besorgen. Hierfür habe er 2400 km zurücklegen müssen. Werde der Kilometer mit 0,20 € angesetzt, so seien ihm Fahrkosten in Höhe von 480 € entstanden. Hinzu kämen die Gebühren für die Ausstellung des Ausweispapiers in Höhe von 130 €. Sein Bedarf bestehe daher in Höhe von 610 € und sei nicht abweisbar. Mittlerweile habe er seinen Pass erneuert und sei deswegen seinem Vermieter 2 Monatsmieten schuldig geblieben. Der Vermieter habe ihm gekündigt. Er habe indes ab 1. Mai 2014 eine andere Unterkunft gefunden. Obwohl er die Wohnung selbst geräumt habe, habe der Vermieter Zwangsräumung beantragt. Die Kosten der Zwangsräumung in Höhe von 2200 € habe auch der Beklagte zu tragen. Er habe bei dem Beklagten die Gewährung eines Darlehens beantragt. Dieses habe der Beklagte abgelehnt. Tatsächlich sei ihm indes ein Zuschuss/eine Beihilfe zu gewähren.

Der Kläger legt Kopie des Beschlusses des Sozialgerichts für das Saarland vom 11. Mai 2015 sowie Sitzungsniederschrift des genannten Gerichts gleichen Datums vor (Az. S 26 AS 55/15 ER).

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 22. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten für die Erneuerung eines Reisepasses im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem SGB II in Höhe von 610 € zu übernehmen,

hilfsweise,

den Beklagten zu verurteilen, ihm die mit der Zwangsräumung entstandenen Kosten in Höhe 800 € zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er weist darauf hin, dass der Vortrag des Klägers, wonach bei dem Beklagten für Barauszahlungen zwingend die Vorlage eines Reisepasses/Personalausweises notwendig sei, nicht zutreffe. Bei Barauszahlungen sähen die kassenrechtlichen Bestimmungen vielmehr vor, dass sich der Leistungsbezieher mit einem mit Lichtbild versehenen Ausweisdokument ausweisen müsse - etwa Führerschein, B-Stadt-Pass etc. In Ausnahmefällen bestünde zudem noch die Möglichkeit der Identitätsfeststellung durch den Vermerk "persönlich bekannt".

Der Beklagte hat im Klageverfahren Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2013 erteilt und den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 22. Oktober 2013 zurückgewiesen. In der Begründung hat der Beklagte dort ausgeführt, die Gebühren für die Verlängerung des Passes seien nicht von der Regelleistung umfasst und daher sei die Gewährung eines Darlehens im Sinne des § 24 Abs. 1 S. 1 SGB II zu Recht abgelehnt worden. Gleichfalls sei die Gewährung eines Zuschusses nicht möglich, da keiner der in § 24 Abs. 3 SGB II normierten Sachverhalte vorliege.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Gründe

Die zulässige Klage ist jedoch in der Sache unbegründet. Der Bescheid vom 22. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Im Ergebnis zu Recht hat der Beklagte die vom Kläger geltend gemachten Passverlängerungskosten weder in Form eines Zuschusses übernommen noch ihm hierfür ein Darlehen gewährt. Denn der Kläger hat im Zusammenhang mit der Verlängerung seines Reisepasses im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem SGB II keinerlei Ansprüche gegen den Beklagten. Auch ist der Beklagte nicht verpflichtet, dem Kläger Kosten zu erstatten, die dieser wegen der Zwangsräumung seiner Wohnung geltend macht.

Nach § 24 Abs. 1 S. 1 SGB II erbringt die Agentur für Arbeit - und im vorliegenden Fall der Beklagte im Rahmen seiner Zuständigkeit nach dem SGB II - bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt der oder dem Leistungsberechtigten ein entsprechendes Darlehen, wenn im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden kann.

Voraussetzungen dieser Anspruchsnorm sind zum einen der Umstand, dass der geltend gemachte Bedarf vom Regelbedarf umfasst wird, im konkreten Fall weder durch das Vermögen noch auf andere Weise (etwa durch die Bildung von Ansparrücklagen) gedeckt werden kann und dieser Bedarf den Umständen nach unabweisbar ist (vgl. Blüggel in Eicher SGB II Grundsicherung für Arbeitssuchende Kommentar 3. Auflage 2013 § 24 Rn. 23).

Die Anwendung dieser Vorschrift scheitert nach Auffassung der Kammer bereits daran, dass es sich im Hinblick auf die von dem Kläger geltend gemachten Kosten/Gebühren für die Erneuerung seines Reisepasses nicht um einen von dem Regelbedarf umfassten Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes handelt. Denn anders als Deutsche, für die insoweit ein Personalausweis ausreicht, sind Menschen aus Ländern außerhalb der EU nach § 3 AufenthG verpflichtet, einen gültigen Pass zu besitzen, um sich legal in Deutschland aufzuhalten (vgl. oben). Schon diese Besonderheit schließt es aus, dass ein solcher Bedarf in die Ermittlung des Regelbedarfs betreffend das soziokulturelle Existenzminimum Eingang zu finden hat. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass ein auf die Deckung von Reisepasskosten gerichteter Bedarf bei der Ermittlung der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben (Sonderauswertungen zur Einkommens- und Verbrauchsstichprobe - EVS) berücksichtigt worden ist (s. hierzu Saitzek in Eicher SGB II a.a.O. § 20 Rn. 30 ff.,36/37).

Zudem hat der Kläger selbst vorgetragen, seinen Reisepass zwischenzeitlich tatsächlich erneuert zu haben, so dass ein seinerzeit vorhanden gewesener Bedarf nunmehr ohnehin gedeckt ist, ohne dass es noch der Gewährung eines Darlehens bedürfte.

Schließlich hat der Kläger auch keinen Anspruch gegen den Beklagten auf die Übernahme der Passverlängerungskosten als Zuschuss.

Zwar wird nach § 21 Abs. 6 bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht (S. 1). Dieser Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (S. 2).

Bei den Passverlängerungskosten handelt es sich aber schon nicht um einen "laufenden Bedarf". Denn hierbei muss es sich um einen regelmäßig wiederkehrenden, dauerhaften, längerfristigen Bedarf handeln. Dabei ist für die Beurteilung der Regelmäßigkeit nach der Gesetzesbegründung auf den Bewilligungszeitraum abzustellen (vgl. BT-Drucks. 17/1465, S. 9; S. Knickrehm/Hahn in Eicher a.a.O. § 21 Rn. 67/68). Mit "Bewilligungszeitraum" in diesem Sinne ist offenbar der Regelbewilligungszeitraum des § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II von 6 Monaten gemeint. Folglich handelt es sich um einen laufenden Bedarf dann, wenn er innerhalb der 6 Monate nicht nur einmalig, sondern mehrfach auftritt und kann ein regelmäßig wiederkehrender Bedarf wohl auch nur vorliegen, wenn er prognostisch zumindest im nächsten Bewilligungszeitraum wieder entsteht (vgl. S. Knickrehm/Hahn a.a.O.). Die Eigenschaft eines laufenden Bedarfs kann dem lediglich in Abständen von mehreren Jahren auftretenden Erfordernis einer Passverlängerung somit zweifellos nicht zugeschrieben werden. Dies gilt insbesondere insoweit der Kläger selbst vorgetragen hat, dass sein Reisepass längstens für die Dauer von 10 Jahren ausgestellt werden könne (Schreiben vom 19. Februar 2015).

Endlich ergibt sich ein Anspruch auf Übernahme der Passverlängerungskosten auch nicht aus § 73 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XII), weshalb die Beiladung des Sozialhilfeträgers zu unterbleiben hatte. Nach der genannten Vorschrift können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen (§ 73 S. 1 SGB XII). Geldleistungen können als Beihilfe oder Darlehen erbracht werden (S. 2). Ein diesbezüglicher Anspruch scheidet schon deshalb aus, weil diese Vorschrift das Vorliegen einer sonstigen Lebenslage voraussetzt, die eine gewisse Nähe zu den speziell in §§ 47-74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist. Daran fehlt es aber bereits bei einer typischen Bedarfslage, die bei einer regelmäßig erforderlichen Passverlängerung entsteht. Gegen die Atypik/das Außergewöhnliche der vom Kläger insoweit geltend gemachten Bedarfslage spricht schon der Umstand, dass Passverlängerungskosten allenfalls im Turnus von 5-10 Jahren entstehen und freilich von dem Betreffenden vorauszusehen sind. Damit sind derartige Kosten auch mit geringfügigen Rücklagen finanzier- und kalkulierbar. Abgesehen davon kommt dem § 73 SGB XII nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht die Funktion einer allgemeinen Auffangregelung für Leistungsempfänger nach dem SGB II zu (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 7. November 2011, Az.: B 7b AS 14/06 R).

Auch hat der Kläger freilich keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Erstattung der von ihm geltend gemachten Kosten einer Zwangsräumung (in Höhe von 800 €). Abgesehen davon, dass es sich insoweit nicht um Unterkunftskosten im Sinne des § 22 SGB II handelt - denn diesem Begriff unterfallen nur solche Kosten, die für eine zu Wohnzwecken tatsächlich genutzte Unterkunft entstehen (vgl. Luik in Eicher a.a.O. § 22 Rn.44) - ist schon nicht ersichtlich, dass die Gründe für die Zwangsräumung überhaupt in den Verantwortungsbereich des Beklagten fallen. Insoweit weist die Kammer insbesondere darauf hin, dass der Kläger noch im Zeitpunkt seiner Erstantragstellung am 16. Oktober 2013 die Möglichkeit hatte, sein Ausweisdokument bei einer Ausländerbehörde im Inland verlängern/erneuern zu lassen. Auf diese Weise würden sich die diesbezüglich aufzubringenden Aufwendungen erheblich reduziert haben (kein Erfordernis einer Auslandsreise) und der Kläger jedenfalls nicht gezwungen gewesen sein, hierfür finanzielle Mittel einzusetzen, die für die Entrichtung des Mietzinses vorgesehen waren. Denn ausgehend von dem Ablaufdatum des Ausweisdokumentes am 29. Oktober 2013 war es dem Kläger im Zeitpunkt der Antragstellung noch möglich, die Passerneuerung/Passverlängerung im Inland vorzunehmen. Die vom Kläger in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Az.: S 16 AS 1519/13 ER) vorgelegten Kopien bestätigen dies (Ausstellung des Ausweisdokumentes durch das Generalkonsulat von Bosnien und Herzegowina in C-Stadt).

Die Klage war daher insgesamt abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG.

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