SG Kassel, Urteil vom 03.06.2015 - S 7 AS 688/14
Fundstelle
openJur 2019, 37038
  • Rkr:
Tenor

1.

Die Klage wird abgewiesen.

2.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

3.

Die Berufung gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um eine Erstattungsforderung des Beklagten in Höhe von 77,25 Euro für die Zeit vom 01.06.2013 bis 30.06.2013 nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II.

Bei dem seit geraumer Zeit im Leistungsbezug stehenden Kläger setzte der Beklagte mit Bescheid vom 17.07.2013 die Leistungen (Arbeitslosengeld II) für die Zeit vom 01.06. bis 30.06.2013 endgültig fest. Hierin berücksichtigte er nach vorangegangener vorläufiger Festsetzung (§ 328 SGB III) den im Juni 2013 zugeflossenen Wehrsold in Höhe von 63,20 Euro, jeweils für die Monate Mai und Juli 2013, sowie ein Verpflegungsgeld von 2,93 Euro, somit insgesamt einen Zufluss in Höhe von 129,33 Euro. Hiervon setzte er die Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 Euro und Beiträge für die Kraftfahrzeugversicherung des Klägers in Höhe von 22,08 Euro ab, so dass ein anzurechnender Betrag von 77,25 Euro verblieb, den der Beklagte vom Kläger erstattet verlangte. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.08.2013 als unbegründet zurück. Hierin vertrat er die Auffassung, von dem erhaltenen Wehrsold sei der Freibetrag nach § 11 b Abs. 2 SGB II nicht abzusetzen, da es sich bei der Teilnahme an Wehrübungen nicht um eine Erwerbstätigkeit im Sinne der Vorschrift handele.

Gegen den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 29.8.2013 hat der Kläger am 4.9.2013 Klage bei dem Sozialgericht Kassel erhoben (ursprüngliches Aktenzeichen S 7 AS 591/13).

In einem gleichgelagerten Fall hatte die 7. Kammer des Sozialgerichts Kassel zum Az. bereits mit klagabweisenden Urteil vom 08.11.2012 entschieden, dass es sich bei den von dem Kläger geleisteten Wehrübungen nicht um eine Erwerbstätigkeit handele, sondern um eine staatlich auferlegte Dienstpflicht nach § 23 Wehrpflichtgesetz. Gegen dieses Urteil hatte der Kläger vor dem Hessischen Landessozialgericht Berufung erhoben. Ferner war zum damaligen Zeitpunkt - neben dem hier vorliegenden Verfahren - bei dem Sozialgericht Kassel noch ein weiteres Verfahren des Klägers mit gleichartigem Streitgegenstand anhängig (Az. S 7 AS 121/13).

Am 23.10.2013 hat das Sozialgericht Kassel auf Antrag beider Beteiligten das Ruhen dieses Verfahren angesichts des ausstehenden Berufungsverfahrens bei dem Hessischen Landessozialgericht beschlossen.

In den bei dem Hessischen Landessozialgericht anhängigen Berufungsverfahren L 6 AS 878/12, L 6 AS 858/12 und L 6 AS 859/12 NZB (darunter das o.a. Berufungsverfahren gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 08.12.2012 zum Az. ) schlossen die Beteiligten im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter des Senats am 11.06.2014 einen Vergleich, in dem zur dortigen Ziffer 5 die Regelung getroffen wurde, dass der Kläger - zum Zwecke der Weiterleitung an das Sozialgericht Kassel - die Klagerücknahme in den Verfahren S 8 AS 399/12 und S 7 AS 121/13 erklärt. Sollten noch weitere Verfahren ruhend gestellt sein, so verpflichteten sich die Beteiligten, diese nicht wieder aufzurufen.

Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 15.07.2014 hat der Kläger das vorliegende Verfahren wieder aufgerufen (ursprüngliches Aktenzeichen S 7 AS 591/13, nunmehr S 7 AS 688/14).

Der Kläger ist der Auffassung, dass der ihm gezahlte Wehrsold aufgrund der Wehrübungen Einkommen im Sinne des SGB II, insbesondere im Sinne der Freibetragsregelung des § 11 b Abs. 2 SGB II sei. Es sei eine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Rechtsfrage zu treffen, dies auch angesichts des Vergleiches bei dem Hessischen Landessozialgericht vom 11.06.2014.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 17.07.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2013 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält an seiner Auffassung in den angefochtenen Bescheiden fest.

Wegen der weiteren Einzelheiten und Unterlagen und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Die Beteiligten haben mit ihren Schriftsätzen vom 15.07.2014 (Blatt 44 Gerichtsakte) und 17.10.2014 (Blatt 62 Gerichtsakte) ihr Einverständnis zu einem Urteil des Gerichtes ohne mündliche Verhandlung erteilt.

Gründe

Das Gericht konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da die hierzu erforderlichen Einverständniserklärungen des Klägers mit Schriftsatz vom 15.07.2014 und des Beklagten vom 17.10.2014 vorliegen.

Die Klage ist nicht unzulässig, auch nicht unzulässig geworden. Die Kammer hält den Wiederaufruf des vorliegend nach dem Ruhensbeschluss des Gerichts vom 23.10.2013 (zum früheren Az. S 7 AS 591/13) ruhenden Verfahrens gemäß § 251 ZPO in Verb. mit § 202 SGG für zulässig, da hiernach ein Wiederaufruf eines ruhenden Verfahrens auf Antrag eines Beteiligten erfolgt, was hier durch den Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 15.07.2014 (Blatt 44 Gerichtsakte) ausdrücklich geschehen ist. Zwar widerspricht der Wiederaufruf dieses Verfahrens offenkundig den in den Rechtsstreiten L 6 AS 878/12, L 6 AS 858/12 und L 6 AS 859/12 NZB getroffenen Vergleich im Erörterungstermin des Hessischen Landesozialgerichts vom 11.06.2014 zu Ziffer 5, wonach sich die Beteiligten verpflichteten, noch weitere ruhende Verfahren vor dem Sozialgericht Kassel (wie dieses hier, das durch Beschluss des Gerichts vom 23.10.2013 gerade wegen der Berufungsverfahren zum Zeitpunkt des Vergleiches ruhte) gerade nicht wieder aufzurufen. Das Verhalten des Klägers ist nach Auffassung des Gerichtes zwar widersinnig, es ergibt sich indes aus diesem Vergleich kein Gesichtspunkt, der einem Wiederaufruf des Rechtsstreites S 7 AS 591/13 entgegenstünde. Denn dem Vergleich (Ziffer 5) vor dem Hessischen Landessozialgericht ist nicht ausdrücklich zu entnehmen, dass der Kläger auf seine prozessualen Rechte wie den Wiederaufruf eines Verfahrens verzichtet hätte. Allenfalls könnte sich für die Rechtsbeziehungen der Beteiligten untereinander die Frage stellen, welche Folgen ein (Vertrags-) Verstoß des Klägers gegen Regelungen des Vergleiches (durch Wiederaufruf dieses Rechtsstreites trotz entgegenstehender Verpflichtung im Vergleich vor dem Hessischen Landessozialgericht vom 11.06.2014) nach sich ziehen könnte. Ob sich aus der Handlung des Klägers eine Verletzung des Vergleichs vor dem Hessischen Landesozialgericht vom 11.06.2014 ergeben mag, und welche Rechtsfolgen dies nach sich ziehen könnte, ist jedoch nicht Gegenstand der Entscheidung dieses Gerichtes über den vorliegenden Fall.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Zutreffend hat der Beklagte mit Bescheid vom 17.07.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.08.2013 die endgültige Festsetzung des Arbeitslosengeldes II nach dem SGB II gemäß § 328 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB III iVm § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II vorgenommen. Hiernach hat der Beklagte auch zutreffend das Einkommen des Klägers für den Streitzeitraum vom 01.06. bis 30.06.2013 berechnet, indem er den in diesem Monat (Juni 2013) zugeflossenen Wehrsold für Mai und Juni sowie das gezahlte Verpflegungsgeld, ein Gesamtbetrag in Höhe von insgesamt 129,33 Euro, gemäß § 11 Abs. 1 SGB II als Einkommen berücksichtigt hat. Hiervon waren lediglich die Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 Euro sowie die Kraftfahrzeugversicherungsbeiträge des Klägers in Höhe von 22,08 Euro - wie vom Beklagten vorgenommen - abzuziehen. Denn der gemäß § 11 b Abs. 2 SGB II vorzunehmende Abzug des Erwerbstätigenfreibetrages kommt nicht in Betracht. Hierzu hatte bereits die C. des Sozialgerichts Kassel im Urteil vom 08.11.2012 (Az. ) wie folgt ausgeführt:"Nach Auffassung der Kammer ist darüber hinaus kein Erwerbstätigenfreibetrag für die Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz und den Wehrsold in Abzug zu bringen.

Bei der von dem Kläger geleisteten Wehrübung handelt es sich nicht um eine Erwerbstätigkeit. Bei der Wehrübung handelt es sich nicht um eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit, sondern um eine staatlich auferlegte Dienstpflicht nach § 23 Wehrpflichtgesetz (WPflG). Demgemäß erhält der Wehrübungsleistende auch kein Arbeitsentgelt, sondern einen Sold nebst weiteren zweckbestimmten Bezügen. Es kommt deshalb auch keine analoge Anwendung der Freibetragsregelung auf den Sold in Betracht. Ziel der Freibetragsregelung ist es, dem Hilfebedürftigen einen finanziellen Anreiz für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu schaffen (Klaus in juris - PK SGB II, 2. Auflage 2007, § 30 RdNr. 12). Ein derartiges Ziel kann für die Wehrübung als staatlich auferlegte Dienstpflicht nach § 23 WPflG nicht angenommen werden (vgl. insofern zum Zivildienst: SG Lübeck vom 29.02.2008, S 28 AS 261/08 ER).

Die Leistungen zur Unterhaltssicherung sind hingegen öffentliche Leistungen eigener Art, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Der einberufene Wehrpflichtige erhält Leistungen zur Sicherung seines Lebensbedarfs, was nach dem Sinn des Unterhaltssicherungsgesetzes dem Wehrpflichtigen die Aufrechterhaltung seiner den bisherigen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechenden Lebenshaltung ermöglichen soll. Die Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz sind somit mit einem Erwerbseinkommen nicht annähernd zu vergleichen, ein Abzug für einen Erwerbstätigenfreibetrag scheidet auch hierfür aus".

An dieser Einschätzung der C. hält auch die erkennende Kammer fest, so dass weitere Ausführungen entbehrlich sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zwar ist der Beschwerdewert von 750,00 Euro gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG im vorliegenden Falle nicht überschritten; das Gericht sieht jedoch im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG grundsätzliche Bedeutung in der Frage, ob der aufgrund einer Wehrübung erhaltene Wehrsold als Einkommen im Sinne von § 11, 11 d SGB II anzusehen und daher um den Erwerbstätigenfreibetrag zu mindern sein könnte. Es hat deshalb wegen grundsätzlicher Bedeutung die Berufung gegen dieses Urteil zugelassen.

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